Kapitel 15 - Nevis
Am nächsten Tag reisten wir ohne die Zwillinge ab, denn beide wollten noch in Italien bleiben. Hätte ich das früher gewusst, wären wir nicht auf Zack hergekommen. Im Gegenteil wir hätten unseren letzten Tag genossen. Jetzt wollten wir noch wenigstens für einen Abschied zurück zu unseren Austauschfamilien, um danach noch mit etwas Glück den Anschluss zu unserer fröhlichen Gruppe rund um Mailin, Céleste, Cédric, Enlil und Rieke zu bekommen. Wir hatten eine schöne gemeinsame Zeit und daher hatten wir beschlossen gemeinsam vor dem Portal zu stehen und dann dahinter im Märchenwald auf die jeweils anderen zu warten. Wahrscheinlich wären wir danach noch essen gegangen oder so, doch unsere richtigen Familien warteten bereits auf unsere Rückkehr. Bellinas und meine Familie wollten im Anschluss an den Austausch wirklich essen gehen, so war es jedenfalls geplant.
Mit ein paar flinken Handgriffen öffnete sich das Portal und ich trat hindurch. Nachdem letzten Mal wusste ich, dass Bellina nicht noch einmal im Portal die Augen würde öffnen. Auf den Gedanken vertraute ich. Mehr blieb mir gar nicht übrig. Mit ihr zusammen ging nicht, das wurde noch nicht umfangreich genug getestet. Also spuckte mich das Portal als Erster in Paris vor der Tür von Bellinas Austauschfamilie aus. Die Tür öffnete sich und eine aufgebrachte Johanna stürmte hinaus direkt auf mich zu. Sie hielt noch ihr Handy am Ohr, als sie mich in die Arme schloss. Auf Französisch sprach sie in ihr Telefon, dass ich wieder da war. Kurz darauf folgte meine Freundin. Diesmal fiel sie mir leider nicht direkt in die Arme, trotzdem bewahrte ich sie davor, hart auf dem Boden aufzuschlagen. Die Autorin umarmte Bellina ebenso stürmisch. Mahnend erhob Johanna den Finger in unsere Richtung. "Wo zur Frau Holle wart ihr?! Ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht. Das könnt ihr doch nicht mit uns allen machen!"
Hinter ihr kamen die anderen durch die schmale Haustür. Alle, also die anderen Märchenwaldfiguren sowie deren und unsere Familien, warteten auf eine Antwort. "Wir wissen ja, dass ihr ab und zu eure Ruhe braucht, aber dann geht wenigstens einem von uns Bescheid." Einstimmig nickten die anderen. Super, wir waren überstimmt. "Wart ihr bei Liora und Melchior?", wollte Mailin an uns gewandt wissen. Zur Antwort nickte ich. "Tut uns leid. Wir hatten uns Sorgen um unsere Freunde gemacht, die vor einigen Tagen entführt worden", entschuldigte Bellina sich.
Mailin umarmte mich. Ich sah Bellinas Blick auf uns liegen. Sie brauchte nicht eifersüchtig sein. Mit Mailin Mulan hatte ich andauernd über sie gesprochen, Mai hatte mir sogar bei der Planung für die Verlobung ihre Hilfe angeboten. Außerdem glaube ich, dass sich die Prinzessin in den Elfenjungen Enlil verguckt hat und obendrein liebe ich nur eine - Bellina Johanna. Traurig schauten wir uns alle der Reihe nach an. Wir wussten, was uns nun bevorstand. Der große Abschied. Nacheinander ließen uns die Märchenfiguren zurück. Sie gingen ums Haus, damit keiner von dem Portal zu unserer Welt erfuhr und wir sie in dem Glauben ließen, dass wir mit dem Zug fahren würden. Von dort aus schlichen wir dann in die Wohnung von Johanna, die nun verladen war. Die Autorin kannte den Ablauf, hatte ihn selbst oft für ihre Reisen benutzt, doch die anderen wussten nichts von unserer Welt. Bellina verabschiedete sich noch von allen. Ich hatte mich schon verabschiedet von Dani, Etienne und allen anderen. König Etienne hatte ich eingebläut, den Rest seiner Familie bitte ebenfalls zu grüßen. Seine Frau Dani rief mich nochmal zurück und drückte mich zum tausendsten Mal an diesem Tag. Ich ließ es über mich ergehen. Ich mochte die Familie und wäre gerne noch länger geblieben, aber wie die anderen auch vermisste ich meine eigene Familie - meine Eltern, meine beiden kleinen Schwestern und auch meine Schwiegerfamilie in Spe. "Ich wünsche euch alles Glück der Welt, euch beiden. Wenn ihr mögt, schickt doch Mal Fotos oder meldet euch einfach. Vielleicht wollt ihr uns ja irgendwann Mal wieder besuchen, ihr seid immer wieder willkommen oder wir besuchen euch."
Unangenehm. Zu gerne würde ich die Königsfamilie von Frankreich zu uns einladen, doch mir war klar, dass das nicht ginge. Außer Etiennes Schwester, die Romane schrieb, gäbe es keinen Weg zu uns für sie. Dennoch nickte ich, wollte die Schwangere, die in wenigen Tagen ihren Geburtstermin hatte, nicht verletzen. Auch wünschte ich ihr noch viel Glück für die Geburt. Dann ging ich mit meiner Verlobten hinter dem Haus entlang zurück in die Wohnung, in der Bellina die Zeit über verbracht hat. Heute ließ ich ihr den Vortritt. Sie warf mir ein Lächeln mit einer Kusshand zu und stieg durch das Portal in unsere Welt. Nach einer Minute, ich hörte bereits die Stimmen von draußen sich nähern, stieg ich mit Vorfreude hinterher. Zuhause. Meine Augen waren geschlossen, als ich meine Welt betrat. Ich merkte es indem es sich so anfühlte, als würden Schneeflocken auf mich herab nieseln. Für jeden fühlte sich der Gang durch das Portal anders an. Von der Schönsten aus Villeneuve wusste ich, dass es sich bei ihr anfühlte, als würden Rosen um sie schweben und sie konnte den rosigen Duft durch die Nase wahrnehmen.
Auf der anderen Seite, als ich die Augen aufmachte, strahlte mir das Lächeln von Bellina entgegen. Ihre Lippen bewegten sich, sodass nur ich es sehen konnte. "Wir sind zurück."
Hinter ihr machte sich Blanchette, meine Schwester, bemerkbar. Nachdem ich meiner Prinzessin noch ein Lächeln geschenkt habe, fiel mir schon Blanchette in die Arme. "Ich habe dich vermisst."
"Ich dich auch", murmelte ich in ihren Pullover, weil sie mich so fest an sich drückte, dass ich gar nicht anders kann. Bellina gesellte sich neben uns und überreichte meiner Schwester ein in Geschenkpapier verpacktes Geschenk. Nach kurzem Überlegen fiel mir ein, was sich darin befand. Der Seehund-Schlüsselanhänger. "Danke, aber das hätte doch nicht sein müssen." Sehnsüchtig glitt der Blick meiner Schwester in weite Ferne. Ich wusste genau, wen sie hoffte, zu finden. Prinz Cédric. Ich rieb mir über die Stirn und versuchte ruhig zu bleiben. Man kann ja nichts machen, wenn man sich verliebt. Augenverdrehend ging ich zu dem Prinzen, der das Herz meiner kleinen Schwester höher schlagen ließ und legte meinen Arm um seine Schultern, sodass ich ihnen mit zu uns ziehen konnte. Als wir bei Bellina und Blanchette ankamen, die sich gerade unterhalten hatten, gab ich meiner Prinzessin zu verstehen, dass wir die zwei alleine lassen sollten. Daher verabschiedeten wir uns auf die Schnelle von Cédric. Blanchette würde ja gleich beim Essen dabei sein. Bellina bedachte mich mit diesem besonderen Blick. "Danke", flüsterte sie. "Wofür?"
"Dafür, dass du ihnen eine Chance gibst."
"Nur, weil ich weiß, dass es ohnehin nicht von langer Dauer wäre", ich streckte ihr frech die Zunge raus. Sie machte es mir gleich. "Wir wissen beide, dass das nicht wahr ist."
Rieke winkte uns bloß zum Abschied. Ihre beiden Elternteile stritten schon wieder und das war ihr sichtlich peinlich. Mitfühlend verzog die Schönste das Gesicht. Ich zog sie weiter. Gretel hatte einen Prinzen geheiratet, doch nach dem zweiten Kind, was vier Jahre jünger als Rieke ist, reichten sie die Scheidung ein. Da konnte niemand etwas dran ändern. Gretel hatte kein einfaches Leben, das stimmt. Nach ihrem Märchen mit der Hexe Gothel, zugleich der Antagonistin von Rapunzel, hatten sie einen erweiterten Auftritt in Brüderchen und Schwesterchen, denn der Vater heiratete erneut. Doch natürlich hatten sie Mal wieder kein großes Los mit der neuen Stiefmutter gezogen, weil diese ebenfalls eine Hexe war. In dem Märchen stieß Gretel dann als Schwesterchen auf den Prinzen und nachdem ihr Brüderchen, also Hänsel, wieder seine normale Menschengestalt Dank des Teufels mit den drei goldenen Haaren erlangt hatte, suchte er sich seinen Weg in Hans im Glück, auch da scheiterte er und versuchte sich nach der Erfindung des Portals mit einer Keksfabrik im Menschenwald. Die beiden Geschwister hatten allem in allem kein sonderlich großes Glück, eher das Gegenteil von Glück - Pech.
Meine Eltern kamen auf uns zu und ich knuddelte ausgiebig Haunani. Unterdessen fielen Ylvie, Connors kleine Schwester und Bellina sich in die Arme. Ihr Affe Lucile sprang dabei auf und ab. Das sah zu goldig aus, wie dieser witzige Flummi vor Freude über unsere Rückkehr durch die Gegend raste. Céleste stand ziemlich unbeholfen abseits von uns, weil sie und ihr Bruder keiner in Empfang nahm. Ihre Mutter Aurora mied den Kontakt zu anderen Menschen. Die Tiere waren ihre einzigen Freunde, wobei man ihr zu gute halten musste, dass sie im kleineren Kreise gerne zu Besuch kam. Sie war schließlich meine Patentante und die von Blanchette und Haunani und wenn ich mich Recht erinnere auch die von meiner Verlobten. Ich winkte sie mit meiner Hand in unseren Kreis, damit sie nicht so alleine da stand. Schließlich hatte ihr Zwilling jetzt Zeit mit meiner Schwester zu plaudern. Für Blanche hoffte ich, dass sie am Ende des heutigen Tages keinen Liebeskummer ausgelöst durch ihn mit sich tragen müsse. Die Rosenprinzessin schüttelte erst den Kopf, entschied sich dann aber doch eines besseren und kam auf uns zu, aber da kam zu unser aller Überraschung König Phillip mit seinen anderen beiden Kindern. Verwundert wechselte unsere Runde Blicke. Was war hier los? Zum Gruß hob der Vergewaltiger von Aurora die Patentante. "Hallo, ich weiß, ich weiß, ich bin in euren Kreisen eher weniger erwünscht."
Mein Vater ergriff das Vater. "Was willst du hier, Phillip?"
"Weißt du noch damals, dass wir einst Freunde waren, Felix? Was ist aus uns geworden?"
Was? Ich tauschte einen Blick mit meiner Mutter, die nun keine Furie mehr war. Die zuckte ebenso ahnungslos mit den Schultern. "Du weißt, wessen Schuld du dir zuzutragen hast, hoffe ich."
"Ja, weiß ich, aber ich möchte gerne mit meinen Kindern sprechen. Allein. Aurora hat mir ihre Erlaubnis gegeben."
In der Ferne sah ich Céde, der dem Gespräch aufmerksam lauschte, während meine Schwester ihm beruhigend die Hand tätschelte. Seine Schwester Céle war zu einer Salzsäule erstarrt. Als ich erkannte, wer seine Kinder waren, wurde mir heiß und bang. Er hatte seine eine Tochter wieder, die auch zugleich die Tochter von Gothel war und bei der Entführung meiner Freunde tatkräftig mitgeholfen hat. "Du... Was willst du hier?", spie ich der falschen Schlange entgegen.
"Ich habe nichts damit zu tun, was passiert ist. Also doch ja, aber ich habe ihnen bei der Flucht geholfen. Bitte glaube mir."
"Meine Tochter kann nichts, aber auch gar nichts, dafür. Das war diese miese Hexe. Sie hat mir mein Kind genommen, um ein Model daraus zu machen, ihre Marionette."
Der Junge, wohl sein Sohn, der neben ihm stand, ballte die Hände zu Fäusten. Die Rosenzwillinge gingen an uns vorbei zu ihrem Erzeuger, aber nicht ohne uns vorher einen aufrichtig dankbaren Blick zuzuwerfen. "Maman hat uns eben geschrieben, es ist wahr. Danke, Leute, für die schöne Zeit. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder."
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