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» Jungkook «
Der nächste Tag begann recht gewöhnlich.
Taehyung und ich waren zusammen zur Arbeit gefahren, hatten uns im Aufzug verabschiedet und gingen unserem eigenen Arbeitstag nach.
Ich tauschte mich mit allen Kollegen aus, um richtige Beziehungen zu ihnen aufzubauen. Zudem zeigte ich meine große Bereitschaft neue Sachen zu lernen. Um zu vermeiden, irgendwo allein mit Seomin zu enden, stürzte ich mich regelrecht in Arbeit oder redete mit Yeonjun und Beomgyu, wenn ich an meinem Arbeitsplatz saß, oder ich lief immer mit anderen Mitarbeitern mit.
Einmal war ich sogar gezwungen gewesen, spontan in Jins Büro einzubrechen. Als ich die Tür zu seinem Raum aufgerissen hatte, nachdem ich leicht panisch geklopft hatte, als ich Seomin auf mich zulaufen sah.
Um mir Gedanken zu machen, was ich Jin sagen könnte, war natürlich keine Zeit, also hatte ich irgendetwas vor mich hin gestammelt, an was ich mich vor lauter Aufregung gar nicht mehr erinnern konnte. Aber Jin hatte es wohl nicht gestört. Also hatten wir eine ganze halbe Stunde über belanglose Dinge gesprochen.
Ich seufzte, als ich meine Hände fertig gewaschen hatte. Das Wasser stoppte, nachdem ich sie aus dem Sichtfeld des Sensors entfernte. Mit verkniffener Miene starrte ich meinem eigenen Gesicht im Spiegel der Toiletten entgegen.
Es war schrecklich mühevoll, dauernd auf der Flucht zu sein oder zumindest immer im Hintergrund des Bewusstseins zu wissen, dass man sich vor etwas oder eben jemanden in Acht nehmen musste.
Ich fuhr zusammen, als ich hörte, wie die Tür hinter mir zufiel, und schaute auf der Stelle in den Spiegel, um hinter mich gucken zu können. Als sich die gerade eingetretene Person als Seomin entpuppte, drehte ich mich ruckartig herum.
Der Braunhaarige trug ein Lächeln auf seinem Gesicht. „Jungkook."
Ich schluckte schwer, stützte mich an dem Waschbecken ab und wollte an ihm vorbeigehen, um schleunigst wegzukommen, doch er stellte sich mir in den Weg. Da ich ihm nicht näher als nötig kommen wollte, wisch ich wieder zurück.
„Hyung, könntest du bitte zur Seite gehen? Ich muss zurück zu meinem Platz", stieß ich mit gepresster Stimme hervor.
Seomins Gesichtsausdruck wurde traurig. „Weißt du, du verletzt meine Gefühle, wenn du mir so aus dem Weg gehst."
„Ich..." Mein Mund war geöffnet, doch eigentlich war ich nicht in der Lage, etwas darauf zu antworten.
Das schien den anderen nichts auszumachen, denn er sprach unbeirrt weiter: „Möchtest du mich nicht etwas näher kennenlernen, bevor du mich abweist?"
„Nein! Bitte, lass mich in Ruhe, Hyung. Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht so bin." Langsam verwandelte sich mein Frust in verzweifelte Wut.
Seomin trat einen Schritt auf mich zu, woraufhin ich einen zurücktrat.
Als er dies bemerkte, lächelte er.
Das Lächeln löste in mir ein Schaudern aus.
„Immer auf der Flucht. Du bist wie ein kleiner, süßer Hase, den man unbedingt fangen möchte", säuselte er.
Ich starrte ihn angewidert an. „Stopp, hör auf näher zu kommen!"
Doch statt auf meine Worte zu achten, kam er wieder näher, bis er direkt vor mir stand und seine Arme jeweils an beiden Seiten am Waschbecken abstützte. Instinktiv machte ich mich kleiner und senkte den Kopf herunter.
Mittlerweile war der andere so nah, dass ich seinen Atem an meinem Ohr wahrnehmen konnte.
„Ich habe euch gesehen", wisperte er mir zu.
Ich erstarrte und runzelte die Stirn.
„E-Euch?"
Er lachte leise. „Ja, euch. Dich und der Grund, warum du mich abgewiesen hast."
Alles klang an seinem Tonfall falsch.
Ich wollte in diesem Moment nichts lieber als von diesem Typen wegzukommen.
„Nach deiner Reaktion gestern zu beurteilen, möchtest du nicht, dass man weiß, dass du schwul bist, geschweige denn, dass du einen Freund hast, der auch noch im selben Unternehmen arbeitet." Dass er lächelte, konnte ich in seiner Stimme heraushören.
„I-Ich bin nicht-", ich hielt inne.
Er hatte Taehyung und mich gesehen...! Was, wenn er herumlief und jedem davon erzählen würde? Was, wenn die Reaktionen nicht positiv ausfallen würden? Oder schlimmer. Was, wenn sie einen Grund finden würden, um uns zu feuern? So viel konnte schiefgehen, weshalb wir unsere Beziehung überhaupt für uns behalten wollten.
Panik stieg in mir auf. „Bitte...Bitte erzähl niemanden davon..."
Seomin hielt seinen Finger unter mein Kinn und drückte meinen Kopf hoch, sodass ich gezwungen war, ihm ins Gesicht zu schauen. Tatsächlich umspielte ein selbstgefälliges Lächeln seine Lippen.
„Ich werde nichts sagen, wenn du mir einen Gefallen tust", sagte er und lehnte sich zu mir herunter.
Meine Augen weiteten sich. Vor Schock stieß ich ihn mit beiden Händen heftig an der Brust zurück, sodass er nach hinten torkelte und beinahe fiel, da er nicht mit meiner Kraft gerechnet hatte.
Nun wirkte Seomin verärgert. Genervt lief er auf mich zu und packte mich an dem Kragen meines Hemdes.
„Du! Wenn du nicht willst, dass dein kleines Geheimnis rauskommt, solltest du lieber schön brav sein!", schrie er mir ins Gesicht und zog mich näher an sich.
Ich hob meine Arme und versuchte um mich zu schlagen, kleine Tränen sammelten sich in den Außenwinkeln meiner Augen.
„Loslassen! L-Lass mich los!"
Daran dachte er jedoch nicht und versuchte mir einen Kuss aufzudrängen. Verzweifelt windete ich mich wie verrückt und schwang meinen Kopf von der einen auf die andere Seite, sodass er immer wieder ins Leere kam. Mit jedem weiteren Ausweichmanöver wurde seine Geduld aufs Neue herausgefordert, bis ihm endgültig der Kragen platzte.
Er hob seine Hand und schlug mir mit seiner Handfläche gegen meine linke Wange.
Ich stockte und fasste mit bebender Hand an die Stelle, wo er mich geschlagen hatte. Dort brannte die Haut und meine Backe pochte schmerzlich. Wie weggetreten, als könnte ich nicht fassen, was gerade passiert war, war ich wie versteinert.
„Wenn du sofort auf mich gehört hättest, hätte das nicht sein müssen", kam es von dem Braunhaarigen. „Und jetzt tu, was ich dir sage, oder jeder in diesem Unternehmen wird erfahren, dass du schwul bist!"
„Das glaube ich nicht."
Sowohl Seomin als auch ich drehten unsere Köpfe erschrocken zur Tür, die unbemerkt geöffnet worden war.
Ich hätte vor Erleichterung anfangen können zu weinen, als ich Jin sah, der mit verschränkten Armen vor seiner Brust dastand. Gleichzeitig bekam ich es mit der Angst zu tun.
Er wusste es nun auch.
„J-Jin Hyung, das hier ist ein Missver-"
„In mein Büro. Sofort", unterbrach dieser in harsch, woraufhin der andere verstummte und wie von ihm verlangt, vorausging und die Toiletten verließ.
Ich traute mich nicht zu atmen oder mich auch nur ansatzweise zu bewegen.
Jins Miene wurde wieder weich, als er auf mich zutrat. „Jungkook, ist alles in Ordnung? Ist er handgreiflich geworden?"
Ich sah mit großen, feuchten Augen zu ihm hoch, und begann am ganzen Körper zu zittern.
Jin verstand auch, ohne dass ich etwas sagte. „Komm, geh zurück auf deinen Platz und versuch dich ein bisschen zu beruhigen. Ich kümmere mich um Seomin. Und danach reden wir beide, ja?"
Daraufhin begleitete mich er zurück.
Die anderen hatten den ganzen Trubel mehr oder weniger mitbekommen und waren aufmerksam geworden, als Seomin miesgelaunt aus den Toiletten direkt in Jins Büro gegangen war.
„Was ist passiert?"
„Seine Wange ist ja ganz rot..."
Ich ließ mich auf meinen Stuhl nieder und griff nach einem Taschentuch.
Jin lächelte mir noch tröstlich zu, ehe er mit ernster Miene in sein Büro lief und die Tür hinter sich zumachte.
Soweit er weg war, kamen Yeunjun und Beomgyu zu mir und sahen mich besorgt an.
„Hat Seomin Hyung dich etwa geschlagen, Hyung?", fragte Yeonjun entsetzt.
Ich nickte abwesend, nicht in der Lage die aufheiternden Worte meiner Kollegen zu registrieren, da ich zu sehr damit beschäftigt war, mir Sorgen zu machen, was nun passieren würde.
Mein Blick haftete an der Tür zu Jins Büro.
Unzählige Gedanken flogen mir durch den Kopf. Ich konnte nicht einmal an den Schmerz in meiner Wange denken.
_____
Nachdem Seomin nach etwa einer Viertelstunde völlig bleich aus Jins Büro herausgekommen war und umgehend seine Sachen zusammenpackte und wortlos das Großraumbüro verließ, wurde ich von Jin hineingebeten.
Nervös erhob ich mich von meinem Stuhl und ging mit der blauen Kühlkompresse an meiner Wange, die mir Beomgyu und Yeonjun geholt hatten, in den abgegrenzten Raum.
Jin saß dort bereits auf seiner Couchecke und lächelte mich an, als er mich eintreten sah.
„Tut deine Wange sehr weh?", fragte der Ältere und begutachtete mein Gesicht.
„Es ist nicht so schlimm." Ich guckte mich angespannt um.
Was hatte Seomin zu ihm gesagt? Bekam ich jetzt eine Kündigung? Fristlos? Und Taehyung? Seomin hatte doch bestimmt nicht seinen Namen gehört. Er konnte Jin gar nicht sagen, wen er noch zu kündigen hatte, wenn er dessen Namen nicht kannte, nicht wahr?
Jin runzelte ahnend die Stirn und lehnte sich mit seinen Unterarmen auf seine Oberschenkel, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Jungkook, warum siehst du so aus, als würdest du gekündigt werden?"
Ich sah ihn ein wenig erschüttert an und fragte ungläubig: „Werde ich das nicht?"
Jin blinzelte mich ein paar Mal verdutzt an. „Jungkook, was redest du da? Natürlich nicht. Ich habe mir Seomin vorgenommen und sein Arbeitsvertrag unverzüglich aufgehoben. Wenn er nicht von uns eine Anklage gegen Körperverletzung und versuchter sexueller Belästigung kassieren möchte, ist er schlau genug, das Unternehmen von selbst ohne weiteren Aufruhr zu verlassen."
„Anklage gegen Körperverletzung und versuchter sexueller Belästigung...?"
„Ja. Das, was ich vorhin gesehen habe, war eindeutig. Zudem hat er dich noch bedroht. So etwas kann ich hier nicht dulden!" Jin seufzte, als er realisierte, dass seine Stimme lauter geworden war, und nahm wieder einen ruhigeren Ton an. „Jungkook, was hast du denn gedacht, warum ich dich hier hergerufen habe? Ich wollte nur nach dir sehen."
Ich kam nicht drum herum immer noch eingeschüchtert mit meinen Fingern zu spielen. „I-Ich...Ich dachte, dass du mir kündigen willst, Hyung... Weil...weil ich..."
„Weil du jemanden liebst, der keine Frau ist?", sprach er für mich zu Ende.
„I-Ich..." Ich senkte betroffen den Kopf und nickte schließlich. „Ich... Wir wollten es eigentlich für uns behalten, weil wir nicht wussten, wie die Reaktionen ausfallen würden."
Jin nickte. „Es gibt heutzutage immer noch genug Leute, die eine konservative, altbackende Ansicht teilen. Aber Jungkook, ich gehöre definitiv nicht dazu. TK Investment steht ebenfalls nicht zu Diskriminierung gegen allerlei Menschen."
Mein Gesicht hellte sich auf. „Ich werde wirklich nicht gefeuert, Hyung?"
Er antwortete lachend: „Selbstverständlich nicht. Seomin hat nur deine Ängste durchschaut und wollte sie gegen dich ausspielen. Wenn er damit zu irgendjemanden gegangen wäre, wäre rein gar nichts passiert."
„Danke, Hyung. Danke!"
„Wofür? Mir sollte es leidtun, dass ich dafür gesorgt habe, dass du das Ganze missverstehst. Du bist doch kein Täter, sondern das Opfer. Hier wird dich niemand wegen deiner Sexualität verurteilen. Und wenn doch, bekommt er es mit mir zu tun." Er zwinkerte mir zu. „Zudem bin ich nicht ganz so unschuldig."
Ich sah ihn fragend an.
„Erinnerst du dich an den Kellner im Café?", fragte Jin schmunzelnd.
Also hatte ich mir das wirklich nicht eingebildet.
Der Ältere fuhr fort: „Sein Name ist Namjoon. Ich bin ehrlich mit dir. Ich mag ihn, seitdem ich zum ersten Mal in dieses Café getreten bin. Er ist immer sehr höflich und freundlich, was wahrscheinlich zu seinem Job gehört, aber trotzdem. Ab und zu lächelt er und dann erscheinen immer diese charmanten Grübchen. Hin und wieder reden wir miteinander, aber die Unterhaltungen halten nie besonders lange an, da er eben mitten bei der Arbeit ist. Aber in diesen wenigen Augenblicken bringt er mich zum Lachen und lässt mich alles andere vergessen. Die Themen sind mal trivial, mal tiefgründig, und die verschiedensten Bereiche werden abgedeckt. Ahh, er ist wirklich umwerfend."
Meinen Vorgesetzten über seine Liebe schwärmen zu sehen, war ein eigenartiges Gefühl, aber ich konnte ihn verstehen. Seine Augen spiegelten seine aufrichtigen Gefühle wider. Sie glänzten, während seine Wangen einen schwachen Rosaton annahmen. Nicht zu vergessen das verträumte Lächeln.
So sah jemand aus, der verliebt war.
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Da nur noch 8 Kapitel verbleiben und ich übernächste Woche wieder Uni habe, habe ich beschlossen ab morgen jeden Tag ein Kapitel hochzuladen, damit ich noch vor Vorlesungsbeginn offiziell durch bin.
Ich werde euch im Laufe der Tage auch Informationen zu meiner neuen Geschichte geben. Ich kann euch aber schon mal sagen, dass ich, bevor ich diese veröffentliche, auf jeden Fall eine Pause brauche xd
Mei~
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