Sechzehn
Der kommende Morgen läuft ab, wie die letzten hier auf Teneriffa auch. Gemeinsam mit Niall stehe ich auf, um anschließend mit ihm zu frühstücken.
Harry scheint an dem heutigen Tag keine Frühschicht zu haben, da ich ihn nirgends entdecken kann. Das ist vermutlich auch besser so, denn die Stimmung zwischen mir und Niall ist angespannt.
Es wirkt fast so, als hätten wir gestern Abend einen riesigen Streit gehabt, obwohl dies ja so nicht der Fall war. Doch nachdem Niall mir offenbart hat, dass er Harry im Augen behalten will und keine Widerrede zuließ, sind wir schlussendlich schweigend eingeschlafen.
Diese Stille zwischen uns änderte sich auch heute Morgen nicht. Bis auf einen Guten-Morgen-Gruß haben wir nicht viel miteinander gesprochen.
Ich brauche Niall nicht fragen, was mit ihm los ist. Auch so ist mir klar, dass er sich Gedanken über gestern Abend macht. Wie naiv von mir zu glauben, dass er meine Lügen einfach glauben würde. Ganz sicher wollte er genauso wenig Streit wie ich und hat aus diesem Grund den Weg des geringsten Widerstandes gewählt.
Nun sitzen wir uns schweigend gegenüber. Während ich einfach nur Löcher in die Luft starre, nippt Niall immer wieder an seinem Kaffee. Als er sich räuspert, wende ich meinen Blick in seine Richtung. Zu meiner Verwunderung bemerke ich, dass auf seinem Teller fast noch sein ganzes Frühstück liegt. Normerweise isst Niall immer auf, außer es beschäftigt ihn etwas. Meistens hat dies mit der Arbeit zu tun, nur heute sagt mir meine Intuition, dass er sich vermutlich Gedanken um uns macht.
Allerdings bin ich viel zu feige, um ihn zu fragen, was ihm denn auf dem Herzen liegt. Ich will dieses Thema jetzt nicht erneut aufrollen, es würde am Ende wohl auch zu nichts führen außer Streit.
Niall unterbricht dennoch die Stille zwischen uns, indem er mir erklärt, dass er heute Nachmittag frei hat und er sich gerne mit mir etwas die Insel ansehen möchte.
Ehrlich begeistert stimme ich seinem Vorschlag zu, auch weil ich hoffe, dass ein wenig Zweisamkeit abseits von diesem Hotel uns helfen kann, wieder zu dem zu werden, was wir sind. Obwohl ich mich seit gestern Abend noch immer die Frage beschäftigt, was das zwischen mir und Niall denn genau ist.
Bevor er sich auf den Weg macht, erkundigt Niall sich, was ich denn diesen Vormittag vorhabe. Wahrheitsgetreu antworte ich, dass ich nichts weiter geplant habe. Doch diese Antwort scheint ihn nicht zufriedenzustellen. Stattdessen huscht eine gewisse Skepsis über seine Gesichtszüge, als er nachhakt, ob ich vorhabe im Hotel zu bleiben.
„Ich denke schon", antworte ich vorsichtig.
Niall erhebt sich von seinem Platz und schiebt den Stuhl zurück unter den Tisch, dabei erklärt er scheinbar völlig beiläufig, dass es vermutlich besser wäre, wenn ich heute hierbleibe, da es ja nicht wie gestern Abend laufen soll, als wir uns verpasst haben.
Seine Andeutung und die Art, wie er mich versucht zu manipulieren, stoßen mir mehr als bitter auf. Dennoch nicke ich einfach stumm und sage, dass ich hierbleiben werde.
„Gut", antwortet Niall mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreicht.
Kurz gibt er mir noch einen Kuss auf die Stirn, um anschließend wortlos zu verschwinden. Wohin ich hingegen noch einen Augenblick sitzen bleibe und mir durch den Kopf gehen lasse, was hier gerade passiert ist.
Gestern Abend war ich wohl nicht die Einzige, die den jeweils anderen angelogen hat. Nialls heutiges Verhalten zeigt deutlich, dass er mir nicht vertraut. Ich brauche nicht lange darüber zu grübeln, warum er unbedingt möchte, dass ich mich am Vormittag im Hotel aufhalte. Er will mich wohl einfach in seiner Nähe, besser unter seiner Kontrolle, wissen. Diese Tatsache ärgert mich maßlos. Erinnert es mich doch viel zu sehr daran, wie meine Eltern mit mir umgehen.
„Haben sie noch einen Wunsch?", meldet sich plötzlich eine junge Kellnerin an meinem Tisch zu Wort.
Sie beginnt damit, meinen Teller vom Tisch zu nehmen, mit einem Blick auf den noch fast vollen von Niall erkundigt sie sich, ob Mister Horan denn auch fertig ist.
„Ja, mein Freund ist bereits bei einem Termin", antworte ich beiläufig.
„Natürlich", lautet die Antwort der Kellnerin und diese veranlasst mich dazu sie anzusehen.
Mit einem betont freundlichen Lächeln räumt sie den Tisch weiter ab. Bevor sie sich anschließend abwendet wirft sie mir noch einen Blick zu, der mich zu scannen scheint. Automatisch fühle ich mich unwohl und blicke mich um. Die bereits anwesenden Gäste sind mit sich beschäftigt, doch als mein Augenmerk sich auf das Personal richte, habe ich das Gefühl sie würden mich alle anstarren. Bestätigt wird mein Gefühl, als die Kellnerin von eben ohne Geschirr aus der Küche zurückkehrt und einer Kollegin etwas ins Ohr flüstert. Anschließend kichern die beiden und der Blick der jungen Servicekraft trifft mich erneut.
Scheiße, sie wissen bereits Bescheid, wird es mir schlagartig bewusst und eine Übelkeit ergreift Besitz von mir. Fast schon hektisch stehe ich von dem Tisch auf, um das Restaurant zu verlassen. Bei jedem Schritt spüre ich die bohrenden Blicke der Hotelangestellten in meinem Rücken. Meine Wangen brennen und auch ohne, dass ich einen Spiegel habe weiß ich, dass ich knallrot bin.
Eine Mischung aus Enttäuschung, Wut und Angst suchen mich heim. Ich bin in erster Linie enttäuscht von Harry, dass er es scheinbar kaum abwarten konnte, bis er seinen Kollegen von unserem Treffen erzählt hat. Es sind noch nicht mal vierundzwanzig Stunden vergangen und ich habe den Eindruck, dass bereits alle Bescheid wissen. Wütend bin ich natürlich auf mich selbst, weil ich dieses ganze Desaster, obwohl ich es hätte besser wissen müssen, selbst heraufbeschworen habe. Dennoch habe ich gehofft, dass Harry mich in diesem Punkt nicht enttäuscht und ihm klar ist, dass ich es wohl nicht wollen würde, dass alle von unserem Treffen erfahren.
Er selbst kann das doch auch nicht begrüßen. Ist ihm verdammt nochmal nicht klar, was das für seinen Job bedeutet?
Vermutlich ist es ihm einfach egal. Das hätte mir eigentlich bereits gestern klar sein müssen, denn welcher Arbeitnehmer, dem etwas an seinem Job liegt, lässt seine Schicht einfach sausen, um essen zu gehen. Verdammt so etwas Naives wie mich gibt es wohl selten und nun werde ich den Preis bezahlen müssen.
Es ist natürlich ausgeschlossen, dass Niall bereits beim Frühstück alles wusste. Bis dahin hatte er noch keine Gelegenheit, sich mit einem seiner Angestellten zu unterhalten, aber spätestens heute Nachmittag wird er Bescheid wissen. Schon jetzt habe ich Angst vor seiner Reaktion.
Bereits gestern Abend hat er eine Seite gezeigt, die bedrohlich auf mich gewirkt hat. Niall scheint viel eifersüchtiger zu sein, als es mir bisher bewusst gewesen ist und ich weiß nicht wie weit er gehen würde, wenn er erfährt, dass es zwischen Harry und mir wirklich mehr gegeben hat, als dieses unsägliche Treffen am ersten Abend am Strand.
Nach diesem Zusammentreffen und der damit verbundene Erkenntnis sitze ich fast den ganzen Vormittag wie auf Kohlen im Hotelzimmer. Versuche mich mit dem Fernsehprogramm abzulenken. Das zeigt allerdings wenig Erfolg. Ich schalte nur unmotiviert die Sender durch, während meine Gedanken entweder zu Niall oder aber zu Harry wandern. Schließlich werfe ich frustriert die Fernbedienung auf das Bett und tigere unruhige zwischen Balkon und Zimmer hin und her.
Selbst das Meeresrauschen und die Sonnen können meine Stimmung nicht aufhellen. Stattdessen erwische ich mich dabei wie ich an meinen Nägeln kaue. Eine dumme Angewohnheit, die immer wieder in Erscheinung tritt, wenn ich nicht weiß, wo ich mit meiner inneren Unruhe hinsoll.
Als die Uhr nach zwölf anzeigt, staut sich die Nervosität meinerseits immer mehr und ich stehe kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich habe Angst davor Niall zu begegnen. Ich bereue es, nicht von Anfang an ehrlich zu ihm gewesen zu sein, weil ich ihn nicht verletzen wollte. Doch jetzt kann ich nicht mehr zurück. Er wird es sicherlich bereits wissen, dass ich ihn angelogen habe.
Das Surren des Türschlosses kündigt Niall eine Stunde später an und mein Herz setzt in diesem Moment einen Schlag aus. Ich mache mich auf ein Donnerwetter gefasst und sitze mit zitternden Knien auf dem Bett und warte darauf, dass mein Freund in meinem Blickfeld auftaucht.
Als er dann endlich vor mir steht, sieht er mich nur etwas verwundert an.
„Ich habe etwas Tolles mit dir vor. Allerdings solltest du dir dafür besser etwas weniger Luftiges anziehen. Dort, wo wir hinwollen ist es etwas kühler", erklärt er mir mit einem freudigen Grinsen, als er bereits dabei ist die kleinen Knöpfe seines Hemdes zu öffnen.
Verwundert, dass das bevorstehende Donnerwetter ausbleibt, nicke ich nur und beginne ebenfalls damit, mein Sommeroutfit gegen eine lange Jeans, sowie Shirt zu tauschen. Eine Jacke zum Überziehen lege ich mir ebenso bereit.
Eine halbe Stunde später sind wir aufbruchsbreit. Niall will mir auch auf mein Nachfragen nicht verraten, was er vorhat und so bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm zum Parkplatz zu folgen, wo bereits ein Mietwagen für uns bereitsteht.
Der Weg führt uns direkt in den Nationalpark rund um den Inselvulkan El Teide. Die Natur ist atemberaubend und die Straße schlängelt sich zwischen meterhohen Tannen und je höher wir kommen durch die kargen Vulkanlandschaften hindurch. Immer wieder kann man einen überwältigenden Blick auf das Meer werfen. Es herrscht eine wunderbare Stille, wie ich sie aus Berlin nicht gewohnt bin. Die Umgebung wirkt wie Balsam für die Seele und ich merke deutlich, wie sich meine Anspannung des heutigen Tages immer mehr auflöst.
Und augenscheinlich wird auch Niall mit jedem Kilometer, den wir zurücklegen immer gelassener. Leise, spanische Musik läuft im Radio und als wir bereits eine ganze Weile unterwegs sind platziert er behutsam seine freie Hand auf meinen Oberschenkel, so als hätte er Angst, wie ich darauf reagieren könnte. Ich lasse es zu und mag das beruhigende Gefühl wie sein Daumen sich in regelmäßigen Abständen über den Stoff mein Jeans schiebt.
„Es ist nicht mehr weit, bis wir da sind", informiert mich Niall und ich nicke, um ihm zu verdeutlichen, dass ich verstanden habe.
An der Seilbahnstation herrscht reges Treiben. Kinder, Senioren, Touristen und professionelle Bergsteiger, alles kommt hier zu einer bunten Mischung zusammen. Nur eins verbindet die Meisten miteinander, die Kamera mit der an den ungewöhnlichsten Stellen, in den witzigsten Positionen ein Selfie geschossen wird.
Während ich ein Seniorenpärchen dabei beobachte, wie es tatsächlich einen Selfiestick rausholt, steht Niall plötzlich hinter mir und flüstert, dass ich ihm oben auf dem Vulkan auch eines dieser Bildchen schuldig bin.
„Bekommst du", verspreche ich und er gibt mir einen Kuss auf die Nasenspitze, um mir anschließend eine Fahrkarte für den Lift hoch zur Spitze zu überreichen.
Die Querelen von gestern Abend und heute Morgen scheinen wie verflogen zu sein. Vielleicht habe ich tatsächlich Glück und ich werde doch nicht, wie ich es erwartet habe, für meine Dummheit bestraft.
In der Kabine ist es aufgrund der hohen Personenanzahl recht eng. An Höhenangst leide ich zwar nicht, aber ich mag es nicht in einem engen Raum zu sein. Natürlich weiß Niall von dieser Phobie und nimmt mich vorsorglich in seine Arme, sodass ich die wenigen Minuten während der Fahrt mein Gesicht in seinem Oberteil vergraben kann und den mir seit Jahren vertrauten Duft einatmen kann.
Schließlich erreichen wir eine Höhe von über 3500 Meter. Die Luft hier oben ist merklich dünner, aber so klar wie selten irgendwo. Es weht ein frischer Wind, sodass ich für Nialls Warnung bezüglich meiner Kleidung dankbar bin.
Zu unseren Füßen erhebt sich die Spitze des Vulkans in einen strahlend blauen Himmel. Niall erzählt mir, dass man diese allerdings nur mit einer Genehmigung besteigen darf. Allerdings bietet sich auch für uns Normalos die Möglichkeit hier oben eine tolle Aussicht und die Vulkanlandschaft zu genießen.
Die Wege führen teilweise an steilen Abhängen entlang und immer wieder kommen einem andere Touristen entgegen. Niall ist ganz Gentleman und hält meine Hand, während wir über die rutschigen Geröllschichten kraxeln.
Auf einer etwas größeren Plattform stoppen wir. Der Anblick, welcher sich mir bietet, ist einer von der Sorte, die man nie vergisst. Im ersten Moment ist es kaum zu erkennen, wo der Atlantik endet und der Himmel beginnt. Die beiden Blautöne verschwimmen förmlich ineinander und gehen so nahtlos ineinander über.
Wir können kilometerweiter sehen, sowohl über Teneriffa als auch auf das offene Meer. Eine Tafel verrät uns, dass es sich bei den Inseln, welche man im blauen Ozean erahnen kann, um Gran Canaria, La Palma, El Hierro und La Gomera handelt.
„Das ist doch der perfekte Ort für unser Selfie", erinnert mich Niall an unsere Abmachung und ich lächle ihn begeistert an.
Kurzerhand zückt er sein Mobiltelefon und wir beide positionieren uns. Breit grinsen wir in die Linse und Niall drückt den Auslöser. Als ich glaube, dass wir fertig sind, gibt er mir noch einen dicken, feuchten Schmatzer auf die Wange. Lachend kneife ich die Augen zusammen und höre erneut das verräterische Geräusch, wenn ein Foto gemacht wird.
„Das hast du jetzt nicht getan", empöre ich mich und stemme wenig ernst gemeint die Hände in die Hüften.
„Doch und das ist mein neues Lieblingsbild", antwortet er voller Überzeugung.
Hier oben scheinen alle Probleme, Sorgen und Ängste vergessen. Daher wundert es mich nicht, dass ich mich selbst dabei erwische, wie ich mir wünsche für immer an diesem besonderen Fleck Erde bleiben zu können. Doch mit nur einem Satz versetzt Niall meiner Sorglosigkeit einen Dämpfer.
„In der Nacht soll man hier wunderbar die Sterne sehen können", flüstert er mir zu und deutet über uns in den Himmel, als würde man schon jetzt die kleinen Himmelskörper erkennen können.
Heute mal kein Gif oben, dafür ein Bild von mir als ich Anfang des Jahres auf dem Vulkan oben war.
Und dann möchte ich mich bei euch bedanken für 10k Reads und mensch OW hat es sogar mal, vor zwei Tagen glaube ich, in die Top 100 dieses Rankings geschafft. Unglaublich, dass ich das noch erleben darf. ^^
Bitte votet fleißig weiter und danke für alles. :)
Anni
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