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Song: Play It Safe (Stripped) - JULIA WOLF
Ich will nicht zurück zum Anfang. Nicht zum gleichen, alten Anfang.
Ich will an diesem neuen Anfang weiterarbeiten, ihn ausbauen, etwas darauf aufbauen.
Nach einer halben Stunde lege ich auf. Abby will mich nicht gehen lassen.
Sie hat Angst, dass, wenn wir das nächste Mal voneinander hören, etwas Schreckliches passiert sein könnte.
Schrecklich kann sich in verschiedenen Schattierungen zeigen.
Dad könnte hier auftauchen. Er könnte aber auch einfach weiter aus der Ferne drohen.
Er könnte unsere Tür eintreten, er könnte um Einlass bitten.
Er könnte das Gespräch suchen, mit Drohungen, Ultimaten und Hass. Oder er könnte den Verstand verlieren, sobald er Mom, mich und Kelsey sieht, in einem nun fertig eingerichteten Haus, in einem neuen Leben ohne ihn.
Und diese Tatsache macht mir unglaubliche Angst. Die Tatsache, dass es sich eben um eine Art Abschied für immer handeln könnte. Vielleicht melde ich mich wieder, wenn er mich verändert hat, wenn ich plötzlich ein Connor geworden bin, der nur noch sarkastisch sein kann, ein Connor, der immer wieder zusammenzuckt, wenn ihm jemand zu nahe kommt.
Ich hasse meine Schwäche und ich hasse meinen Körper dafür, dass er mich so bloßstellt und bösen Menschen die Macht gibt, Einfluss auf mein Verhalten zu nehmen.
Ich sitze in meinem stillen Zimmer und weiß nicht weiter.
Ich weiß in diesem Moment nur eins. Ich kann mit diesen Gedanken und dem Strudel aus Szenarien, eines schlimmer als das andere, nicht allein bleiben.
Ich muss raus.
Aber Mom wird mich nicht lassen. Sie würde mich eher anketten, als dass sie mich jetzt ungeschützt auf die Straße gehen lassen würde.
Also schreibe ich ihr einen kleinen Zettel und klettere aus dem Fenster.
Die Dachrinne knarrt. Die Dachpappe wirkt noch maroder, als in den ersten Sommernächten, als ich für Trace aus diesem Fenster geklettert bin, um ihn auf Partys zu sehen.
Diese Zeiten scheinen ewig weit weg, unerreichbar und unwirklich.
Dieser Connor hört sich jetzt an, wie ein Gespinst meiner Fantasie. So könnte ich nie sein. So mutig. Aus dem Fenster klettern? Ich?
Ich.
Ich komme mit einem dumpfen Geräusch vor dem Wohnzimmerfenster auf und ducke mich.
Wenn Mom gleich die Tür aufreißt, ist es vorbei mit meinem Leben.
Aber sie kommt nicht raus. Sie hat mich nicht gehört.
Und ich werde mit jedem Meter, den ich mich vom Haus entferne, mehr und mehr von schlechtem Gewissen zermürbt.
Ich laufe einfach davon und lasse sie allein. Wir sollten jetzt, mehr denn je, zusammenhalten.
Was, wenn er jetzt kommt und ich bin nicht da, um sie zu beschützen?
Nicht, dass ich Fliegengewicht sie in irgendeiner Weise verteidigen könnte. Aber ich könnte da sein. Mental. Manchmal hilft es schon ungemein, einfach im gleichen Raum zu sein und das gleiche Leid zu teilen.
Und doch laufe ich immer weiter.
Lasse die Sackgasse hinter mir und laufe unter der Sonne Texas, die ich immer noch so sehr hasse, wie am ersten Tag unserer Ankunft.
Wenn ich meinen Vater doch nur in sie reinschießen könnte, sodass jede Zelle seines Seins verglühen würde.
Am heutigen Tag fühlt sich das draußen sein gefährlich an.
Ich schaue andauernd über meine Schulter, in Sorge ich könnte ihn am Ende der Straße, an der Kreuzung, vor der kleinen Kneipe stehen sehen. Wie er mich aus seinen unheimlichen, ruhigen Augen beobachtet.
Aber ich sehe ihn kein einziges Mal. Auch in keinem der mich passierenden Autos. Bei jedem einzelnen möchte ich mich ins Gebüsch werfen, weil ich mir immer erst hinterher sicher sein kann, dass es nicht er war, der hinter dem Steuer saß.
Ich laufe immer weiter.
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich nicht weiß, wo ich hinlaufe, dass ich kein Ziel habe, dass ich herumirre, weil ich nicht weiß, wohin mit mir.
Aber ich habe ein Ziel.
Ich weiß, wo ich hin will und meine Beine tragen mich auf dem kürzesten Weg dort hin.
9275. 9275. Ich wiederhole die Zahl dutzende Male, als ich mich in der richtigen Straße befinde. Zuerst laufe ich an Flachbauten vorbei, schlichten Häusern, die sich mit der breiten Masse verblenden. Doch je höher ich in der Straße komme, desto größer und höher werden die Häuser. Ein Obergeschoss schließ sich ans nächste, der darauffolgende Nachbar verfügt über eine Art Turmzimmer. Diese Straße spiegelt die verdammte Gesellschaft wider.
Ich war noch nie hier, ich habe nur die Adresse aufgeschnappt und ich habe sie nicht vergessen.
Das Haus Nummer 9275 ist ein in gelblichem Sandstein gehaltenes Einfamilienhaus mit Fenstern, die an eine Kirche erinnern und verfügt über einen großen Vorgarten mit einem Ahornbaum mitten auf dem grünen Rasen. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich die winzigen Köpfe der Sprinkleranlagen im Erdboden.
Die Einfahrt ist gepflastert, gefegt. Alles sieht sauber und reinlich aus, so ganz anders als bei uns. Das hier ist buchstäblich eine andere Welt.
Vor der Haustür halte ich inne. Und dann drücke ich auf den Klingelknopf neben dem Adams steht, bevor ich es mir anders überlegen kann und meine plötzliche Angst mich Reißaus nehmen lässt.
"Scheiß", murmle ich zu mir selbst und blicke über die Schulter.
Jemand drück die Türklinke herunter. Trace drückt die Türklinke herunter. Gott sei Dank, vielleicht ist er sogar allein Zuhause.
Seine Augen können mich gar nicht richtig wahrnehmen, da mache ich einen Satz nach vorne und flüchte mich in seine Arme.
Ich flüchte vor der Welt vor der Tür, vor allem, was sich vor den Stadtgrenzen erstreckt, vor allem, das sich innerhalb dieser befindet.
Ich drücke meine Nase an seine Brust und schließe die Augen, sodass für einen Moment tatsächlich alles verschwindet.
Doch da erklingt eine weibliche Stimme.
"Trace? Wer ist da?"
"Ein Freund!", ruft der Junge vor mir.
Ich habe gar nicht bemerkt, dass er die Arme um mich geschlungen hat. Erst als wir uns jetzt mit dem Auftauchen seiner Mutter voneinander lösen, spüre ich, wie sie von mir abfallen.
Mrs. Adams ist eine ausgesprochen hübsche Frau mit langen braunen Haaren, die glänzend um ihre Schultern fallen. Ihre Augen sind freundlich, als sie mich in der Tür neben ihrem Sohn erblickt.
"Hallo", lächelt sie mild. "Ich glaube, wir kennen uns noch nicht."
"Nein", ich ringe mir ein Lächeln ab und wische meine schwitzigen Hände an meinen Hosenbeinen ab, da ich sofort spüre, dass das die Art Haushalt ist, in dem man sich zur Begrüßung die Hände schüttelt.
"Ich bin Connor."
Und da kommt sie schon mit ausgestreckter Hand auf mich zu.
"Er ist erst vor ein paar Monaten hergezogen", erklärt Trace.
"Mitten im Schuljahr?", fragt seine Mutter, überrascht, aber nicht skeptisch.
Sie lässt schnell von mir ab und ich bin froh, als ich meine Hände vor meinem Körper verschränken kann.
"Ja. Meine Mutter musste wegen der Arbeit schnell umziehen."
Ich nicke, um meine Aussage zu unterstreichen und hoffe inständig, dass nicht die übliche Folgefrage nach der Arbeit meiner Mutter kommt.
Doch Mrs. Adams hat Anstand. Sie nickt und tritt einen Schritt zurück.
"Nun, es ist schön, dich kennenzulernen, Connor. Bleibst du zum Abendessen?"
Ich werfe Trace einen fragenden Blick zu.
"Ich glaube nicht."
"Du bist herzlich eingeladen."
"Danke."
"Ich lasse euch dann mal alleine, Jungs."
Noch ein Lächeln und zwei Schritte nach hinten, dann wendet sie sich ab und verschwindet in einen hellen, lichtdurchfluteten Raum, den ich als Wohnzimmer identifiziere.
Ich bin so dankbar, dass ich es die ganze Zeit geschafft und durchgehalten habe, meine Tränen zurückzuhalten.
Meine Kehle fühlt sich wie ein einziger Krampf an, meine Zunge ist belegt, meine Augen brennen, ein Druck hinter den Augäpfeln, der einfach nur nach Erlösung fleht, genau wie das Zittern meiner Unterlippe.
Traces blaue Augen mustern mich eingehen. Er hat sich noch nicht beweg, auch die Haustür steht noch offen.
Er leckt sich einem über die Lippen.
"Wollen wir in mein Zimmer?"
Ich nicke. Ein Wort und ich weine.
Ein leises Klicken sperrt die Welt aus.
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Hi my Loves <3
Ich würde ja so gerne wieder mit den Nachmittags Updates anfangen, aber ich habe nie die Zeit, so sorry about that... :/
Morgen werde ich mir aber wieder die Zeit nehmen, weiter eure Kommentare zu beantworten! <3 (Ich wiederhole meine Frage noch den 30 Stunden Tagen... bitte?!?)
Eine Freundin von mir hat gerade ein Date, während ich hier sitze und schreibe über fiktive Liebe... Who can relate?
Übrigens: Zur Inspiration von Traces Straße diente mir: Cessna Ln in Austin Texas.
Just if anyone is curious :)
All my Love,
Lisa xoxo
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