
☆Oskar☆ ☆4☆
"Möchten Sie Ihren Sohn denn nicht begleiten?" Die Frau verzieht ihr Gesicht, schaut zu mir.
Versucht meine Gefühle zu lesen, doch da sind keine.
Weiß nicht, was sie erwartet, in meinem Gesicht zu finden.
Papa wird nicht mitkommen, das ist mir schon klar.
Nur einmal war er dabei, einmal.
Enttäuschung.
Er war enttäuscht, da ich nicht der bin, der ich sein soll.
"Komm mit Oskar."
Der Polizist reicht mir seine Hand.
Ich zucke zurück.
Schaue ihn an, möchte nicht, dass auch er enttäuscht ist.
"Der schafft das schon. Ich muss eine Beerdigung organisieren. Das ist wichtiger!"
Papa greift nach Stevens Hand, zieht ihn provokant an uns vorbei.
Er lässt es zu, hat keine Schmerzen.
Stevens Blick haftet auf mir.
Kann nicht verstehen, was er fühlt, was er mir sagen will.
Allein.
Sie lassen mich allein zurück mit fremden Menschen.
Der Polizist geht in die Hocke, schaut mich an:
"Ohne Hand?"
Ich nicke.
"Ich muss noch viel lernen!"
Ein Augenzwinkern, ein Lächeln.
Warum muss er noch lernen?
"Möchtest du noch irgendetwas mitnehmen?"
Der Arzt legt den Kopf schief.
Alex war sein Name.
Ob er mich untersucht?
Meine Gestörtheit feststellt?
Mama.
Ich muss Tschüss sagen.
Immer, egal was passiert.
Wende mich ab, laufe zum Badezimmer.
Lasse mich auf die Knie fallen, streiche über den Boden.
Verabschiede mich.
Fahre mit meinen Fingerkuppen über die Fugen.
Sie ist frei, ich darf noch nicht.
"Oskar? Was machst du?"
Moritz kommt neben mir zum Stehen.
Sieht man doch.
Verabschieden.
☆☆☆☆☆☆☆☆
"Haben Sie uns einen Kindersitz für Oskar?"
"Nein!"
Papa öffnet für Steven die Türe, damit er in das Auto einsteigen kann.
"Wie meinen Sie das?"
Der Arzt kratzt sich am Kopf.
Muss sich wohl mal wieder waschen.
"Ich habe nur einen Sitz in meinem Auto. Ich.... Ich habe Oskar nie mitgenommen".
Ja, mit Mama bin ich immer mitgefahren.
Papa hat nur Steven mitgenommen.
"Dann besitzen Sie nur einen Kindersitz?"
Der Polizist rollt seine Augen.
"Nein. Im Auto meiner toten Frau gibt es noch einen!"
Wütend.
Wütend steigt er in sein Auto und fährt davon.
Ich prüfe die Gesichter, weiß nicht, was wir jetzt machen.
"Das..."
Sprachlos.
Die Frau findet keine passenden Worte, sie spricht nicht weiter.
Meine Worte könnte ich ihr schenken, ich brauche sie nicht.
Laufe los zu der Garage, mit dem Wissen, dass das Auto nie abgeschlossen ist.
Das Garagentor ist zu schwer, ich zu schwach.
"Warte, ich helfe dir!"
Der Polizist tritt an meine Seite, ist wieder dort, wo ich bin.
Wie ein Schatten, der mich verfolgt.
Versucht, mich zu beschützen.
Er kann das Tor öffnen, ist nicht zu schwach.
Ich öffne die Türe des Autos, klettere auf meinen Sitz, auf der rechten Seite, neben Mama.
Starre auf ihren Platz.
Sie ist frei.
"Da sagt nochmal einer, der Junge hätte keine Gefühle!"
Böse oder traurig?
Kann das Gesicht des Arzt nicht sehen.
Gefühle.
Gefühle habe ich.
Nur anders als normal.
"Hey, Oskar. Komm mit mir mit. Du darfst heute mit dem Streifenwagen fahren!"
Der Polizist starrt mich an.
Ich folge seiner Erwartung, auch wenn er nicht schreit.
Rutsche vom Sitz hinunter, stelle mich neben das Auto.
Moritz nimmt den Sitz und schließt die Türe.
Komisch.
Etwas ist anders in meinem Körper.
Es tut weh und es wird unangenehm warm.
Weiß nicht was es zu bedeuten hat.
Lehne mich gegen die Mauer.
Kälte.
Die Kälte lässt mich spüren, dass ich da bin.
Verdrängt die betäubende Wärme.
"Oskar?"
Der Arzt steht neben mir.
Schaut mich an.
Wieder nicke ich.
So viel habe ich schon lange nicht mehr meinen Kopf bewegt, um "ja" zu sagen.
"Was hat er denn?"
Die fremde Frau ist nicht zu sehen, aber ich kann sie hören.
"Gefühle hat er. Weiß nicht damit umzugehen. Der Vater hat ja keine Ahnung!"
"Kann man das denn heilen, Herr Hetkamp?"
"Nein. Aber man kann helfen!"
Die Arztstimme klingt fest, bestimmt.
So, wie bei Papa immer.
Nur nicht so laut.
"Na komm. Moritz wartet schon auf dich!"
Warten.
Warten ist nicht schön.
Der Arzt, der mich sehen will, ist nicht Alex.
Mir ist heiß.
Unerträglich heiß.
Will vielleicht doch nicht hier sein.
Lieber auf dem Badboden, bei den roten Fugen.
"Oskar? Möchtest du dich denn nicht setzten?" Moritz klopft auf den Stuhl neben sich.
Kann nicht, es ist so heiß.
Laufe an das Fenster, das bis zum Boden geht.
Drücke mein Gesicht an die Scheibe.
Kalt.
Die Kälte belebt mein Gesicht.
Ich brauche mehr, ziehe die Ärmel meines Pullovers nach oben.
Drücke die Arme gegen das Glas.
Ein Kribbeln breitet sich in meinem Körper aus.
Mehr.
"Oskar?"
Ziehe meinen Pullover nach oben, brauche die Kälte.
Brauche sie, damit mein Herz wieder richtig schlägt.
"Hey, kleiner. Was machst du denn da? Tut dir was weh?" Der Polizist steht neben mir.
Angst, Traurigkeit, Wut?
Kann nicht erkennen, was es ist.
Freude?
Heiß.
Es wird immer heißer.
Ziehe meinen Pullover bis zu meinem Kinn, kann ihn aber nicht abschütteln.
Presse mich mit all meiner Kraft gegen die Scheibe.
Die Hand an meinem Rücken brennt.
Zieht mich weg von dem Glas.
"Du brauchst keine Angst zu haben! Wir bleiben bei dir. Du wirst nicht alleine sein, okay?"
Der Arzt.
Schmerz.
Warum tut mir meine Brust so weh?
"Hast du Schmerzen?"
Meine Handflächen legen sich unter meinem Schlüsselbein ab.
"Moritz, gib mir deine Jacke!"
Die Arzthand hüllt sich in das Kleidungsstück.
Drückt kurz darauf auf meine Brust.
"Atme. So wie ich drücke, atmest du ein und aus!"
Ich folge seinen Worten.
Ziehe die Luft in meine Lungen.
Stoße sie wieder aus.
Der Stoff dämmt den Schmerz der Berührung.
Kann ihn ertragen, atme weiter.
Müde.
Meine Augenlider werden schwer.
"Was hat er denn?" Die Stimme der Frau zittert.
"Gefühle. Gefühle, mit denen er nicht umgehen kann. Das hier ist die Angst!"
Alex spricht in Rätseln, verstehe nicht, was er meint.
Möchte schlafen, schließe die Augen.
"Oskar, schön hier bleiben!"
Alex schimpft und ich weiß nicht warum.
Ich gehe nicht weg.
Bin nur müde.
Will schlafen.
"Hallo, Oskar. Was machst du denn hier?"
Eine bekannte Stimme verdrängt die Müdigkeit.
Meine Augen suchen den Mann.
Finden ihn, fixieren ihn.
"Hallo, Dr. Wetzel. Kennen Sie den jungen Mann?" Alex gibt dem anderen Arzt die Hand.
"Ja, wir hatten schon ein paar Mal das Vergnügen. Wo ist denn seine Mutter? Die ist sonst immer mit ihm gekommen!"
Tot.
Frei.
Endlich erlöst.
Doch Alex sagt nichts.
Bleibt Stumm.
Seine Lippen ziehen sich zu einem schmalen Strich.
Angst? Trauer? Freude?
Weiß es nicht.
Kaputt.
Mein Kopf ist kaputt, verstehe nicht, was er fühlt.
Schlage mir mit der flachen Hand gegen meinen Denkapparat.
Muss mich erinnern.
"Hey. Was machst du denn da?"
Blonde Haare, blaue Augen.
Moritz.
Kopf schief gelegt, große Augen.
Mein Blick schweift zu dem Arzt.
"Er hat mit Überforderung und einem Auszehrungsgefühl zu kämpfen. Ist ganz normal für Oskar!"
Normal.
Ich bin nicht normal.
Gestört, sagt Papa.
"Komm Oskar. Es ist alles in Ordnung. Ich habe neue Mathematikaufgaben. Magst du die bearbeiten?"
Wende mich von Moritz ab.
Laufe los.
Kenne den Weg.
Moritz kennt ihn nicht, darum bleibe ich stehen und warte.
Warte bis er da ist und zeige ihm, wo er lang gehen muss.
"Interessant! Kennen Sie den Jungen schon lange?", will der Arzt von Moritz wissen.
"Nein, seit heute Nacht!"
Der Polizist klingt seltsam.
Kann nicht erkennen, ob er sich freut.
Mathematik.
Die Zahlen ziehen mich förmlich in den Behandlungsraum.
Setze mich und warte wieder.
Kann es kaum erwarten.
Dr. Wetzel legt vier Blätter vor mir ab.
Meine Hand zittert und wartet auf das Okay.
Ein Stift gesellt sich zu den Aufgaben.
Mein Blick ist starr auf die Zahlen gerichtet.
"Auf los geht's los..... Los!"
Ein Lachen dringt aus Doktor Wetzels Mund.
Ich greife nach dem Stift, schreibe Zahlen.
Rechne.
Keine Sekunde verschwende ich, um zu überlegen.
Das kann ich.
Darin bin ich gut.
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