1 ۵
» Jungkook «
„Herzlichen Willkommen zum neuen Semester, liebe Studentinnen und Studenten. Für die meisten wird es das letzte Semester an der Universität sein." Der Professor lächelte in die Runde des großen Hörsaals. „Freuen Sie sich schon auf das langweilige Leben eines Vollzeitarbeiters?"
Ein paar Studenten stöhnten ablehnend auf, andere jubelten bei der Aussicht nicht mehr lernen zu müssen.
Ich gehörte weder in die eine noch in die andere Gruppe.
Mein Leben als Student war fast vorbei. Innerhalb eines Wimpernschlags waren fünf Semester an mir vorbeigezogen, zweieinhalb Jahre. Eine Zeit, die ich mir damals als Schüler wesentlich spaßiger und spannender vorgestellt hatte.
Doch nach dem Zwischenfall war ohnehin einiges etwas anders gekommen als erwartet.
Der Professor verschränkte seine Arme hinter seinem Rücken und lief vor unseren Sitzreihen, die nach hinten hin höher wurden, auf und ab. „Dieses Semester werden Sie hauptsächlich an Ihrer Bachelorthesis arbeiten. Schon bald können Sie Ihren Antrag bei einem von Ihnen bevorzugten Dozenten einreichen. Soweit das Organisatorische und Formelle erledigt ist, werden Sie Zeit bekommen die Bachelorarbeit zu schreiben. Am Ende folgen die Präsentation und Verteidigung der Thesis. Das wissen Sie womöglich alles schon, daher soll sich diese Sitzung auf das Neue fokussieren."
Bei der Erwähnung des Neuen wurden die Studenten unruhig. Diese Informationsveranstaltung, die die einzige Pflichtveranstaltung im sechsten Fachsemester darstellte, sollte den Studierenden lediglich noch einmal zeigen, wie man sich für die Bachelorarbeit anmeldete. Ein kurzer Guide.
Von etwas Neuem hatte hier niemand etwas gehört. Daher war es nur verständlich, dass die Menge verwirrt war.
Ich stützte meinen Kopf auf meiner Hand ab und schaute aus den großen Fenstern des Hörsaals heraus in den Campus. Von hier oben konnte man auf den großen Platz und den Wasserbrunnen sowie das Gebäude der Cafeteria sehen. Besonders im Sommer waren viele Studenten auf dem Universitätscampus unterwegs, da dieser für jeden offenstand. Auch nicht-immatrikulierte Leute durften sich auf dem Gelände aufhalten, ob nun zum Durchjoggen, Spazieren, Essen in der Kantine oder Sonstiges. Man musste lediglich einen Studentenausweis vorzeigen, wenn man in die Bibliothek oder in bestimmte Gebäude wollte. Und das Essen in der Kantine war für Außenstehende etwas teurer.
„Normalerweise dürfen sich die Studierenden zwischen einer normalen Literaturrecherche und einer empirischen Arbeit entscheiden. Bei einer empirischen Arbeit ist die Besonderheit, dass Sie selbst Daten erheben müssen und diese durch Programmierung darstellen müssen. Eine schwere Aufgabe für diejenigen, die nicht programmieren können, aber sie bietet dafür viel Freiheit und meist eine bessere Note."
Die Freude in dem Saal hielt sich in Grenzen. Genau genommen freute sich niemand so wirklich. Diejenigen, die ohnehin empirisch arbeiten wollten, war es gleichgültig, und diejenigen, die auf gar keinen Fall etwas Empirisches machen wollten, waren am Boden zerstört. Die meisten hatten gehofft einfach ein Thema zu bekommen, ein paar Quellen, ein paar Seiten Text und fertig.
Der Professor lächelte tröstlich. „Machen Sie sich keine Sorgen. Der Fachbereich möchte Ihnen natürlich nicht noch mehr Steine in den Weg legen. Sie gehören zum Studiengang Wirtschaftswissenschaften nicht Informatik. Aber das Erlernen von den Grundlagen der Programmierung kann nur ein Vorteil für Ihr spätes Arbeitsleben werden. Und Sie werden nicht allein ins kalte Wasser geworfen."
Damit ging er zur Tür und öffnete diese, um scheinbar jemanden hereinzulassen.
„Sunbae?"
„Sind das nicht die Sunbaes aus dem Master?"
Nun wandte ich mich doch von dem Geschehen außerhalb des Hörsaals ab und lenkte meine Aufmerksamkeit nach vorne.
Tatsächlich strömten in dem Moment einige Studenten aus den höheren Semestern hinein.
Meine Augen wurden groß, als ich ein vertrautes Gesicht unter ihnen erblickte.
„Ich habe ein paar Ihrer Kommilitonen aus dem Master, die dieses Semester ihre Masterthesis schreiben, darum gebeten, Ihnen ein wenig unter die Arme zu greifen." Er wandte sich an diese. „Sie können sich zu ihnen setzen. Ich erwarte noch mehr Gäste, bevor ich fortfahren kann."
Die neuangekommenen Studenten gingen der Aufforderung nach und mischten sich unter ihre Hobaes, die bei der Aussicht mit den Studenten des Masters zusammen zu arbeiten ein wenig besser gestimmt waren. Sofort verwickelten sie sie in neugierige Gespräche, immerhin bekam man nicht jeden Tag die Möglichkeit mit ihnen zu reden. Sie schienen auf einem völlig anderen Niveau zu sein.
Währenddessen blieb mein Blick auf einer bestimmten Person gerichtet, bis diese durch meine Reihe ging, seinen Rucksack absetzte, den Tisch herunterklappte und sich neben mich auf den Platz setzte.
Der Schwarzhaare legte seine Arme verschränkt vor sich auf den Tisch und legte dann seinen Kopf auf diese, die Augen verschlossen, als würde er schlafen wollen.
Ich starrte ihn entgeistert an. „Yoongi Hyung!"
Dieser reagierte nicht und begann regelmäßig zu atmen.
Empört rüttelte ich an ihm. „Hyung, willst du mir nicht etwas sagen? Warum bist du hier? Du musstest bestimmt früher davon wissen. Warum hast du mir nichts gesagt? Hyuuung...! Schläfst du wirklich??"
Ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, was mich frustriert aufseufzen ließ. Da ich ihn jedoch kannte und verstand, dass man nichts aus ihm herausbekam, wenn er erst einmal ein Nickerchen machen wollte, ließ ich von ihm ab, verschränkte die Arme vor meiner Brust und lehnte mich in meinem Sitz zurück.
Yoongi war ein Masterstudent im selben Fachbereich und würde dieses Semester fertig werden, während ich meinen Bachelor abschließen würde. Er war auf seine Art und Weise speziell. Kalt und unnahbar. Eigentlich sollte ich gar nicht mit ihm befreundet sein. Nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil es unter normalen Umständen nicht möglich gewesen wäre. Zumindest in den Augen aller anderen.
_____
Der Sommer war vorbei.
Womöglich der härteste Sommer, den ich jemals in meinem Leben gehabt hatte.
Normalerweise hätte ich mich jeden einzelnen Tag mit Taehyung getroffen und etwas mit ihm unternommen, aber nach dem Zwischenvorfall war alles anders gewesen. Es war nicht wirklich die Schuld von irgendeinem von uns. Es war einfach nur unglaublich schwer, so weiterzumachen wie bisher.
Für mich war es schwer ihn anzugucken und zu wissen, dass ich ihm meine Liebe gestanden hatte, was ein Fehler war. Obwohl er keinen Ekel oder ähnliches zeigte, war es mir einfach selbst total unangenehm. Und auch er schien nicht genau zu wissen, wie er sich in meiner Anwesenheit verhalten sollte.
Und so distanzierten wir uns beide voneinander, als hätten wir im Stillen eine Abmachung gemacht.
Unsere Klassenkameraden hatten irgendwann aufgegeben, uns zu fragen, was zwischen uns passiert war.
Unser Freundeskreis teilte sich auf eine harmonische Art, als wäre es ganz natürlich gewesen. Kein Groll, keine Streitereien.
Fast so, als hätte es Taehyung und Jungkook nie gegeben.
Unsere Eltern ließen uns nach einer Weile allein, bis niemand mehr nachfragte.
Statt Erleichterung bedrückte mich diese Lebensumstellung noch mehr. Wie einfach es doch gewesen war. Wie einfach sich unser Umfeld daran gewöhnt hatte, während ich jede Nacht an die schönen Zeiten denken musste und mich fragte, ob Taehyunng in derselben Situation war.
Ich konnte mit niemanden reden. Denn, immer wenn ich Probleme hatte, war es Taehyung, mit dem ich redete. Aber an wem sollte ich mich wenden, wenn mein Problem mit Taehyung zusammenhing?
Den ganzen Sommer fühlte ich mich wie eine Hülle.
Und dann kam endlich der erste Tag an der Universität.
Ich war pünktlich. Ich hatte nichts vergessen. Und ich wusste, wohin ich musste.
„Schnell wir müssen los!", riefen ein paar, scheinbar aus einem höheren Semester, Studenten, die auf einer Bank saßen.
„Der Prof in dem Modul soll mega streng sein. Wenn man am ersten Tag zu spät kommt, lässt er einen nicht teilnehmen..."
„Was? Aber ohne das Modul darf man das Seminar nicht machen und ohne das darf man die Bachelorthesis nicht schreiben."
Studenten aus dem fünften Semester?
„Deswegen sollten wir los."
Die Gruppe erhob sich bereits, griff nach ihren Sachen und wollte in Richtung Hörsaalzentrum geben, wo auch ich hinsteuerte.
„Wartet. Was ist mit ihm?" Ein Mädchen zeigte auf den Jungen, der als Einziger sitzengeblieben war und seine Augen geschlossen hatte.
Die anderen Jungen lachten nervös. „Wir sollten ihn nicht aufwecken."
„Wieso? Ist das nicht Min Yoongi? Er hat mit uns das erste Semester damals angefangen, oder?"
Ein anderes Mädchen nickte. „Stimmt. Er ist der Gutaussehende, der immer in der Vorlesung in der ersten Reihe direkt vor dem Prof einschläft."
„Was soll mit ihm sein? Warum seht ihr so aus, als hättet ihr Angst vor ihm?"
Die Mädchen waren sichtlich verwirrt, während die Jungen zögerten.
In dem Moment wusste ich auch nicht, warum ich stehenblieb und sie aus der Ferne beobachtete. Ich wollte die älteren Studenten überhaupt nicht belauschen, aber aus irgendeinem Grund wollten meine Füße sich nicht weiterbewegen.
„Er ist ganz nett, aber ziemlich distanziert. Hängt meistens allein ab, und sagt nicht mehr als nötig."
„Aber es ist doch nicht schlimm, wenn man eher ein Einzelgänger ist? Er ist doch auch mit uns mitbekommen, als ihr ihn vorhin gefragt habt?"
„Deswegen sagen wir ja, dass er ganz nett ist. Nur sollte man ihn wirklich nicht wecken, wenn er schläft. Er rastet zwar nicht aus und wird auch nicht handgreiflich, aber sein Blick spricht Bände...!" Während einer der Jungen dies sagte, gestikulierte er wild mit seinen Händen herum und blickte übertrieben finster hinein, um die Situation zu beschreiben.
Die Mädchen tauschten einen irritierten Blick aus und lachten dann. „Was ist mit euch? Ihr ärgert ihn doch bestimmt nur. Habt ihr das schon persönlich mitbekommen?"
„Nein...das nicht, aber ich möchte nichts riskieren. Ihr könnt ihn ja wecken. Vielleicht ist er bei Mädchen netter."
Doch obwohl die Studentinnen dem Gesagten nicht wirklich Glauben schenkten, schienen sie trotzdem nicht so angetan zu sein. Nach einer Weile beschloss die Gruppe schließlich wirklich zu gehen, ohne den schlafenden Schwarzhaarigen zu wecken.
Ich runzelte die Stirn und näherte mich beinahe unbewusst zu der schlafenden Person, bis ich einen Schritt vor ihr zum Stehen kam.
Er saß aufrecht auf der Bank und lehnte sowohl gegen die Rückenlehne als auch links gegen die Armlehne. Seine Arme waren vor seiner Brust verschränkt und sein Kopf hing ein wenig zur Seite. Obwohl die Position nicht besonders gemütlich aussah, schien er seelenruhig zu schlafen, ohne jegliche Bedenken.
„Was ist mit denen? Sie meinten, es sei ein wichtiges Modul, aber trotzdem lassen sie ihn hier schlafen...?", murmelte ich. „Soll ich ihn wecken?"
Ohne länger nachzudenken, wer wusste schon, wie spät dieser Sunbae war, streckte ich meinen Arm aus und legte meine Hand auf seine Schulter, um ihn sanft wachzurütteln. Zu meiner Überraschung brauchte es nicht viel, um ihn zu wecken.
Kaum hatte ich ihn einmal berührt, trafen meine Augen plötzlich auf seine, als er sie öffnete und mir mit starrer Miene entgegenblickte.
Ich hatte nicht mit einem so leichten Schlaf gerechnet, dass meine Stimme ein wenig zitterte, als ich sagte: „I-Ich glaube, du kommst zu spät, Sunbae..."
Für einen Augenblick blieb ich in meiner Bewegung verharren, dass ich sogar vergaß, dass meine Hand noch auf seiner Schulter lag. Und als ich es dann endlich realisierte, zog ich sie dermaßen schnell zurück, als hätte ich mich gerade verbrannt.
Der Schwarzhaarige schaute unbeirrt auf seine Armbanduhr und stand dann auf. Zunächst dachte ich, dass er einfach gehen würde, da er bereits ein paar Schritte vorwärts gegangen war, doch dann drehte er sich auf einmal halb nach hinten herum.
„Danke."
Ich blieb wie angewurzelt stehen.
Nicht nur hatte er nicht finster hineingeschaut, sondern er hatte auch noch gelächelt.
_____
Und so wurden wir irgendwie Freunde.
„Darf ich Sie wieder um Ihre Aufmerksamkeit bitten?", sagte der Professor ins Mikro, nachdem er zurück in den Hörsaal kam, den er zuvor kurz verlassen hatte.
Nach und nach wurden die Studenten ruhig und warteten ab, was noch passieren würde.
„Da es um Programmierung geht, dachte ich mir, dass wir uns mit dem Informatik Fachbereich zusammenschließen können, die wir wiederum bei der Datenerhebung unterstützen können."
Etwas stimmte ganz und gar nicht. Das fühlte ich auf Anhieb, als der Professor weitergesprochen hatte.
Der Dozent lief ein weiteres Mal zur Tür und öffnete sie. Umgehend traten nach und nach Leute ein, die ebenfalls Studenten sein mussten.
Und umso mehr Leute hineinströmten, desto mehr erstarrte ich.
Als hätte Yoongi meine Anspannung gespürt, öffnete er seine Augen und sah mich von der Seite an, aber ich war nicht in der Lage meine Augen von der Tür abzuwenden. Nicht, solange ich mir nicht sicher war.
„Jungkook?" Er ahnte, dass etwas nicht stimmte und setzte sich aufrecht hin. „Was ist los?"
Immer mehr und mehr Studenten betraten den Saal. Für einen Moment dachte ich, dass meine Befürchtung vielleicht doch nicht wahr werden würden.
Informatik...
Vielleicht war Taehyung doch an eine andere Universität gegangen. Vielleicht war er gar nicht hier.
Immerhin hatte ich nichts mehr seit unserem Abschluss von ihm gehört.
Es konnte doch sein, dass er nicht hier-
Meine Gedanken, die wild umherflogen, blieben stehen und zersplitterten dann wie eingeschlagenes Glas in dutzende, hunderte und tausende Scherben.
Bevor ich meine Hoffnung zu Ende definieren konnte, trafen meine Augen auf seine Augen.
Taehyung.
Taehyung war hier.
_____________________
Und das war das 1. Kapitel von diesem Buch. Eine kleine Einführung in das Studentenleben, zumindest angenähert. Hoffentlich ist das nicht allzu langweilig für euch xd
Yoongi wurde eingeführt und Taehyung ist auch schon da...ja, so schnell kann das alles gehen :D
Was ich noch loswerden wollte, es kann sein, dass diese Geschichte mehr "Nacherzählungen/Beschreibungen" beinhaltet, gerade am Anfang, weil Jungkook noch so in Erinnerungen schwelgen soll, immerhin sind ein paar Jahre vergangen und wir wissen so gut wie nichts haha
(Das nächste Kapitel kommt dann diesen Donnerstag)
Mei~
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro