Zehn
Es sind vermutlich nur wenige Sekunden, die verstreichen und in denen der Blick von Niall zwischen mir und Harry wandert. Aber dennoch kommen mir diese Sekunden wie Stunden vor. Stunden, in denen ich lautlos dafür bete, dass Niall keine weiteren Fragen stellt und Harrys Erklärung einfach hinnimmt.
Ich weiß selbst nicht, warum ich nicht einfach die Wahrheit sage. Eigentlich ist doch zwischen mir und dem jungen Kellner nichts weiter passiert. Dennoch habe ich das Gefühl, ich müsse diesen Moment am Strand verheimlichen. Es fühlt sich einfach falsch an, würde ich Niall davon erzählen. Und irgendwie will ich diesen Augenblick, so belanglos er vielleicht auch erscheint, für mich behalten. Ich möchte nicht, dass jemand außer Harry und mir davon weiß. Erklären warum ich so empfinde, kann ich es mir selbst nicht.
Meine Stoßgebete Richtung Himmel finden, obwohl ich innerlich flehe kein Gehör, denn Niall gibt noch immer nicht nach. Ganz im Gegenteil.
„Woher wusstest du, dass es sich bei den Schuhen um die meiner Freundin handelt?", bohrt er interessiert nach und lässt seinen Angestellten nicht aus den Augen.
Nialls Ausstrahlung ist in diesem Moment ganz anders, als man es sonst von ihm gewohnt ist. Genau jetzt wirkt er wie ein harter Geschäftsmann, der keine Sekunde mit der Wimper zucken würde, wenn es darum geht, das zu verteidigen, was ihm gehört. Natürlich muss er diese Aura besitzen, andernfalls würde er nicht an dem Punkt in seinem Leben stehen, wo er sich mittlerweile befindet. Es ist wichtig, sich in dieser Branche durchsetzen zu können. Allerdings zeigt Niall diese Seite nur sehr selten. Umso besorgter bin ich, dass ich im Augenblick solche Züge an ihm erkennen kann.
Wäre ich an Harrys Stelle würde ich vermutlich den Kopf einziehen. Mich reumütig entschuldigen und diskret, so schnell es mir möglich ist, das Weite suchen.
Doch ganz anders verhält sich der Angestellte. Mit erhobenem Haupt, den Rücken gerade und die Arme lässig hinter diesem verschränkt, hält er dem strengen Blick seines Vorgesetzten stand. Ich meine sogar wieder dieses kleine Schmunzeln um seine Lippen herum erkennen zu können.
Was verdammt ist mit ihm los? Hat er denn keine Angst um seinen Job? Wenngleich ich nicht daran glaube, dass Niall aufgrund dieser Lappalie einen solch drastischen Schritt gehen würde. Doch das liegt lediglich daran, weil ich meinen Freund schon fast mein ganzes Leben kenne und zu wissen glaube, dass er kein bösartiger, oder rachsüchtiger Mensch ist. Harry allerdings kann das nicht ahnen und umso überraschter bin ich, als er auch auf das erneute Hinterfragen von Niall, völlig ruhig und gelassen antwortet.
„Ich habe Sie noch weggehen sehen und die roten Haare ihrer Freundin sind wirklich auffällig. Gewissheit hatte ich dann heute Morgen beim Frühstück, als Sie mir erzählt haben, dass Sie von ihr nur wissen wollten, ob es am Strand gestern Abend schön war."
Harrys Antwort klingt logisch und auch Niall scheint sich nun etwas zu entspannen. Ich weiß nicht, ob ich den Kellner dafür bewundern soll, dass er so unverschämt gut lügen kann, oder er mir aufgrund dieser Tatsache unsympathisch erscheinen sollte. Zumal er noch immer ein Lächeln auf den Lippen trägt.
Allerdings muss ich mir selbst erneut eingestehen, dass ich ihn nicht unsympathisch finde. Ganz im Gegenteil - leider.
„Ich dachte, dass du alleine am Strand warst?", hinterfragt Niall die Aussage des Kellners, sieht nun aber mich an.
Ich schlucke den Knoten in meinem Hals runter und antworte so überzeugend, wie es mir möglich ist, dass ich alleine war und Harry nicht gesehen habe.
Es ist einer der wenigen Augenblicke in meiner langen Freundschaft und Beziehung mit Niall in denen ich ihn bewusst anlüge. Innerlich möchte ich mich für diese Sünde selbst ohrfeigen und trotzdem bleibe ich bei meiner und Harrys Version des gestrigen Abends.
Plötzlich legt mir Niall seinen Arm um die Taille und aufgrund dieser überraschenden Geste zucke ich kaum merklich zusammen. Während mein Freund diese Reaktion nicht wahrzunehmen scheint, sieht Harry mir wenige Sekunden direkt in die Augen, bis ich verschämt die Lider senke, da ich diesem Blick, aus den grünen Augen, nicht eine Sekunde länger standhalten kann.
„Da hast du allerdings recht Harry, ihre roten Haare sind mehr als auffällig und wie ich finde wunderschön."
Um seine Worte zu unterstreichen drückt er mir einen sanften Kuss auf die Haare. Eine Geste, welche ihm keine Mühe bereitet, da ich etwas kleiner als er bin.
„Da möchte ich nicht widersprechen", bestätigt Harry und sieht uns beide, ohne jede Regung an.
Niall hingegen mustert seinen Angestellten noch einmal nachdenklich bevor er sich schlussendlich wieder an mich wendet.
„Wie sieht es aus Vicky, ich wollte mit dir zusammen etwas essen, bevor ich mich mit der Leitung vom Service treffe", teilt er mir den eigentlichen Grund seines plötzlichen Auftauchens mit.
Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie Harry sich unauffällig abwendet und zurück zu seinem Arbeitsplatz hinter die Bar kehrt.
Obwohl ich eigentlich keinen Hunger habe, stimme ich dem Vorschlag von Niall zu, einfach weil ich froh darüber bin, dass er die Geschichte zu meinen Schuhe zu glauben scheint und ich nicht möchte, dass er erneut skeptisch wird.
Doch vorerst trennen sich unsere Wege am Pool. Ich verspreche Niall, dass ich ihn in einer halben Stunde im Restaurant treffe, wo er auf mich warten wird. Vor dem Essen muss ich mir unbedingt das Chlor vom Körper waschen und die wenigen Minuten alleine nutzen, um wieder runter zu kommen.
Die Dusche bringe ich schnell hinter mich, um anschließend meine Haare zu föhnen. Ein schlichter Zopf muss jetzt reichen. Zu dem luftigen Kleid entscheide ich mich für ein paar Ballerinas. Obwohl ich normalerweise Sandaletten dazu anziehen würde. Aber wer weiß, ob Niall erneut grübelt und Fragen stellt, wenn ich ausgerechnet diese Schuhe zu unserem gemeinsamen Mittagessen anziehe.
Wie versprochen wartet er auf der Terrasse des Restaurants an einem Tisch für zwei auf mich. Als ich auf ihn zugehe, steht er ganz auf, wie es die Manieren verlangen und rückt den Stuhl ihm gegenüber für mich zurecht. Mit einem "Danke" lasse ich mich auf diesen fallen. Eine Speisekarte liegt schon bereit und ich entscheide mich für einen Salat mit Hühnerbruststreifen. Niall hingegen wählt ein Steak zu seinem Salat.
Er ist jemand, der noch nie auf seine Figur achten musste und schon immer essen konnte, was er wollte, ohne wirklich zuzunehmen. Darum beneide ich ihn, auch wenn das wohl der Grund ist, warum er meine Essgewohnheiten so schwer nachvollziehen kann.
Wenn man einmal mit dem Gewicht zu kämpfen hatte, sowie mit den dazugehörigen Blicken als auch Worten anderer Menschen und den Kampf gegen die überflüssigen Kilos schließlich gewonnen hat, dann achtet man stärker darauf, dass es nie wieder so weit kommt.
Ich weiß, was ich meinem Körper zumuten kann und wie viele Kalorien nötig sind, damit ich gut durch den Tag komme. Von daher lass ich mir in diesem Punkt auch von niemanden mehr reinreden und meine schlanke Figur ist Beweis genug, dass ich den richtigen Weg gehe.
Das Essen wird serviert und der Salat stellt sich als die richtige Wahl heraus. Das Dressing, welches separat gereicht wird, lasse ich weg und aufgrund meiner sportlichen Aktivität vor einer Stunde schaffe ich es den ganzen Teller bis auf wenige Stücke Hühnchen aufzuessen.
„Dieser Harry ist nett, oder?", fragt Niall plötzlich, um sich gleich darauf einen Schluck von seinem alkoholfreien Cocktail zu gönnen, wobei er mich aber nicht aus den Augen lässt, um wohl meine Reaktion auf seine Frage zu beobachten.
„Hmm", antworte ich lediglich, da ich eigentlich nicht über ihn reden möchte.
„Ich meine, dass er dir wirklich deine Schuhe hinterherträgt, das würde doch nicht jeder tun", forscht er weiter und sieht mich noch immer mit einem undurchdringlichen Blick an.
„Hast du schon recht", antworte ich ausweichend und greife ebenfalls nach meinem Wasserglas und bete mal wieder, dass Niall in Bezug auf Harry Ruhe gibt.
Doch stattdessen trifft er mich mit seinen nächsten Worten wieder völlig unvorbereitet.
„Ich habe den Eindruck er hat Interesse an dir."
Erschrocken rutscht mir fast das Glas aus den Finger. Doch in letzter Sekunde kann ich meine Haltung bewahren und antworte ihm betont gelassen, indem ich ihm eine Gegenfrage stelle.
„Wie kommst du denn darauf?"
Ich bin ernsthaft gespannt auf seine Antwort. Harry hatte sich doch lässig gegeben und professionell, wie kann Niall daraus schließen, dass der Kellner Interesse an mir hat.
„Die Blicke in deine Richtung. Er findet deine Haare schön", zählt Niall mir die Punkte auf, welche für ihn scheinbar ausschlaggebend sind, sodass er glaubt Harry hätte Interesse.
Milde lächelnd winke ich ab und antworte, dass ich glaube er würde da zu viel in etwas hineininterpretieren, wo eigentlich nichts ist.
„Du glaubst also, dass ich mir das einbilde?", fragt er mich etwas pikiert und sieht mich wenig amüsiert an.
Ich gebe mir einen Moment Zeit, um meine Antwort etwas hinauszuzögern. Denn ich merke genau, dass Niall es absolut ernst meint und ich ihn nicht einfach mit einem lapidaren Spruch abfertigen kann. Nachdem mein Glas leer ist und Niall mich schon mit einer gewissen Ungeduld ansieht, setze ich zu einer Antwort an, von der ich hoffe, dass wir endlich mit diesem Thema abschließen können.
„Ich würde niemals behaupten, dass du dir etwas einbildest", versuche ich meinem Freund erstmal den Wind aus den Segeln zu nehmen. "Aber ich denke, dass Harry einfach nur höflich ist und du da etwas falsch interpretierst. Was meine Haare betrifft, hat er dir lediglich zugestimmt und das mit den Schuhe war doch nicht mehr als eine nette Geste."
Niall scheint über meine Worte nachzudenken. Während er dies tut kratzt er sich über die kurzen Stoppeln an seinem Kinn und das Grübchen tritt hervor.
„Mag sein, dass ich vielleicht etwas eifersüchtig bin", zieht er ehrlich ein Resümee und sieht mich entschuldigend an, sodass ich schon fast erneut Mitleid mit ihm bekomme.
Es tut mir leid, dass er so empfindet. Ich versuche mich in seine Lage zu versetzen und wäre ich an seiner Stelle und hätte aus seiner Sicht, das merkwürdige Schauspiel von vorhin betrachten müssen, dann wäre ich wohl auch skeptisch. Obwohl ich grundsätzlich kein eifersüchtiger Mensch bin, aber das Gefühl belogen zu werden mag wohl niemand. Und ich habe im Grunde genau das getan. Ich habe Niall angelogen und versuche seine nun begründeten Zweifel, dass er nicht die ganze Wahrheit kennt auch noch runterzuspielen und als falsch dazustellen.
„Du musst dich nicht entschuldigen", sage ich und hoffe, dass er so sein schlechtes Gewissen abstellen kann, denn wenn dann bin ich die Einzige von uns beiden, die darunter leiden sollte.
„Aber dennoch glaube ich, wäre es mir lieb, wenn du ihm vielleicht ein bisschen aus dem Weg gehen könntest", bittet Niall mich und sieht mich direkt an.
Seine Bitte kommt mir natürlich mehr als gelegen, da ich bereits selbst mit dem Gedanken gespielt habe, dem Kellner besser aus dem Weg zu gehen. Seine Wirkung auf meine Person ist mir selbst unheimlich und aus diesem Grund fällt es mir leicht Niall dieses Versprechen zu geben.
Mein Entgegenkommen lässt seine Miene welche sich in den letzten Minuten in eine ernste Maske verwandelt hatte, erhellen. Lächelnd steht er auf und kommt um den Tisch herum auf mich zu.
„Lass es mich so erklären, ich teile einfach gewisse Dinge in meinem Leben nicht gerne", lässt Niall mich wissen und bevor es mir möglich ist darauf zu reagieren, drückt er mir fordernd und mit einem gewissen Nachdruck seine Lippen auf.
Ich lasse den Kuss zu und entscheide, dass ich nichts weiter sagen werde. Auch wenn mir diese Seite in Bezug auf meine Person neu ist. Allerdings waren Niall und ich auch noch nie in solch einer Situation. Es gab bisher keine Männer in meinem Leben, die solch unbekannte Empfindungen in mir hervorrufen, wie Harry es getan hat.
Und obwohl eine kleine, aber sehr leise Stimme in meinem Innern mich auffordert, dem ganzen auf den Grund zu gehen, um rauszufinden, was Harry so Besonderes an sich hat, schwöre ich mir, dass ich mich an das Versprechen gegenüber Niall halte und dem Kellner aus dem Weg gehen werde.
Wie schwer kann das schon sein? Der Urlaub dauert nur zwei Wochen und diese Zeit sollte ich nutzen, um mich zu erholen und nicht, um mir den Kopf über einen fremden Mann zu zerbrechen.
Zu erst vielen lieben Dank für über 1000 Sternchen, ich freue mich auch weiterhin über jeden, der das Sternchen drückt. :)
Gut, ich brauche wohl nicht die sinnlose Frage stellen, ob ihr daran glaubt, dass Vicky sich von Harry fernhalten kann ^^
Von daher würde ich gerne von euch wissen, was erwartet ihr euch von OW? Bestimme Szenen zB, oder im allgemeinen so. Ich lese einfach immer gerne eure Vermutungen und Vorschläge, manchmal sind sie eine Inspiration... bestes Beispiel hier für ist wohl EGOMANIAC xD
Anni
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