Kapitel 9
2 Monate später
Ivy, Spencer und ich haben für heute einen Mädelsabend geplant. Wir backen Cookies, schauen einen Film und lackieren unsere Fingernägel. Ivy hat zur Zeit Probleme mit ihrem Freund Mitchell, weshalb ich sie somit versuche wieder aufzumuntern. Spencer gesellt sich dann immer automatisch zu uns dazu. Die letzten Wochen sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Ich habe Extrastunden im Hilten gearbeitet, weil eine Aushilfe von einem Tag auf den Anderen gekündigt hat und Tony zu wenig Personal hat.
Meine Eltern haben noch nichts mitbekommen. Ich schleiche mich Woche für Woche aus dem Haus, ohne dass sie überhaupt irgendetwas ahnen. Ich sollte mich freuen, aber irgendwie macht es mich traurig, wie wenig Zeit sie für mich und Spencer haben und nur am Arbeiten sind.
Logan und seine Truppe bin ich nur selten begegnet. Meistens haben sie sich in eine der VIP-Ecken zurückgezogen um unbeobachtet Dealen zu können. Billy hat sich als Oscar- dem Anführer der Gruppe- entpuppt. Seit unserem ersten Zusammentreffen hat er die Finger von mir gelassen, wirft mir jedoch dennoch ekelerregende Blicke zu. Ich bin noch Jungfrau, weshalb ich ihn noch mehr verabscheuere als sonst schon.
Hannah und Spence treffen sich auch heute noch hinter dem Rücken meiner Eltern. Mittlerweile habe ich auch ein eigenes Auto und bin nicht mehr auf Ivy angewiesen und kann meine Schwester öfter rumkutschieren.
Ich glaube, dass mir Logan absichtlich aus dem Weg geht und immer dann verschwindet, wenn ich Spence vorbeibringe. Stört mich nicht, ich bin eher erleichtert keinem unangenehmen Gespräch ausgesetzt zu sein.
"Was ist los mit dir?", fragt mich Ivy, und ich zucke heftig zusammen. Ich war beim Umrühren der Cookiemasse so in Gedanken vertieft, dass ich nicht gemerkt habe, dass sie hinter mich geschlichen ist und über meine Schulter in den Topf schaut.
"Nichts. Alles in Ordnung", sage ich einen Moment zu spät.
Spence stellt sich neben meine Beste Freundin und zeigt mit einer ungeöffneten Packung Vanillezucker auf mich. "Irgendwas ist faul, da stimme ich Ivy zu."
Ich verdrehe die Augen. "Ihr nervt mich, das ist los." Ich rühre ein wenig zu heftig mit dem Schneebesen in der Masse herum, dass sie spritzt und hässliche Flecken auf unseren Klamotten hinterlässt. Ich atme zischend ein. "Shit."
"Wieso erzählst du uns nicht einfach, was passiert ist?", fragt meine Schwester und leckt die Reste aus der Rührschüssel.
"Mom und Dad wollen, dass ich mit Rowan zusammenkomme und machen mir Druck." Jetzt ist es raus. Es tut unwahrscheinlich gut mit meiner Freundin und Schwester darüber zu reden.
Schon seit einigen Wochen drängen sie mich zu Dates und Treffen mit seiner Familie. Egal wie oft ich ihnen sage, dass ich in Rowan nicht mehr als einen Kumpel sehe, versuchen sie uns trotzdem zu verkuppeln. Und das nehme ich ihnen übel. Nichtmal zu Hause habe ich meine Ruhe. Ich habe nie verstanden, warum sich alle Menschen über Montage beschweren, denn für mich ist es immer ein Neustart, an dem die Weichen für eine tolle Woche gestellt werden können. Aber mittlerweile fangen die Montage schon beschissen an und meine Motivation fällt in den Keller. Morgen ist einer dieser Montage und ich habe heute schon die Hoffnung aufgegeben, dass der morgige Tag ein Lichtblick wird.
"Soll ich mal mit Mommy reden?", fragt mich meine kleine Schwester, und ihr Vorschlag berührt mich, aber ich bezweifle, dass sie auf ein 12 jähriges Mädchen hört. Es könnte der Präsident höchstpersönlich vor meinen Eltern stehen, ihre Meinung werden sie trotzdem nicht ändern. Und diese Tatsache nervt mich. Ihre Denkensweise ist so starr und unbeweglich, dass jeder kleine Schlagabtausch im Streit endet.
"Das ist lieb von dir, aber ich versuche es selber." Ich drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und schiebe die Cookies in den Ofen.
Den restlichen Abend quatschen und lachen wir über die neuesten Gerüchte. Es ist schön für die paar Stunden an keine Probleme denken zu müssen und einfach zu entspannen. Das hat mir gefehlt.
"Wow, schickes Auto", sagt Rowan, der auf dem Schulparkplatz auf mich zugelaufen kommt. Bitte nicht. Es ist viel zu früh am Morgen um sich jetzt schon mit ihm auseinander zu setzen.
"Danke, wie gehts?" Insgeheim halte ich nach Ivy Ausschau, kann sie aber nirgends zwischen den anderen Schülern entdecken. Heute ist wieder einer dieser heißen Sommertage, an denen man wortwörtlich unter der Sonne schmilzt. Mit meinem Rock und dem Top habe ich definitiv keine schlechte Wahl getroffen. Ich steige aus meinem weißen SUV aus und gehe auf ihn zu.
"Jetzt gut", sagt er mit einem zwinkern. Einige Meter von uns entfernt steht seine Clique, die uns mit wachsamen Augen beobachtet, als wären wir eine spannende Serie. "Hast du schon für Mathe gelernt?"
Bei dem Gedanken an die anstehende Klausur wird mir schlecht. Zwischen all dem Stress habe ich bisher noch keine Zeit gefunden, um zu lernen. "Noch nicht aber ich muss wohl mal langsam anfangen, wenn ich nicht durchfalle will", antworte ich, und wir gehen ins Schulgebäude zum Geschichtsraum.
"Ich helfe dir gerne beim lernen. Ich gebe auch Nachhilfe. Also wenn du Hilfe brauchst, dann melde dich bei mir", sagt Rowan und legt einen Arm um meine Schulter. Diese Geste gefällt mir nicht.
Auch wenn ich ihn nicht leiden kann, kann ich Nachhilfe in Mathe gut gebrauchen, es ist das einzige Fach, in dem ich keine Eins oder Zwei habe. "Ich werde darüber nachdenken, trotzdem danke fürs Angebot."
"Gehst du am Freitag auch zu Finn's Party?", fragt Rowan.
"Wahrscheinlich schon. Ich werde aber nicht so lange bleiben können weil ich Abends noch auf meine Schwester aufpassen muss." Die Lüge kommt mir leicht über die Lippen, denn eigentlich muss ich am Freitag Arbeiten. Es finden wieder Boxkämpfe statt und an diesen Tagen ist das Hilten erstrecht überfüllt.
"Super ich freue mich", sagt Rowan, und fährt sich nervös durch die Haare.
"Wie gesagt ich bin mir nicht sicher ob..." Ich bleibe abrupt in der Tür unseres Klassenzimmers stehen. Das kann doch nicht sein. In der hintersten Reihe sitzt ein neuer Schüler. Und ich kenne ihn. Es ist Logan.
Im selben Moment scheint auch er mich zu bemerken, sieht aber nicht annähernd so überrascht aus wie ich. Logan lächelt mir mit einem schiefen Grinsen zu. Er trägt wie immer sein schwarzes T-Shirt, welches seine definierten Arme und die Tattoo's betont, zusammen mit einer hochgekrempelten Bluejeans, die ihm perfekt steht. Auf den ersten Blick sieht man ihm seine finanzielle Lage gar nicht an. Meine Mitschülerinnen scheinen Interesse an ihm zu finden, denn ihre Blicke haben sich an ihm festgesaugt.
"Bitte geht alle auf eure Plätze", ruft Mrs. Felton, und sortiert ihre Arbeitsblätter. Gleichzeitig holt sie mich aus der Starre heraus. Mit betäubten Beinen gehe ich auf meinen Platz zu. Der sich genau vor seinem befindet. Den kompletten Weg zu meinem Stuhl lässt er mich nicht aus den Augen.
"Viel Spaß", flüstert Rowan, den ich total vergessen habe und mich aus seinem Arm freilässt, bevor er sich auf einen Platz, einige Reihen weiter vorne setzt.
Unsere Lehrerin ist Mitte 50 und die größte Zicke. Echt. "Leise!", ruft sie. "Wie ihr bestimmt schon bemerkt habt, haben wir einen neuen Schüler im Kurs. Stell dich gerne vor." Ich höre wie der Stuhl hinter mir nach hinten geschoben wird, reiße mich aber zusammen, nicht zu ihm zu schauen.
"Hey. Ich bin Logan und muss zu meinem Leid die 12. Klasse wiederholen. Freut mich." Mit diesen Worten setzt er sich wieder hin. Warum muss er mitten im Halbjahr die 12 Klasse wiederholen wenn er schon 19 ist? Ich kann meine Neugier nicht mehr zurückhalten und drehe mich um. Dort blicke ich direkt in graue Augen, die mich schadenfreudig mustern.
"Lange nicht mehr gesehen, Kleines.", flüstert Logan. Ich drehe mich abrupt wieder nach vorne und versuche den Typen hinter mir zu ignorieren. Egal wie sehr ich mich auch anstrenge, bleibt kein einziges Wort von unserer Lehrerin bei mir stecken. Nach einigen Minuten spüre ich etwas spitzes an meinem Rücken. Einfach ignorieren. Hat er etwas auf meinen Rücken gemalt? Zutrauen würde ich es ihm. Der Typ lässt aber nicht locker, weshalb ich mich doch noch umdrehe. Ich schwanke zwischen Furcht und Freude.
"Na, bist du Freitag auch da?", fragt er mich mit tiefer Stimme. Ich weiß sofort, dass er das Hilten meint. Ich merke, wie ich rot werde, was mir selber peinlich ist. Logan hat mittlerweile seine Tisch nach vorne gekippt und sich so weit vorgebeugt, dass ich den hauch seines warmen Atems an meiner Wange spüre.
"Ja. Wieso?" Meine Stimme ist unnatürlich dünn.
Logan lehnt sich noch etwas vor. "Nur so."
Ich glaube ihm kein Wort. Er versuch gerade unauffällig aus mir Informationen zu bekommen. Solange er meinem Gesicht so nahe ist, starren ohnehin alle zu uns rüber. Und wir schauen keineswegs in verschiedene Richtungen. Wir befinden uns mitten in einem anstrengenden Wettbewerb, wer als Erstes den Blick abwendet, und ich verliere bestimmt nicht. Irgendwann muss ich dann doch blinzeln. Shit.
"Wer's glaubt! Warum willst du das wissen?", erkundige ich mich etwas zu spät.
"Das sollten wir besser nicht hier besprechen, Kleines."
"Hör auf mich so zu nennen du Idiot. Wir werden gar nichts besprechen. Höchstens, wann du hier endlich wieder verschwindet.
Logans Mundwinkel wandern wieder nach oben. "Du wirst mich den Rest des Jahres ertragen müssen, schätze ich." Er lehn sich etwas zurück. "Nach der Schule an deinem Auto. Ich werde warten. Wir haben noch was zu besprechen."
"Woher weißt du, dass ich ein Auto habe? Spionierst du mich aus?"
"Träume weiter." Er Grinst. "Komme ich in deinen Träumen eigentlich schon vor?"
Ich verdrehe die Augen. "Ja, in meinen Albträumen."
Logan lächelt schief, zwinkert mir zu, und fast hätte ich zurückgelächelt. Doch zum Glück beginnt Mrs. Felton im selben Moment an zu reden und setzt dem, was auch immer zwischen uns gewesen sein mochte, ein Ende. Ich drehe mich wieder nach vorne und atme langsam aus.
Logan lacht leise.
Sobald es zum Stundenende klingelt, rausche ich aus dem Klassenzimmer, ohne noch einen Blick in die letzte Reihe zu werfen.
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