Kapitel 34
Ich blende alles um mich herum aus. Ich sehe nur noch Austin und seine hässliche Visage. Er lächelt mich siegessicher an, worauf ich ihm am Liebsten sein Grinsen aus dem Gesicht geschlagen hätte.
Schauen wir mal, ob er sich nachher immer noch so sicher ist, zu gewinnen.
Ich habe bisher noch nicht viel über Austin gehört. Er hat schon einige Male im Ring gestanden und davon auch viele Kämpfe gewonnen. Im Vergleich gehört er trotzdem zu den Schwächeren. Hoffentlich hat Scar mir den richtigen Gegner ausgesucht. Ich versuche nicht zu ihr zu schauen aber ich kann mir einen schnellen Blick zur Seite nicht verkneifen. Sie unterhält sich gerade mit Kessi, die heute ausnahmsweise mitgekommen ist, und sieht bedrückt aus. Bevor sie mein Starren bemerkt, wende ich meine Augen ab und fokussiere Austin. Im selben Moment erscheint das Signal, welches den Kampf beginnen lässt.
Ich taste mich langsam voran, bedacht meine Deckung immer aufrecht zu erhalten. Man muss nur für den Bruchteil einer Sekunde unkonzentriert sein und der Kampf ist verloren. Ich starte einige Ausweichmanöver um ihn so viel wie möglich zu schwächen, damit ich nachher beim Angriff eine größere Chance habe. Die meisten Kämpfer schlagen immer sofort drauf los, wobei ihnen schnell der Atem ausgeht. Meiner Meinung nach einer der bescheuertsten Fehler, den ein Kämpfer machen kann. Ich versuche ihn zu schwächen und wütend zu machen, damit er irgendwann unvorsichtig wird, und ich seine Deckung durchbrechen kann.
Austin ist einer dieser Typen, die mit mehr Muskeln als Gehirnzellen auf die Welt gekommen sind. Er achtet nicht auf seine Beinarbeit, da er diese viel zu weit auseinander stehen hat, sodass ich ihm das linke Bein unter den Füßen wegziehen kann. Anfänger.
Die Zuschauer applaudieren laut auf, doch das ignoriere ich. Viel zu schnell steht Austin wieder auf den Beinen und blickt mich bitter an. Verständlich, ich habe ihn gerade mit einem Trick aus dem Kindergarten geschlagen. Gut so. Seine Wut lässt ihn unvorsichtig werden.
Doch leider ist er nicht der einzige, der unaufmerksam wird. Ich spüre Scarletts Blick auf mir ruhen, was mich verrückt macht. Ich achte nicht mehr auf meine Hüfthaltung und kassiere einen heftigen Stoß gegen die Rippen. Das hat gesessen! Ich ziehe die Luft scharf ein und versuche so schnell wie möglich wieder in eine aufrechte Position zu kommen.
Mittlerweile geht der Kampf schon über Fünf Minuten und keiner von uns scheint auch nur ansatzweise KO zu sein. Dann eben auf eine andere Weise.
Austin hechelt mittlerweile nach Atem. Das ist meine Chance, denn momentan bin ich derjenige, mit mehr Ausdauer und Kraft. Ich staue all meine Wut zusammen. Ich denke an Oscar, an meinen Vater und besonders an Gabby, Scarlett Tante. Scar darf von der Sache vor Zwei Jahren nichts mitbekommen. Auf keinen fall. Ich weiß zwar nicht, warum mich dieser Gedanke so stört, aber anschließend wird sie mich mit anderen Augen sehen, und da habe ich keinen Bock drauf.
Angetrieben von der Wut, starte ich einen defensiven Angriff und stürme auf Austin zu. Der Überraschungseffekt bringt ihn sichtlich außer Konzept. Blind vor Wut, blocke ich seine Angriffe ab und versuche ihn an empfindlichen Stellen zu treffen, bis er tatsächlich am Boden liegt. Ich habe gewonnen.
Freuen tue ich mich trotzdem nicht. Ich habe zum dritten Mal in Folge einen Typen zur Bewusstlosigkeit geschlagen. Bin ich jetzt ein schlechter Mensch?
Auf einmal kommt der Schiedsrichter in den Ring und reißt meinen Arm nach oben. Das aufkommende Gejubel holt mich aus meinen Gedanken, die mich zu verschlingen versuchen.
Automatisch schaue ich zu Scarlett. Sie steht immer noch am selben Platz wie vor Zehn Minuten und ein kleines Lächeln mischt sich unter ihre verstörte Miene. Im selben Moment erscheint Gabbys Gesicht vor meinen Augen, worauf ich schnell meinen Blick abwende.
Auf dem Weg zu Oscar, werde ich von unzähligen Fremden angesprochen, die mir lobend auf die Schulter klopfen und mir gratulieren. Ich kenne nicht eine einzige Person. Die haben doch nicht den geringsten Schimmer von meinem Leben und wieso ich hier überhaupt mitmache. Diese Leute geilen sich an den Kämpfen auf und freuen sich darüber, andere zur Belustigung bluten zu sehen. Mit solchen Menschen will ich nichts zu tun haben, die können mich alle am Arsch lecken!
"Super Kampf." Oscar ist mittlerweile neben mir stehen geblieben und mustert mich. Ich sehe bestimmt wie ein überfahrener Igel aus. Ich spüre jeden einzelnen Fleck, den ich morgen irgendwie verstecken muss. Ich bin sogar so weit gegangen, mir im Drogeriemarkt irgendeine Schminke zu kaufen, um meine Blessuren damit abzudecken und vor Mom und Hannah zu verstecken. Die Leute im Laden haben mich wie Autos angeschaut, als dürften sich Jungs nicht auch sowas kaufen. Klar, ich schminke mich bestimmt nicht freiwillig aber es gibt durchaus Typen, die sich tagtäglich schminken. In unserer Gesellschaft wird man aber trotzdem sofort schief angeschaut, irgendwie traurig.
"Danke", sage ich etwas zu spät, mit flachem Atem. "Wie viel gabs?"
Oscar grinst mich schief an. Er weiß sofort wovon ich rede. "Insgesamt 25 Riesen. Du hättest vor dem Kampf etwas mehr auf dicke Hose machen können, dann hätten auch weniger auf dich gesetzt. Du weißt schon, von wegen große Klappe nichts dahinter."
Alter, der Typ hat gerade 25 Tausend Euro gewonnen und beschwert sich darüber? Soll er doch selber kämpfen, mit seiner körperlichen Ausdauer liegt er spätestens nach einer Minute auf dem Boden. Mit bleibt jedoch nicht anderes übrig, als mitzuspielen.
"Klar, kein Ding." Mittlerweile habe ich annähernd eine Ahnung, wie Scarlett sich seit 18 Jahren fühlen muss. Jeden Tag lieb zu lächeln und das zu tun was andere von einem verlangen, geht echt auf die Eier und nervt. Ich würde das nichtmal eine Woche aushalten, bis ich in die Luft gehen würde.
„Dann zieh dich um, wir gehen gleich noch was trinken, ich lade euch ein", sagt Oscar.
„Wir können doch hier was trinken."
Er lächelt mich anzüglich an. „Junge, hier gibt es aber nicht, wonach ich suche." Mit hochgezogener Augenbraue deutet er auf eine leichtbekleidete Frau, die gerade auf der Tanzfläche zum neuen Song von Drake tanzt.
Will der mit uns in Puff gehen? Eindeutig. An anderen Tagen wäre ich sofort dabei gewesen, aber mir ist die Lust vergangen.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, nickt er mir zu. „Sei in 5 Minuten wieder hier, wir warten."
Bevor er sich abwenden kann, halte ich ihn am Arm zurück. „Ich komme nicht mit. Ich bin kaputt und brauche Ruhe."
Sein Blick verrät mit, was er von meiner Absage hält. „Wenn du meinst. Heule aber nicht rum wenn du was verpasst und es im Nachhinein bereust."
Als ob. „Mit dem Gewissen kann ich leben", antworte ich grinsend und wende mich ab.
Die Umkleiden sind im Hinterren Bereich, wo niemand außer das Personal und die Kämpfer Zutritt haben. Meine Sporttasche steht noch immer am selben Platz, wo ich sie vorhin abgestellt habe.
Meine Faust brennt, meine Rippe fühlt sich an wie drauf rumgetrampelt, und meine Lippe ist an der Seite aufgeplatzt. Ich erschrecke mich vor meinem eigenen Spiegelbild. Festgefroren starre ich meine Abbild an. Was ist bloß aus mir geworden? Seit wann lasse ich mich dermaßen an der Nase herumführen und bin wie ein bescheuerter Hund, den Oscar an der Leine hat?
Ich weiß, was ich zu tun habe. So schnell wie möglich schlüpfe ich in meine Jeans und das Shirt und gehe zurück in den Club. Mittlerweile steht das Dritte Par im Ring, bei denen es gerade ziemlich zur Sache geht.
Meine Beine steuern automatisch den Tresen an, hinter dem Scarlett steht und sich mit einem der Gäste unterhält. Er ist wie der Großteil der Anwesenden Mitte dreißig bis Anfang vierzig und zieht Scar regelrecht mit den Augen aus.
Es ist ihm nicht zu verdenken. Sie sieht traumhaft schön aus, wie jeden Tag. Nicht weil sie sich tonnenweise Schminke ins Gesicht schmiert oder sich unters Messer gepackt hat, nein, es ist einfach ihre natürliche Persönlichkeit. Wie sie mit ihren braunen, lockigen Haaren hinter der Theke steht und von den Lichtern bescheint wird, und dabei immer ein Strahlen im Gesicht hat, egal mit welchem Gast sie es zu tun hat. Das bewundere ich an ihr.
Ich dränge mich durch die Menschenmasse und bleibe hinter dem Kerl stehen.
„Scar, wir müssen reden."
Ihre Lippen pressen sich zum dünnen Strich zusammen und sie schaut mich wütend an. Provokant blickt sie auf ihre Uhr.
„Ach echt? Dafür, dass du einfach abgehauen bist und dich nicht mehr gemeldet hast, kann es nicht so wichtig sein." Trotzdem nehme ich den besorgten Blick wahr, als sie meine Blessuren und die aufgeplatzte Lippe sieht.
Der Mann verschwindet mit seinem Bier in der Hand und ich nehme stillschweigend seinen Platz ein.
„Es tut mir leid, das..."
„Sorry, bin am Arbeiten. Du kannst in 4 Stunden wieder kommen." Gekonnt hantierte sie mit den Gläsern herum, wobei sie irgendwelche Spirituosen zusammen mixt. Mich ignoriert sie dabei.
Also greife ich nach ihren Handgelenken, ziehe sie etwas näher an mich und blicke sie direkt an. Ihr Duft steigt mir in die Nase und mein ganzer Körper fängt an zu kribbeln.
„Bitte. Ich will nicht länger von Oscar rumgescheucht werden. Lass uns mit Phil, Kessi und Peter treffen, und gucken, wie wir ihm in den Arsch treten können."
Für einen Moment ist es still zwischen uns. „Ich habe in zwei Stunden Schluss. Wenn du noch Zeit hast, dann warte auf mich und wir können reden." Scars Stimme ist schon fast ein Flüstern.
„Okay. Wo soll ich warten?", frage ich perplex.
Sie kramt in der Hosentasche rum und reicht mir einen Schlüssen.
„Hiermit kommst du durch den Dienstboteneingang auf der Ostseite ins Haus. Meine Eltern sind nicht da, du kannst bei mir warten."
Dass sie mir so viel Vertrauen schenkt, freut mich auf eine irrsinnige Weise.
„Danke." Ich drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und wende mich ab.
„Wehe du schnüffelst bei mir rum!", ruft sie hinterher, doch da verschwinde ich bereits in der Menschenmasse. Wer's glaubt.
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