
Kapitel 35 - Hunter
Wir betreten einen Raum, an dessen Wänden weitere Türen auf uns warten. Wie ich das in dem matten Licht erkennen kann, ist eine Tür beispielsweise aus Lebkuchen und die andere wird hingegen von Zuckerstangen umrahmt. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich Schilder auf dem Türen, die leicht leuchten. Jay geht zuerst und sieht sich jede einzelne Tür genauestens an. „Ich glaube, wir müssen uns für eine von denen entscheiden. Sieh dir das an, jede Tür bildet ein anderes Auto ab."
Da ich nicht so der bunte Typ bin, gehe ich auf eine Tür mit stinknormalen Oreos zu. Auf der ist ein Flitzer in eintönigen Farben. Das gefällt mir. Die anderen will ich besser gar nicht sehen. Sicherlich viel, viel, viel zu bunt. „Wir nehmen die", bestimme ich.
„Dein Ernst? Das ist ja langweilig. Wir sind hier in einer bunten, witzigen, absolut chaotischen Süßigkeitenwelt und du willst es eintönig? Wir sind ein Team, was heißt, ich habe Mitbestimmungsrecht."
Wowhoho - das hoho soll wieder ein von mir versuchter Weihnachtsscherz sein. Was ist denn mit dem Reh los? Sonst ist er doch so still. Kommt er etwa allmählich aus seiner Haut? „Bunt."
„Nicht bunt", behalte ich meine Meinung dennoch bei. Fast bin ich gewagt, wie ein bockiges Kleinkind zu schmollen mit den Armen vor der Brust verschränkt.
„Meinetwegen", ich freue mich schon über diesen Gewinn, als er seinen Satz zu Ende bringt. „...können wir das Modell nehmen, wenn du das unbedingt willst, aber es bleibt nicht so. Wir gestalten es bunt." Das Reh schiebt verlegen seine Brille hoch.
„Wieso hast du das bitte zu entscheiden?", formuliere ich mehr oder weniger grimmig. Irgendwie freue ich mich über seine Taffheit, da das fast, nur fast, niedlich ist. Niedlich? Oh Mann, oh Weihnachtsmann... Was denkt mein Hirn da?
„Weil ich das auch Mal darf. Außerdem sind wir hier in einer Weihnachtswelt, beziehungsweise gerade befinden wir uns in einem Süßigkeitenland. Das gehört bunt. Wenn wir zurück im Märchenwald sind, kannst du so eintönig leben, wie du willst. Jetzt lebst du bunt oder fährst bunt."
„Na schön", gebe ich mich geschlagen. „Aber wehe wir verlieren wegen deinem Faible für Buntheit."
„Werden wir nicht", kommentiert das Reh. Als er meinen immer noch überraschten Blick wahrnimmt, dreht er sich weg. „'Tschuldigung"
„Brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich fand es cool, dass du mal aus dir heraus gekommen bist. War anfangs nur ein Schock, weil ich das nicht erwartet hätte, aber es gefällt mir."
„W-was gefällt dir?"
„Du", sage ich ohne weitere Worte und es wird von einem auf den nächsten Moment mucksmäuschenstill. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Ja. Und es war verdammt nochmal mein völliger Ernst.
Um meine Unsicherheit zu überspielen, suche ich im Raum nach einer Möglichkeit, die uns eine Ablenkung beschert. Perfekt, ich habe eine. Inmitten des Raumes deutet ein in der Luft schwebender Pfeil, an dem Ratlos? steht, auf ein Tisch mit Alben drauf. „Guck! Wir sind ratlos, also komm."
Ich gehe zu eben diesem Tisch und warte auf ihn. Jay folgt mir erst nach einigen Minuten. Gemeinsam blättern wir durch die Fotoalben. Sie beinhalten Bilder von Rennfahrern mit ihren Flitzern. Da gibt es zum Beispiel einen gewissen Lebkuchini Centenario Dynamic 10.000, den Ferrero 488 Pista, der Popcornsche 918, einen Pralini Huayra Roadster 2.000, den Koenigsegg Agera RS Zuckerstange, die Marzipankartoffel MR0B, ein Marsh 2-4-0, Maoam F101, den Tannenbaum Isetta und noch viele mehr. „Das ist schlau. Einfach Modelle aus unsrem Wald nachgebaut mittels Süßigkeiten und dann umbenannt."
Da hat er recht. Durchdacht ist das wirklich. „Wollen wir ein ähnliches Modell wie den Lebkuchini nehmen?"
„Einverstanden."
Passenderweise gehen wir auf die Tür mit dem - ich zitiere - langweiligen Fahrzeug drauf zu, auf dem eben dieses Modell abgebildet ist, für das wir uns entschieden haben. Schelmisch grinse ich.
„Bunt", erinnert er mich sicherheitshalber eindringlich.
Obwohl ich hinter meinem Rücken die Finger kreuze, nicke ich. Jay stürzt sich lachend auf mich. Durch die Plötzlichkeit verliere ich beinahe mein Gleichgewicht, kann mich jedoch gerade noch fangen. „He, nicht die Finger hinterm Rücken kreuzen!"
Ich lasse meine Augenbrauen zucken. „Wieso nicht?"
Mahnend hebt er den Finger, doch mit dem Lachen in seinem Gesicht kann ich ihn nicht besonders ernst nehmen. „Darum."
Achselzuckend stoße ich die Tür auf. Ein grelles Licht geht hinter uns an und eine Sirene ertönt. Was soll der Scheiß denn? Ich habe ausnahmsweise nichts falsch gemacht. Oder? Die Sirene verstummt und das Licht wird gedimmt. Verwundert sehen wir uns an. Jemand räuspert sich über uns. Noch verwirrter blicke ich in alle Richtungen, bis ich einen Lautsprecher an der Decke ausmachen kann. „Hallo? Was war das?"
„DAS war der Spannungswirbel."
„Aha. Wer bist du überhaupt? Lass mich raten: der Holy Drop."
Aus den Lautsprechern dröhnt ein lautes Lachen. „Sei nicht albern, du Scherzkeks. Ich bin der Fresh Drop und ich bin eure Hilfe beim Autobau", stellt sich die Person - oder das Wesen? - vor. Nun bin ich es, der sich ein Lachen kaum verkneifen kann. Boah ey, sind die kreativ. Fresh Drop, Honey Drop,...
„Geht endlich durch die Tür!", fordert er uns auf.
„Warum sollte ich? So wie du das sagst, erwartet uns eine böse Überraschung. Vielleicht Schleim, der in einem Eimer an der Tür befestigt wurde? Keksteig?"
„Dann gehe ich halt zuerst, wenn du dich derbe fürchtest", behauptet Jay.
Ts, als ob ich das zulasse. Daher gehe ich an ihm vorbei durch die Tür. Und es passiert mir nichts. Vor uns ist eine riesige Halle mit Regalen voller Süßigkeiten, mit einem Mixgerät für einen Riesen. Alles ist von der Form her eher für einen Riesen gedacht. Jetzt mal ehrlich, hier gibt es keine Riesen. Wofür dann der Aufwand mit den viel zu riesigen elektronischen Geräten? „Was müssen wir zuerst machen?", will das Reh mit dem Kopf nach oben zur Decke in Erfahrung bringen.
„Euer Modell backen. Dafür müsst ihr die Zutaten sortieren. Seid ihr bereit?"
„Jepp." Jay nickt, nachdem ich ihm einen fragenden Blick zugeworfen habe.
„Gut. Wartet , ich drücke nur den Kopf, äh, Knopf, verzeiht und dann könnt ihr starten."
Unterdessen sehen wir uns weiter um, bis ein Fließband in Gang geht und lauter Lärm erzeugt. Von hier unten sehe ich, dass oben Zutaten das Fließband hinab gezogen werden. Zucker, Mehl bannt sich seinen Weg nach unten. Dabei kann ich aber auch Spielsachen, die da definitiv nicht reingehören, ausfindig machen. Ich ziehe mein Reh hinter mir her näher zum Geschehen. In unserer Höhe steht eine Schale. Ich hebe Jay daneben auf die Anhöhe und klettere selbst drauf. „Puh, so." Zunächst klopfe ich mir meine Hosenbeine ab, dann geht es auch schon los. „Was für Zutaten müssen denn darein?", frage ich an das Reh gewandt.
Ratlos zuckt dies mit den Achseln. „Vielleicht die." Sein Finger deutet auf ein Rezept an der Wand vor uns. Ah, perfekt, so einfach geht's. Die erste Zutat kommt. Es ist Mehl. Er öffnet die Packung und schüttet es in die Schale. Als nächstes kommt ein Teddybär. Wofür...? Am besten ich frage nicht nach. Anstatt ihn in die Schüssel zu tun, werfe ich ihn in den Mülleimer neben der Tür. Mist, daneben. Na ja, kann ich später immer noch einsammeln. Gefühlt wird das Fließband immer schneller. In eine, Rutsch kommen Eier und ein Flummi. Diesmal machen wir es andersherum. Jay wirft den Flummi in den Eimer - und trifft nebenbei gesagt - während ich die Eier ins Mehl laufen lasse. Natürlich nachdem ich die Eier an der Schale aufgeklopft habe, versteht sich.
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