Neununddreißig
Meinen Kopf halte ich gesenkt während ich Niall schweigend durch die noch immer leere Hotellobby zu den Fahrstühlen folge.
Beinahe lautlos schließt sich die Tür hinter uns, nachdem wir die kleine, verspiegelte Kabine des Gefährts betreten haben. Plötzlich wirkt die angespannte Stille, welche von dem Mann, der mit dem Rücken zu mir steht, ausgeht, bedrohlich auf mich. Vorsichtig hebe ich den Blick und kann sehen, wie Niall die Hände zu Fäusten geballt hat und sichtlich darum bemüht ist, die Fassung zu waren.
Plötzlich bekomme ich Angst vor dem, was mich gleich erwarten wird, wenn ich wieder ganz alleine mit Niall auf unserem Zimmer bin. Sogleich darauf erreichen wir dann unser Stockwerk und mir bleibt beinahe die Luft weg, als sich die Tür öffnet und sich mir die Kehle zuschnürt, was mich zu einem Japsen veranlasst.
„Wage es jetzt gar nicht zu heulen", knurrt Niall daraufhin nur, ohne sich in meine Richtung zu drehen und mich anzusehen.
Gehorsam schlage ich meine zitternde Hand vor den Mund und versuche die aufsteigenden Tränen hinunterzuschlucken. Ich will ihn nicht noch wütender machen, als er es ohnehin schon ist. Das allerdings fällt mir sichtlich schwer. Ich bin kaum in der Lage meine Füße dazu aufzufordern sich zu bewegen, um den Flur hinunter bis zur Zimmertür zu gehen. Am liebsten möchte ich mich in die andere Richtung drehen und einfach nur davonlaufen.
Grob schiebt Niall die Zimmerkarte in den dazugehörigen Schlitz, um die Tür zu öffnen. Es sieht ganz so aus, als sei es mit seiner aufgesetzten Beherrschung soeben vorbei. Mit einem Ruck und einem Nicken seines Kopfes bedeutet er mir, dass ich vor ihm das Zimmer betreten soll. Sobald die schwere Brandschutztür zugefallen ist, wendet er sich mit einem wilden Funkeln in den blauen Augen in meine Richtung.
Ich stehe mit dem Rücken zur Flurwand. Bevor ich eine Gelegenheit finden und nutzen kann, um mehr Raum zwischen mich und Niall zu bringen, ist er schneller, indem er seinen Arm an der Wand abstützt und mir somit den Weg versperrt.
Nialls Gesicht ist nun ganz nahe vor meinem. Drohend mahlen seine Kiefer aufeinander, was das Grübchen an seinem Kinn auch unter dem Drei-Tage-Bart deutlich hervorstechen lässt. Sein warmer Atem schlägt mir unangenehm entgegen.
Ich drücke mich gegen die Wand und würde mir in diesem Moment nichts mehr wünschen, als in genau dieser verschwinden zu können.
„Wie konntest du diesen Kellner ficken?", knurrt Niall und sieht mich direkt an.
Ich schweige, da ich vermute, dass alles, was ich nun antworten werde es falsch ist. Es gibt keine richtige Antwort auf diese Frage und wäre Niall einfach nur gekränkt, weil ich ihn betrogen habe, würde vielleicht eine Entschuldigung etwas bewirken. Aber dieser Mann hier vor mir ist nicht mehr der Niall, den ich kenne. Ich ahne, dass es der verletzte Stolz ist und die Wut darüber, dass ich noch einmal Kontakt zu Harry hatte, die ihn im Augenblick dazu verleitet, mich so in die Ecke zu drängen. Außerdem habe ich schon nach dem Kuss mit Harry probiert Niall zu erklären, dass es doch eigentlich zwischen uns keinen Sinn mehr macht, und wozu das schließlich geführt hat, ist mir noch zu gut in Erinnerung.
„Du verhältst dich wie eine billige Nutte und ziehst mich automatisch mit in den Dreck", wirft er mir weiter an den Kopf und ich schlucke schwer aufgrund seiner harten Worte.
„Sieh mich an", fordert er und ich schüttle nur den Kopf, da ich sonst augenblicklich in Tränen ausbrechen werde, wenn unsere Blicke sich treffen.
Jetzt gerade habe ich einfach nur Angst. Plötzlich schlägt Niall mit der Faust mehrmals kräftig gegen die Wand.
„Du machst mich so unglaublich wütend." Jedes Wort unterstreicht er mir einem weiteren Fausthieb Richtung Wand und ich zucke bei dem dumpfen Aufprall, ohne es zu wollen, immer wieder zusammen.
„Niall bitte", flehe ich zitternd, „du machst mir wirklich Angst."
„Ich mache dir Angst?", erkundigt er sich ungläubig und ist dabei sichtlich bemüht, seine Stimme auf Zimmerlautstärke zu belassen.
Unsicher nicke ich. Schlagartig finden sich seine großen Hände an meinen Schultern wieder. Er schüttelt mich einmal kräftig und mein Kopf schlägt dabei unsanft gegen die Wand. Niall scheint in seiner Wut davon keine Notiz zu nehmen, sonst würde er mich doch loslassen, oder nicht?
„Vielleicht mache ich dir noch nicht genug Angst, wenn du es trotzdem noch wagst mich zu hintergehen und mich als ein vollkommener Trottel dastehen zu lassen."
Noch ein weiteres Mal schüttelt er mich und ich kann in diesem Moment die Tränen nicht mehr zurückhalten. Eine unbekannte Angst breitet sich immer mehr in mir aus. Ich weiß nicht wie weit Niall noch gehen wird, ob er am Ende wirklich handgreiflich werden kann. Immer mehr scheint er sich von seiner Wut leiten zu lassen und ich sitze in diesem Moment zwischen ihm und der Wand in der Falle. Ein Ausweg bietet sich mir nicht, da sich Nialls Fingerspitzen noch immer unbarmherzig in meine Schultern bohren, um mich festzuhalten.
„Ich hätte diesem Wichser noch ein paar mehr Schläge verpassen sollen", überlegt Niall und sein Blick ist schon beinahe verträumt bei dem Gedanken daran, wie er Harry verprügelt.
Dann konzentriert er sich plötzlich wieder auf mich.
„Das, was heute passiert ist, bleibt unter uns. Klar?"
Ich nicke einfach nur, weil ich möchte, dass Niall mich endlich loslässt.
„Und wenn ich diesen Kellner noch einmal auf dem Hotelgelände sehe, dann rufe ich die Polizei. Er hat Hausverbot und dich werde ich die restlichen beiden Tage nicht mehr aus den Augen lassen. Morgen kommen meine Eltern und wehe sie ahnen auch nur, dass etwas zwischen uns nicht stimmt und übermorgen wirst du meinem Antrag vor allen zustimmen und dabei so fröhlich aussehen, wie es sich für eine Frau, die einen Antrag bekommt, gehört. Hast du mich verstanden?"
Wieder nicke ich nur, aber das scheint Niall nicht auszureichen. Noch einmal rüttelt er grob an meinen Schultern und ich stammle ein „Ja", um endlich dem ganzen hier ein Ende zu setzen. Daraufhin lässt er mich los und ich sacke kraftlos an der Wand hinunter und weine bitterlich. Doch auch das scheint Niall nicht weiter zu interessieren, stattdessen sieht er mich nur von oben herab an und lässt mich wissen, dass ich mir gefälligst den Geruch von Harry abduschen soll, bevor ich zu ihm ins Bett komme.
„Dein Verhalten ist jämmerlich", wirft er mir schließlich noch abwertend an den Kopf und ohne ein weiteres Wort verlässt er den kleinen Flur und lässt mich alleine am Boden sitzen.
Ohne zu wissen, wie der gestrige Abend, nachdem ich mich schluchzend vom Flurboden aufgerappelt habe und im Badezimmer verschwunden bin, weiter abgelaufen ist, werde ich schließlich am nächsten Morgen wach. Die Nacht war kurz, da es bereits weit nach 0 Uhr war, als ich mich ins Bett gelegt habe. Niall hatte geschwiegen und die Augen geschlossen. Ich kann nicht sagen, ob er nur so getan hat, als würde er schlafen, oder ob er wirklich einschlafen konnte, nach alldem, was passiert ist. Im Grunde ist es mir auch egal, bin ich in diesem Moment einfach nur froh gewesen, dass er mich in Ruhe gelassen hat.
Ich lag einfach nur schweigend neben dem Mann, der mir in den letzten zwei Wochen so fremd geworden ist. Irgendwann bin wohl auch ich völlig erschöpft in einen nicht erholsamen Schlaf gedriftet.
Nun ist bereits der Vormittag des nächsten Tages angebrochen. Gemeinsam mit meinen Eltern und Niall sitze ich in einer der gemütlichen Polstermöbel, welche zum Rezeptionsbereich gehören und warte auf die Ankunft meiner zukünftigen Schwiegereltern.
Bisher habe ich mich immer über ein Treffen mit Maura und Bobby gefreut, sind sie doch irgendwie auf Ihre ganz eigene Art und Weise die Eltern gewesen, die ich in meinen leiblichen vergeblich gesucht habe. Aber heute ist das anders.
Nervös zupfe ich immer wieder an meiner Bluse und pulle an der Nagelhaut meiner Nägel rum, bis sich die schlanken Finger meiner Mutter auf meine Hand legen.
Vorsichtig sehe ich in ihr Gesicht. Die Lippen sind missbilligend geschürzt und sie schüttelt ermahnend mit dem Kopf.
„Deine Nägel sehen fürchterlich aus", rügt sie mich und ich werfe einen Blick auf meine Finger.
Ohne es wirklich mitbekommen zu haben, habe ich damit begonnen den Nagellack abzukratzen. Beschämt verstecke ich meine Finger vor den Blicken Anderer und murmle eine Entschuldigung.
„Ich werde uns noch heute einen Termin machen", flüstert mir meine Mutter zu und erklärt weiter, dass ab Morgen meine linke Hand schließlich im Fokus stehen wird.
Bei ihren Worten fühlt es sich so an, als würde sich eine Faust um mein Herz schließen und immer fester zudrücken. Ich weiß nicht, wie ich den morgigen Tag hinter mich bringen soll. Es fällt mir immer schwerer die Fassade aufrecht zu erhalten, obwohl ich weiß, was mir blüht, sollte ich nicht zu der vollsten Zufriedenheit meiner Eltern und Niall reagieren.
Doch immer wieder muss ich auch an gestern Abend denken. An Harry, wie er mich ungläubig angesehen hat, als er von Niall erfahren hat, dass ich kurz zuvor Sex mit ihm hatte. Was war das, was ich kurz in seinen Augen gesehen habe?
Bedeute ich ihm womöglich doch mehr, als es eine Valeria tut. Ich habe ihn gefragt, ob er seine Angelegenheiten geklärt hat, natürlich habe ich dabei in erster Linie an seine lockere Liebschaft mit der Latina gedacht, woran auch sonst. Harrys Leben scheint sonst ohnehin unabhängig und spontan zu sein, anders als es bei mir der Fall ist. Aber er hat nur mit einem lapidaren „Nicht wirklich" geantwortet. Was sollte ich mit dieser Aussage anfangen?
Und dann im nächsten Moment schien es auch für ihn nur uns beide zu geben. Der Sex war unglaublich, bisher habe ich mich noch nie so geborgen gefühlt, vielleicht sogar geliebt?
Aber woher will ich schon wissen, was Liebe ist? Habe ich doch in den letzten Jahren immer geglaubt, Niall wäre meine große Liebe und wir beide würden zusammengehören. Ich kann mich allein auf das, was ich fühle, nicht verlassen. Ich brauche klare Verhältnisse und ein einfaches „Nicht wirklich" hilft mir nicht zu verstehen, was Harry bei alldem, was zwischen uns passiert ist wirklich empfindet, und ich ihm womöglich bedeuten könnte.
Ich kann mich nicht so einfach in ein Abenteuer stürzen und ein neues Leben beginnen mit einem Mann, über den ich doch eigentlich kaum etwas weiß. Ich nicht mal weiß, ob er bereit ist, ein Leben mit mir zu teilen. Am Ende bin ich für ihn doch nur ein kleines Abenteuer.
Wir sind nur Freunde - diese Worte, welche Harry so häufig wiederholt hat und dabei so überzeugend klang, lassen mich einfach nicht los.
Am Ende würde ich mich doch nur lächerlich machen, wenn ich plötzlich vor Harry stehen und ihm sage würde, dass ich alles hinter mir lasse um mit ihm zusammen zu sein. Was ist, wenn er mich dann nur auslachen würde? Mir mit einem seiner charismatischen Lächeln erklären würde, dass wir doch nur einmal Sex miteinander hatten und mehr nicht.
Wer sagt mir denn, dass er sein lockeres Leben aufgeben wollen würde, zumindest in dem Punkt, wenn es darum geht eine Beziehung zu führen? Denn, wenn ich eins über mich weiß, dann ist es, dass ich nicht einfach nur eine Affäre für einen Mann sein möchte.
Ich brauche eine gewisse Stabilität in meinem Leben und diese kann mir Harry vielleicht gar nicht bieten. Wie denn auch, ohne Einkommen, einen festen Wohnsitz und eine genau Vorstellung was seine Zukunft betrifft?
Ist Niall am Ende vielleicht nicht doch die bessere und vor allem sichere Partie? So wie es mir meine Eltern im Grunde schon seit Jahren versuchen einzutrichtern. Haben sie am Ende sogar recht.
Hatten sie nicht auch Recht in Bezug auf Alex. Sie haben immer zu meinem Bruder gesagt, dass seine Vorstellung vom Leben Blödsinn ist und er es damit nicht weit bringen wird. Letztendlich ist er tot und hat sein Leben somit verwirkt.
Warum also sollte ich nun das gleiche Risiko eingehen, wie mein Bruder es getan hat?
Sorry, dass es dieses Mal so lange gedauert hat. :( Aber ich bin krank und diese simple Erkältung haut mich doch mehr aus den Socken, als es normal der Fall wäre.
Am Wochenende bin ich unterwegs und werde auch nicht zum Schreiben kommen, also geht es erst nächste Woche weiter.
Das letzte Kapitel hat wieder deutlich weniger Sternchen bekommen, liegt es daran, dass einigen der Verlauf der Geschichte nicht gefällt, oder was ist es? :(
Leider sind Entscheidungen die wir treffen nicht immer die, die richtig für einen sind... so auch bei Vicky.
Was sagt ihr zum tollen neuen Cover von Little_Ophelia? Dies wird das endgültig werden und ich liebe es.
Anni
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