Kapitel 38
Den Großteil des Vormittags verbringen wir im Museum. Dabei laufen wir Stunde für Stunde durch die einzelnen Ausstellungsräume und notieren Unterrichtsrelevante Informationen. Ich bin mit Ivy und Mitchell in einer Gruppe, mit denen ich im Anschluss auch die Stadt besichtige.
Wir stehen gerade in der überfüllten Fußgängerzone, als meine beste Freundin laut aufkreischt.
"Oh mein Gott! Ich will unbedingt in die Shoppingmall. Meine Mutter kauft hier immer ein, weil es die Geschäfte bei uns in Washington nicht gibt." Sie schaut uns mit Hundeblick an. "Bitte!"
Da Mitchell alles für seine Freundin tuen würde, gibt er klein bei. "Na gut wenn du möchtest."
Beide schauen mich fragend an. "Kommst du mit?"
Eigentlich ist shoppen gerade das Letzte, worauf ich Lust habe. Mein Magen knurrt schon seit Stunden ununterbrochen, da ich heute Morgen nur auf die Schnelle einen Müsliriegel gegessen habe. Und wenn Ivy einmal im Shoppingrausch ist, dann bringt sie auch Nichts und Niemand mehr davon ab.
"Ehrlich gesagt könnte ich ein paar Kalorien gebrauchen."
"Perfekt, ich auch", sagt eine Stimme hinter mir. Es ist Logan. Ich erschrecke mich so sehr, dass mir mein Herz in die Hose rutscht. Logan, Ivy und Mitchell brechen in schallendes Gelächter aus, während ich sie mit bitteren Blicken bestrafe.
"Das ist nicht witzig Leute, ihr bringt mich noch um." Dabei lege ich theatralisch meine Hand aufs Herz.
Ivy zwinkert mir kaum merklich zu. " Dann geht ihr etwas leckeres Essen, und Mitchell und ich gehen in der Zeit shoppen. Komm." Sie zieht ihren Freund hinter sich her, der ihr mit erhobenen Händen folgt.
Etwas fehl am Platz stehen wir in der Fußgängerzone. Ich reiße mich zusammen und durchbreche die Stille. "Was machst du hier?"
"Ich habe meine Gruppe verloren." Das Grinsen auf seinem Gesicht enttarnt die Lüge, aber ich gehe nicht näher drauf ein. Er ist hier, was mich irgendwie freut, und das ist alles was zählt. "Komm, lass uns zum Italiener gehen. Ich habe das kleine Restaurant vorhin schon entdeckt und hatte eh vor, dort etwas zu essen."
Ich liebe italienisches Essen, vor allem Pizza. Leider gibt es bei uns zu Hause höchstens einmal in zwei Jahren Pizza, weil meine Mutter dieses Ausmaß an Kalorien niemals zu sich nehmen würde. Es ist beinahe krankhaft, wie sehr sie auf gesunde Ernährung achtet. Spencer und ich leiden dementsprechend unter ihrer Kalorienphobie.
"Und wie war dein Tag?", fragt Logan, als wir in die kleine Nebenstraße einbiegen. Erst jetzt bemerke ich, dass wir an einer Promenade angekommen sind, dessen Anblick mir die Sprache verschlägt. Auf der linken Seite blickt man direkt aufs Meer, den kleinen Bootshafen und den Strand. Ich wusste, dass die Stadt am Wasser liegt, aber in dieser Ecke bin ich bisher noch nicht gewesen.
Auf der rechten Seite reihen sich kleine Restaurants, Cafés und Souveniershops aneinander. Die Stimmung in diesem Viertel ist so harmonisch, dass sich automatisch ein Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet.
Ein Stück von uns entfernt steht ein Straßenmusiker, der das frühabendliche Ambiente verschönert und passend zum aufkommenden Sonnenuntergang eine gemütliche und fröhliche Melodie spielt.
Erst jetzt bemerke ich, dass wir stehen geblieben sind und ich auf die Szenerie vor uns starre. "Wow, es ist wunderschön." Die Sprachlosigkeit ist mir deutlich anzuhören.
Logan greift nach meiner Hand und zieht mich mit sich. "Warst du noch nie hier?"
"Bis heute noch nicht. Du?"
"Vor einigen Jahren haben Hannah und ich einen Tagesausflug hier her gemacht. Ihr ging es nicht gut, weil sie unseren Dad vermisst hat und um sie abzulenken, bin ich mit ihr an die Promenade gefahren. Sie war genau so überrumpelt wie du."
Ich boxe ihm spielerisch gegen die Brust. "Machst du dich etwa gerade über mich lustig?"
"Nein, im Gegenteil. Du hättest dein Gesicht sehen müssen, du sahst wunderschön aus.", sagt Logan und seine Augen erhellen sich. Er ist total losgelöst und es ist keine Spur von dem verzweifelten und arroganten Logan zu finden. Wie gerne würde ich genau jetzt den Moment mit meinem Handy festhalten.
Also greife ich in meine Tasche, bleibe stehen und mache ein Foto von Logan, auf dem er lächelt, als würde er mit der Sonne um die Wette strahlen. Erst da wird mir bewusst, was er zu mir gesagt hat. Du sahst wunderschön aus. Immer wenn er aus dem Nichts sowas zu mir sagt, schmilzt mein Herz auf die Größe einer Erbse.
"Ey, hast du gerade ein Foto von mir gemacht?" Er versucht böse zu klingen, aber es geling ihm nicht im Geringsten.
"Ich? Wie kommst du drauf?" Auch ich kann mein Grinsen nicht mehr verstecken.
"Du löscht das sofort!"
Ich mache ein Schritt nach hinten und verstecke das Handy hinter meinem Rücken. "Dann hol's dir doch."
Logan grinst mich schief an. "Das hättest du nicht sagen dürfen." Er stürzt sich auf mich, wobei er vergebens nach meinem Handy fischt.
Also laufe ich los. Ich schlängle mich durch die Menschenmassen und Familien, die an der Promenade spazieren gehen und dabei den wunderschönen Sonnenuntergang beobachten. Ich höre, wie Logan mir lachend folgt. Der Meereswind peitscht mir angenehm durchs Gesicht. Ich fühle mich in diesem Moment frei und schwerelos. Wann bin ich das letzte mal einfach losgelaufen? Weg von meinen Problemen, und habe einfach den Moment genossen? Es ist erstaunlich lange her.
Logan ist verdammt schnell. Er hat mich beinahe eingeholt und ich erhöhe mein Tempo.
Die Kommentare der Fußgänger ignorieren wir beide komplett. Ich nehme nur noch Logans und mein Lachen wahr.
Ich renne die sandige Treppe zum Strand hinunter, in der Hoffnung, Logan somit abzuschütteln. Vergebens. Er folgt mir, greift nach meinem Arm und bringt uns ins Schwanken.
Ich schrei spitz auf, als wir ineinander verknotet in den Sand fallen. Und er direkt auf meiner Brust landet.
"Du kennst mein Passwort sowieso nicht", sage ich noch immer außer Atem und mit roten Backen. Seine Nähe bringt mich mal wieder total aus dem Konzept. Er stützt sich links und rechts von mir im Sand ab, sodass er über meinem Körper liegt.
"Willst du mir gerade sagen, dass wir uns den Sport gerade auch hätten sparen können?" Seine stimme klingt nicht weniger atemlos.
"So in der Art."
Logan seufzt und rollt sich von mir runter. Augenblicklich vermisse ich seine angenehme Körperwärme. So liegen wir nun nebeneinander im Sand. Mit geschlossenen Augen hören wir den brausenden Wellen und dem Geschehen der Promenade zu. Wir schweigen, aber es ist ein angenehmes Schweigen. Genau so könnte ich Stunden liegen bleiben. Zwischen der frischen Sommerbriese und dem Geräusch der Möven fühle ich mich irgendwie frei. Frei von allem. Frei von all den Lasten. Ich genieße einfach.
Ich höre wie Logans Atem ebenfalls gleichmäßig auf und ab geht. Dann spüre ich eine sanfte Berührung an meinem kleinen Finger. Mein Herz schlägt außer Takt und meine Atmung beschleunigt sich. Ich Bewege meine Hand millimeterweise in Logans Richtung.
Mehr. Ich will mehr.
Wir liegen immer noch mit geschlossenen Augen im Sand. Seine Hand wandert immer weiter zu mir, bis er schließlich ganz nach meiner Hand greift.
So liegen wir nun da. Mit geschlossenen Augen und verschränkten Händen. Es liegen unsagbar viele unausgesprochene Worte zwischen uns, die weiterhin unausgesprochen bleiben. Für einen Moment vergesse ich Oscar und die mit ihm verbundenen Probleme. Ich vergesse alles, mein Kopf ist leer gefegt. Ich frage mich, wie wir auf Fremde wirken müssen.
Keiner sagt was, keiner will die Stimmung zerstören. Im Moment möchte ich sowieso nicht reden. Ich will genießen.
Erst als die Sonne komplett untergegangen ist, machen wir uns auf den Weg zum Italiener. Dabei unterhalten wir uns über den heutigen Tag und Logan erzählt mir davon, wie er und seine Gruppe beinahe aus dem Museum geschmissen wurde. Wir reden über die Schule, unsere Geschwister und unsere Lieblingsfilme.
Das kleine Restaurant liegt direkt an der Promenade und man blickt vom Tisch direkt aufs Meer, auf dessen Wasseroberfläche sich die Sterne spiegeln.
Spätestens um 23 Uhr müssen wir zurück im Hotel sein. Dementsprechend bleiben uns noch Zwei Stunden.
"Was willst du essen?", fragt Logan. Bei seinem Anblick muss ich lachen. An unser beider Körper kleben überall kleine Sandkörner, die sich auf dem dünnen Schweißfilm festgeklebt haben.
"Ich nehme Pizza Hawaii."
Er seufzt erleichtert auf. "Endlich mal jemand, der Pizza Hawaii auch mag. Hannah macht sich immer über mich lustig und sagt, dass Obst nicht auf eine Pizza gehört."
"Leute, die sowas behaupten, wissen einfach nicht, was schmeckt und was nicht."
"Stimmt."
Den restlichen Abend nutzen Logan und ich bis zur letzten Minute aus. Erst gegen kurz vor Elf stehen wir vor meiner Zimmertür. Ich will eigentlich noch nicht, dass der Abend endet aber er muss.
Etwas überfordert bleiben wir stehen und schauen einander an. "Es war ein schöner Abend", durchbreche ich die Stille. Es hat sich beinahe wie ein... Date angefühlt.
"Es war echt schön." Logan lächelt mich aus sanften Augen an. "Schlaf gut." Er kommt näher und zieht mich in eine Umarmung. Unter meinen Händen spüre ich wie sein Herz ebenfalls schneller als normal schlägt. Er drückt einen Kuss auf meine Stirn und löst sich aus der Umarmung. "Bis morgen."
"Bis morgen."
In dieser Nacht träume ich von Meeresrauschen, Strand und Logan.
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