Zwanzig
Deutlich gerädert wache ich am nächsten Morgen durch das dumpfe Dröhnen des Staubsaugers auf dem Hotelflur auf. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es bereits später Vormittag ist.
Niall hat heute nicht versucht, mich zu wecken und ich habe ebenso das Klingeln seines Weckers ignoriert, als er aufgestanden ist. Ich bin einfach noch nicht bereit, mich einem weiteren Gespräch mit ihm zu stellen.
Gestern Abend kam ich nach einem zweiten Cocktail spät abends zurück auf unser Zimmer. Niall hatte bereits im Bett gelegen. Die Vermutung, dass er nur so tat, als würde er schlafen, lag nahe. Denn seine Atmung war lange nicht so tief und regelmäßig, wie sie es normalerweise ist, wenn er sich im Land der Träume befindet. Also schien auch er noch nicht bereit zu sein, mit mir über die Vorkommnisse zu besprechen. Es war mir mehr als recht. Die Drinks hatten ohnehin dafür gesorgt, dass ich kaum noch in der Lage war einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn mich mit Niall auseinanderzusetzen. Louis hatte am Alkohol definitiv nicht gespart.
Außerdem gibt es da immer noch Harry. Mit diesem muss ich unbedingt reden, bevor ich mich erneut Niall stellen werde. Natürlich birgt ein weiteres Treffen mit dem Kellner genug Potential, um den Streit zwischen mir und meinem Partner erneut zu entfachen. Doch wenn ich ehrlich bin, bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt noch schlimmer eskalieren kann, als es nicht ohnehin schon der Fall gewesen ist.
Louis hatte, ohne lange zu überlegen, Harry auf meine Bitte nach einem weiteren Treffen mit diesem eine Nachricht gesendet. Während ich noch an meinem ersten Cocktail schlürfte, bekam er eine Antwort, in welcher stand, dass Harry nichts gegen ein erneutes Treffen einzuwenden hatte. Nach kurzem Überlegen erklärte ich Louis, dass er heute Nachmittag einfach am Strand auf mich warten sollte, auch damit erklärte sich Harry einverstanden und die Sache war somit geklärt.
Niall sollte vorerst natürlich nichts davon erfahren, da er mich sonst sicherlich nur davon abhalten würde. Aber ich muss einfach die Chance nutzen und Harry davor warnen, dass Niall ab sofort ein Auge auf ihn haben würde. Das bin ich ihm im Grunde schuldig, denn schlussendlich ist er unfreiwillig zwischen die Fronten geraten. Was Harry am Ende mit dieser Information anfängt und daraus macht, ist ihm überlassen.
Langsam rolle ich mich von der einen auf die andere Seite. Das Kissen riecht wie gewohnt nach Niall und noch immer ist der Abdruck seines Kopfes darin zu erkennen. Schwer hole ich Luft, als ich mit den Fingern über die leere Bettseite streiche. Ich habe keine Idee, wie es jetzt zwischen uns weitergehen soll.
Mittlerweile bereue ich die Ohrfeige zum Teil, da ich im Grunde körperliche Gewalt verabscheue. Allerdings bin ich auch noch immer bitter enttäuscht von Niall und seiner Reaktion. Welche Frau mag es schon von ihrem Partner als Schlampe betitelt zu werden? Sicherlich hätte ich anders reagieren können, aber in diesem Moment ist einfach eine Sicherung bei mir durchgebrannt und ehe ich mich versah, landete meine flache Hand auf Nialls Wange.
Mit einem Kopfschütteln versuche ich fürs erste die bösen Erinnerungen an gestern Abend zu verscheuchen. Ich entscheide mich für eine kalte Dusche in der Hoffnung, so auch die Nachwehen des Alkohols und der kurzen Nacht mit wirren Träumen verbannen zu können. Immer wieder kamen in diesen Niall und auch Harry vor. Das ist sicherlich nicht weiter verwunderlich, aber die Tatsache, dass ich in diesen auch die Stimme meiner Mutter hörte, die mich immer wieder ermahnte keine Dummheiten zu tun und zu überlegen was gut für mich sei, ärgerte mich.
Meine Mutter ist präsent und das obwohl sie zum jetzigen Zeitpunkt mehrere tausend Kilometer entfernt ist. Warum kann ich mich nicht einmal hier richtig von ihr lösen? Ist es mir einfach nicht bestimmt Entscheidungen alleine zu treffen, ohne dass ich mir unweigerlich die Frage stellen muss, wie sich das wohl auf meine Familie auswirkt?
Nachdem ich frisch geduscht, angezogen und es mir mit etwas Make-up gelungen ist, meine Augenringe zu verdecken, überlege ich, wie ich den angebrochenen Tag bis zum Treffen mit Harry gestallten soll.
Die Chance ist groß, dass Niall hier oben im Zimmer auftauchen wird, wenn er Pause hat und da ich darauf wenig Lust habe und mein Magen ein leises Knurren verlauten lässt, entscheide ich mich zu Fuss den kleinen Ort rund um das Hotel zu erkunden.
Die elektronische Frauenstimme im Fahrstuhl kündigt an, dass ich im Foyer angekommen bin. Schnellen Schrittes möchte ich dieses durchqueren. Meine große Handtasche halte ich an die Seite gedrückt und eine Sonnenbrille verdeckt, wie bei einem Hollywoodsternchen ein Teil meines Gesichts.
Als ich glaube, unerkannt am Ausgang angekommen zu sein und schon erleichtert ausatmen möchte, höre ich, wie mein Name gerufen wird und schnelle Schritte auf dem blankpolieren Marmorboden mir folgen.
„Guten Morgen Niall", versuche ich mich an einem unverfänglichen Gesprächsstart, als ich mich in die Richtung meines Freundes wende und die Sonnenbrille absetze, um nicht unhöflich zu erscheinen.
„Guten Morgen", erwidert dieser fast schon schüchtern meinen Gruß. Kurz scheint er zu überlegen, ob er mir einen Kuss geben soll, entscheidet sich aber zu meiner Erleichterung dagegen, als er bemerkt wie ich mich kaum merklich von ihm weg lehne.
„Hast du gut geschlafen?", erkundigt er sich deutlich verkrampfter, als es für ihn üblich ist.
Ehrlicherweise antworte ich mit nein und auf mein Nachfragen hin, erfahre ich, dass es ihm genauso ergangen ist. Mein Vorteil ist das Make-Up, welches die sichtbaren Beweise bei mir hierfür verdeckt. Niall hat diese Möglichkeit nicht und so ist es offensichtlich, dass er nicht gut geschlafen hat.
„Wo gehst du hin?", fragt er mir einem Blick auf die große Shoppingtasche, sowie mein Outfit und ich straffe die Schultern.
„Bummeln", antworte ich lediglich.
„Alleine?", rutscht es meinen Gegenüber schlagartig raus und ich muss mich selbst daran erinnern ruhig zu bleiben, um keine Szene zu machen.
„Ja", ich sehe ihm direkt in die Augen, als ich hinzufüge, ob er mir es verbieten würde, wenn ich nicht alleine unterwegs wäre.
Niall presst die Lippen aufeinander und ermahnt mich, dass ich keinen Blödsinn erzählen soll. Daraufhin muss ich mir auf die Zunge beißen, um nichts mehr zu erwidern. Das hier ist definitiv nicht der richtige Ort, um unsere Differenzen zu klären.
Stattdessen frage ich ihn, ob ich dann endlich loskann. Bevor Niall mich allerdings ziehen lässt, erkundigt er sich, wann ich denn wieder da wäre. Ich antworte, ohne lange zu überlegen und mit dem Gedanken an das Treffen zwischen Harry und mir, dass ich erst abends wieder da sein würde. Anschließend wünsche ich meinem Partner noch einen ruhigen Arbeitstag und wende mich wieder ab. Der verkniffene Gesichtsausdruck von Niall auf meine schnelle Verabschiedung zeigt deutlich, dass er mich am liebsten zurückhalten würde, aber auch er weiß, dass ihm hier im Foyer nicht viel mehr übrigbleibt, als mich gehen zu lassen. Ein Vorteil, welchen ich in diesem Moment nur zur gerne ausnutze.
Die restliche Zeit bis zum Nachmittag verbringe ich also in der kleinen Ortschaft rund um das Hotel. Zuerst nehme ich einen kleinen Snack in einem Café zu mir, um anschließend durch die Gassen zu bummeln und mich von dem Trubel der Touristen und der Gelassenheit der Einwohner ablenken zu lassen.
Eine alte Kirche aus Backstein erweckt mein Interesse. Kurzentschlossen besichtige ich das kleine Gotteshaus. Den Kirchturm darf man über eng gewundene Stufen nach oben erklimmen und für einen kleinen Obolus nehme ich dieses Angebot an. Oben angekommen, weht eine erfrischende Brise und man hat eine herrliche Sicht über einen kleinen Teil der Insel. Ich mach ganz typisch für eine Touristin ein paar Aufnahmen. Einige davon schicke ich mit lieben Grüßen an Mel. Kurz danach antwortet sie mir auch schon, dass sie mir weiterhin ganz viel Spaß und Erholung wünscht - darüber muss ich sarkastisch lachen. Wenn sie nur wüsste, was hier los ist. Weiter berichtet sie mir, dass auf der Arbeit alles seinen gewohnten Gang geht. Nur der letzte Satz ihrer Nachricht, in welchem sie mir erzählt, dass mein Vater wohl demnächst auch verreisen wird, lässt mich stutzig werden. Auf mein Nachfragen, ob sie wüsste wohin es geht, antwortete meine Sekretärin nur, dass sie keine Ahnung habe.
Wenngleich ich gerne wüsste, wo mein Vater denn hinmöchte, werde ich nicht zu Hause anrufen, um es herauszufinden. Ich bin ehrlich froh darüber, dass mich sowohl mein Vater, sowie meine Mutter auch in diesem Urlaub bisher in Ruhe lassen. Doch es ist mehr als ungewöhnlich, dass die beiden nicht damit prahlen, wo ihr nächster Luxustrip hingehen wird.
Bereits einige Zeit später habe ich die Urlaubspläne meiner Eltern schon wieder vergessen. Es ist Zeit, mich auf den Weg zum Strand zu machen. Ich entschließe mich dazu, einen anderen Zugang zum Meer zu suchen, als den über das Hotelgelände. Die Gefahr ist einfach zu groß, dass ich Niall erneut über den Weg laufe und er mich dieses Mal nicht ziehen lassen wird.
Es ist einfach wichtig, dass ich erst mit Harry spreche, bevor ich mich Niall stelle. Ewig kann ich ihm ohnehin nicht aus dem Weg gehen und das möchte ich auch gar nicht. Es ist ja nicht so, dass ich Niall plötzlich hassen würde. Im Gegenteil er ist weiterhin die wichtigste Bezugsperson überhaupt in meinem Leben und es liegt mir viel daran unsere Differenzen zu klären.
Aber ich kann auch nicht einfach so tun, als wäre da nichts, was mich zu Harry hinzieht. Ihm aus dem Weg zu gehen hat sich ohnehin als unmöglich erwiesen. Vielleicht ist das nach einem erneuten Treffen einfacher zu meistern, wenn wir alles geklärt haben.
Pünktlich laufe ich langsam in Richtung Hotel den Strand entlang. Der Teil, der nicht mehr dazu gehört, ist deutlich steiniger und würde man hier barfuß unterwegs sein, dann wäre das sicherlich sehr schmerzhaft. Noch kann ich keine Gestalt erkennen, die mich an Harry erinnert. Als ich dem gepflegten Hotelstrand nahe genug bin und aus der Entfernung sehen kann, dass sich ein paar Gäste an diesem tummeln, entschließe ich mich dazu, mich in sicherem Abstand auf einem glatten Stein niederzulassen und zu warten.
Immer wieder blicke ich mich suchend um. Die Zeit vergeht und ich komme langsam zu der Überzeugung, dass Harry nicht mehr auftauchen wird.
Enttäuscht lasse ich mein Gesicht in den Handflächen verschwinden. Ich hatte wirklich geglaubt, dass er auftauchen würde, umso mehr trifft es mich nun, dass er nicht erscheint.
„Ist der Ausblick so schrecklich, dass du ihn nicht mehr ertragen kannst, oder warum versteckst du dich hinter deinen Händen?", höre ich plötzlich Harrys ruhige Stimme.
Erschrocken öffne ich die Augen. In einer kurzen Hose und einem ausgewaschenen Shirt mit Rolling-Stones-Aufdruck steht er direkt vor mir. Freundlich lächelnd mustert er mich. Seine Haare werden nur durch eine Sonnenbrille davon abgehalten ihm die Sicht zu nehmen, während seine Locken spielerisch vom Wind um die markanten Züge geweht werden.
Nachdem ich mich erhoben habe, stehe ich unschlüssig vor dem jungen Mann, da ich plötzlich unglaublich nervös bin. In meinen Bauch herrscht Chaos und mein Kopf scheint wie leergefegt. Harry dagegen ist locker wie immer. Ohne lange zu Zögern, schließt er die athletischen Arme um meinen Oberkörper und drückt mich einmal an sich. Wieder ist es sein Aftershave, das mir sofort auffällt. Mein Herz scheint auszusetzen und ich kann nicht anders, als diesen Moment einfach zu genießen.
„Schön, dass du dich noch einmal gemeldet hast. Es tut mir leid, dass ich zu später bin, aber ich wurde aufgehalten", entschuldigt er sich und löst die Umarmung.
Erst nachdem wir wieder in einem unverfänglichen Abstand zu einander stehen, scheint auch mein Herz endlich zu wissen, was dessen Aufgabe ist und nimmt seine Funktion wieder auf.
„Du hast bestimmt gedacht, dass ich nicht komme, oder?", spricht Harry unbeirrt meine Vermutung über sein spätes Erscheinen aus.
Höflich flunkere ich, dass ich mir schon gedacht habe, dass ihm etwas dazwischengekommen ist. Harry sieht mich einen Moment an, bevor sich seine Grübchen tief in die Wangen graben und er anklagend mit dem Finger auf mich deutet.
„Lüge!", entlarvt er mich und ich bin sprachlos, sodass ich mich damit ohnehin verrate.
„Aber ist nicht so schlimm", entschärft er die Situation sofort und sieht mich abwartend an.
Da ich nicht weiß, wie ich das Gespräch beginnen soll, frage ich zuerst, ob wir nicht ein Stück gemeinsam gehen wollen. Harry zuckt leichthin mit den Achseln und bedeutet mir, dass er gerne bereit ist, mit mir spazieren zu gehen. Nebeneinander setzen wir uns also in Bewegung. Während der Wind die Wellen an den Strand spült und die salzige Luft um uns herum aufwirbelt, bin ich mir der Anwesenheit Harrys mehr als bewusst. Ich kann es mir selbst kaum erklären, aber er macht mich unheimlich nervös und ruhig gleichermaßen. Ich habe nicht den Eindruck als müsste ich etwas vorspielen, das ich nicht bin. Zumal Harry immer wieder beweist, dass er Lügen und Unsicherheiten schnell zu durchschauen scheint.
„Unser letztes Treffen am Strand ist mir noch deutlich in Erinnerung", unterbricht Harry die Stille und sieht mich von der Seite her an. Seine Augen wandern über meine Erscheinung und bleiben an meinen Füßen hängen. „Gut, dass du deine Schuhe heute vorsorglich gleich anlässt", grinst er frech.
Beschämt verberge ich mein Gesicht und beschwere mich, dass er mich doch bitte nicht an diese peinliche Situation erinnern soll. Harry lacht daraufhin nur, greift das Thema aber zu meiner Erleichterung nicht noch einmal auf.
„Also warum wolltest du mich treffen?", erkundigt er sich schließlich, als wir ein ganzes Stück schweigend gegangen sind.
Eine Strähne meiner roten Haare, welche mir immer wieder ins Gesicht gepustet wird, bekomme ich zu fassen und zwirble sie nervös zwischen meinen Fingern. Harry bemerkt natürlich auch das und greift nach meiner Hand, sodass ich die Strähne fallen lasse.
„Ich habe bereits so eine Vermutung", lässt er mich wissen und seine Finger verlassen meine Hand wieder.
Die Wärme, welche von seiner kurzweiligen Berührung ausgeht, kriecht meinen gesamten Arm entlang und trägt wenig dazu bei, dass ich ruhiger werde.
„Welche?", frage ich ihn und bleibe stehe, um direkt in seine grünen Augen sehen zu können.
„Ich vermute, dass es um Mister Horan geht", lässt er die Katze aus dem Sack und ich starre ihn überrascht an.
Ups, könnte es sein, dass Niall da schneller war, als Vicky?
Danke fürs Sternchen drücken und kommentieren.
Ich wünsche euch einen schönen Tag. :)
Anni
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