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» Jungkook «
Taehyung war wirklich hier.
Und er saß genau eine Reihe vor mir!
Ich schlug mir innerlich gegen die Stirn und redete mir selbst ein, dass das nichts zu bedeuten hatte.
Dass Taehyung Informatik als seinen Studiengang auswählen wollte, wusste ich schon seit der elften Klasse. Er hatte sogar den Informatik Leistungskurs trotz des Rufs, dass es recht anspruchsvoll und mathematisch war, belegt, und letztendlich sogar richtig gut abgeschnitten.
Da er mir gesagt hatte, dass er sich nun doch an derselben Universität beworben hatte, hatte ich mir anfangs Sorgen gemacht, ihm über den Weg zu laufen, da unser Aufeinandertreffen nur unangenehm werden konnte. Doch nach fünf Semestern, in denen ich ihn kein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte, hatte ich irgendwie den Gedanken verdrängt, dass er hier an derselben Universität studierte, bis es sich so anfühlte, als wäre er gar nicht hier eingeschrieben.
Dass der Campus, wo die Fachbereiche Psychologie, Sportwissenschaften, Mathematik und eben auch Informatik stattfanden, woanders lag und eine andere Haltestelle hatte, hatte ich als Grund für unser Nicht-Aufeinandertreffen vergessen. Und selbst wenn, wie wahrscheinlich war es schon sich zu treffen, wenn man auf einem anderen Campus studierte?
Mein Blick fiel wie von selbst auf Taehyungs schwarzen Hinterkopf. Zuerst sehr intensiv, als würde ich ihm ein Loch in den Kopf starren wollen, aber dann fiel meine angespannte Miene wie ein gebrochener Damm zusammen.
Es war wirklich Taehyung.
Ich hatte ihn vermisst.
Ihn nach so langer Zeit wiederzusehen, weckte in mir die unterschiedlichsten Emotionen. Und erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, wie sehr er mir in meinem Leben gefehlt hatte. Nicht wegen meiner romantischen Gefühle gegenüber ihm, sondern in erster Linie als bester Freund.
„Jungkook, ist alles in Ordnung mit dir?", fragte Yoongi neben mir besorgt.
Ich nickte langsam. „Ich...bin okay."
_____
Ich war nicht okay.
Nun, ich war okay. Bis der Professor ankündigte, dass wir als Übung für die Bachelorarbeit eine kleine Hausarbeit schreiben sollten, deren Note fünfzehn Prozent ausmachte und an der wir gemeinsam mit den Informatikern arbeiten sollten, da die Thesis schließlich immer noch Einzelarbeit war. Bis zu diesem Punkt war auch noch alles okay, aber dann wurden die Themen vorgestellt und man sollte sich einfach melden, wenn man sich dafür interessierte. Diejenigen, die sich bei einem Thema meldeten, es sei denn, es waren zu viele, würden automatisch eine Gruppe bilden.
Yoongi und die anderen aus dem Master mussten sich nicht beteiligen, da sie lediglich als Betreuer helfen sollten. Er würde mich also unterstützen unabhängig von der Thematik.
Nur hatte ich nicht erwartet, dass Taehyung und ich uns bei demselben Thema melden würden.
Ich konnte nicht einmal behaupten, dass er das absichtlich getan hatte, weil er vor mir saß und gar nicht sehen konnte, wann ich wo meine Hand hob. Etwas kitzelte in mir, meine Hand schnell herunterzunehmen, doch das kam mir kindisch vor. Es ging immerhin ums Studium. Mein Wunschthema fallen zu lassen, nur weil ich jemandem ausweichen wollte?
Und nun saßen wir zu viert zusammen.
Vielleicht bereute ich es doch ein wenig, aber jetzt war es ohnehin zu spät.
„Jungkook, lass uns die Plätze tauschen, dann kannst du dich mit ihnen besser absprechen", sagte Yoongi zu mir und deutete auf Taehyung und einen anderen Jungen.
Ich nickte zögerlich und sah verstohlen zu Taehyung herüber, der einen Platz weiter saß. Wenigstens hatte ich noch ein kleines bisschen Glück in mir, dass es mir vergönnt blieb, nicht direkt neben Taehyung sitzen zu müssen. Ansonsten hätte ich wirklich nicht gewusst, was mit mir passieren würde. Zu einer Statue erstarren?
Taehyung war im Übrigen genauso verwundert gewesen, als er erfahren hatte, dass wir zusammen in einer Gruppe waren. Seine Reaktion, als wir zum ersten Mal Blickkontakt hatten, als er mit den anderen Informatikstudenten aufgefordert wurde, sich auf einen freien Platz zu setzen, sah genau aus, wie ich mich gefühlt hatte. Verwunderung mit einem Hauch Entsetzen und Ungewissheit, was für einen Einfluss dies jetzt auf unsere Umstände haben würde. Aber gleichzeitig schien der Schock nicht allzu groß zu sein, da auch er gewusst hatte, dass ich Wirtschaftswissenschaften an genau dieser Universität gewählt hatte.
Es fühlte sich an, als schaute ich in einen Spiegel.
Und gleichermaßen, wie ich war auch Taehyung nicht in der Lage etwas zu tun.
Nachdem Yoongi und ich uns umgesetzt hatten, sodass ich nun zwischen ihm und dem Unbekannten mit den silbernen Haaren saß, herrschte kurzes Schweigen, da niemand ein Gespräch eröffnete. Immer wieder tauschten Taehyung und ich unsichere Blicke miteinander aus, als wüsste keiner von uns so recht, wie wir uns in dieser Konstellation verhalten sollten.
Schließlich ergriff der Silberhaarige die Initiative und stellte sich mit einem enthusiastischen Grinsen zu Yoongi und mir vor: „Ich bin Park Jimin und das ist mein Freund Kim Taehyung. Wir studieren beide Informatik."
Sie waren also Freunde.
„Ich heiße Jeon Jungkook", erwiderte ich, und da Yoongi keine Anstalten machte, sich selbst vorzustellen, fügte ich hinzu, „und das ist Min Yoongi. Er ist ein Sunbae aus unserem Fachbereich."
„Nett euch kennenzulernen. Auf eine gute Zusammenarbeit, Jungkook, Yoongi Sunbae!" Jimin lächelte.
Ich nickte mit einem schwachen Lächeln, das unbequem hängenblieb, als Taeyungs und meine Augen sich versehentlich kreuzten, da er sich nach vorne gebeugt hatte, um besser in der Gruppe reden zu können.
Er sah fast genauso aus, wie ich ihn Erinnerung hatte. Mit der Ausnahme, dass er nun etwas reifer aussah. Sein Gesicht war markanter und...männlicher? Die schwarzen Haare unterschieden sich in der Länge kaum, allerdings trug er sie nicht mehr komplett nach unten, sondern er hatte seine vordere Haarpartie in einen Scheitel geteilt, sodass sein Gesicht noch mehr zur Geltung kam.
Taehyung sah wirklich gut aus.
„Wollen wir uns ab morgen in der Bibliothek treffen? Wir können einen Einzelraum für uns reservieren", schlug Jimin vor und lehnte sich zurück, die Arme hinter seinem Kopf gelegt.
Taehyung holte sein Handy aus seiner Hosentasche. „Ich kann schon mal einen reservieren. Auf welchem Campus? Unserer oder-"
„Auf gar keinem Fall bei uns. Die Bib hier ist viel besser."
Taehyung hob verwundert seine Brauen. „Und wann warst du hier, dass du das weißt?"
Jimin lachte. „Ich hatte ein paar Dates hier."
„Wieso frage ich eigentlich?", kommentierte Taehyung und lachte leise.
Ich beobachtete die beiden, ohne es zu merken und verspürte einen Anflug an Enttäuschung. Sie gingen so ausgelassen miteinander um, so familiär und ungezwungen. Ich konnte nicht anders, als mir die Zeiten vor Augen zu rufen, in denen ich an Jimins Stelle war.
Taehyungs Stimme nach einer gefühlten Ewigkeit wiederzuhören, machte es auch nicht besser.
„Jungkook."
Ich schreckte aus meinen Gedanken und drehte mich ein bisschen zu schnell zu Yoongi herum. „Ja?"
„Geht es dir heute wirklich gut? Du bist so abwesend."
„Ich-"
„Du fühlst dich nicht gut?", fragte Jimin und auch Taehyung guckte mich mit großen Augen an.
Taehyungs Blick war weich, aber weil es Taehyung war, fühlte es sich erstechend an, als könnte er mich und mein Gefühlschaos sofort durchschauen.
Zügig schüttelte ich den Kopf. „Alles gut, ich war kurz woanders."
Der Silberhaarige lächelte erleichtert. „Dann ist ja gut. Hat einer von euch was dagegen, wenn wir für heute Schluss machen? Ich muss noch schnell wohin."
Niemand hatte etwas einzuwenden, also tauschten wir noch unsere Nummern aus und einigten uns auf eine Uhrzeit für das morgige Treffen. Dabei fiel mir auf, dass, als ich meine Handynummer aufsagte, Taehyung ebenfalls etwas in sein Handy eintippte.
Hatte er meine Nummer nicht mehr?
Wieso störte mich das?
Vielleicht, weil ich ihn immer noch eingespeichert hatte.
_____
Soweit ich in meinem Apartment ankam, ließ ich mich in mein Bett fallen und stieß einen langen, lauten Seufzer aus.
Obwohl der Tag nicht lang gewesen war, ich war förmlich nur für diese neunzigminütige Veranstaltung in der Universität gewesen, kam es mir so vor, als wäre meine sämtliche Energie in der kurzen Zeit verbraucht worden.
Ich starrte gedankenverloren hoch an die Decke. Eigentlich müsste in meinem Kopf besonders viel los sein, deswegen fühlte er sich wahrscheinlich auch so schwer an, doch ich schaffte es keinen einzigen von diesen Gedanken richtig zu fassen. Wenn ich meine Augen schloss, erwartete mich Taehyungs Gesicht statt der Dunkelheit, die im Gegensatz dazu ganz tröstlich gewesen wäre.
Nach einer Weile setzte ich mich auf und lief ins Bad. Ich drehte den Wasserhahn auf, legte meine Hände aneinander und schaufelte mir das kühle Wasser mehrmals ins Gesicht, bis ich das Gefühl hatte, dass es genug war. Während das Wasser im Hintergrund noch lief, stützte ich mich mit meinen beiden Händen an dem Rand des Beckens ab und starrte mich selbst in dem Spiegel an.
Meine Haarspitzen klebten mir vorne an der nassen Stirn, Wasser tropfte meine Wimpern herunter.
So wie heute durfte es auf gar keinen Fall weitergehen.
Yoongi hatte mich natürlich sofort durchschaut.
Taehyungs plötzliches Erscheinen hatte meine scheinbar heile Welt stark ins Schwanken gebracht. So sehr ich es auch herunterspielen wollte, es war einfach Fakt, dass ich mit der Situation maßlos überfordert war.
Damals schon, und heute war es genauso.
Aber so durfte es nicht weitergehen.
Auch wenn Taehyung nicht vollkommen unberührt war, schien er seine Gefühle besser herunterspielen zu können. Wenn ich das nicht bald ebenfalls auf die Reihe bekam, würde nicht nur meine eigene Leistung darunter leiden, sondern auch die von Taehyung und Jimin.
Ich fuhr meine Hand durch meine feuchten Haare, sodass die vordere Haarpartie meine Stirn freilegte. Der Funken in meinen Augen hätte als entschlossen und selbstbewusst interpretiert werden können, doch womöglich hätte Trotz besser als Beschreibung gepasst.
„Reiß dich zusammen, Jungkook."
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Was soll schon schiefgehen? 🙂
Morgen kommt das nächste Kapitel ^-^
Mei~
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