Poseidon
„Percy!", mein Ton war hart, was meinen Sohn zusammenzucken ließ. Langsam drehte er sich zu mir um. Trotz des Ärgers in seinem Gesicht erkannte ich auch Unsicherheit.
„Wir müssen reden!", erklärte ich und hielt ihn am Oberarm fest, „Über deine Mutter." Sofort schimmerte die Schuld und der Schmerz in seinen Augen auf und ich merkte, dass er nicht einmal versuchte sich aus meinem Griff zu winden.
„Sally ist ziemlich aufgebracht.", meinte ich wütend, „Du hast ein paar Dinge zu ihr gesagt, die sie sehr verletzt haben."
Percy schnappte kaum hörbar nach Luft, als sich mein Griff verstärkte, „Ich weiß. Und es tut mir leid. So leid... Das hat sie nicht verdient." Er hob den Kopf und begegnete meinem Blick, „Ich habe bei ihr meinen Frust über dich ausgelassen und das kann ich mir selbst nur schwer verzeihen."
Meine Finger lockerten sich und er drehte seinen Arm aus meinem Griff und brachte ihn außerhalb meiner Reichweite. Seine Haut nahm einen rötlichen Schimmer an, dort wo meine Hand gewesen war und ich fühlte so etwas wie Reue. Ich hatte ihm wehgetan...
Percy presste die Lippen aufeinander und drehte sich steif um, „Ich muss los. Wir haben nicht mehr viel Zeit." Ich hielt locker mit ihm Schritt, als er über den Hauptweg des Olymp lief, „Das Thema ist noch nicht durch, Percy. Du hast keine Ahnung, wie sauer ich auf dich bin."
„Dazu hast du nicht das geringste Recht.", gab er von sich, „Das ist eine Sache zwischen mir und Mom und du warst in meiner Kindheit nie bei mir. Du bist vielleicht mein Vater, aber das heißt nicht, dass du dich in mein Leben einmischen darfst."
Ich atmete tief durch, um nicht von meinen Gefühlen überwältigt zu werden. „Das geht mich sehr wohl etwas an. Sally ist meine Gemahlin, meine Königin und du...-", „Das will ich gar nicht abstreiten.", unterbrach er mich, „Ich bin froh, dass sie dich hat, aber ich selbst will momentan nichts mit dir zu tun haben, Dad! Verschwinde!"
Ich schnaubte, „Wenn du wirklich wollen würdest, dass ich verschwinde, hättest du dich schon längst wegteleportiert." Ruckartig blieb Percy stehen und für einen Moment sah ich sein wirkliches Gesicht: Müdigkeit, Schmerz, Enttäuschung.
„Vielleicht hast du Recht.", flüsterte er leise, weshalb ich es beinahe nicht verstanden hätte, „Ich will mich nicht mit dir streiten, Dad." Er sah hoch und mir brach es fast das Herz, als ich die Tränen sah, die sich in seinen Augen sammelten, „Es tut so weh... Aber ich kann dir nicht vergeben für das, was du getan hast. Es ... es geht einfach nicht..."
Ich schluckte und wollte etwas sagen, aber er redete schon weiter und diesmal liefen die Tränen über sein Gesicht, was mich den Mund wieder schließen ließ, „Du hast so viel zu mir gesagt ohne es zu meinen, so vieles getan ohne Nachzudenken ... und dabei hast du so viel in mir zerstört ohne es zu merken."
Wütend wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, während ich ihn nur entsetzt anstarrte. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und fing an zu verschwimmen. Das meergrüne Funkeln umkreiste ihn und ich berührte schnell seine Schulter, sodass ich mit nach New Orleans gerissen wurde.
Wir landeten in einem großen Park, der von dem Schnee in eine weiße Winterlandschaft verwandelt wurde. Ich war noch nicht oft in New Orleans gewesen, aber instinktiv wusste ich, dass es der Jean Lafitte National Historical Park and Preserve war.
Percy wirkte nicht überrascht, dass ich mit ihm gekommen war und setzte seinen Weg zum Omphalos fort. Seine Augen, die vom Weinen eigentlich rot sein müssten, waren normal und strahlend. Vermutlich hatte er das durch seine Magie bewirkt, doch ich wusste aus Erfahrung, dass innen drin dafür umso mehr wehtat.
Vor uns befand sich ein riesiger schwarzer Marmorstein, der mit goldenen und bronzenen, hauchdünnen Fäden umschlungen war. Der Nebel verbarg ihn vor den Augen der Sterblichen. Stattdessen sahen sie eine Statue von Charles Dominique Joseph Bouligny, einem US-Senators des 18./19. Jahrhunderts.
Weit und breit waren keine Menschen zu sehen, was vermutlich daran lag, dass es mitten in der Nacht war. Entschlossen trat Percy an den Stein heran und fuhr über einen bronzenen Faden. Er war so scharf, dass er ihm bei bloßer Berührung die Haut aufschnitt und goldenes Blut von seinem Finger und über seine Hand lief. Da es nur ein oberflächlicher Schnitt war, heilte seine Haut fast sofort wieder.
„Bitte Percy.", sagte ich flehend, „Du musst mir vertrauen, denn ich kann nichts tun, außer dir zu sagen, wie leid es mir tut und wie viel du mir bedeutest."
„Es dauert Jahre, um Vertrauen zu erlangen.", meinte er und suchte nach einer Stelle im Felsen, die er als Katalysator nutzen konnte, „Ich habe dir vertraut, aber du hast es ausgenutzt und mich unsterblich machen lassen. Sogar das habe ich dir innerlich schon halb vergeben gehabt... und dann hat mir Okeanos erzählt, dass du mich bereits einmal getötet hast und Mom tot ist. Und da war es bei mir vorbei. Du hast mein Vertrauen zu dir zerstört."
„Ich will dich nicht verlieren.", ich seufzte und rieb mir verzweifelt über die Stirn.
Percy antwortete nicht. Stattdessen sah ich mit an, wie er nachdenklich die Stirn runzelte und mit den Gedanken offensichtlich komplett woanders war. Mit einem Mal legte er seine Hand auf die Fäden und den schwarzen Stein. Sein Ichor lief seinen Arm hinunter, aber er scherte sich nicht darum, sondern schloss konzentriert die Augen.
Mehrere Sekunden lang hörte ich ihn nur ruhig ein und aus atmen, dann plötzlich begannen die Fäden meergrün aufzuleuchten. Sie wanden und bewegten sich, als versuchten sie sich von dem Marmor zu befreien.
Fasziniert beobachtete ich, wie sie sich verformten und zuerst einen Dreizack bildeten und dann das Symbol der Einigkeit, das in Percys Fall wohl das Heldentum ausdrücken soll. Die Fäden erkannten Percys Identität durch sein Blut, das immer noch aus den Schnittwunden austritt, nachdem er seine Hände immer noch nicht von der Stelle bewegte.
Schließlich verschwamm auch dieses Zeichen und Percys Energie wanderte nach oben zur Spitze des Marmorsteines. In einem hellen Blitz jagte sie nach oben in den Himmel und breitete sich in einer Hülle über der Erde aus wie eine Decke. Nur, dass diese Decke nicht nur warm halten, sondern die Welt auch vor ihrer Vernichtung bewahren sollte.
In einer schlaffen Bewegung zog Percy seine Hand weg und stolperte nach hinten. Erschrocken fing ich ihn auf, als er beinahe zu Boden ging. Ich legte einen seiner Arme um mich, damit ich ihn stützen konnte, nachdem er so viel Kraft auf einmal freigesetzt hatte.
„Ich muss zu Hermes.", murmelte er, sodass ich es wieder fast nicht gehört hätte. Ich verstärkte meinen Griff um ihn, während ich besorgt sein erschöpftes Gesicht musterte: „Du wirst dich nirgends mehr hinteleportieren. Ich bringe dich zu ihm."
Percy protestierte, doch noch im selben Moment verschwamm die Welt um uns herum und wir standen direkt vor der besagten Gottheit und Apollo. Verärgert schob Percy sich von mir weg und würdigte mich keines Blickes mehr.
„Die Schutzhülle ist errichtet.", berichtete er, nachdem die beiden unser Verhalten mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtet hatten. „Das ist ... gut..", meinte Hermes zögernd und warf mir einen ernsten Blick zu, der besagte: „Du hast immer noch keine Fortschritte gemacht? Streng dich an, verdammt."
„Oh gut, gut.", Apollo grinste, „Dazu fällt mir ein schönes Elfchen ein:
Percy
So mächtig
Er rettet uns
Ich bin so cool
από"
Percy blinzelte ihn überrascht an, bis er sagte: „Neue Gedichtform?" Der Sonnengott zuckte mit den Schultern, „Haikus sind langweilig geworden. Ich brauchte etwas erfrischendes, etwas ... intensives..."
„Äh ja, toll.", Percy unterdrückte ein kleines Lächeln.
„Jedenfalls, Percy, vielen Dank!", sagte Hermes, „Ich werde Zeus sofort aufsuchen und ihn darüber in Kenntnis setzen." Er löste sich vor unseren Augen auf und Apollo zwinkerte mir zu, bevor auch er in hellem Sonnenlicht erstrahlte und verschwand.
Kaum war er weg, drehte sich Percy um und machte Anstalten zu verschwinden, aber ich hielt ihn wieder fest, „Percy, mach es nicht schwieriger, als es ohnehin schon ist."
Zornig wirbelte er zu mir herum, „Ich mach es schwierig?! Ich bitte dich, du hast doch damit angefangen!" Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen, „Denk doch mal nach, Sohn. Denkst du, Sam gefällt es, wie sehr wir uns immer streiten? Er redet kaum noch mit mir seit du wieder da bist aus Angst, du könntest es als Verrat dir gegenüber sehen."
„Ganz ehrlich, Dad?", Percys Stimme wurde lauter, „Ich wünschte, ich könnte ihm verbieten mit dir zu reden, aber ich werde es nicht, da es sein gutes Recht ist und ich mich an seiner Stelle auch nicht daran gehalten hätte. Allein schon aus Rebellion, weil ich mir nicht sagen lasse, was ich zu tun habe."
Ich seufzte schwer, „Genau wie Sally." Seine Augen blitzten gefährlich auf, „Von irgendjemandem muss ich es wohl haben und da du in meiner Kindheit nie da warst, wissen wir das ja beide."
„Wie oft noch, Perseus? Es gibt Gesetze an die ich mich halten musste." Percy drehte sich um, „Wie auch immer. Ich werde mit mit Sam reden, damit er weiß, dass ich nichts dagegen habe, wenn ihr beide was zusammen macht. Aber tu mir bitte den Gefallen und bring ihn nicht versehentlich um, ja?"
Ich stöhnte genervt. Langsam hielt ich es mit diesem Jungen echt nicht mehr aus. Er würde mein endgültiger Tod sein. „Ich werde darauf achten.", knurrte ich sarkastisch.
Er wirbelte zu mir herum, die blanke Wut in seinen Augen, „Ich meine das Ernst, Dad. Wir wissen beide zu was du fähig bist und ich schwöre dir, du wirst es bereuen, wenn du dein Temperament nicht zügeln kannst und ihm so weh tust wie mir vor 2500 Jahren."
Mit diesen Worten verschwamm er vor mir und ich wusste, dass er sich zu seinem Versteck teleportierte. Vage erkannte ich hinter ihm einen rosa Himmel, bevor er verschwand.
Ich dagegen stand stocksteif an der selben Stelle und konnte nicht fassen, was er gerade zu mir gesagt hatte. Würde er mir wirklich zutrauen, meinem eigenen Enkel etwas zu tun? Sam, der so herzensgut und lebenslustig war wie Percy selbst?
Andererseits hatte ich Percy bereits einmal getötet. Nicht mit Absicht, aber ich hatte es getan, als ich die Fassung verloren hatte und ich hatte es danach so sehr bereut... Ich erinnerte mich an den Besuch bei Hades, nachdem ich nach zwei Tagen mitbekommen hatte, was passiert ist...
„Poseidon.", Hades sah mir von seinem Thron aus menschlichen Knochen aus neugierig entgegen, „Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs? Ich hoffe, ich werde nicht bereuen, dich nach Erebos gelassen zu haben."
Ich biss die Zähne zusammen, als ich ihm in die kalten, schwarzen Augen sah... „Du weißt, weshalb ich hier bin, nehme ich an?" Hades stützte seinen Kopf auf seiner knochigen, blassen Hand ab, „Ich habe eine Vermutung, aber ich will es aus deinem Mund hören, kleiner Bruder."
Ich warf ihm einen stechenden Blick zu, den er aber gekonnt erwiderte. Verärgert brach ich den Augenkontakt ab und sagte: „Ich bitte dich, dass ich mit meinem Sohn Lucas sprechen darf. Er hat dein Reich vor zwei Tagen betreten."
Der Gott des Totenreichs stand auf und kam langsam wie ein Raubtier auf mich zu, „Nicht einmal bei Theseus hast du mich darum gebeten. Was ist anders an dem Tod dieses Jungen?" Ich erkannte die Belustigung in seinem Blick und schnaubte, „Du weißt es schon, wie ich sehe.", „Sag es. Dann überlege ich es mir vielleicht und mache eine Ausnahme im Bezug auf Lebende die Tote sehen wollen."
„Beim Styx! Du widerlicher...", ich brach ab, als Hades eine Augenbraue hob und fuhr leise fort: „Sein Tod ist anders, weil ich es war, der ihn umgebracht hat." Meine Stimme brach, als ich reuevoll an Lucas dachte. Der Junge hatte es nicht verdient so zu sterben.
Hades nickte und schließlich sah ich doch so etwas wie Mitgefühl, „Dem Zorn seines eigenen Vaters zum Opfer gefallen. Wirklich tragisch. Vor allem, nachdem er so viele Menschen vor dir gerettet hat und dann mit seiner Schwester in den Armen untergehen musste... Ihm wurde Elysium gewehrt, weißt du."
„Lass mich mit ihm sprechen. Du hast mir dein Wort gegeben.", sagte ich. Hades wirkte nachdenklich, „Du kannst ihn nicht sehen. Es ist zu spät. Er hat Wiedergeburt beantragt. Wenn du Glück hast, triffst du ihn in ein paar Jahrhunderten wieder."
Zorn erfüllte mich, als er dies sagte, „Du hast es versprochen!", Hab ich nicht.", erklärte er ruhig, „Ich habe gesagt, ich würde es mir überlegen. Ich dachte du wärst schlauer."
Ich funkelte ihn an, doch er warf mir einen müden Blick zu und drehte sich von mir weg, „Geh nach Hause, Poseidon. Es ist vorbei..."
Ohne es zu bemerken, hatte ich mich nach Atlantis teleportiert und stand vor meiner Frau, die mich besorgt ansah, „Poseidon, du bist ganz blass. Was ist passiert?"
Ich umfasste ihr hübsches Gesicht mit beiden Händen und sah ihr in die blauen Augen, „Hab ich dir je erzählt, wie ich Percy in seinem alten Leben umgebracht habe?" Sally schluckte schwer und schüttelte den Kopf, „Du hast nur erwähnt, dass du ihn getötet hast und er es in seiner Gefangenschaft bei Okeanos herausgefunden hat."
Ich seufzte, „Ich kann diese Geschichte nicht mehr für mich behalten. Es zerreißt mich von ihnen nach außen. Ich schätze, es wird Zeit, dass ich dir davon erzähle..."
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