Vierzehn
„Also ihr seid bestimmt hier, weil ihr etwas essen wollt, oder?", erkundigt sich Valeria, nachdem das Begrüßungsritual abgeschlossen ist.
„Genau so sieht es aus", bestätigt Harry ihre Vermutung und lächelt seine Freundin an.
„Dann folgt mir, bei uns gibt es immer was."
Schwungvoll geht sie voran und Harry folgt ihr direkt. Mit etwas Abstand gehe ich den Beiden hinterher. Irgendwie fühle ich mich im Augenblick absolut fehl am Platz.
Warum bringt mich Harry ausgerechnet hier hin? Was genau ist Val für Harry? Seine Ex-Freundin vielleicht? Obwohl, müssten sie dann nicht mehr auf Abstand gehen? Ihre Umarmung wirkte jedoch sehr herzlich, sodass man im ersten Moment hätte vermuten können, es handle sich bei der jungen Latina um seine Schwester. Aber ihr Akzent, der in ihrem Englisch mitschwingt, lässt keine Zweifel daran, dass ihre Muttersprache Spanisch sein muss.
Unweigerlich erwische ich mich dabei, wie ich Valerias Erscheinung genauer unter die Lupe nehme. Sie hat Kurven, solche, auf die wohl alle Männer stehen. Ihre Rückenansicht, in der hautengen Jeans lässt keine Zweifel daran, wie perfekt geformt ihr Po ist. Zu der tollen Figur gesellen sich glänzende, dunkle Haare und eine olivfarbene Haut. Sicherlich hat sie genug Verehrer und Harry scheint einer von diesen zu sein.
Ihr vielsagendes Grinsen, als sie sich erkundigt hat, ob sie nur eine gute Freundin sei, lässt eine Menge Interpretationsraum zu. Allerdings lässt mich Harrys Reaktion darauf vermuten, dass die beiden zumindest eine Affäre gehabt haben müssen.
„Vicky kommst du?", mischt sich plötzlich Harrys Stimme in meine Gedanken ein.
Ich muss mich kurz orientieren, wo ich mich eigentlich befinde, so sehr versunken bin ich in meinen Spekulationen gewesen. Im Grunde kann es mir doch egal sein, in welchem Verhältnis die beiden zueinander stehen, aber zu meinem Leidwesen ist das nicht der Fall.
Als ich zu Harry aufgeschlossen habe und er mir den Vortritt lässt, um die kleine Lokalität zu betreten, spüre ich wie er seine Hand unterhalb meiner Schulten ruhen lässt und mich auf diese Weise sanft in die richtige Richtung lenkt. Seine Finger sind warm und die Hitze breitet sich durch den dünnen Stoff meines Kleides schnell über meinen ganzen Rücken aus.
Val ist aus unserem Sichtfeld verschwunden. Gemeinsam mit Harry betrete ich durch das doch recht dunkle Innenleben des Bistros den wunderschönen Innenhof. Der Himmel ist fast vollständig unter dem dichten Blattwerk der Weinreben verschwunden. Kleine, bunte Lichter sind dazwischen verwoben und schaffen so eine gemütliche, fast heimelige Atmosphäre.
Harry bemerkt meinen Blick und erkundigt sich, ob es mir gefällt. Ich nicke begeistert und wir suchen uns einen Tisch, welcher direkt an der hohen, alten Backsteinmauer steht und somit diesen Innenhof von dem des Nachbarn trennt.
Zu meiner Überraschung, und obwohl die Zeit bereits fortgeschritten ist, sind wir nicht alleine. Einheimische sitzen in teilweise größeren Gruppen gemeinsam am Tisch und genießen ihre Tapas und den Wein aus Karaffen. Die Stimmung ist ausgelassen und die Anwesenden unterhalten sich rege, scheinen so ihren Feierabend sichtlich zu genießen.
„Hast du Lust auf ein Glas Wein? Vals Familie macht den noch selbst", erklärt mir Harry, während er mir eine der bereitliegenden Karten reicht.
Bei dem Spitznamen der jungen Frau aus seinem Mund muss ich kurz schlucken, hoffe aber, dass Harry meine Reaktion nicht bemerkt. Ich könnte mich selbst dafür Ohrfeigen, dass es mich so sehr beschäftigt was sie ihm bedeuten könnte. Schnell schüttle ich den Kopf und erkläre, dass ich eigentlich nicht so gerne Alkohol trinke und nur wenig vertrage.
„Wollen wir uns ein Glas Rotwein teilen?", fragt Harry dennoch.
„Bitte, du musst den wenigstens mal probiert haben. Wenn man nicht ein Glas Wein hier getrunken hat, dann hat man in seinem Urlaub wirklich was verpasst", versucht er mich zu überzeugen und ich stimme schließlich nickend zu. Ein Glas Wein, das wir uns gemeinsam teilen wird sicherlich keine katastrophalen Folgen haben.
Harry scheint auch ohne Speisekarte zu wissen, was er essen möchte. Vermutlich war er schon recht häufig hier. Natürlich wird das der Fall sein, wenn er Val augenscheinlich nahe steht, erinnert mich eine gehässige Stimme in mein Kopf.
Nach wenigen Minuten kommt Valeria an unseren Tisch und nimmt unsere Bestellung auf. Es fällt mir durchaus auf, dass sie hierbei Harry besondere Aufmerksamkeit schenkt. Doch wer kann ihr das verdenken. Ich muss mich selbst zusammenreißen, um ihn nicht die ganze Zeit anzustarren.
Nachdem wir unsere Getränke erhalten haben, sieht Harry mich musternd an. Ich entscheide mich dazu, von dem so angepriesenen Wein zu kosten und muss gestehen, dass dieser wirklich fruchtig und lecker ist.
„Er schmeckt dir, oder?", forscht mein Tischnachbar wissend nach und ich nicke.
„Sag ich ja", schmunzelt er triumphierend.
Ich möchte ihm das Glas reichen, allerdings schiebt Harry es mit einem Kopfschütteln zurück auf meine Hälfte des Tisches.
„Trink du mal, ich muss ja schließlich noch fahren", erklärt er mit einem Zwinkern und ich begreife, dass dies wohl von Anfang an sein Plan war.
„Nun Vicky, erzähl mir doch mal etwas von dir", fordert er mich schließlich auf und faltet die Hände lässig unter seinem Kinn, so als würde er gleiche eine spannende Geschichte zu hören bekommen.
Wenn er nur wüsste, dass mein Leben alles andere als spannend ist. Es ist das ganze Gegenteil, langweilig, vorhersehbar und nicht selten einfach nur frustrierend.
„Was möchtest du denn wissen?"
Harry spitzt die Lippen und schaut kurz in die Luft bevor er mich lediglich fragt, wo ich denn herkommen würde. Ehrlich antworte ich ihm, dass ich aus Berlin stamme. Zu meiner Überraschung scheint er interessiert daran zu sein. Er selbst stammt aus einem kleinen Dorf in England. Der Frage, warum er dort nun nicht mehr wohnt, weicht er allerdings aus. Etwas verwundert mich seine Zurückhaltung bei diesem Thema, aber ich forsche nicht weiter nach, da ich es für unhöflich halte ihn über die Hintergründe seiner Auswanderung auszufragen. Wir beide kennen uns ja eigentlich kaum.
Stattdessen fragt er mich bis wir unser Essen serviert bekommen über Berlin Löcher in den Bauch. Geduldig beantworte ich alle Fragen und bin froh darüber, dass er nicht näher auf mein Privatleben eingeht.
Bevor Harry den ersten Bissen von seinem Abendessen nimmt, erklärt er mir voller Überzeugung, dass er mich irgendwann einmal in Deutschland besuchen wollen würde. Ich lache lediglich, da ich das für einen Scherz halte und dieser Aussage somit wenig Bedeutung beimesse.
Mein Fisch und das dazugehörige Gemüse sind perfekt gewürzt und mit Zitrone abgestimmt, beides wurde auf dem Grill zubereitete und ich merke, dass ich jetzt wirklich Hunger habe. Dazu trinke ich das Glas Wein, der mir mit jedem Schluck besser mundet, leer. Allerdings sorgt der Alkohol darin auch, dass mir ziemlich warm wird und ich mir wünsche durch den Innenhof würde ein Lüftchen wehen.
Wir unterhalten uns über alles und nichts. Harry erzählt mir, dass er Molly gemeinsam mit Louis gekauft hat und sein Kumpel das Moped immer Thunder nennt, weil er Molly albern findet. Ich kichere wie ein kleines Mädchen, was mein Tischnachbar als Zustimmung deutet, dass ich ebenfalls Molly viel passender für den roten Roller finde.
„Sag ich doch Thunder klingt albern, aber doch nicht Molly", beendet Harry das Thema und sieht mich mit einem zufriedenen Lächeln an.
„Wohnen du und Louis also zusammen?", erkundige ich mich.
Harry überlegt einen kleinen Moment, bevor er vage antwortet, dass man es so nennen kann. Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen.
„Was denn nun? Ja, oder nein?", forsche ich nach.
Wenn die beiden zusammenwohnen, würde es zumindest erklären warum Harry Wasser schleppen soll.
„Lässt sich schwer erklären. Ich würde es dir bei Gelegenheit mal zeigen, wenn du möchtest?", bietet er mir an.
Ich muss nicht lange überlegen und stimme diesem Vorschlag zu, da er mich mit seiner Antwort doch viel zu neugierig gemacht hat.
Und ohne, dass ich es im ersten Moment bemerke, habe ich quasi einem weiteren Treffen mit Harry zugestimmt. In diesem Moment muss ich an Niall denken und mein Magen zieht sich schmerzvoll zusammen.
Kurz blicke ich mich um und überlege wie dieses Treffen wohl auf Außenstehende wirken muss. Was ich hier tue, ist absolut falsch und unfair gegenüber Niall. Doch wenn ich mein Gegenüber ansehe, wie er mich noch immer interessiert mustert und er dann doch ab und zu in Gedanken versunken mit den Fingern über seine volle Unterlippe, dann muss ich mir eingestehen, dass dies für mich eines der besten Abendessen seit langem ist.
„Und du wohnst mit meinem Boss zusammen?", kommt Harry ausgerechnet auf das Thema zu sprechen, welches ich am liebsten vermeiden würde.
Es bringt nichts das Offensichtliche zu leugnen. Niall hat bei unserem letzten Aufeinandertreffen mit Harry mehr als deutlich gemacht, welche Rolle ich in seinem Leben spielen. Schon aus diesem Grund stimme ich Harrys Aussage ehrlich zu.
„Ihm scheint viel an dir zu liegen", spricht mein Gegenüber seine Gedanken anscheinend laut aus.
Erneut passiert es, dass ich in Gegenwart von Harry rede, bevor ich über meine Worte nachdenke. Vielleicht sorgt auch der Wein dafür, dass sich meine Zunge zusätzlich lockert.
„Was genau ist das hier eigentlich?"
Verwirrung spiegelt sich auf dem markanten Gesicht meines Begleiters wieder, als er mich fragt was ich denn meinen würde. Mit der Hand deute ich nervös erst auf ihn und dann auf mich.
„Dieses Abendessen hier", führe ich meine Frage weiter aus und hoffe, dass ich nicht noch mehr sagen muss.
Harry lässt seelenruhig seine Hand durch die Locken wandern, bevor er sich in seinem Stuhl zurücklehnt und mich direkt ansieht.
„Ich würde sagen ein Kennenlernen", antwortet er geradewegs.
„Warum willst du mich kennenlernen?", forsche ich weiter nach.
Mit solch einer lapidaren, nichtssagenden Antwort will ich mich nicht zufriedengeben. Es kann doch nicht normal sein, dass man wildfremde und dazu vergebene Frauen einfach auf ein Treffen einlädt, und das ohne Hintergedanken.
„Ich weiß nicht. Du hast vom ersten Moment an etwas verloren gewirkt", beginnt er und ich unterbreche Harry bevor er weiterreden kann.
„Willst du also sagen, dass du aus Mitleid handelst?", frage ich und muss schwer schlucken, um meine Entrüstung über seine Worte, die mich ehrlich verletzt haben, so gut es mir gelingt zu verbergen.
„Nein", versucht er seine Worte abzumildern, aber ich höre nur noch mit einem halben Ohr hin, da ich verzweifelt versuche die Tränen, welche in mir hochsteigen zu unterdrücken.
Zu allem Überfluss kommt in diesem Moment Valeria an unseren Tisch, um zu fragen, ob wir noch etwas benötigen. Ohne darauf zu achten, dass sie diese Frage eher an Harry gerichtet hat, als an mich, sage ich ihr, dass ich bezahlen möchte und an Harry, dass wir jetzt gehen können.
Der Blick der spanischen Schönheit, welchen sie Harry zuwirft, lässt keine Zweifle daran, was sie in diesem Moment über mich denkt. Doch mir soll es egal sein. Harry geht ebenfalls nicht auf die stumme Frage von Val ein, was ich denn für eine Zicke bin, sondern holt lediglich seine Geldbörse raus, um die Rechnung zu begleichen.
Da ich es nicht mehr länger mit Harry an einem Tisch aushalte, stehe ich bereits auf. Auf dem Kiesboden höre ich, wie er mir mit schweren Schritten nach draußen folgt. Dieses Mal warte ich nicht auf seine Aufforderung. Ich knote mein Kleid erneut zusammen, setze mir den Helm auf und steige auf das Moped.
„Vicky, können wir bitte kurz darüber reden was gerade passiert ist?", versucht er ein Gespräch zu beginnen und macht keine Anstalten auf den Roller zu steigen.
„Nein, ich möchte jetzt zum Hotel. Es ist spät und Niall wird auch bald wieder zurück sein", appelliere ich an Harry und meide es ihn anzusehen.
Meine abwertende Haltung scheint Harry deutlich zu machen, dass es im Augenblick keinen Sinn hat mit mir zu reden. Ergeben steigt er auf das Moped. Obwohl ich ihn gerade nicht anfassen möchte, bleibt mir nichts anderes übrig und so schließe ich wie schon auf der Hinfahrt die Arme um seinen Oberkörper.
Während der Fahrt herrscht Stille und sein Geruch lässt den Knoten in meinem Hals nur noch enger werden. Die Fahrt dauert höchstens fünfzehn Minuten, aber mir kommen diese Minuten trotzdem endlos vor.
Als ich die Auffahrt erblicke, sage ich Harry, dass er mich davor einfach absteigen lassen soll. Er stoppt Molly und ich steige schnellstmöglich runter von dem Roller. Mit zitternden Händen versuche ich den Helm zu öffnen, scheitere aber in diesem Moment kläglich daran.
„Scheiße", fluche ich völlig ungeniert und lasse gefrustet die Arme sinken.
„Lass dir von mir helfen", bietet Harry an und bevor ich ablehne kann, hat er den Helm geöffnet und abgenommen.
„Danke", murmle ich und möchte mich bereits abwenden, um endlich diesen desaströsen Abend zu beenden.
Doch seine schlanken Finger, die mein Handgelenk zu fassen bekommen, als ich mich umdrehen will, halten mich zurück.
„Vicky, jetzt warte doch bitte mal", flüstert Harry schon fast und ich bleibe stehe, drehe mich aber nicht in seine Richtung.
Mit langsamen Schritten geht er um mich herum, um mir in die Augen sehen zu können. Ich aber sehe lediglich auf meine Füße.
„Ich wusste nicht, dass ich dich mit diesen Worten so verletzen kann, aber das war nun mal mein erster Eindruck", beginnt er und ich muss einmal tief Luft holen um nicht in Tränen auszubrechen.
Harry schweigt einige Sekunden, dann fährt er fort: „Aber deine heftige Reaktion zeigt mir auch, dass ich wohl recht habe mit meiner Vermutung, dass du irgendwie einsam bist", erklärt er seine Worte und ich fühle mich immer unsicherer in seiner Gegenwart.
Ich bin es nicht gewohnt, dass jemand wirklich versucht hinter meine Fassade zu schauen und ich bin absolut nicht bereit, mich zu öffnen. Aus diesem Grund versuche ich mich zu sammeln und stark zu sein.
Den Blick in die grünen Augen gerichtet, welche eindeutig Mitleid widerspiegeln, halte ich nicht aus. Als diesem Grund schaue ich auf seine Nasenspitze und hoffe, dass er nicht bemerkt, wie ich ihm ausweiche. Ich darf jetzt nicht mehr schwach wirken. Harry hat schon viel zu viel von meinem wahren Ich gesehen und das ist nicht richtig.
„Du irrst dich, ich bin nicht einsam", versuche ich so überzeugend wie möglich zu klingen und möchte nun endlich gehen, bevor meine gespielte Stärke vollständig in sich zusammenbricht.
Doch seine Hand hält mich noch immer fest und so bitte ich ihn, mich endlich gehen zu lassen.
Harrys Augen wandern zu seiner Hand. Tief holt er Luft und seine Zunge wandert bedächtig über seine Lippen. Wieder trifft mich sein Blick.
„Ich lasse dich gehen, aber Vicky, stell dir bitte selbst einmal die Frage, ob du glücklich mit deinem Leben bist."
Plötzlich lässt er meine Hand frei, schenkt mir noch ein zaghaftes Lächeln. Nun bin ich es, die wie angewurzelt dasteht und dabei zusieht, wie er auf seinen Roller steigt und mit diesem in der Dunkelheit verschwindet.
Und wieder ein Update! Im Moment läuft es einfach gut. Ich hoffe, dass ihr euch darüber freut, so wie ich mich über eure Unterstüztung freue. :)
Tja, da hat der Abend nicht so schön geendet und ich vermute, dass Vicky bei einigen an Sympathie eingebüsst hat. Das ist okay, aber kein Mensch kann sich von null auf hundert ändern. Dennoch macht sie ja kleine Fortschritte.
Vielleicht schaffe ich noch ein Kapitel, aber da das Wochenende vor der Tür steht, könnte es auch mit der Zeit knapp werden... naja mal sehen.
Anni
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