Neuanfang?
Es war okay. Entgegen all meinen Erwartungen war es wirklich in Ordnung. Ich war erleichtern, dass ich alles mit Löckchen geklärt hatte. Das unsere Geschichte somit beendet war schmerzte, doch nicht so sehr wie ich erwartet hatte. Mittlerweile hatte ich begriffen, dass wir uns nicht gut taten.
Meine größte Angst war es, verlassen zu werden und er war nun mal jemand, der es äußerst gut beherrschte sich aus dem Staub zu machen. Er war sprunghaft und flüchtig, hielt es nie lange an einem Ort oder bei einer Person aus. Jedes Mal, wenn wir uns näher gekommen waren, verschwand er und meldete sich dann tagelang nicht. Es war nicht mal wirklich seine Schuld, so war er einfach und seine Persönlichkeit lässt sich nun mal nicht so leicht ändern.
Nur musste ich jemanden finden, der mir gut tat, der für mich da war, immer, und nicht nur dann, wenn er gerade mal Lust dazu hatte.
„Hey Prinzessin, beweg mal deinen faulen Arsch! Nur weil das hier deine Wohnung ist, heißt das nicht, dass du nur dumm rumstehen darfst." Maggies raue Stimme riss mich unsanft aus meinen Gedanken.
„Och, man. Dabei bin ich doch so gut im dumm rumstehen." Gab ich leicht schmollend zurück. Theatralisch verschränkte ich meine Arme vor der Brust, um meinem Trotz noch mehr Ausdruck zu verleihen.
„Genauso gut wie im Scheiße labern, aber das wird dich ab jetzt auch nicht mehr weiter bringen. Ab heute werden hier härtere Seiten aufgezogen, Schluss mit der Kuschelkurs-Harmonie in diesen Räumlichkeiten." Mit der liebevollen Tonlage eines Bundeswehr-Offiziers verkündete mir meine neue Mitbewohnerin ihre frohe Botschaft.
„Ist es schon zu spät dich wieder zurückzugeben?" fragte ich an diesem Tag zum wiederholten Male, dabei war Maggie noch nicht einmal richtig eingezogen.
„Ja. Ist die Pest einmal im Haus, bekommt man sie nicht mehr raus." Von diesem Sprichwort hatte ich komischerweise noch nie gehört. Schon jetzt war mir bewusst, dass das Zusammenleben mit Maggie vermutlich anstrengend werden würde, doch die meiste Zeit auch verdammt schön.
Lächelnd verdrehte ich die Augen und machte mich daran Maggies Umzugskisten auszupacken. Es hatte sich herausgestellt, dass Maggie einige ihrer alten Habseligkeiten in einer Lagerhalle eingelagert hatte. Nachdem ich diese alleine die vier Stockwerke zu meiner Wohnung hochschaffen musste, war ich zugegebenermaßen etwas aus der Puste gewesen, doch meine alte Freundin hatte mir keine Pause gegönnt.
Es war wirklich schön zu sehen, wie die Wohnung sich langsam wieder mit etwas Leben füllt. Viel zu kalt hatte sie sich angefühlt, nachdem Sammy vor über einer Woche ausgezogen war und all seinen Krimskrams und sein Dekorationszeug mitgenommen hatte. Ich persönlich war eher pragmatisch eingestellt und konnte das Deko-Fieber, das einige Menschen, darunter auch Sammy, bei dem Betreten von Einrichtungsgeschäften wie Ikea überfiel, noch nie verstehen, doch als ich dann in meiner kahlen Wohnung stand, fiel mir erst einmal auf, wie sehr ich mich doch daran gewöhnt hatte.
Nur gut, dass Maggie mehr als genügend Zeug zum Drapieren und Dekorieren besaß.
Die kleine Spieluhr auf der Kommode im Flur, die gemusterten Kissen auf der Coach und der alte Kerzenständer waren nur einige der Dinge, die dafür sorgten, dass sich diese Wohnung bewohnt, fast schon lebendig anfühlte. All diese Dinge hatten ihre ganz eigene Geschichte und das sah man ihnen auch an.
„Hast du was von Sammy gehört, seit er ausgezogen ist?" fragte Maggie während sie auf dem Sofa saß und mir dabei zusah wie ich ihre tausend Bücher in eines der leeren Regale räumte. Seelischer Bestand war auch eine Form der Hilfe, behauptete sie immer. Normalerweise hätte ich ihr für solch einen Spruch den Mittelfinger gezeigt. Da Maggie jedoch immer noch stark geschwächt war und ihr Arzt sie nur unter der Bedingung entlassen hatte, dass sie sich schonte und ausruhte, spielte ich gerne ihren Laufburschen, den sie nach Lust und Laune herumkommandieren konnte.
„Wir haben gestern telefoniert. Und vorgestern. Und vorvorgestern auch..." Ich grinste. Ich hatte das Gefühl, das ich, seit mein quirliger Freund ausgezogen war, mehr mit ihm geredet hatte, als zu der Zeit in der wir noch zusammen gewohnt hatten.
„Es gefällt ihm ziemlich gut in der neuen Wohnung, er hat dort ein großes Atelier und ist schon fleißig dabei Blondies Ordnung durcheinander zu bringen."
„Ja, das hört sich nach unserem kleinen, rosa Flummie an. Ich hoffe Timothy weiß worauf er sich da eingelassen hat." Ein Grinsen haftete an ihren Lippen und irgendwie wirkte es ein wenig schadenfroh.
Aus irgendeinem Grund nannte Maggie Tim immer Timothy, dass dies nicht sein richtiger Name war, interessierte die beherzte Frau recht wenig.
„Irgendwie bin ich ganz froh, dass ich Sammy in der Zeit vor der Hochzeit nicht permanent ertragen muss, ich will gar nicht wissen, wie aufgedreht der Kleine sein wird..." Wenn ich nur daran zurückdachte, wie aufgeregt mein bester Freund alleine vor dem Doppeldate mit Löckchen und Blondie gewesen war, wollte ich gar nicht so genau wissen, welche epischen Ausmaße seine Nervosität kurz vor der Hochzeit mit seinem Liebsten annehmen würde.
Doch irgendetwas sagte mir, dass ich, als Trauzeuge, es wohl oder übel erfahren würde.
Sammy hatte sich dazu entschieden, sowohl mich als auch seinen Bruder Emanuel zu seinen Trauzeugen zu erklären. Blondie hatte Löckchen als seinen ‚Best-Man' erwählt. Was mir natürlich egal war, da ich zu hundert Prozent damit abgeschlossen hatte.
„Gott bewahre, ich glaub ich komm erst zum Sektempfang nach der Hochzeit."
„Wenn du das machst redet Sammy mindestens bis Ostern kein Wort mehr mit dir."
„Noch ein Grund nicht zu kommen." Sie grinste, doch ich wusste sie würde eine der ersten sein, um sich einen Platz ganz vorne zu sichern. Denn egal wie unnahbar sie manchmal tat und wie gerne sie den Kleinen ärgerte, ich wusste genau, dass sie Sammy liebte, mit all seinen Verrücktheiten.
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Überhaupt nichts war okay! Absolut gar nichts war in Ordnung!
Er war abgehauen! Dieser verdammte, dreckige Pisser war einfach von seiner eigenen Hochzeit abgehauen!
Und der erste Gedanke der mir durch den Kopf geschossen war: ‚War es wegen mir?'
Er hatte gesagt, dass er sie nicht liebt, dass ich etwas Besonderes wäre, aber dennoch war er fest entschlossen gewesen sie zu heiraten. Was hatte sich geändert? Hatte er plötzlich erkannt, dass er nicht glücklich werden würde, wenn er sein Leben von anderen bestimmen lassen würde? Doch, auf mich hatte er nicht hören wollen, als ich ihm genau das erzählte.
Oder hatte er einfach kalte Füße bekommen? Das würde ihm ähnlich sehen. Immer wenn es ernst wurde haute er ab, anstatt sich seinen Gefühlen und Ängsten zu stellen.
Vielleicht hatte er aber auch bemerkt, dass ich ihm mehr bedeutete, als sie es jemals könnte...
Und da war sie wieder, diese widerliche, verräterische Hoffnung, die sich ganz leise, fast unbemerkt in mein Herz schlich.
Soviel zu: Ich hab damit abgeschlossen. Ich verdammter, verzweifelter Idiot.
Wann würde ich es endlich lernen? Warum war mein Wunsch geliebt zu werden so groß, dass ich andauernd vor der Realität die Augen verschloss?
Ein Klingeln unterbrach all meine Fragen und Gedanken.
Die Klingel der Wohnungstür.
War er das?
Wollte er sich entschuldigen, mich zurückgewinnen?
Doch konnte ich ihm so einfach vergeben? Schon wieder? Er hatte mich so oft von sich gestoßen, mich so oft verletzt. Und er würde es noch öfter tun, da war ich mir sicher.
Es klingelte erneut.
Mit pochendem Herzen betrat ich den Flur, schritt mit weichen Knien auf die Eingangstür zu.
Meine Hände zitterten leicht, als ich sie um das kühle Metall der Klinke legte.
Ich hielt einen Moment inne.
War ich bereit ihm entgegen zu treten?
Wenn ich jetzt diese Tür öffnen würde, dann würde ich ihm verzeihen, das wusste ich.
Doch war ich dazu bereit?
Wie oft würde ich es noch ertragen von ihm verletzt zu werden?
Ich öffnete die Tür.
„Hey." Er lächelte. Ich erstarrte.
In diesem Moment war ich so verwirrt, so perplex, dass ich nicht begriff, wer da gerade vor mir stand.
Es war ein Mann, Ende zwanzig, er war ein Stück größer als ich, hatte breite Schultern und einen muskulösen Körperbau. Seine Haare waren dunkel, und im grellen Licht der Flurbeleuchtung schimmerten sie in einem dunklen Lila. Ein leichter Dreitage-Bart bedeckte die untere Hälfte seines markanten Gesichtes, und seine Ohren waren mit Tunneln versehen, die gerade groß genug waren, dass man seinen Zeigefinger durchstecken könnte. Alles in allem sah er aus, als wäre er gerade aus einem Modelkatalog gepurzelt. Ich hatte absolut keine Ahnung was so jemand ausgerechnet vor meiner Tür zu suchen hat.
Und dann sah ich in seine Augen und verstand. Ich kannte sie, dieses ruhige, dunkle grün, das mich an dichte Tannenwälder erinnerte, hatte mich schon immer fasziniert.
„Emanuel?" fragte ich perplex.
Der Schock ihn zu sehen, war so groß, dass er sogar meine Enttäuschung darüber, dass er nicht Löckchen war, überschattete.
Sein Lächeln wurde breiter.
„Schön dich zu sehen, Cornelius."
Wo zum Teufel war der seltsame Junge mit Akne Gesicht und Glas-Bausteinen auf der Nase hin?
Wann, um alles in der Welt, war er so attraktiv geworden?
Und warum verdammt hatte Sammy mir nicht erzählt was für ein Hottie sein Bruder geworden war?
„Ich hab eine Bitte an dich. Und zwar wollte ich fragen, ob ich hier bis zur Hochzeit übernachten könnte? Von dem Geturtel meines Bruders und seines Verlobten bekomme ich den Drang mich fortwährend zu übergeben."
Er hatte schon früher des Öfteren so gestelzt geredet und irgendwie war es schön zu sehen, dass er immer noch derselbe war, auch wenn er sich Äußerlich verändert hatte. Diese Erkenntnis half dabei, den anfänglichen Schock ein wenig zu mildern.
„Unser Sofa ist frei, wenn du willst gehört es dir." Ich trat ein Stück zur Seite, sodass er eintreten konnte.
„Danke, Con." Er lächelte mich an, hob seine Tasche hoch und betrat meine Wohnung. Mein alter Spitzname aus seinem Mund ließ viele schöne Erinnerungen an meine Kindheit wiederaufleben.
Ema und ich hatte uns immer gut verstanden. Durch Sammy hatten wir nun mal viel miteinander zu tun gehabt und so ließ es sich nicht vermeiden, dass wir uns anfreundeten. Auch wenn diese Freundschaft bei weitem nicht so eng war wie die zu Sammy.
Emanuel war für mich einfach der große, schlaksige, bebrillte Bruder meines besten Freundes. Bis wir eines Tages miteinander im Bett waren.
Ich wusste selbst nicht mehr genau, wie es dazu gekommen war, eine Mischung aus Jugendlicher Neugierde, Langeweile und auch ein wenig Alkohol. Ich war gerade Achtzehn geworden, er zwanzig und Sammy hatte uns beide auf eine Party geschleppt auf der wir niemanden kannten.
Wir hatten nur dieses eine Mal miteinander geschlafen, es war nichts Besonderes, einfach nur Sex und ich hatte ihm bis heute nicht erzählt, dass es mein erstes Mal gewesen war. Mir war es nicht peinlich mit achtzehn noch Jungfrau zu sein, denn ich verstand diesen ganzen Stress und die Aufregung um das erste Mal nicht wirklich. Ebenso wenig verstand ich, wie man seine Jungfräulichkeit verschenken sollte, immerhin war dies kein Gegenstand, nichts dass man besitzen konnte und für mich hatte sie ehrlich gesagt auch nie einen Wert besessen, immerhin hatte ich mich nie wirklich für sie interessiert.
Seit diesem Tag war es einige Zeitlang ziemlich seltsam zwischen Ema und mir geworden, ich war keines Falls in ihn verliebt gewesen und deshalb hatte ich auch einfach so getan, als wäre nie etwas passiert, doch man merkte Emanuel an, dass ihm meine Anwesenheit unangenehm war. Zum Glück verbesserte sich dies, als er einige Monate später eine feste Freundin mit nachhause brachte und sich als Bi outete.
Sammy hatte von all dem zum Glück nie etwas mitbekommen. Es war nicht so, dass wir es unbedingt vor ihm geheim halten wollten, nur war es eben keine große Sache gewesen für uns, und Sammy würde daraus unter Garantie etwas Großes machen. Er hatte schon immer einen Hang zum überreagieren, egal in welcher Hinsicht.
„Deine Wohnung ist echt schön. Wohnst du hier allein?" Ema sah sich neugierig in dem schmalen Flur um, seine Jacke und seine Boots hatte er bereits ausgezogen.
„Nein, mit einer Freundin. Sie schläft gerade." Ich hatte Maggie dazu zwingen müssen sich hinzulegen, sie hatte sich gewehrt und gequengelt wie ein trotziges Kleinkind, das keine Lust auf den Mittagsschlaf hatte, doch kaum das sie in ihren Bett gelegen hatte, war sie auch schon eingeschlafen.
„Oh. Und du bist sicher, dass das für sie auch in Ordnung ist, wenn ich euer Sofa belege?" fragte er etwas unsicher nach.
„Maggie ist zwar nicht der geselligste Mensch, aber sie wird verstehen, dass du vor dem rosa Wirbelwind Schutz suchst. Womöglich wirst du ein paar stichelnde Sprüche abgekommen, aber ansonsten ist sie ziemlich handzahm."
Während ich sprach führte ich ihn ins Wohnzimmer und nahm auf unserem Sofa Platz.
„Handzahm? Bist du sicher, dass du über deine Mitbewohnerin redest und nicht über dein Haustier?" fragte er leicht lachend.
„Du wirst wissen was ich meine, wenn du sie triffst. Aber jetzt erzähl mal, was hast du in den letzten Jahren so getrieben? Außer eine komplette Umgestaltung deines Äußeren."
„Ich hab mich gar nicht so sehr verändert. Das kommt dir nur so vor, weil wir uns lange nicht mehr gesehen haben."
Ich zog zweifelnd die Augenbrauen hoch, erwiderte aber nichts.
„Naja, auf jeden Fall hab ich mein Psychologiestudium abgeschlossen und arbeite jetzt als freischaffender Journalist. Nichts spektakuläres, aber es macht mir Spaß zu schreiben."
„Wenn man schon arbeiten muss, dann sollte es wenigstens etwas sein was einem Freunde bereitete."
„Stimmt." Er lächelte mich an. Er sah verdammt gut aus, wenn er lächelte. Ich hingegen sah jedes Mal, wenn ich versuchte zu lächeln, aus, als würde ich einen Schlaganfall erleiden. „Was gibt's bei dir so erzählenswertes? Hab schon gehört, dass dein Laden gut läuft."
„Ja, das Namenlos ist mein ganzer Stolz. Und wohl das einzige was im Moment in meinem Leben gut läuft." Die kleinen zynischen Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen.
„Beziehungsprobleme?" Ausnahmsweise lächelte Ema mal nicht, stattdessen zog er seine Stirn besorgt kraus. Emanuel war schon immer viel zu besorgt um andere gewesen, wohl ein Nebeneffekt, wenn man der große Bruder von einem chaotischen Tollpatsch war.
„Es gab nie eine Beziehung, von daher... Ist alles ne lange Geschichte, kann ich dir wann anders mal erzählen." Im Moment wollte ich nun wirklich nicht darüber reden. Denn wenn ich darüber reden würde, dann würde die Enttäuschung darüber, dass er nicht zu mir gekommen war und die Erkenntnis, dass er einfach ein beziehungsunfähiges Arschloch war, das seine Verlobte vor lauter Egoismus am Altar hatte stehen lassen und nicht aus Liebe zu mir, wieder hochkommen und mich mit sich reißen. Und ich wollte jetzt nun wirklich nicht schon wieder wegen ihm weinen.
Vor allem nicht vor Emanuel.
„Was hast du dir denn da für einen Schönling angelacht?" Mit neugierigem Blick stand Maggie im Wohnzimmer und musterte uns beide. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkt hatte, wie sie den Raum betreten hatte.
„Das ist Emanuel, Sammys Bruder." Klärte ich sie auf.
„Oh Schreck lass nach, bitte
sag mir, dass die Beiden grundverschieden sind. Zwei von der Sorte ertrag ich nicht!" Theatralisch fasste sich die alte Frau an die Stirn.
„Keine Sorge, ich bin wesentlich umgänglicher, als mein Bruder." Grinste Ema. Ich nickte nur bestätigend und Maggie atmete erleichtert aus.
„Na dann, freut mich dich kennen zu lernen, Emil."
„Emanuel."
„Sag ich doch."
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Bitte, steinigt mich nicht!
Ich weiß, dieses Kapitel hat viel zu lange auf sich warten lassen...
Aber hey, immerhin habt ihr jetzt den bezaubernden Emanuel kennengelernt!
Wie findet ihr IHN?
Ich persönlich liebe ihn einfach.
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