Kapitel 23
Die Woche verlief bisher ereignislos und während der Schule haben Logan und ich nicht viel miteinander geredet. Seit der Benefizveranstaltung ist es irgendwie komisch zwischen uns. Ich weiß nicht, ob es am Kuss liegt, oder daran, dass ich Phil und ihn beim Entführen erwischt habe, aber irgendwas hat sich verändert.
Jetzt laufe ich wie eine verrückte durch mein Zimmer und suche verzweifelt nach Gegenständen, die ich im Juwelier verkaufen kann, aber auch nicht auffallen, wenn ich sie nicht mehr trage. Viele meiner Schmuckstücke sind bedeutungsvolle Andenken an meine Familie und Vorfahren, die ich auf keinen Fall verkaufen kann.
Bisher habe ich schon eine alte Uhr, welche einiges an Geld einbringen wird, einen Ring, eine Taschenuhr - wer benutzt heutzutage noch eine Taschenuhr - und eine Kette. Wenn ich Glück habe, dann reicht das Geld für die nächsten Zwei bis drei Wochen. Es sind alles Stücke, die ins Vergessen geraten sind und keiner vermissen wird.
Ich laufe zur Garage und fahre in die Innenstadt. Heute ist einer dieser quälend heißen Tage. Die Sonne prallt direkt auf die Köpfe, nirgends ist ein schattiger Platz zu finden und alle suchen in der Nähe von Klimaanlagen nach Schutz.
Mittwochs ist die Stadt relativ leer, wenn man im Gegensatz die Fußgänger an einem Samstag betrachtet. Trotzdem brauche ich Zehn Minuten länger als üblich, um alle roten Ampeln zu überqueren.
Ich habe mich vorhin im Internet umgeschaut und nach dem bestbewerteten Juwelier erkundigt, der Waren ankauft. Der Laden liegt im hinteren Teil der Stadt, wo ich relativ selten bin. Wenn ich mit Ivy shoppen gehe oder wir uns einfach einen schönen Tag machen wollen, dann sind wir fast immer an denselben Orten und in denselben Straßen.
Schon von Weitem erkenne ich das große Aushängeschild mit der Aufschrift "Juwelier Johnson - Ein Juwel unter den Juwelieren". Der Slogan hat mir sofort gefallen, weshalb mir die Wahl nicht schwer gefallen ist.
Ich parke meinen SUV in der anliegenden Straße, in der einzelne Fußgänger an den Geschäften und Cafés entlang laufen. Dieser Teil von Washington ist echt schön, ich frage mich, warum ich nicht früher hier her gefahren bin.
Zu Hause habe ich nicht darauf geachtet, ob der Laden offen hat, aber ich habe Glück und die Tür öffnet sich. Das Klingeln einer Glocke über der Tür kündigt mein Eintreten an. Außer mir ist keine andere Person im Geschäft. Hinter einer kleinen Theke sitzt eine ältere Frau. Sie sieht wie das Abbild einer Kunstlehrerin aus. Sie trägt ein buntes Kleid mit gesteifter Leggins. Dazu die passenden Sandalen und um ihren Hals schlängelt sich ein ebenfalls farbenfroher Schal. Auf den ersten Blick sieht die Frau total kurios aus, aber irgendwie gefällt mir ihre Ausstrahlung. Schon von weitem kann ich das liebevolle Lächeln erkennen, mit dem sie mich empfängt.
"Guten Tag meine Hübsche, was kann ich für dich tun?" Erst jetzt bemerke ich, dass ich wie eingefroren in der Tür stehen geblieben bin und die alte Frau angestarrt habe, peinlich.
"Hallo, ich möchte meinen alten Schmuck abgeben", antworte ich etwas zu spät, und gehe auf die Verkäuferin zu. Auf ihrem Namensschild steht Beatrice Jonhson, also die Inhaberin des Ladens. Beatrice sieht zwischen all der weiß und silber gehaltenen Dekoration und den geschmückten Schaufenstern etwas fehl am Platz aus.
"Dann zeige mal her." Ich greife in meine Handtasche und ziehe einen kleinen Samtbeutel hervor.
Sie guckt sich jedes Schmuckstück an. Ihre Augen verängen sich, wahrscheinlich damit sie besser durch die kleine Lupe schauen kann. Der Anflug eines Lächelns zeichnet sich auf ihren Gesichtszügen ab.
"Das ist hochwertiger Schmuck, Erste Ware. Allein die filigrane Arbeit der einzelnen Blumenranken auf dem Ring ist heutzutage nur noch selten zu finden und gibt viel Geld her. Meiner Meinung nach bildschöne Stücke. Wie bist du daran gekommen?", fragt mich Beatrice.
Ich überlege einen Moment. "Es sind Erbstücke, die niemand aus meiner Familie trägt. Aber weil sie zu schade zum Einstauben sind, dachte ich, dass ein neuer Besitzer vielleicht gefallen an ihnen findet."
"Bestimmt. Für alle Sachen zusammen kann ich dir 23 Tausend Euro anbieten."
Es ist zwar weniger als ich mir erhofft habe, aber immerhin besser als garnichts. Morgen treffen Logan und ich uns, um für die Partnerarbeit zu lernen. Anschließend fahren wir wieder zu Oscar und ich muss ihm das Geld bringen. Mir bleibt also nicht mehr viel Zeit, um einen besserbezahlenden Juwelier zu finden.
"Perfekt. Das ist ein Deal", antworte ich dementsprechend.
Nachdem Beatrice mir das Geld gegeben hat, verabschiede ich mich von ihr und gehe zum Auto. Die pralle Sonne knallt auf meinen Kopf und ich vermissen augenblicklich die angenehme Kühle der Klimaanlage im Juwelier.
Auf dem Rückweg beschließe ich bei KFC vorbeizufahren. Ich brauche unbedingt einen Milchshake und Hamburger. Mom achtet auf gesunde Ernährung, weshalb es Zuhause nur Kalorienarme Gerichte gibt.
Natürlich muss gefühlt halb Washington genau jetzt auch auf die Idee kommen, sich Essen zu besorgen, weshalb sich die Schlange bis zur Theke staut. Mit hungrigem Magen warte ich.
"Hey, ich kenne dich doch. Du bist Oscars neue Helferin", reist mich eine unbekannte Stimme aus den Gedanken.
Überrascht blicke ich in das Gesicht einer Frau, die mir vage bekannt vorkommt. Ich habe sie schon mal im Hilten gesehen, sie gehört zu Logans Gang und ist ungefähr in meinem Alter, höchstens 3 Jahre älter. Ihren Namen weiß ich jedoch nicht. Sie hat schulterlange rotblonde Haare, und einzelne Sommersprossen sammeln sich auf ihrer Nase. Ich beneide sie darum. Mit ihrer großen und kurvigen Figur könnte sie modeln.
"Hey." Ich schmunzle. "So in der Art. Du bist auch eine von ihnen, stimmt's?"
Das Mädchen wirft mir einen enttäuschten Blick zu. "Ich bin aus demselben Grund wie du und Logan seiner Gruppe beigetreten: Es war das kleinere Übel und jetzt muss ich die Konsequenzen dafür bezahlen."
"Das tut mir Leid."
"Muss es nicht. Dein Name ist Scarlett, oder?", fragt sie mich.
"Du kannst mich Scar nennen." Etwas peinlich berührt lächle ich sie an. "Ich habe deinen Namen vergessen, sorry."
Auf einmal breitet sie ihre Arme aus und zieht mich in eine Umarmung. "Das macht nichts. Ich bin Konstanze, aber meine Freunde nennen mich alle Kessi. Also für dich Kessi." Etwas überrumpelt schlinge ich meine Arme um ihre dünne Taille.
Sie löst sich ein kleines Stück. "Hast du noch was vor?"
"Bis jetzt noch nicht."
"Perfekt. Wenn du Lust hast, können wir uns draußen zusammen an einen Tisch setzten. Wir Frauen müssen bei so vielen testosterongesteuerten Kerlen in Oscars Gang schließlich zusammenhalten. Stimmt's?"
Ich weiß nicht warum, aber irgendwie habe ich Kessi schon jetzt gern. Sie ist offen, selbstbewusst und nimmt kein Blatt vor den Mund. Gefällt mir.
"Stimmt."
Nach wenigen Minuten sind wir an der Reihe. Kessi bestellt sich einen Double- Burger, Pommes, Chickenwings, einen Milchshake und einen Cookie. Mit großen Augen starre ich sie an. Wo soll das alles in ihren Körper reinpassen? Und wie verdammt nochmal kann sie so schlank bleiben? Wenn Mom hier wäre, würden ihr die Augen aus dem Gesicht fallen.
Mit den Tabletts setzen wir uns an einen schattigen Tisch.
"Frag nicht", sagt Kessi mit einem Grinsen im Gesicht. "Selbst meine Ärzte beneiden meinen guten Stoffwechsel."
Ich grinse zurück. "Da schließe ich mich an. Wie lange bist du schon dabei?" Sie versteht sofort, dass ich die Gang meine.
"Seit 2 Jahren."
Ich verschlucke mich am Burger und muss husten. "Seit 2 Jahren? Wie zum Teufel schaffst du das?"
Ihr Grinsen verrutscht und sie schaut mich mitfühlend an. "Ich gehöre zu den Glücklichen, die nur Recherche machen müssen. Ich arbeite hauptsächlich von unterwegs und bin nur selten im Hauptversteck. Die meisten Mitglieder sind entweder grausam, eingebildet oder alt. Dann habe ich vor einigen Tagen dich gesehen und dachte mir, dass wir uns bestimmt gut verstehen werden. Und ich hatte Recht, endlich mal ein normaler Mensch."
"Ich bin auch froh."
"Du bist die Tochter der Evans, stimmt's? Verstehe mich nicht falsch, ich habe keine Vorurteile, ich bin nur neugierig", sagt Kessi.
"Schon gut, es stimmt. Die Frage höre ich oft." Und das stimmt. Meistens ist es die erst Frage, die mir fremde Leute stellen. Bei Kessi fühle ich mich aber nicht angegriffen.
"Und das nutzt Oscar aus?"
"Ja, ich soll ihm jeden Donnerstag 10 Tausend Euro bringen, die er dann im Kampf auf Logan setzten kann."
"Shit." Kessi zwinkert mir anzüglich zu. "Logan also?"
"Was soll mit Logan sein?"
Ein Grinsen breitet sich auf ihrem Gesicht aus. "Ach nichts." Mit diesen Worten wendet sie sich wieder ihren Kalorienbomben zu.
Die nächste Stunde unterhalten wir uns über alltägliches. Sie studiert nebenbei Biomedizin und wohnt in einer eigenen Wohnung. Sie schmeißt dort öfters Partys, zu denen sie mich am Wochenende eingeladen hat. Kessi hat keinen Freund und ist, wie sie betont, glücklich Single. Sie ist echt nett und ich bin froh, soetwas wie eine Freundin gefunden zu haben, die auch gezwungenermaßen zu Oscars Gang gehört.
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