Wenn Eis an seine Grenzen stößt
„Ich hoffe du weißt, dass ich dich umbringen werde, wenn du es wagen solltest zu sterben." Schrie ich dem tiefschwarzen Nachthimmel entgegen, als wäre Maggie bereits ein Teil davon.
„Du bist so ein egoistisches Miststück. Du kannst doch nicht einfach gehen und mich zurücklassen. Ich dachte du bist anders als die andern. Warum hast du nichts gesagt? Ich wär doch mit dir gegangen."
Meine Stimme zitterte und meine Augen brannten, ich blinzelte, ich hatte mir geschworen nicht mehr zu weinen.
„Warum muss mich jeder verlassen und verraten? Was hab ich getan um das alles zu verdienen? Warum kann ich nicht einfach auch glücklich sein, so wie alle andern?"
Meine rauen Worte verklangen in der kalten Novemberluft.
Ich erhielt keine Antwort.
Ich war an einem absoluten Tiefpunkt angelangt.
Mitten in der Nacht, saß ich betrunken und durchgefroren im Stadtpark und führte Selbstgespräche.
Psychiatrie ich komme!
Angefangen hatte alles mit einer riesigen Portion Eis, die ich alleine und einsam in meinem Zimmer hatte verspeisen wollen.
Seit Maggies Herzinfarkt waren nun schon vier Tage vergangen und sie lag immer noch im Koma. Die Ärzte meinten zwar, ihr Zustand hätte sich verbessert, doch sie war immer noch nicht wieder aufgewacht.
In den letzten Tagen stand ich vollständig neben mir. Tagsüber versuchte ich irgendwie den Tag zu überstehen und abends verschanzte ich mich mit einer Menge Eis in meinem Zimmer und suhlte mich in Leid und Verbitterung.
Doch heute hatte Sammy mich abgefangen, bevor ich mich in meinem Zimmer hatte verstecken können. Seit dem Treffen mit Linda und Alex ging ich ihm so gut es ging aus dem Weg. Zu wissen, dass er gewusst hatte, dass Löckchen verlobt war und er mir trotzdem nichts gesagt hatte, schmerzte so verdammt beschissen, dass ich ihm nicht mal die Chance gegeben hatte sich zu rechtfertigen. Ich fühlte mich einfach verraten. Von meinem besten Freund.
Als er sagt, er müsse mit mir reden, er wüsste es wäre kein guter Zeitpunkt, aber er und Tim hätten sich unterhalten, da wusste ich, er würde gehen.
Die Hochzeit sollte Ende Dezember stattfinden, eine richtige Winterhochzeit. Und verheiratete Paare lebten nun mal zusammen, Tim hatte sich bereits nach einer eigenen Wohnung für sie umgesehen und da gab es dieses schicke Loft, etwas außerhalb vom Stadtzentrum und das wäre einfach perfekt für die zwei, doch sie müssten bereits in einer Woche einziehen.
Sammy hatte noch quälend lang über das Loft geschwärmt und wie sehr er sich wünschte dort mit Blondie zu leben.
Ich hatte ihm nicht wirklich zugehört, ihm nur versichert wie sehr ich mich für ihn freute und das es für mich vollkommen in Ordnung war, dass er auszog.
Natürlich hatte ich gelogen, aber er hatte es nicht bemerkt.
Früher wäre das anders gewesen, früher hat er mich angesehen und gewusst, wie es mir ging, früher als wir noch Sammy und Connie waren, als er noch mein bester Freund war, als wir dachten, uns könnte niemals etwas entzweien. Wie dumm wir waren.
Als ich dann wieder ganz alleine in meinem Zimmer saß, vor mir ein Kübel voll Eis, begriff ich, dass das Eis nur für kurze Zeit den Schmerz in mir lindern konnte, es betäubte ihn bloß.
Doch ich erkannte noch etwas. Eis löst vielleicht nicht all deine Probleme, aber wenn du Wodka reinschüttet kommt es dir wenigstens so vor.
Irgendwann hatte ich die Enge meines Zimmers nicht mehr ausgehalten. Ich war einfach aus der Wohnung gestürmt und planlos durch die Stadt gelaufen, und nun saß ich hier, auf einer alten maroden Bank, irgendwo in einem Park und war schon längst auf puren Wodka umgestiegen.
Ein weicher, warmer Nebel hatte sich in meinem Kopf gebildet und sorgte dafür, dass ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte.
Alkohol war wirklich göttlich. Ich fragte mich gerade, warum ich nicht ständig und dauernd betrunken war, alles schien viel leichter so.
Der Schmerz schmerzte nicht, der Kummer kümmerte sich um etwas anderes und ich hatte seit langer Zeit mal wieder das Gefühl von Unbeschwertheit, das meine Schultern leichter werden ließ und es war mir egal, dass es nur eine Illusion war.
„Cornelius? Bist du das?"
„Nein." Rief ich mit belegter Stimme zurück. Ich konnte die Stimme zwar nicht zuordnen, aber ich wollte gerade niemanden sehen.
„Natürlich bist du das, Cornelius! Was machst du hier?" Ich lag auf der Parkbank, meinen Arm über die Augen gelegt. Geh einfach weg.
„Cornelius, wer? Mein Name ist... Karl!" Ich hickste auf.
„Das ist aber witzig, denn du siehst genauso aus wie mein dämlicher Chef, nur das er unfreundlicher ist." Er trat näher an die Bank heran.
„Vermutlich hat er dafür auch einen verdammt guten Grund." Mein Hirn kam nach überdurchschnittlich langer Bearbeitungszeit zu der Erkenntnis, dass die bekannte Stimme vermutlich Jan gehörte.
„Und der wäre?"
Mit einer schwungvollen Bewegung setzte ich mich auf, für einige Sekunden drehte sich die ganze Welt um mich herum, als sie zum Stillstand kam, begann ich zu sprechen.
„Er hat es gewusst, verstehst du, die ganz Zeit über, hat er es gewusst. Dabei sind wir doch beste Freunde und da muss man doch loyal sein! Eine Freundschaft ohne Loyalität existiert nicht, da kann man es auch gleich lassen! Ich bin manchmal ein echt beschissener bester Freund, das weiß ich auch, aber ich bin verdammt nochmal immer loyal gewesen! Er ist doch mein Bruder!" Ich hörte selber wie verzweifelt meine Stimme klang, erneut traten Tränen in meine Augen, ich wollte nicht schon wieder weinen.
„Ich würde mir eine Hand für ihn abschneiden! Wirklich, das würde ich tun! Wenn ich ihn dadurch vor allem Unglück bewahren könnte, dann würde ich sie einfach abschneiden. Einfach weg, braucht man sowieso nicht die Scheiße. Los! Hier! Schneid sie ab! Vielleicht versteht er dann, dass man loyal sein muss, wenn man jemanden liebt."
„Cornelius." Jans Stimme war sanft, er hatte sich zu mir auf die Bank gesetzt, seine Hand strich behutsam über meinen Rücken. Ich hatte mich so in Rage geredet, dass ich nicht mitbekommen hatte, dass die Tränen aus meinen Augen flohen und zu allem Übel hatte ich jetzt auch noch Schluckauf. Meine Hände zitterten und ich atmete so hektisch und unregelmäßig, dass meine Brust begann zu schmerzen.
„Cornelius, ich hab absolut keine Ahnung wovon du da redest." Sein Blick lag besorgt auf mir, ich wusste er versuchte zu verstehen was mit mir los war. Ich konnte ihm nicht helfen, ich wusste es ja selber nicht einmal.
Früher hätte ich Sammy einfach zur Rede gestellt, vermutlich hätte er mir einen Grund für sein Handeln genannt und danach wäre alles wieder gut zwischen uns gewesen. Aber diesmal konnte ich das nicht.
Es war nicht nur, weil er mir etwas verheimlich hatte.
Es fühlte sich einfach so an, als wäre er nicht mehr Sammy, mein bester und ältester Freund, sondern als wäre er von nun an Sammy, der Verlobte von Tim und damit ein guter Freund von Löckchen.
Ja, verdammt, es fühlte sich an, als hätten sie ihn mir weggenommen.
Jetzt hatte ich niemanden mehr. Absolut niemanden.
„Ich rede vom Leben, " ich hickste, „diesem beschissenen Miststück! Und von Verrat, dem heimtückischen Biest."
Er schwieg einige Zeit, vermutlich wusste er nicht was er sagen sollte. Irgendwie tat er mir leid, er hatte sich seinen Abend bestimmt anders vorgesellt und nun saß er hier mit seinem besoffenen, heulenden Chef.
Nur mein gelegentliches Hicksen durchbrach die Stille zwischen uns. Der Park hatte bei Nacht etwas seltsam Friedliches an sich.
„Sammy hat dich verletzt, oder?" Seine Hand strich sanft über meinen Rücken. Die Ruhe die er ausstrahlte ließ auch mich allmählich runterfahren.
Ich nickte, schniefte, versuchte meine Tränen zu stoppen. „Und er hat es nicht mal bemerkt." Hauchte ich, mein Blick verlor sich in der Dunkelheit.
Wieder überlegte er einen Moment, als würde er sich seine Worte sorgfältig in seinem Kopf zurechtlegen.
„Wahre, beste Freunde wissen alles von dir und sie sind dir so unendlich wichtig und nahe, dass das kleinste Fehlverhalten von ihnen dich mitten ins Herz trifft. Ich denke meistens tun sie es nicht mal mit Absicht, aber es tut einfach unendlich weh, von einem geliebten Menschen verletzt zu werden. Den Schmerz von zerbrochenem Vertrauen kann man nicht so leicht überwinden." In diesem Moment begriff ich, warum die Leute in den Filmen immer den Barkeepern ihre Geheimnisse und Probleme anvertrauten.
Meine Tränen versiegten langsam, nur meine Augen brannten noch ein wenig.
„Du wirst mal ein verdammt guter Psychologe, Jan." Ein leichtes Lächeln lag auf meinen Lippen.
„Ich studiere Anglistik, Marco ist der mit dem Psychologiestudium." Sein Lachen durchbrach die stille Kulisse der Nacht.
„Echt? Verdammt, ich bin ein echt beschissener Chef."
Er stupste mich freundschaftlich von der Seite an.
„Ganz im Gegenteil, du bist der verdammt nochmal tollste Chef, den man sich wünsche kann. Für dich sind wir nicht nur Angestellte, wir sind Familie."
Ich blickte ihn an, sein Gesicht wurde von dem blassen Schein einer Laterne beleichtet, seine Lippen zierte ein ehrliches Lächeln. Ich konnte verdammt froh sein, solch tolle Menschen in meinem Leben und meinem Laden zu haben.
„Danke." Ich lächelte zurück.
„Kein Problem. Sowas tut man gerne für seine Familie."
Irgendwie war der betäubende Rausch des Alkohols verloren gegangen. Vermutlich war ich einfach schon wieder ausgenüchtert.
„Und jetzt steh auf, alter Mann, du schläfst heute Nacht bei mir. Und morgen besprechen wir dann meine Gehaltserhöhung." Er stand auf und hielt mir mit einem frechen Grinsen seine Hand entgegen. Lachend ergriff ich sie, erhob mich ebenso. Doch kaum dass ich stand, überrollte mich die ungefilterte Wirkung des Alkohols und warf mich in den Abgrund des Rausches zurück. Verdammte Scheiße, warum dreht sich alles? Sind das verfickte Sterne die da tanzen? Schwankend versuchte ich mein Gleichgewicht zu halten um gerade stehen zu bleiben, ich blinzelte doch mein Blick klärte sich nicht.
„ Hey, Cornelius? Geht's dir gut?" Jans Stimme drang gedämpft zu mir durch, Nebel waberte durch meinen Kopf.
„Fuck, ich glaub mir ist schlecht." Stieß ich aus und hielt mir meine Hand vor den Mund.
Gut, vielleicht war ich doch nicht so nüchtern.
______
Ein daumengroßer Mann auf schweren Drogen rannte mit einem riesigen Hammer bewaffnet in meinem Kopf herum und haute gegen alles was er finden konnte. Was vermutlich nicht so viel war, da sonst kein daumengroßer Mann mit einem riesigen Hammer in meinen Kopf gepasst hätte.
Ich fragte mich wie oft ich mir wohl schon, am Morgen nach einem zerstörerischen Besäufnis, geschworen hatte nie wieder einen Schluck Alkohol zu trinken, und warum um alles in der Welt ich es dann doch immer wieder tat.
Es war ja nicht einmal so gewesen, dass ich gestern Abend unglaublich Spaß gehabt hatte, der die morgendlichen Kopfschmerzen und das allgemeine Unwohlsein in irgendeiner Weise aufwiegen würde.
Mühsam rappelte ich mich von Jans Sofa auf. Ich hatte Muskelkater im ganzen Körper, meine Augen schmerzten von dem ganzen Weinen und mein Magen fühlte sich seltsam flau an.
Mit steifen Gliedern schlürfte ich in die Küche auf der Suche nach etwas zutrinken gegen meinen trockenen Hals. Meine Augenlieder hingen auf Halbmast, da ich auf den ersten Blick keine Wasserflasche fand hielt ich meinen Kopf einfach unter den Wasserhahn, trank einige genüssliche, wohltuende Schlucke und spritzte mir anschließend etwas Wasser ins Gesicht.
„Du weißt schon, dass wir hier auch eine Dusche haben, oder?" Seine Stimme klang viel zu wach und zu fröhlich für diese frühe Uhrzeit. Ich wusste schon immer, dass Jan kein Mensch war.
„Echt? Warum stinkst du dann immer so?" erwiderte ich, nachdem ich mir mein Gesicht am Küchenhandtuch abgetrocknet hatte.
„Witzig." Er verdrehte die Augen, stieß sich vom Türrahmen ab und begann Kaffee zu kochen.
„Kam ja auch von mir." Ich grinste ihn selbstgefällig an und beobachtete seine geübten Bewegungen.
Als die Kaffeemaschine begann zu brummen und Kaffee in die bereitgestellte Tasse zu spucken, wand er sich wieder mir zu.
„Willst du irgendetwas frühstücken?"
„Ich glaube, das wäre keine so gute Idee." Mein Magen drehte sich, bei dem bloßen Gedanken an Essen, um.
Er nickte, dann fügte er hinzu: „Gut, dann mach ich dir aber wenigstens einen Tee." Erneut begann er herum zu werkeln, diesmal am Wasserkocher.
Keine zehn Minuten später saßen wir an seinem kleinen Küchentisch, er mit einem gesüßten Kaffee, ich mit einem schwarzen Tee vor mir.
„Wie geht es dir?" unterbrach er die Stille und trank aus seinem Becher.
„Mir geht es gut." Ich lächelte leicht, meine Fassade hatte letzte Nacht gefährlich gewackelt, doch nun stand sie wieder. „Mein kleiner Aussetzer gestern Abend, tut mir übrigens leid. Dass ich mich bei dir ausheult habe... das ist normal nicht so mein Ding, ich hab einfach zu tief ins Glas geschaut. Und auch ziemlich überreagiert, ich hab aus einer Mücke einen Elefanten gemacht."
Er schwieg, blickte mir direkt ins Gesicht, als wüsste er, dass ich log.
Es waren leere Worte, die meinen peinlichen Ausbruch ein wenig herunterspielen sollten.
„Weißt du Cornelius, du musst nicht immer stark sein."
Seine ruhigen Worte trafen mich tief.
Ich wollte etwas voller Ironie und Sarkasmus sagen, die ernste Stimmung irgendwie auflockern, das Thema wechseln, über alles nur nicht über mich und meine Schwächen reden. Es wäre so einfach gewesen, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Vielleicht war es das Wissen, dass Jan immer für mich da war, er würde mich akzeptieren mit all meinen Fehlern und Schwächen, vielleicht war es aber auch nur, weil ich müde war ständig etwas vorzuspielen, weil ich einfach keine Kraft mehr hatte all meine Mauern zu halten.
„Ich bin nicht stark." Meine Stimme war rau. Es war das erste Mal, dass ich dies jemand anderem gestand. „Ich versuche mich nur zu schützen, denn diejenigen die nicht erkennen, dass alles nur Fassade ist, die haben es auch nicht verdient hinter meine Mauern zu blicken."
Mein Handy schrie mit schrillen Tönen nach meiner Aufmerksamkeit, ersparte Jan eine Antwort.
Es war Sammy, ich zögerte, dann ging ich ran.
„Verdammt Cornelius wo bist du?" rief seine Stimme aufgebracht aus dem Höherer. Warum war es so aufgeregt?
„Maggie ist wach."
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