Kapitel 21
"Entschuldige, dass ich zu spät bin. Wow, du siehst atemberaubend aus", sagt Rowan und küsst mich zur Begrüßung auf die Wange. Ich warte schon seit Zehn Minuten in der Eingangshalle des Hotels. Spencer und meine Eltern sind schon vorgegangen, weshalb ich mich in eine Sitzecke zurückgezogen habe, die mir sofort ins Auge gefallen ist.
Auch wenn ich den Abend einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen möchte, weil ich ehrlich gesagt auf die Vorstellung verzichten kann, die nächsten Sechs Stunden Hände zu Schütteln und sinnlose Gespräche anzufangen, stört mich seine Verspätung.
"Danke, du auch." Ich habe mich für ein langes, silbernes Spahgettiträgerkleid entschieden, das an der rechten Seite einen Spalt hat, und somit mein Bein freigibt. Es ist mein Lieblingskleid und ich könnte es jeden Tag anziehen. Ich bezweifle, dass Rowan rein zufällig einen passenden, grauen Anzug trägt.
"Wollen wir?",fragt er mich und deutet auf die imposante Eingangstür zum großen Saal. Mit einem Nicken harke ich mich bei ihm unter und wir mischen uns unter die Menschen.
Eine Sache muss ich zugeben. Der Saal sieht wunderschön aus. Mit den weißen Säulen und der Champagnerfarbenen Dekoration komme ich mir wie in einem Schloss vor.
In jeder Ecke stehen Familien, die sich angeregt mit Anderen unterhalten. Man sieht den meisten Gästen an, dass sie genauso schnell von hier verschwinden wollen, wie ich. Ich habe sofort Mitleid mit ihnen. Es sind auch einige in meinem Alter hier. Von der Schule kenne ich jedoch niemanden, die Meisten gehen auf ein Internat oder eine Privatschule, wo Mom und Dad mich und Spencer eigentlich auch hinschicken wollten. Zum Glück konnte ich meine ganzen Überredungskünste aufbringen, sodass sie uns letztendlich erlaubt haben, auf eine normale High School zu gehen, wenn wir dafür auf sämtlichen Presseterminen aufkreuzen. Definitiv das kleinere Übel, denn auf den Privatschulen wimmelt es an eingebildeten Tussen und ekelerregenden Aufreißern.
Mit Rowan im Schlepptau steuere in die Bar direkt an. Um den Abend heil zu überstehen, brauche ich jetzt Hochprozentiges. Und zwar schnell.
Die Bar ist überfüllt aber irgendwie schaffen wir es bis an die Theke. "Einen Tequila bitte und..." Fragend blicke ich zu Rowan.
"... ein stilles Wasser für mich", antwortet dieser. War klar, Langweiler.
Mit den Getränken gehen wir zu unseren Eltern, am Rand stehen. Mom wirft mir sofort einen strafenden Blick zu und erdolcht meinen Tequila mit ihren Augen. Sie mag es nicht, wenn ich in der Öffentlichkeit etwas anderes ans Champagner oder Wein trinke. Sie erfüllt wirklich alle Reiche- Leute- Klischees.
"Ihr seht bezaubernd aus", empfängt uns Rowans Mutter. Gleichzeitig zieht sie mich in eine Umarmung und ihre Duftwolke löst bei mir automatisch Kopfschmerzen aus. Weniger ist manchmal mehr, daran sollte auch sie sich orientieren.
"Danke." Wie oft musste ich schon dieses gestellte Lächeln aufsetzten? Unzählige Male.
"Wir haben gerade über das College gesprochen. Freust du dich schon auf Boston?" Ich wusste nicht, dass meine Laune noch weiter sinken kann, aber ich bin gerade Zeuge dessen. Und wie!
"Oh ja, ich träume schon seit meiner Kindheit davon." Moms strahlenden Augen zeigen mir, dass ich sie mit meiner Antwort glücklich gestimmt habe. Noch ein halbes Jahr, dann kann ich endlich verschwinden.
"Wie schön, mein Rowan auch." Mein Rowan? Sie redet über ihren Sohn, als wäre er Sieben anstatt Achtzehn Jahre alt. Ihre schrille Stimme konnte ich noch nie leiden.
Die nächsten Minuten unterhalten wir uns ununterbrochen über Harvard. Ich muss mich echt zusammenreißen, nicht einfach umzudrehen und den nächsten McDonald's aufzusuchen. Hier gibt es Kalbsleber, Kaviar, Lachs und hundert weitere abartige Sachen.
Rowan beugt sich zu meinem Ohr herunter. "Wollen wir tanzen?" Einerseits freue ich mich über den Ausweg, anderseits möchte ich nicht tanzen. Nicht mit ihm. Trotzdem nicke ich und wir gehen auf die Tanzfläche.
Gerade spielt das Live- Orchester ein langsames Lied. Es sind schon einige Pärchen auf dem Parkett, die sich taktvoll zur Melodie wiegen. Wir mischen uns dazu.
Rowan umfässt meine Taille und zieht mich etwas zu nah an seine Brust. Er ist ein guter Tänzer, das weiß ich. Wir haben schon oft miteinander getanzt aber ich fand es immer langweilig.
Ivy hat mir vor wenigen Minuten geschrieben, dass sie in ein paar Minuten kommt. Ihre Eltern hatten vorher noch ein Kundengespräch, weshalb sie nicht früher losfahren konnten.
Mein Blick schweift durch den Saal. Das unangenehme Gefühl beobachtetet zu werden, verschwindet nicht. Es ist mir eben schon aufgefallen.
Ich will mich gerade abwenden, als ich direkt in graue Augen starre. Was zum Teufel macht Logan hier? Im selben Moment mache ich einen falschen Schritt, straucheln und Rowan muss mich auffangen. Trotzdem lasse ich Logan nicht aus den Augen. Und er mich nicht. Meine Atmung geht schneller. Sein Blick ist so intensiv, dass sich meine Armhaare darunter aufstellen.
Er löst seine Augen von mir und betrachtet meinen Körper von Oben bis unten. Auch wenn er einige Meter entfernt steht, sehe ich an seinem Adamsapfel, wie er heftig schluckt und sich auf die Lippe beißt. Ich blende alles außer diesen... bescheuerten Typen aus, der uns mit einer Blase umhüllt. Er trägt einen schwarzen Anzug mit Fliege, der seine breiten Schultern betont und ihn verboten heiß aussehen lässt. Und teuer. Wie kommt er an so einen Anzug und wie ist er an die Einladung der Veranstaltung gekommen? Bitte lass nicht Oscar dahinter stecken. Bitte.
Phil, sein Kumpel, kommt von der Seite und zerstört den Moment. Im selben Augenblick nehme ich auch wieder die lauten Stimmen und das Klirren von Gläsern wahr. Phil flüstert Logan etwas ins Ohr und ohne mir noch einen letzten Blick zuzuwerfen, verschwinden sie im Gang zu den Hinterräumen. Was passiert hier gerade? Was machen Phil und Logan hier?
"Entschuldige mich, ich muss einmal zu den Toiletten und mein Make-up auffrischen. Bin gleich wieder da", flüstere ich Rowan zu, und schleiche mich ebenfalls zum Flur, in den Logan gerade eingebogen ist. Hier hinten ist es deutlich ruhiger und nur einzelne Gäste haben sich hierher verirrt.
Ich versuche extra keine Geräusche zu verursachen, damit sie mich nicht hören können. Als Phil zu Logan getreten ist, hat sich sein kompletter Körper angespannt und es schien, als wüsste er nicht, was er machen soll.
Ob er mit dieser Blondine in Begleitung gekommen ist? Sie hatte Tattoos und Piercings, allgemein passt sie vom Äußeren perfekt zu Logan. Bis gestern wusste ich garnicht, dass er überhaupt eine Freundin hat, geschweige denn so eine hübsche.
"Dieses mal stehe ich schmiere, sonst endet es wie das letzte Mal", höre ich eine vertraute Stimme flüstern. Logan.
Ich versuche unauffällig um die Ecke zu schauen, und erkenne, wie er und Phil vor einem Büro stehen. Eigentlich ist der Zutritt nicht erlaubt und ich sollte hier garnicht erst sein. Phil trägt ebenfalls einen Anzug, aber der steht im nicht annähernd so gut wie Logan. Und diese Erkenntnis nervt mich. Ich sollte nicht so über einen vergebenen Mann denken. Und erst recht nicht über Logan.
"Okay. Ich schleiche mich rein, schnappe mir den Kerl und du passt auf, dass niemand kommt."
"Geht klar", antwortet Logan, und Phil verschwindet im Büro. Sein Jacket rutscht ein Stück nach oben und der Schaft einer Waffe zeichnet sich ab. Oh mein Gott. Was zum Teufel macht er da.
Ohne darüber nachzudenken, laufe ich zu Logan. Sobald er mich bemerkt zeichnet sich ein wütender Ausdruck auf seinem Gesicht ab.
"Sag mir sofort, was ihr hier macht, oder ich schreie. Und warum hat Phil eine Waffe dabei?", frage ich mit aufgewühlter Stimme.
"Beruhige dich, das ist keine echte Waffe. Und jetzt verschwinde von hier. Sofort!" Sein herrischer Ton gefällt mir ganz und garnicht.
"Nein. Nicht solange du mir nicht die Wahrheit sagst." Demonstrativ verschränke ich meine Arme vor der Brust.
"Scarlett, das geht dich nichts an. Wenn dich jemand mit uns sieht, dann steckst du knietief in der Scheiße und das will ich nicht. Also geh jetzt verdammt nochmal."
Von der anderen Seite der Tür höre ich leise Stimmen und gepolter. Ich blicke mich panisch um. Bis jetzt ist hier noch niemand, der uns in Schwierigkeiten bringen könnte. "Du sagst mir sofort was hier los ist. Außerdem bin ich schon lange darin verwickelt. Es hat angefangen als du bei mir eingebrochen bist."
Logan scheint mit sich zu ringen, ob er mir die Wahrheit sagen soll oder nicht. Zum Glück entscheidet er sich richtig. "Wir haben den Auftrag bekommen, Dillan Sullivan zu Oscar zu bringen."
Ich schnaube. "Du meinst wohl eher entführen."
"Nenne es wie du's willst."
Mittlerweile stehe ich mit dem Rücken an der Bürotür. Genau in diesem Moment geht sie auf und ich stolpere ins Innere.
Phil schaut zwischen uns hin und her, fragt aber nicht weiter nach. "Erledigt. Bis gleich." Ohne ein Weiteres Wort wendet Phil sich ab, und ich sehe wie er mit dem gefesselten Sullivan durchs Fenster verschwindet. Heilige Scheiße!
Logan steht direkt vor mir. Automatisch mache ich Schritte nach hinten um möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen.
Logan folgt mir und die Tür fällt ins Schloss. "Ich will dir nichts tun, Scarlett. Wir mussten das Erledigen. Ich hatte keine andere Möglichkeit."
"Man hat immer eine andere Möglichkeit."
Logan schnaubt. "Du bist doch das beste Beispiel dafür." Er hat recht. Oscar hat auch mich in der Hand. Ein trauriger Zug umspielt seine Lippen. „Ich muss jetzt verschwinden und du solltest dasselbe tun."
Im selben Moment höre ich, wie sich das Türschloss dreht. Neinneinnein.
"Fuck!", flüstert Logan.
Bevor ich reagieren kann, stürmt Logan auf mich zu, drückt meinen Körper auf den Schreibtisch, lehnt sich über mich und küsst meine Lippen. In derselben Sekund wird die Tür geöffnet.
"Was macht ihr hier. Zutritt ist für Unbefugte verboten", schreit eine fremde Stimme.
Mein Herz überschlägt sich, aber das liegt nicht am Typen vom Sicherheitsdienst. Es ist wegen Logan.
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