Kapitel 39
Der nächste Tag vergeht wie im Fluge. Gestern Abend war wunderschön und ich würde, wenn ich könnte, sofort die Zeit zurückdrehen, um den Tag nochmal erleben zu dürfen.
Heute habe ich Logan kaum zu Gesicht bekommen. Am Morgen sind alle in den Essenssaal gestürmt um zu frühstücken, wobei Logan einige Tische entfernt saß, mir aber trotzdem ein liebevolles Lächeln zugeworfen hat. Die darauffolgenden Stunden haben wir in der Stadt verbracht. Auf den Museumsbesuch folgte eine Stadtrundfahrt und anschließend bin ich mit Lesley, Mitchell, Ivy und Rowan ein Eis essen gegangen. Logan habe ich dabei aus den Augen verloren und erst im Bus wiedergesehen.
Nun steht Spencer mit ihrem überdimensional großen Schulrucksack vor meinem Auto auf dem Schulhof und winkt mir schüchtern zu. Sie ist fremden Menschen gegenüber verschlossen, weshalb etwas Zeit nötig ist, bis sie ihre Schüchternheit abwirft.
"Wir sehen uns am Montag", verabschiede ich mich von meinen Freunden und ziehe jeden in eine feste Umarmung.
Ivy stupst mich an der Schulter an. "Natürlich, hab ein schönes Wochenende."
Auf dem Weg zu meiner Schwester halte ich unauffällig nach Logan Ausschau, den ich letztendlich bei Hannah entdecke. Natürlich muss Spencer ihre Freundin im selben Moment entdecken und läuft schnurstracks auf die beiden zu. Tief seufzend folge ich ihr.
Die Mädchen gehen ein Stück beiseite und lassen mich mit Logan alleine. Er scheint genauso wenig zu wissen, was er jetzt machen soll.
"Na, Fahrt gut überstanden?", frage ich etwas verlegen. Denkt er auch ununterbrochen an Gestern?
"Ich bin total müde aber ansonsten schon. Hannah hat mich gerade gefragt, ob Spencer am nächsten Wochenende bei ihr übernachten kann. Ich weiß, dass eure Eltern nichts von den Treffen wissen, aber sie fragt mich schon seit Wochen und würde sich total freuen." Mich überkommt ein schlechtes Gewissen. Ich habe gehofft, dass er nichts davon mitbekommt, wie herablassend meine Eltern über Hannahs und Spencers Freundschaft denken. Als hätten die beiden unser Gespräch mitgehört, kommen sie angelaufen. Beide haben ein riesiges Lächeln im Gesicht.
"Ja bitte, Scar. Ich werde Mom auch nichts sagen", bettelt meine kleine Schwester mit Hundeblick. Das wird das kleinste Problem sein.
"Und was sollen wir Mom sagen?"
"Naja, wir sagen einfach, dass wir bei Ivy übernachten", schlägt sie vor, aber das geht nicht. Ivy und Mitchell fahren übers Wochenende in das Ferienhaus ihrer Großeltern und wollen etwas Zeit zu zweit verbringen.
"Ivy ist nicht da, wo soll ich denn schlafen?"
Hannah steckt ihren kleinen Kopf hinter dem Rücken ihres Bruders hervor, der unseren Schlagaustausch interessiert beobachtet. "Du kann bei uns übernachten, Mommy ist sowieso nicht da."
Logan scheint von der Idee genauso überrascht zu sein. Wir blicken uns an und ein schiefes Lächeln verziert seine Lippen. "Gute Idee Han."
"Ich will euch keine Umstände machen", versuche ich mich aus der bescheuerten Idee rauszureden. Ich freue mich endlich wieder außerhalb des Hiltens Zeit mit Logan zu verbringen und genau dieser Gedanke macht mir schreckliche Angst. Übernachten ist etwas anderes als treffen.
"Quatsch, du machst uns keine Umstände. Ihr kommt nächsten Samstag einfach vorbei, wann es euch passt, wir sind den ganzen Tag zu Hause. Ich hatte lange keine Übernachtungsparty mehr." Dabei zwinkert mir Logan zu und wendet sich zum Truck. "Bis Samstag." Die beiden steigen ein und fahren vom Schulgelände. Er meint wohl eher bis Freitag, der nächste Kampf steht an.
Spencer greift nach meiner Hand, womit sie mich gleichzeitig zum Auto zieht. "Ich freu mich total."
Oh ja, ich mich auch.
Am Abend steht meine nächste Schicht im Hilten an. Durch die Klassenfahrt konnte ich gestern nicht im Club erscheinen und muss dafür heute meine Stunden abarbeiten . Die Bar ist wie eigentlich jeden Tag überfüllt, die Leute trinken bis zum Umkippen, während unmoralische Geschäfte abgeschlossen werden.
Tony hat mich vor wenigen Minuten an der Eingangstür abgefangen, um mir zu sagen, dass er mich nachher in seinem Büro sehen möchte. In Neunzig Prozent solcher Fälle bedeuten diese Worte nichts Gutes. Natürlich ist mir sofort die Idee in Kopf geschossen, dass mein Chef mich irgendwie dabei erwischt hat, wie ich die Teilnehmerliste ausgetauscht habe, aber eigentlich kann das garnicht sein. Ich war jedes mal vorsichtig, habe meine Spuren verwischt und keine großartigen Änderungen vorgenommen.
Tony ist nett aber auch seine Geduld hat ab einem gewissen Maß ein Ende. Ich kann ihn ehrlich gesagt nicht einschätzen. Schließlich leitet er diesen Laden, was kein normaler Mensch macht, der noch annähernd alle Tassen im Schrank hat.
Selbst Trevor bemerkt meine Unachtsamkeit. "Alles gut bei dir? Du wirkst so gestresst auf mich."
Wir stehen gerade hinter dem Tresen und gehen die anliegenden Bestellungen durch. Ich zucke ertappt zusammen. Durch meine Gedankendecke habe ich nicht bemerkt, wie er näher gekommen ist.
"Klar, alles bestens", antworte ich einige Sekunden zu spät.
"Was wollte Tony von dir?"
War klar, dass er unsere Konversation mitbekommen hat. "Nichts, ich soll nachher zu ihm ins Büro kommen, mehr nicht."
"Warum bist du dann so aufgeregt, wenn es bloß das ist?", fragt Trevor mit hochgezogener Augenbraue.
"Ich bin nicht Aufgeregt!" Meine Antwort kommt definitiv zu schnell und hastig, als dass sie auch nur ansatzweise glaubwürdig klingen könnte.
"Deine Hände zittern, es bilden sich Schweißperlen auf deiner Stirn und du hast in den letzen Zwanzig Minuten drei Bestellungen vertauscht. Von den runtergefallenen Gläsern will ich garnicht erst anfangen zu sprechen."
Shit, er hat mich durchschaut. Ich bin tatsächlich eine wandelnde Bombe, die jeden Moment in die Luft gehen könnte.
Er legt das Handtuch beiseite und umfasst meine verspannten Schultern. "Wenn du Probleme hast, dann kannst du mit mir reden, Blue."
Seine Fürsorge berührt mich, aber es kommt nicht in frage, ihn in die Geschehnisse einzuweihen. "Das ist lieb von dir, aber mir geht es gut. Ich hatte einfach ein paar Tassen Kaffee zu viel."
Trevor sieht nicht aus, als würde er mir glauben, aber er geht nicht näher drauf ein, wofür ich ihm im Stillen dankbar bin.
Eine halbe Stunde später sehe ich, wie Tony vor seiner Bürotür steht und mich zu sich winkt. Mein Herz rutscht mir im selben Moment in die Hose. Meine Beine sind so wackelig, dass ich mich konzentrieren muss, nicht über meine eigenen Füße zu stolpern. Was mache ich hier bloß?
Mit genauso zittrigen Händen öffne ich die Tür. "Du wolltest mich sprechen?"
Er blickt von seinen Unterlagen auf. "Ja genau, setze dich." Dabei deutet er auf den Stuhl ihm gegenüber.
"Habe ich etwas falsch gemacht?", platzt es aus mir heraus. Die Frage musste raus und ich konnte sie nicht länger für mich behalten.
"Nein hast du nicht, es geht um eine Gabriela Evans. Kennst du sie zufälliger Weise?"
Meine anfängliche Erleichterung verschwindet von einem Moment auf den anderen. Was zum Teufel will er von Tante Gabby?
"Ja. Ja das ist meine Tante. Wieso?" Die Situation ist in etwa vergleichbar, mit der Situation, wenn der Lehrer die Noten der Klassenlist nach durchgeht, und man ziemlich am Ende steht. Die Nervosität ist zum zerreißen gespannt.
"Sagen wir es mal so. Vor wenigen Tagen hat mich eine Gabriela Evans angesprochen und nach Logan ausgefragt. Ich habe natürlich behauptet, keinen Logan zu kennen, aber dass sie über die Kämpfe bescheid weiß, hat mich etwas beunruhigt. Ich hoffe, dass du nicht mit außenstehenden Personen über das Hilten gesprochen hast. Sonst tauchen hier bald die Bullen auf und machen den Laden dicht. Ich habe Familie und nicht im geringsten das Bedürfnis, meine Kinder hinter Gittern aufwachsen zu sehen. Verstanden?" Tonys Stimme ist gefährlich leise.
"Ich schwöre, ich habe mit niemandem übers Hilten gesprochen. Erst recht nicht mit meiner Tante. Ich wusste nichtmal, dass sie zu Besuch kommt, bis sie wie aus dem Nichts vor mir stand. Das musst du mir glauben." Woher verdammt nochmal weiß Gabby vom Hilten? Und was hat sie mit Logan zu tun. Woher kennt sie ihn überhaupt? Meine Tante ist zwar erst ende Zwanzig, aber ich bezweifle trotzdem, dass sie sich vorher schon einmal begegnet sind. Sie steht auf ältere Männer und würde Logan nichtmal schief anschauen. Oder?
"Wenn du das sagst, dann glaube ich dir auch. Dann ist es eben eine kleine Erinnerung, mit niemandem übers Hilten zu sprechen, auch wenn du hier bald weg bist." Niemand darf vom Hilten erfahren, Regel Nummer eins. Nur Angestellte und Personen, denen Tony vertraut, haben Insiderinformationen.
"Mache ich nicht." Meine Nervosität lindert sich langsam. Tony hat also nichts von den Listen mitbekommen. Ich könnte gerade vor Erleichterung in Tränen ausbrechen.
"Super, dann kannst du dich wieder an die Arbeit machen", sagt Tony.
Mit einem Nicken verabschiede ich mich und verlasse sein Büro. Vor der Tür atme ich tief durch. Alles nochmal gut gelaufen. Die Fragen in meinem kopf haben sich jedoch verdoppelt, wenn nicht sogar verdreifacht!
Sobald ich zurück an die Bar trete, wirft Trevor mir fragende Blicke zu. "Und? Alles gut?"
"Klar. Tony wollte nur..." Ich unterbreche den Satz und blicke nach links, wo Oscar steht und mich schief angrinst. Eine Gänsehaut überzieht meinen gesamten Körper. Was will der denn hier? Und dann um diese Uhrzeit? Eigentlich bekommt man ihn in der Woche nicht vor Mitternacht zu sehen. Er verschwindet in einer der VIP Ecken und deutet mir an, ihm zu folgen.
"Ich kümmere mich um die neuen Gäste, bin gleich wieder da." Ohne auf eine Antwort von Trevor zu warten, dränge ich mich durch die Menschenmasse.
Oscar steht mitten in der kleinen Nische, in der sich niemand außer uns befindet. Niemand der mich aus der Situation retten kann.
Ich verschränke demonstrativ meine Arme vor der Brust und bleibe einige Meter entfernt stehen. "Was willst du hier, Oscar?"
"Freust du dich denn garnicht, deinen alten Freund wiederzusehen?"
Ich schnaube. Von wegen Freund, wohl eher Feind. "Ehrlich gesagt nicht."
"Schade, kann mir letztendlich aber auch egal sein. Ich will nur eine Sache klarstellen, dann verschwinde ich auch wieder."
Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. "Und das ist?" Die letzten Worte ziehe ich in die länge.
"Ich will am Donnerstag Zwanzig Tausend. Zehn Riesen mehr als sonst", sagt Oscar gefährlich leise. Dabei spielt er an seinem Hosenbund, wo sich ein Klappmesser abzeichnet. Soll das eine Drohung sein?
Außerdem frage ich mich, wie ich an so viel Geld kommen soll, ohne dass das Verschwinden auffällt. Noch Zwei mal, dann habe ich den ganzen Albtraum hinter mir. Ich darf mir meine Zweifel einfach nicht anmerken lassen.
"Geht klar", antworte ich dementsprechend, und presse meine Zähne vor Wut aufeinander. Dieses Schwein ekelt mich an. Und wie!
Oscar setzt wieder diese angsteinflößende Lächeln auf. "Perfekt. Du weißt ja, was die Konsequenzen sind, wenn du dein Maul nicht halten kannst oder nicht machst was ich will."
Mit offenem Mund lässt er mich stehen und verschwindet in die Richtung des Ausgangs. Dieser Wichser bekommt noch, was er verdient.
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