
☆Epilog☆ ☆Moritz☆
Es ist schon über ein Jahr vergangen, seitdem Oskar das erste Mal ein komplettes Wochenende bei mir bleiben durfte.
Seitdem mussten wir sehr viele Hürden überwinden und meine Wenigkeit musste sehr viel lernen.
Unter anderem musste ich erkennen, dass ich Oskar mit zu viel Spontanität und Abwechslung nur schade und nicht, wie gedacht, Gutes tue.
Denn viele Kinder mit dem Asperger-Syndrom brauchen einen gleichbleibenden Tagesablauf, damit sie sich sicher fühlen.
Oskar hat glücklicherweise eine nicht allzu schwere Form und ist daher nicht gleich komplett neben der Spur, wenn sich irgendetwas verändert.
Aber wenn es zu viel wird, merkt man ihm das unweigerlich an.
Das Jugendamt hat mich nach langem hin und her als eine Art Pflegestelle eingesetzt, da der Junge letztendlich nicht mehr nach Hause wollte und der Vater darauf zunehmend aggressiver wurde.
Es kam eine Art Neid auf, da Oskar sich, für seine Verhältnisse, normal bei mir verhalten und sogar gesprochen hat.
Bei seinem Vater hat er nicht ein einziges Mal ein Wort verlauten lassen, wodurch das Meer an blauen Flecken rasch zugenommen hat.
Meiner Meinung nach ist es mehr als verständlich, dass ein Kind in solch einem Umfeld keine Fortschritte zeigt.
Oskars Verhalten bei mir hat dem Jugendamt einiges zu denken gegeben, denn selbst Dr. Wetzel kann einige Fortschritte in der Zusammenarbeit mit Oskar verzeichnen, obwohl er auch nicht mehr daran geglaubt hat.
Oskar hat auf seinem Weg und mit seiner Art gezeigt, was er will.
Er will bei mir sein.
Nach sehr vielen Gesprächen, Jugendamt Besuchen und einigem Management mit Klaus, war dann klar, dass Oskar zu mir ziehen würde.
Seitdem geht es mit dem Knirps steil bergauf.
"Moritz?" Oskar kommt zur Türe herein gelaufen und stoppt an der Schwelle zu meinem Arbeitszimmer, in dem ich gerade meine Berichte des Tages schreibe.
Schriftliche Arbeit kann ich mit nach Hause nehmen und von dort aus erledigen, damit ich mehr Zeit für Oskar habe.
Die Betreuung außerhalb der schulischen Einrichtung gestaltet sich schwierig, da der Knirps niemanden außer mir und Alex akzeptiert.
"Ja, Oskar?" Ich speichere mein Dokument ab und drehe mich dann dem Jungen zu, der sich mit leicht überforderten Gesichtsausdruck auf mich zubewegt.
"Die Frau da draußen guckt so.... komisch..."
"Wie guckt sie denn?"
"Ihr Mund macht so komische Wellen und die Augenbrauen fallen ihr fast in die Augen!" Oskar verzieht seinen Mund und drückt seine eigenen Augenbrauen in Position, damit ich sehen kann, wie die Frau genau aussieht.
"Hast du etwas getan, was ihr nicht gefällt?"
"Nein. Ich habe nur Blumen für dich gepflückt!" Er zuckt mit den Schultern und scheint ziemlich ratlos zu sein.
"Aus ihrem Garten?", frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne.
Hier in der Umgebung gibt es keine Wiese, auf der Oskar Blumen pflücken könnte und schon mehr als einmal hat er die bunte Farbvielfalt aus dem Garten der Nachbarin bestaunt.
"Na klar. Sonst wachsen hier doch keine. War das nicht gut?"
Ich seufze leise vor mich hin, denn oft versteht Oskar nicht, warum man manche Dinge nicht tut und warum manche Menschen nach bestimmten Taten verärgert sind.
Ich erhebe mich aus meinem Stuhl, überbrücke die paar Schritte zu ihm und lasse mich kurz vor seiner Nase in die Hocke ab.
Trotz das er etwas falsch gemacht hat lächle ich ihn an, denn der Gedanke dahinter war gewiss kein böser:
"Ich freue mich, dass du an mich gedacht und mir Blumen gepflückt hast. Aber Frau Tillmann liebt ihren Garten über alles und kümmert sich jeden Tag um die Blumen, damit sie so schön aussehen, wie sie sind. Wenn man dann ungefragt Blumen aus ihrem Garten nimmt, wird sie böse. Das wäre so, wie wenn ich mir einfach aus deiner Bonbontüte etwas nehme, ohne dich zu fragen. Verstehst du?"
"Aaaah!"
Meine Erklärung scheint verständlich zu sein.
"Dann muss ich mich entschuldigen. Soll ich ihr einen Kuchen backen?"
"Ich denke, das wäre eine tolle Idee. Wenn du möchtest, kannst du schonmal anfangen. Ich muss noch kurz Alex fragen, ob er morgen Mittag Schicht hat. Kann sein, dass ich etwas später von der Arbeit komme und dann wird er dich von der Schule abholen. In Ordnung?"
"Aber du kommst wieder, oder?"
"Natürlich komme ich wieder, nur etwas später!"
Auch wenn es an manchen Tagen sehr anstrengend ist und ich fix und fertig bin, würde ich nie wieder ohne diesen kleinen Kerl sein wollen.
Er zeigt mir die Welt auf eine Art, die ich so noch nie wahrgenommen habe.
Durch sein Verhalten, das sich im Wesentlichen zum Positiven gewendet hat, zeigt er mir, wie sehr er es schätzt, bei mir sein zu können.
Paul hatte mit seiner Aussage recht: Ich kann sie nicht alle retten!
Aber einen, den konnte ich retten: Oskar.
Vielleicht habe ich mich mit dieser Rettung auch ein klein wenig selbst gerettet.
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