Träume altern nicht, du schon
Wenn ihr auf der Suche nach guten Büchern seid, dann schaut mal bei meiner Leseliste „Geniale Bücher mit zu wenig Lesern" vorbei. Ich kann euch wirklich jedes Einzelne davon empfehlen! Ich bin der Meinung, dass diese Bücher und die Autoren, definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient haben.
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„Welches Essen wollt ihr an eurer Hochzeit servieren?"
Sammy und ich saßen an einem Tisch im Namenlos, zwischen uns, meine Ordner, die Rezepte und Serviervorschläge aller Art umfassten.
„Pfannkuchen und Lasagne."
„Das ist eine Hochzeit..."
„Genauer gesagt, ist es meine Hochzeit! Also musst du tun was ich sage." Er benahm sich tatsächlich schon wie eine waschechte Braut. Ich konnte wirklich nur hoffen, dass dies seine erste und letzte Hochzeit blieb, denn noch einmal würde ich den ganzen Tamtam und seine Star-Allüren nicht ertragen.
„Alles klar, Prinzessin."
Sowas passiert nun mal, wenn man Sammy alleine losschickt um etwas zu organisieren. Da war Blondie selbst dran Schuld.
„Okay, also wenn das wirklich dein Wunsch ist, dann würde ich vorschlagen, dass wir als Hauptspeise drei Varianten von Lasagne machen. Eine ganz klassisch mit Tomate und Hackfleisch, eine Spinatlasagne und die dritte vielleicht mit Gemüse. Je nachdem wie viele Vegetarier du hast."
„Also von meiner Familie leben nur meine zwei Cousinen und Emanuel vegetarisch. Aber auf der Seite von Tim ist fast jeder zweite Veganer, nicht weil ihnen die Tiere leidtun, sondern weil die alle dem Fitness-Wahn verfallen sind und sich im Prinzip nur noch von Protein-Shakes ernähren." Der Rosahaarige verdreht dramatisch seine Augen.
„Ema ist immer noch Vegetarier?" Das erstaunte mich tatsächlich. Als der damals zehnjährige Ema verkündet hatte, er wolle nie wieder Fleisch essen, hatten seine Eltern ihn nur belächelt, niemand hatte gedacht, dass er dies länger als eine Woche aushielt, das war jetzt immerhin schon fast neunzehn Jahre her.
„Wenn Manu sich etwas in den Kopf setzt, dann zieht er das auch durch." Sammy lächelte bei dem Gedanken an seinen Bruder und dessen Willensstärke, wir beide wusste zu genau, dass Emanuel alles erreichen konnte, wenn er es nur genug wollte.
„Apropos Emanuel, ist das echt okay, das er bis zur Hochzeit bei euch wohnt?"
„Natürlich ist das in Ordnung. Er ist nicht nur ein alter Freund, sondern auch der beste Mitbewohner, den es gibt. Er hat diese Woche schon zwei Mal geputzt! Und gestern war er einkaufen, ohne dass ich ihn um irgendetwas gebeten habe. Bist du wirklich sicher, dass ihr Brüder seid? Denn in alle den Jahren, in denen wir zusammen gewohnt haben, bist du nicht ein einziges Mal einkaufen gewesen."
„Das stimmt doch überhaupt gar nicht! Ich hab oft einkaufen! Zum Beispiel, als ich letzten Winter diesen Schnupfen hatte, da war ich fast täglich im Supermarkt!"
„Du hast Schokolade gekauft. Nur für dich. Weil du behauptet hast, dass sie dich gesund machen würde." Als ich versucht hatte mir ein Stück seiner Schokolade zu klauen, hatte er mir fast meine Hand abgehackt.
„Das ist meine Schokolade!" hatte er mich angefaucht und die Tafel an sich gepresst, als wäre sie ein wertvoller Schatz. Hätte er auch noch damit begonnen Diskussionen mit sich selber zu führen, hätte man ihn glatt mit diesem komischen Gnom aus „Herr der Ringe" verwechseln können.
„Hat ja auch funktioniert! Ich meine sieh mich an, ich bin kerngesund!"
Ich atmete einmal tief durch. Irgendwann würde mich dieser Knirps auch noch um den kleinen Rest an Verstand bringen, den ich so mühsam versuchte vor ihm zu beschützen.
„Zum Wohle aller, werde ich darauf jetzt einfach mal nichts erwidern. Lass uns über die Pfannkuchen reden!"
„Oh ja! Du musst unbedingt deine Pfannkuchen mit den Schokostückchen drin machen und dann brauchen wir Schokosoße und Nutella und Schokoraspeln zum drüber streuen!"
„Klar, wenn du willst, dass deine Gäste in ein Diabetisches Koma fallen. Wie wäre es denn mit ein wenig Obst?" schlug ich vor und wurde von meinem besten Freund angeschaut, als hätte ich ihm gerade vorgeschlagen geriebene Hundewelpen auf einem Pfannkuchen zu servieren.
„Wer isst denn sowas?"
„Erwachsene Menschen, die nicht den Geschmackssinn eines Fünfjährigen haben."
Sammy schmollte.
„Na, wenn es denn unbedingt sein muss. Hauptsache ich bekomme meine Schokosoße. Sonst bist du gefeuert!"
„Gefeuert als was? Als unbezahlter Caterer, geduldiger Trauzeuge oder langjähriger bester Freund?"
„Alles drei."
„Hört sich verlockend an." Ich lachte, als Sammy mich böse anfunkelte, doch lange konnte er nicht böse sein, dann fing auch er an zu lachen.
Unerwartet durchbrach uns das leise Quietschen der Eingangstür. Eine Person trat herein, von der ich niemals gedacht hätte, sie in diesem Leben noch einmal zu sehen. Vor mir stand tatsächlich Peter, mein ehemaliger Sous-Chef, der vor lauter Wut über seine Kündigung meinen Laden demoliert hatte.
Ruckartig stand ich auf und stellte mich mit verschränkten Armen vor Sammy.
„Was willst du hier, Peter? Ich dachte ich hätte deutlich gemacht, dass ich dich nie wieder hier sehen will." Meine Stimme war eiskalt, meine Miene ausdruckslos, nichts lies darauf schließen, dass wir früher einmal gute Freunde gewesen waren. Er war meine rechte Hand gewesen, ich hatte ihm vertraut, dachte ihn zu kennen und dann hatte er so eine Scheiße abgezogen.
„Ich denke ich muss dir einiges erklären, Cornelius. Und mich entschuldigen, für alles, was ich dir angetan habe." Die Aufrichtigkeit, mit der er dies sagte, verwirrte mich.
„Das alles war nicht meine Absicht, ich war nicht ich selbst zu dieser Zeit. Das klingt jetzt wie eine billige Ausrede, aber du musst mir glauben, dass ich nicht Herr meiner Sinne war. Ich war krank." Er klang wirklich verzweifelt, doch ich misstraute ihm weiterhin. Noch einmal ließ ich mich nicht von ihm täuschen.
„Komm schon her, Peter. Setzt dich zu uns und erzähl uns alles in Ruhe." Bot Sammy, der immer noch halb von mir verdeckt wurde, an.
Peter sah prüfend zu mir, als wollte er erst meine Zustimmung um die Einladung anzunehmen. Ich seufzte und zeigte ihm mit einem Kopfnicken an, sich hinzusetzten. Ich ließ mich auf den Platz neben Sammy fallen, fixierte meinen ehemaligen Sous-Chef, aber weiterhin mit meinem Blick.
Sammy räumte die Ordner ein wenig zur Seite.
„Wie meinst du das, du warst krank?" fragte ich ihn direkt, als er gegenüber von uns Platz genommen hatte.
„Ich denke, ich sollte ganz am Anfang beginnen." Er räusperte sich „Ein paar Monate vor unserer Auseinandersetzung habe ich mich irgendwie verändert. Ich habe es zuerst gar nicht wirklich bemerkt, doch ich wurde immer öfter wütend, wegen unbedeutenden Kleinigkeiten. Ich dachte es wäre, weil ich zu viel Stress hätte, doch selbst als ich mir ein paar Tage frei nahm wurde es nicht besser. Meine Wut steigerte sich immer mehr, wurde immer rasender und unkontrollierter, bis sie irgendwann ihren Hohepunkt fand.
Ich weiß gar nicht mehr, was ich gegen Ramon hatte, er ist eigentlich ein echt toller Junge. Ich hab auch nichts gegen Homosexualität oder so, ich war einfach nur wütend und wusste selber nicht einmal wieso. Diese Wut in Kombination mit Alkohol hat bei mir eine Art Kurzschluss ausgelöst, ich kann mich kaum noch an den Tag erinnern. Dass ich deinen Laden zertrümmert und dich angegriffen habe, weiß ich nur, weil mir das die Polizisten im Krankenhaus erzählt haben. Ich kann dir gar nicht sagen, wie unfassbar leid mir das alles tut." Der Kummer stand ihm ins Gesicht geschrieben, die Reue in den Augen.
„Weißt du mittlerweile, wieso du so wütend warst?"
Er nickte.
„Ich wurde ins Krankenhaus eingeliefert, dort haben sie ein CT und MRT von meinem Kopf gemacht, weil ich ja auf Grund des Sturzes bewusstlos war und sie Hirnblutungen ausschließen wollte. Dabei haben die Ärzte eine Anomalie in meinem Hirngewebe entdeckt. Es war ein Tumor. Er war schuld an meiner Aggressivität."
Nun war ich tatsächlich sprachlos. Ich hatte wohl mit allem gerechnet, aber mit einem Hirntumor? Erschreckender Weise machte es aber Sinn. Der Peter, der damals das Namenlos zerdeppert und mich angegriffen hatte, war nicht derselbe Mensch gewesen, wie der, der jahrelang mein treuer Freund gewesen war.
„Das tut mir wirklich schrecklich leid, Peter." Sprach Sammy und durchbrach die unangenehme Stille. Während ich immer noch versuchte all dies zu verarbeiten, fand Sammy mal wieder direkt die richtigen Worte.
„Konnten sie ihn denn entfernen?"
„Ja, sie mussten zwar zweimal operieren, aber am Ende haben sie das ganze Ding entfernt."
Ich fühlte mich wirklich schlecht. Ich hatte in den letzten Wochen und Monaten kaum einen Gedanken an Peter verschwendet. Ich war viel zu beschäftigt mit meinen belanglosen Liebesproblemen, während er alleine im Krankenhause gelegen und gegen seine Krankheit angekämpft hatte.
„Hätte ich das gewusst, dann, ich hätte, es tut mir so..." stammelte ich und fand einfach nicht die richtigen Worte.
„Cornelius, dir braucht nichts Leid zu tun! Ich bin dir sogar dankbar. Hättest du mich damals nicht geschlagen, wäre ich nie ins Krankenhaus gekommen. Die Ärzte haben gesagt, dass sie ihn gerade noch rechtzeitig gefunden haben, wär er noch weiter gewachsen, hätten sie ihn nicht mehr entfernen können. Du hast mir also quasi das Leben gerettet."
Ruckartig stand ich auf, lief um den Tisch herum und umarmte ihn. „Ich bin wirklich froh, dass es dir besser geht, und du wieder der alte bist!" murmelte ich in die Umarmung.
„Ich auch." Erwiderte er ebenso leise und ich wusste, dass er lächelte.
Ich löste mich von ihm und klopfte ihm noch einmal brüderlich auf die Schulter, schenkte ihm mein wärmstes Lächeln.
„Wenn du wieder hier anfangen willst, ist das kein Problem. Dein Job steht dir jeder Zeit zur Verfügung."
„Danke, wirklich, aber ich hab schon andere Pläne. Der Tumor hat mich wachgerüttelt. Ich habe meine Träume jahrelang auf später geschoben, doch durch den Tumor wurde mir klar, dass es vielleicht gar kein später mehr gibt. Ich muss jetzt leben. Also hab ich mir einen Flug gebucht. Nach Kanada, da wollte ich schon immer mal hin. Ich weiß noch nicht was ich dort machen werde, wie lang ich bleibe und wohin ich dann gehen, aber das ist okay. Das ist das Abenteuer, auf das ich mein ganzes Leben lang gewartet habe." Er strahlte so glücklich und wirkte einfach unbeschwert.
Ich konnte nicht anders als ihn ernsthaft zu beneiden. Wie lange träumte ich schon davon, einfach alles stehen und liegen zu lassen und die Welt zu bereisen?
Warum tust du es nicht einfach?, hatte mich Löckchen damals gefragt. Ich hätte eine Millionen antworten darauf finden können, weil ich den Laden nicht einfach schließen konnte, weil ich eine gewisse Verantwortung gegenüber meinen Mitarbeitern hatte, weil ich nicht genug Geld besitze, weil es gefährlich sein könnte... Doch keine dieser Antworten war ein unüberwindbares Hindernis, wenn ich es wirklich durchziehen wöllte, dann würde ich einen Weg finden. Vielleicht war die wahre Antwort, dass ich Angst hatte und mir dies nicht selber eingestehen wollte.
„Du machst mich verdammt neidisch, alter Mann. Aber ich freue mich für dich, dass du deinen Traum lebst."
„Du solltest nicht solange damit warten, deine eigenen zu erfüllen. Träume altern nicht und sie sterben erst, wenn du es tust."
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