Kapitel 25 - Connor
Oben in meinem Zimmer auf meinem Bett thront die rebellische Prinzessin, die sich, vermutlich um mich zu ärgern, schon wieder über die Lippen leckt. Hauptsache, sie hat unten meinen Ständer nicht gesehen oder bemerkt. Reicht schon aus, dass meine Mutter ihn gesehen hat, so wie sie gelacht hat. Oder Ylvie. Oh Gott. Liebe Frau Holle, bitte lass mich im Erdboden verschwinden... eine neugierige Ylv kann ich nicht gebrauchen.
"Hast du eigentlich mitbekommen, worin ich gerne Nachhilfe hätte, kleiner Wolf?", fragt sie mich.
"Ja, habe ich", bringe ich hervor. Meine Fantasie ist wieder mit mir durch gegangen, sodass die Konzentration eben kurz nachgelassen hat. Das darf für mich nicht so weitergehen. Nicht zur Normalität werden. Meine Fantasie droht erneut abzudriften, doch ich fange mich recht schnell wieder.
Die Prinzessin stemmt die Hände in die Hüften. "Ist klar. Du hast doch nur Augen für meine Möpse. Was war denn das Thema, Wolf?"
Ich räuspere mich. Peinlich. Wo wollte sie nochmal Nachhilfe? War es Mathe, ihr Lieblingsfach - Ironie?Oder gar etwas anderes? Adhnein, Mathe kann es nicht sein. Die Klausur stand heute an. Ich hatte ihr extra mehrere Nachrichten geschickt. Das Thema Klausur wäre doch die perfekte Ablenkung. Aus dem Grund, um von meiner quasi Unachtsamkeit abzulenken, frage ich nach. Bisher hat sie das Thema Matheklausur noch nicht angeschnitten. Wenn ich schon mit ihr lerne, möchte ich gerne wissen, ob sie sich besser gefühlt hat, als bei anderen Klausuren zuvor. Grinsend, wahrscheinlich ahnt sie bereits von meinem Nicht-Wissen, schüttelt sie den Kopf. "Die Arbeit war grauenvoll, der Lehrer voll Scheiße. Anders kann man es nicht sagen."
"Das glaube ich dir nicht, Sommersprösschen. Welchen Lehrer hattest du?"
Nach meinen Worten wirft sie verständnislos die Arme in Luft. "Dann glaub mir halt nicht. Herr - wie hieß er doch gleich? Diese Dummheit von Lehrerhabe ich glatt vergessen.", schnaubt der wilde Rotschopf.
"Ist aber so. Na gut, der Lehrer heißt Herr Rottenmeier."
"Nicht dein Ernst? Das klingt wie Fräulein Rottenmeier aus Heidi, der Kinderserie", ich lache.
Merida versteht nur Bahnhof. Fragend verfolgt sie mich mit ihren blauen Augen, in denen ich mich nur zu gerne verlieren würde... Konzentration. "Na, du weißt schon, Heidi. Kennst du die Serie nicht? Läuft ständig auf Kika", erinnere ich sie an die vergangene Kindheit, wobei ich bei mir manchmal nicht glaube, dass das der Vergangenheit angehört, wenn ich das noch alles weiß. Dazu muss man aber sagen, dass ich diese Serien andauernd mit meiner kleinen Schwester gucke. "Was ist Kika?"
Will sie mich auf den Arm nehmen oder kennt sie echt kein Kika? "Der Fernsehsender für Kinder."
"Kenn ich nicht."
Ich setze mich neben sie auf das Bett und schaue sie an. "Okay, neuer Versuch. Was hast du für Serien oder Filme in deiner Kindheit gesehen?"
"Nicht viel. Meine Brüder dürfen um einiges mehr an Glotze gucken, als ich früher in ihrem Alter. Was ich weiß, was ich geguckt habe, war Jane und der Drache, Sherlock Yack, Emily Erdbeer, Bob der Baumeister, Feuerwehrmann Sam und so weiter..."
"Kenn ich alles nicht. Sagt dir Geronimo Stilton etwas?"
"Nein. Du kennst kein Sherlock Yack? Da bin ich jetzt enttäuscht und geschockt zugleich. Hast du früher nie, wenn du von der Schule kamst, dich auf den Sessel deines Opas gesetzt und diese Sendung geschaut? Dann war deine Kindheit echt mies. Ich weiß noch, wie ich mich in der Schule immer auf diesen Moment gefreut habe. Bei meinem Opa den Detektiv bei seinen Fällen zu beobachten." Ich habe noch nie mitbekommen wie der kleine Feuerteufel in Erinnerungen schwelgte. Aber es ist ein wundersamer Moment. Ihre Augen sind glasig und eine Träne löst sich kurz danach aus ihrem Augenwinkel. Diese einzelne vergossene Träne fange ich mit meinem Finger auf. Die Prinzessin schüttelt sich. Die Tränen scheinen zu verdampfen. Genauso habe ich mir das Weinen vom Teufel vorgestellt. Kalt. Eine einzelne Träne, nie mehr. In dem Moment wird mir schlagartig bewusst, dass ich die Mutter meines Kindes nicht sonderlich kenne. Ich weiß, wer ihre beste Freundin ist, denn die ist ebenso meine beste Freundin, ich weiß, dass sie Geschwister hat,fünf seit kurzem um genau zu sein, dass sie nicht immer eine blühende Kindheit hatte und die Beziehung zu ihrer Mutter mehr als kompliziert ist. "Ist dein Opa...?", fange ich an, breche jedoch ab, als ich merke, wie sehr dieser Gedanke sie quält.
"Opa Herbert ist tot, ja."
Noch nie zuvor habe ich dieses Mädchen, diese junge Frau traurig, ja, beinahe kurz vorm Weinen, gesehen. Zu gerne würde ich sie in die Arme schließen, ihr alle Sorgen, alle Lastern von den Schultern nehmen, aber ich weiß nicht, ob sie das will. "Das tut mir leid, das wusste ich nicht."
Sie will abwinken, es als weniger schlimm als es in Wahrheit wirklich ist, abstempeln. Trotzdem oder vor allem, weil ich genau weiß, wie sie sich gerade fühlt, schließe ich Merida in meine Arme. Ihr verrückter Duft nach diesen süßen Brötchen, die ich bisher noch nie gegessen habe, und dem leichten Hauch nach Männerduft, was mich jedesmal total verwirrt, umhüllen mich, locken mich in ihren verführerischen Bann. In ihren Duft komplett versunken, murmel ich: "Ich habe noch nie Sweet Buns gegessen."
Jetzt hat die Prinzessin ihren Grund gefunden, um mich von sich zu stoßen. "Du hast noch nie, niemals in deinem Leben süße Brötchen gegessen?! Wie schrecklich muss dein Leben gewesen sein?"
"Süße Brötchen schon, aber nicht die aus Schottland."
"Das müssen wir unbedingt ändern. Morgen werde ich Annika darum bitten, Sweet Buns zum Frühstück am Sonntag zu machen, damit jeder es probiert - Charming, Cinderella, dein Vater, deine Mutter, du und Ylvie."
"Du hast dir den Namen der Köchin gemerkt?", frage ich erstaunt nach. Ich weiß, wer Annika ist. Ich kenne ihren Namen und ich unterhalte mich zwischendurch ganz gerne mit ihr über Gerichte aus allen Ländern. Doch, was mich erstaunt, ist, dass Merida sich den Namen gemerkt hat. Sonst merkt sie sich keinen Namen.
"Den Namen einer guten Köchin vergisst man nie. Besser gesagt den Namen der Person, die einen bekocht, darf man nicht vergessen."
Darüber muss ich grinsen. Ist das zu fassen? In der ganzen Zeit, in der die sture Prinzessin hier war - und das war noch nicht sonderlich lange - wurde sie von Zeit zu Zeit sympathischer, wenn nicht sogar herzlicher zu ihren Mitmenschen.
Ich ziehe die Prinzessin vom Bett hoch in meine Arme, darauf bedacht, ihr verletztes Bein nicht zu sehr zu belasten. Ihre Arme platziere ich auf meiner Schulter, verschränke sie in meinem Nacken, danach platziere ich meine Arme auf ihrer schmalen Taille. Mit ihr ist es ganz anders, als mit Bellina. Bellina war nicht dick, das will ich damit um Gottes Willen nicht behaupten. Nur Merida ist einfach um einiges schlanker. Sowieso ist Prinzessin Merida - diesen Satz dürfte sie nie lesen, ansonsten bin ich ein toter Mann, der sein erstes Kind nicht wird aufwachsen sehen - vollkommen anders. Merida ist wild. Unsere Liebe oder wie man es nennen mag ist auf feuriger Leidenschaft aufgebaut. Bellinas und meine Beziehung beruht seit Jahren auf gegenseitigen Vertrauen sowie dem Wörtchen Ehrlichkeit. Mit Vertrauen wäre ich mir bei Merida nicht immer so sicher, Ehrlichkeit war noch nie ihre Stärke...
"Was machst du da, kleiner Wolf?"
"Dir tanzen beibringen", beantworte ich ihre Antwort ehrlich.
Damit sie weiß, dass ich es ernst meine, drehe ich sie für eine Sekunde lang im Kreis, dann ziehe ich sie wieder an mich. Ihr Herz klopft schnell an meine Brust. Meine Atmung steigt genauso rasant. So rasant, dass ich befürchte, dass es mir bald aus der Brust heraus springen wird...
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