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Der Typ war dermaßen von dem neuen Gesicht, das ohne Vorwarnung vor ihm aufgetaucht war, überrascht, dass er augenblicklich zurückschreckte.
Yoongis Handfläche brannte ein wenig und sein Arm schmerzte durch den plötzlichen Druck auf seine Gelenke. Das Gefühl glich, wenn man mit seinem Ellenbogen ruckartig gegen einen Tisch stieß, woraufhin sich der Arm kurz durch die eingeklemmten Nerven komisch und unangenehm anfühlte.
„Yoongi Hyung...!", stieß Jimin hinter ihm geschockt aus.
„Du! Misch dich nicht in die Angelegenheiten anderer ein. Das hier geht dich nichts an", giftete der Typ ihn zur selben Zeit an.
Yoongi verzog keine Miene, wie immer behielt er seinen starren Ausdruck auf seinem Gesicht. „Er ist ein Freund von mir."
Der Typ konnte Jimins selbstgefälliges Gesicht bereits nicht leiden und jetzt war noch jemand aufgetaucht, dessen Miene ihn auf eine andere Art aufregte.
„Entweder du gehst aus dem Weg oder du bekommst meine Faust ab", drohte er Yoongi.
Dieser machte jedoch keine Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen.
Der Kleinere von den beiden Fremden war hinter seinem Freund geblieben und hatte sich vollkommen zurückgezogen, als wäre es nicht erst überhaupt seine Schuld, dass es so weit gekommen war.
Der Typ biss die Zähne fest aufeinander und brüllte sogar dabei auf, als er auf Yoongi stürmte, die Faust ausgeholt, bereit mit ganzer Kraft zuzuschlagen.
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Jimin verließ den Convenience Store mit einer kleinen Plastiktüte in den Händen und setzte sich auf die Bank neben Yoongi, die direkt rechts vor dem Laden stand. Er legte die Tüte auf seinen Schoß, drehte sich etwas zu ihm und seufzte bei dem erneuten Anblick der Platzwunde.
Durch das grelle, weiße Licht des Geschäfts, das durch die große Glasfassade bis nach draußen leuchtete, konnte er die blutige Lippe nun genauer betrachten, und tatsächlich sah es bei Helligkeit schlimmer aus als in der dunklen Gasse. Genauso wie bei ihm selbst war Yoongis Unterlippe durch einen Schlag aufgeplatzt. Seine eigene war noch nicht geheilt, ein Riss war noch zu erkennen und die Lippe war etwas dicker als im Normalzustand.
Man könnte meinen, dass die beiden im Partnerlook waren. Beide angeschwollene Lippen.
„Du hättest nicht eingreifen sollen, wenn du nicht kämpfen kannst, Hyung", sagte Jimin in einem tadelnden Ton kleinlaut, während er die gerade gekauften Utensilien auspackte.
Yoongis Blick haftete auf den Jüngeren, während dieser ein Taschentuch auspackte und das noch laufende Blut an seinem Mund abtupfte, um die Lippe säubern zu können. Der Silberhaarige sah dabei äußerst fokussiert aus, wie er das Stück Papier vorsichtig gegen die Stelle tupfte.
„Ich wollte helfen."
„Ja, und du hast dir dabei wehgetan, Hyung", entgegnete Jimin mit einem verwerflichen Unterton.
Er holte eine Flasche aus bräunlichem Glas heraus sowie ein langes Wattestäbchen, das er in die Flüssigkeit der Flasche drängte. Anschließend verteilte er diese auf die Wunde, woraufhin Yoongi ein bisschen aufzuckte und die Stirn runzelte, um sein Missfallen auszudrücken.
Es brannte wie verrückt.
Doch Jimin zeigte keine Gnade und hörte nicht auf, bis er sich sicher war, dass die Stelle genügend desinfiziert wurde. Daraufhin holte er noch eine weiße Tube aus der Tüte, die gerade einmal so groß war wie ein kleiner Finger, und schmierte mit einem neuen Wattestäbchen eine kleine Menge von der Salbe auf die Wunde. Diese fühlte sich auf Yoongis Lippen kühl an und sorgte dafür, dass es dort ein wenig kribbelte.
Als auch dieser Schritt erledigt war, holte er noch als letztes ein kleines, beiges Pflaster heraus, das an den Klebeenden durchsichtig war, sodass es kaum auffiel.
„So, fertig." Zufrieden mit sich selbst packte er den ganzen Müll zurück.
Yoongi starrte ihn immer noch an. Er kam nicht darum herum, intensiv auf die aufgeplatzte Lippe des Silberhaarigen zu gucken, und sich dabei zu fragen, ob er diese Wunde durch eine exakt gleiche Situation bekommen hatte.
Das, was er mitbekommen hatte, verlieh ihm immer noch einen seltsamen Geschmack in seinem Mund.
Den Jimin, den er vorhin in der Gasse gehört hatte, war so völlig anders als er die letzten Tage, in denen sie zusammengearbeitet hatten, von ihm gewohnt war. Von seiner Freundlichkeit und der stets guten Laune war keine Spur gewesen. Obwohl sein Tonfall immer noch etwas Verspieltes gehabt hatte, so hatte es eher so geklungen, als hätte er sich über die andere Partie lustig gemacht, ihn belacht und als minderwertig erachtet.
Zudem hatte er die Anfangssituation nicht vergessen.
Jimin war ganz allein in eine Bar gegangen und hatte diesen völlig fremden Menschen geküsst, und sie hatten sogar vorgehabt, zusammen in ein Motel zu gehen...!
Den Rest der Nacht konnte sich Yoongi auch so ausmalen.
Da er all das nicht ansprechen konnte und genauso wenig wollte, fragte er stattdessen nach einer Weile, in der sie einfach nur schweigend nebeneinandersaßen: „Passiert dir das öfters?"
Jimin warf ihm zunächst einen überraschten Blick zu, seine Augen wurden ganz groß und die Brauen gingen in die Höhe. Doch dann brach er in Gelächter aus, was ihn so aussehen ließ wie den Jimin, den er Yoongi und Jungkook normalerweise sehen ließ.
Aber Yoongi erkannte einen dunklen Funken in diesen sonst so aufrichtigen Augen.
„Hyung, fragst du gerade, ob ich öfters geschlagen werde, weil ich mich auf irgendwelche Typen einlasse?" Nach seinen Worten lachte er noch etwas länger, bevor er schmunzelnd den Kopf schüttelte, als könnte er nicht glauben, wie unfassbar witzig das war.
Yoongi verzog sein Gesicht zu einer strengen Miene, Falten bildeten sich auf seiner Stirn. „Jimin."
Der ernste Tonfall des Älteren unterbrach das gekünstelte Lachen.
Jimin stieß einen langen Seufzer aus und zuckte mit den Schultern. „Ab und zu."
„Das da?", fragte er stumpf und zeigte auf die Lippe des Silberhaarigen.
„Das?" Jimin schnalzte mit der Zunge. „Erinnerst du dich an den Kellner von dem Restaurant, wo wir alle zusammen gegangen sind, Hyung? Ich habe mich danach mit ihm getroffen, aber plötzlich ist da so ein Typ aufgetaucht, der ihn mochte. Er hat ihn angefleht, seine Gefühle zu erwidern, aber er wollte nichts von ihm. Abgewiesen und enttäuscht hat er seinen Ärger an mich ausgelassen, dabei kennt er mich nicht einmal. Denkst du, es ist mein Gesicht, das schuld ist? Sollte ich eine Schönheitsoperation machen?"
So ernst es angefangen hatte, so albern konnte es dennoch enden.
Als Jimin Yoongis durchdringenden Blick sah, lächelte er lediglich. „Es ist nicht so, als würde ich dem Ärger hinterherlaufen. Er läuft mir hinterher. Ich gerate einfach immer an die falschen Typen, schätze ich. Entweder sie sind Arschlöcher oder ihr Umfeld ist es. So oder so bin ich derjenige, der den Ärger abbekommt. Wer weiß, vielleicht bin ich dazu verdammt, bis ans Ende meines Lebens allein zu bleiben? Ungeliebt, aber immerhin keine aufgeplatzte Lippe."
Yoongi fühlte sich nicht wohl, ihn so zu sehen.
Die Art und Weise, wie Jimin mit ihm sprach, wie er sich dabei verhielt und sich bewegte, war alles eine künstlich erstellte Fassade, die etwas Schmerzhaftes, etwas viel emotional Komplexeres verbarg.
Da steckte noch viel mehr hinter Park Jimin.
Yoongi hatte es von Anfang an gemocht, in Jimins Nähe zu sein. Neben Jungkook war er der Erste gewesen, der offen mit ihm geredet hatte. Aufgrund seiner eigenen Persönlichkeit und seines stoischen Gesichts, das auf andere kalt und distanziert wirkte, hatten ihn die Leute immer gemieden. In der Schule hatten ein paar Mitschüler versucht, sich ihm anzufreunden, aber er fand schnell heraus, dass sie nur mit ihm redeten, weil alle mitbekommen hatten, dass er aus sehr reichem Hause war. Die kurze, naive Freude eines jungen Yoongis hatte ihm nicht geholfen, sich zu lockern. Also versuchte er es auch gar nicht erst.
Jungkook war sein erster richtiger Freund gewesen, trotz ihres Altersunterschieds.
Aber Jimin war wirklich sonderbar gewesen. Er war so voller Lebensfreude gewesen. Sein Grinsen, das immerzu seine Augen erreichte, bis man selbst auch strahlen wollte, und seine Aufgeschlossenheit, die keine Grenzen kannte, fühlte sich für ihn wie eine frische Brise an. Es hatte ihn anfangs überfordert, dass er immer so viel und schnell zu ihm gesprochen hatte, ohne jemals eine Antwort zu erwarten. Meistens war der Kontext auch sehr willkürlich. Als hätte er sofort durchschaut, wie Yoongi war, ließ er sich nicht von seinem Schweigen beirren.
Yoongi hatte es gefallen, ihm einfach zuzuhören.
Und es hatte ihm gefallen, dass Jimin wusste, dass er ihm zuhörte.
„Was ist mit mir?" Die Frage kam aus dem Nichts und wurde mit einer dermaßen beiläufigen Tonlage gestellt, dass Jimin erst nicht realisierte, dass ihm eine gestellt worden war, geschweige denn, was sie bedeutete.
„Was meinst du?", fragte Jimin perplex.
„Ich möchte, dass du es mit mir versuchst."
Jimin brach in lautes Gelächter aus, bis sein Bauch schmerzte, allerdings verstummte er, als merkte, dass Yoongi keine einzige Miene verzog. Er räusperte sich, schaute ihn durchdringend an und legte den Kopf schief, die Augen skeptisch zusammengekniffen. „Weißt du, was du da sagst, Hyung?"
Yoongi nickte ausdruckslos.
„Hyung, liebst du mich etwa?", fragte er vollkommen neutral.
Nichts an seiner Stimme oder in seinem Gesicht verriet, was er dachte, sodass es unmöglich war, zu wissen, welche Antwort er am liebsten hören wollte.
Der Schwarzhaarige hatte nicht mit dieser Direktheit erwartet und war dementsprechend für den einen Moment zu geschockt, um etwas zu sagen.
Doch selbst wenn es nicht der Schock gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich dennoch nicht sofort antworten können.
„Ich...Ich weiß es nicht", stieß er schließlich wahrheitsgemäß hervor.
Den Vorschlag hatte er geäußert, ohne wirklich darüber nachzudenken.
Er hatte nur gewusst, dass er es wollte.
Yoongi hatte Jimin angesehen, und in seinem Herzen war etwas aufgegangen, was ihm dazu verleiht hatte, diesen abwegigen Vorschlag zu machen, der selbst, nachdem er aus seinem eigenen Mund kam, völlig fremd wirkte, als hätte er lediglich einer anderen Person zugehört. Gleichzeitig fühlte es sich nicht falsch an.
Jimins Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. Es hörte sich dieses Mal jedoch schneidend an, als würde zwanghaft jemanden verletzen wollen. „Du liebst mich nicht, aber du willst, dass wir es miteinander versuchen? Als Paar? Als Lovers? Hör zu, Hyung, könntest du das überhaupt? Könntest du jetzt sofort mit mir in ein Motel gehen? Wärst du dazu in der Lage?"
Ein Motel konnte nur eine Sache heißen.
Auch wenn Yoongi keinerlei Erfahrungen hatte, was Liebe, Beziehungen oder Sex anging, so war er absolut nicht naiv.
„Ich kann", antwortete er leiser, aber nicht unsicher.
Jimin verschluckte sich an seinem eigenen Speichel. Aus irgendeinem Grund schaffte Yoongi es heute, ihn gleich mehrmals aus der Ruhe zu bringen.
Sein Plan war es, ihn zu verschrecken. Ihn einen Funken seiner schlechten Seite zu zeigen, damit Yoongi es bereuen und nie wieder mit ihm reden würde, um sich selbst zu schützen, da er das Gefühl hatte, dass der Ältere ihn mit einem einzigen Blick durchschauen konnte. Und vielleicht hatte er sich ein wenig amüsieren wollen. So ein ernstes Gesicht in Verlegenheit zu bringen, war befriedigender als erwartet.
Aber nun ging es ihm doch zu weit.
Jimin lachte zynisch. „Ich stehe nicht auf Tops."
Damit erhob er sich von der Bank und wollte einfach davongehen.
Doch plötzlich rief Yoongi hinter ihm: „Ich kann auch Buttom sein."
Der Kleinere erstarrte in seiner Bewegung. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb sein Herz aus und er vergaß zu atmen. Seine Brust wurde grundlos schwer und heiß.
Er biss die Zähne fest aufeinander, führte seine Hand an seine Brust und krallte sich in den Stoff. Dieses Gefühl gefiel ihm nicht.
Es machte ihn durcheinander, verunsicherte ihn und machte ihn wütend.
Ruckartig schwang er herum und lief die wenigen Schritte, die er sich von dem Schwarzhaarigen entfernt hatte, zurück. Mit einem Mal packte er den anderen schroff am Kragen seines Oberteils und zog ihn mit überraschender Kraft ein Stück zu sich nach oben, da dieser immer noch auf der Bank saß.
Seine Stimme war tief und rau, seine Augen düster und kalt, als er jedes einzelne Wort betont zischte: „Erwähn das nie wieder."
Bevor Yoongi reagieren konnte, wurde er harsch zurück auf die Bank geworfen, dass ihm kurz die Luft wegblieb.
Jimin stampfte davon, ohne sich ein letztes Mal umzudrehen, und ließ ihn allein zurück.
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Ich bin gespannt, was ihr von Yoonmins Umständen haltet und von Jimins "Persönlichkeit"
Mei~
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