Fünfundzwanzig
Bevor es mir möglich ist, auf die Information, dass Harry seine Anstellung verloren hat, zu reagieren, höre ich am anderen Ende des Ganges, wie ein Wagen geschoben wird. Gleich darauf biegt eine nun ehemalige Kollegin von Harry um die Ecke.
Fast schon panisch stecke ich die Karte in das Zimmerschloss und drücke die Tür, nachdem ich das Summen vernommen habe, auf. Ohne mich noch einmal nach Harry umzusehen, fällt die schwere Tür hinter mir zu. Fassungslos lehne ich mich dagegen.
Ich versuche die Geschehnisse von eben zu sortieren und die Dinge in die richtige Reihenfolge zu bringen. Hatte Niall mir gestern Abend nicht versprochen, dass er Harry nicht kündigen würde?
Die Erkenntnis, dass er mich angelogen hat und unsere Vereinbarung somit gebrochen hat, trifft mich völlig unvorbereitet. Vom Sport und dem Aufeinandertreffen mit Harry geschwächt lasse ich mich an der glatten Tür hinab auf meine Knie sinken.
Auch wenn Niall immer häufiger Charakterseiten an sich zeigt, die ich von ihm nicht gewohnt bin, so habe ich ihm dennoch geglaubt, dass er nicht so weit geht und jemanden den Job kündigt und somit dessen wichtige Existenzgrundlage. Und das im Grunde nur aus purer Eifersucht. Unbegründeter Eifersucht, da zwischen mir und Harry nichts passiert ist.
Vielleicht bin ich die Letzte, die sich über diese Ereignisse bezüglich Harry beschweren sollte, oder gar urteilen darf, dennoch beginnt sich in diesem Moment eine unheimliche Wut gegen Niall in mir aufzustauen.
Ja, ich war ebenfalls nicht vollkommen ehrlich zu ihm gewesen am Anfang, aber von meiner Seite aus gibt es keine Geheimnisse mehr, die ich, was Harry betrifft nicht mit Niall geteilt habe. Er weiß alles, was zwischen mir und Harry passiert ist.
Es ist einfach nicht fair, dass Harry nun der Leidtragende in diesem ganzen Szenario ist, obwohl er im Grunde zwischen die Fronten geraten ist.
Ich muss mit Niall dringend noch einmal darüber reden. Vielleicht kann ich ihn überzeugen, dass er es sich anders überlegt und einsieht, wie kindisch diese ganze Aktion von ihm ist.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch ungefähr vier Stunden bis zu diesem ätzenden Abendessen habe. Ich entscheide mich, dass es jetzt keinen Sinn macht, Niall bei der Arbeit zu stören. Da er mich ohnehin abholen wird, kann ich auch dann die Gelegenheit nutzen, um das Gespräch mit ihm zu suchen.
Die nächsten vier Stunden verbringe ich damit ein weiteres Mal an diesem Tag zu duschen, fernzusehen und mich für den Abend fertig zu machen.
Niall forderte, dass ich mich schick machen soll. Um ihm meinen guten Willen zu zeigen, entscheide ich mich für das grüne Kleid, welches ich bei meinem kleinen Shoppingausflug in der Stadt erworben habe. Noch immer harmoniert der Farbton perfekt mit meinen grünen Augen und den roten Haaren, welche ich zu sanften Wellen gedreht habe.
Eine dreiviertel Stunde vor der vereinbarten Zeit sitze ich bereits angespannt auf dem Balkon und warte darauf, dass Niall erscheint. Ich hoffe, dass er vielleicht etwas früher auftaucht, da er sich sicherlich ebenfalls noch einmal umziehen möchte. Meine Vermutung wird bestätigt, als ich höre, wie er kurz darauf das Zimmer betritt. Den Kopf in seine Richtung gedreht beobachte ich meinen Partner dabei, wie er zu mir auf den Balkon tritt.
„Bist du schon fertigt?", erkundigt er sich ungläubig und ich nicke.
Mit einem Fingerzeig bedeutet er mir aufzustehen und mich einmal zu drehen, damit er Gelegenheit hat meine neue Errungenschaft, welche ich ihm bisher noch nicht präsentiert habe, zu begutachten.
Anerkennend pfeift er, um seine Zustimmung zum Ausdruck zu bringen. Früher hätte mich diese Geste von ihm zum Erröten gebracht, jetzt möchte ich beinah brechen, da es auf mich den Eindruck macht, als würde ich nun schon für meine Kleiderwahl seine Zustimmung benötigen.
Dennoch lächle ich höflich, da ich seine augenscheinlich gute Stimmung nicht zerstören möchte. Niall macht einen Schritt auf mich zu und legt seinen Arm um meine Taille, will mich somit an sich ziehen, doch ich lehne mich von ihm weg.
„Willst du dich nicht auch noch umziehen?", erkundige ich mich und hoffe ihn so von seinem Vorhaben mich küssen zu wollen abzulenken.
Mein Gegenüber wirft daraufhin einen Blick auf seine Smartwatch und mit einem Nicken bestätigt er, dass er sich beeilen sollte. Sein Arm verlässt meinen Körper und ich hole tief Luft.
Niall ist bereits dabei das legere T-Shirt gegen ein helles, langarmiges Hemd zu tauschen. Während er sich mit den kleinen Knöpfen abmüht, stehe ich hinter ihm und beobachte, das Muskelspiel seiner Schultern durch den dünnen Stoff.
Fieberhaft überlege ich, wie ich möglichst unverfänglich, dass Gespräch auf Harrys Kündigung lenken könnte. Aber da es mir keine passende Einleitung einfallen will, falle ich im wahrsten Sinne des Wortes mit der Tür ins Haus, als ich Niall direkt danach frage.
Auch wenn ich sein Gesicht nicht sehen kann, so verrät mir die plötzliche Anspannung, die den Körper meines Partners erfasst mehr als deutlich, dass seine Laune im Keller ist.
Doch anstatt auf meine Frage zu antworten stellt er mir zwischen zusammen gebissenen Lippen nur eine Gegenfrage.
„Hast du dich schon wieder mit diesem Kellner getroffen?"
Ruckartig dreht er sich in meine Richtung. Seine blauen Augen funkeln mich argwöhnisch an und ich schlucke schwer, als ich verneine.
„Nein, wir sind uns im Fahrstuhl begegnet und er hatte eine Kiste mit seinen Sachen dabei", erzähle ich dir Wahrheit. Die Kiste in seinem Arm musste die Überbleibsel aus seinem Spind enthalten haben.
„Und dieses Weichei hatte nichts Besseres zu tun, als sich bei dir auszuheulen", spottet Niall auf meine Erklärung hin und zeigt ein überlegenes Lachen.
So viel Überheblichkeit lässt meine Wut auf Niall brodeln.
„Das stimmt nicht und das ist auch nicht das Thema", schmettere ich ihm wütend entgegen und mache einen Schritt auf den Mann mir gegenüber zu.
Niall zeigt keinerlei Reaktion und bleibt unbeeindruckt von meiner Wut stehen. Abschätzig mustert er mich nur und wartet mit schmalen Lippen darauf, was ich jetzt zu sagen habe.
„Warum hast du mich angelogen?", frage ich geradeheraus.
Doch wieder bleibt er mir eine Antwort schuldig und weist mich lediglich darauf hin, dass ich ihn zuerst angelogen habe. Ungläubig sehe ich ihn an. Unweigerlich muss ich mich in diesem Moment fragen, ob ich einen erwachsenen Mann mir gegenüber habe, oder ein bockiges Kind, dem man den Lolli gestohlen hat.
„Was soll das Ganze? Hast du es nötig deine Männlichkeit so zur Schau zu stellen? Musstest du ihm so zeigen, wer am längeren Hebel sitzt?", konfrontiere ich ihn direkt mit seinem unrühmlichen Auftreten.
Niall holt tief Luft, bevor er mir zum ersten Mal in diesem Gespräch eine Antwort auf meine Frage gibt.
„Es ist nun mal eine Tatsache, dass er ein Nichts gegenüber meiner Person ist", lässt er überheblich verlauten und ich kann daraufhin nur den Kopf schütteln, da Niall solche Züge noch nie gezeigt hat.
Er war immer jemand, der seinem Gegenüber nicht hat spüren lassen, wieviel Macht und Geld er besitzt. Im Gegenteil er war immer höflich und hat keine Unterschiede zwischen den Menschen gemacht. Eine Eigenschaft, für die ich ihn gemocht - gar geliebt - habe, weil ich es in meiner Familie mit Ausnahme von Alex ganz anders erfahren habe.
„Warum bist du so geworden?", frage ich fassungslos und muss die aufkommenden Tränen runterschlucken.
Ein spöttisches Lachen schlägt mir entgegen.
„Du hast mich zu dem gemacht", erklärt er anklagend und deutet mit dem Finger in meine Richtung.
Ich schüttle nur den Kopf und mache einen Schritt rückwärts. Ich will mich nicht nur räumlich von diesem Mann distanzieren auch auf allen anderen Ebenen verspüre ich diesen Drang.
Doch Niall lässt diesen Abstand nicht zu, stattdessen greift er fest und besitzergreifend nach meinem Handgelenk, zieht mich an seine Brust. Sein Parfum, dass ich sonst immer gemocht habe, steigt mir unangenehm in die Nase und ich drehe mein Gesicht weg. Mit seiner freien Hand umfasst er mein Kinn und zwingt mich so, ihn trotz meines Widerstreben anzusehen.
Warmer Atem schlägt mir entgegen, als Niall bedrohlich langsam auf mich einredet.
„Ich werde es nicht zulassen, dass du mich lächerlich machst. Du bist die Frau an meiner Seite und gehörst nicht zu solch einem einfachen Kellner. Begreif das endlich Viktoria, ihm zu kündigen war nötig, damit klar ist, dass ich mir von niemanden auf der Nase rumtanzen lasse."
Kalt wandern seine blauen Augen über meine Gesichtszüge, auch als ich die ersten Tränen nicht mehr zurückhalten kann, wird seine harte Mimik nicht weicher.
„Auch nicht von dir", führt er seine Drohung zu Ende.
Bevor er mich wieder frei lässt, erklärt er nüchtern, dass ich mein Make-Up in Ordnung bringen soll, bevor wir zu dem Essen gehen.
Sobald ich mich wieder bewegen kann, laufe ich wie versteinert Richtung Badezimmer. Erst als ich die Tür hinter mir verschlossen habe, hole ich stoßweise Luft. Angst ist es, was ich in diesem Moment fühle. Ich betrachte mein Spiegelbild. Feine schwarze Linien verursacht durch die verwischte Mascara laufen über meine Wangen. Rote Flecken, passend zu Nialls Fingern, sind an meinem Kinn zu erkennen. Ungeduldig klopft dieser an die Tür und fordert mich auf, dass ich mich beeilen soll. Fahrig beginne ich damit, Concealer auf die roten Flecken zu verteilen. Anschließend beseitige ich die Mascara-Reste und tusche meine Wimpern neu nach. Meine Finger zittern dabei so sehr, dass ich erst einmal tief durchatmen muss, um das Ergebnis nicht noch schlimmer zu gestalten.
Ein letzter Blick in den Spiegel und ich stelle erleichtert fest, dass man mir nichts von dem, was eben passiert ist, ansehen kann. Niall wartet bereits im Flur auf mich. Als ich die Badezimmertür öffne, sieht er von seinem Telefon auf.
„Hübsch", sagt er als wäre nichts gewesen.
Ich murmle nur ein "Danke". Bevor wir losgehen, ziehe ich mir noch eine dünne Strickjacke über. Es herrschen zwar sommerliche Abendtemperaturen, dennoch ist mir kalt und ich habe nicht den Eindruck, als wäre das Wetter daran schuld.
Gemeinsam mit Niall, der seinen Arm wieder um meine Taille gelegt hat, mache ich mich auf den Weg ins Restaurant.
Sein Geschäftspartner und dessen viel zu junge Begleitung, entsprechen dem absoluten Klischee. Er, schütteres Haar, dicker Bauch und ein viel zu großes Ego. Sie dagegen, die typische Barbie. Gemachte Lippen, blondierte Haare und große Brüste. Das, was sie zu viel in ihrem Vorbau hat, fehlt ihr im Kopf, muss ich leider ziemlich schnell feststellen. Niall macht uns miteinander bekannt und ich lächle einfach höflich und führe Smalltalk, wie man es von mir erwartet, darin habe ich schließlich jahrelange Übung.
Nachdem wir unsere Plätze eingenommen haben, wird uns ein Gruß aus der Küche serviert. Einer der zuständigen Kellner für uns ist Louis. Er schenkt mir ein breites Lächeln, dass ich nur schwer erwidern kann. Merklich zieht er daraufhin die Augenbrauen zusammen, doch ich schüttle vorsichtig mit dem Kopf, was am Tisch niemand mitzubekommen scheint. Niall und sein Geschäftspartner unterhalten sich über irgendwelche Bilanzen der vergangenen Saison. Und die blonde Barbie, dessen Namen ich mir nicht merken kann und möchte, prüft ihr Aussehen in einem Löffel.
Meine Begleitung sitzt mir gegenüber und dafür bin ich in diesem Augenblick mehr als dankbar. Seine Nähe ist mir unangenehm und bei diesem Essen ziehe ich dann doch Barbie als meine Sitznachbarin vor.
Das Menü, welches uns serviert wird, sieht äußerst appetitlich aus, dennoch fühle ich mich kaum in der Lage besonders viel davon zu essen.
Das Blondchen kaut mir ein Ohr ab, wann sie wo shoppen war und ob ich die neusten Folgen der Kardashian's gesehen habe. Es fällt mir schwer sie nicht anzubrüllen, dass sie einfach ihre dumme Klappe halten soll. Ich weiß nicht, ob ihr bewusst ist, dass ich keine Frau von ihrem Schlag bin. Denn im Gegensatz zu ihr verdiene ich mein eigenes Geld. Auch wenn ich einen Job mache, der mich nicht zufrieden oder glücklich stimmt, so fühle ich mich wenigstens nicht völlig nutzlos in meinem Tun.
Bevor das Dessert serviert wird, entschuldige ich mich kurz bei der Tischgesellschaft, um auf die Toilette zu gehen. Während ich versuche, mein Vorhaben vornehm auszudrücken, fällt Barbie mit der Tür direkt ins Haus und fragt mich laut, ob ich aufs Klo gehen würde. Da ich nicht unhöflich erscheinen möchte nicke ich nur und so gehen wir, als wären wir beste Freundinnen, gemeinsam zur Toilette.
Im Badezimmer angekommen bleibe ich vor den Waschbecken stehen, während Blondchen eine der Kabinen aufsucht.
„Dein Mann ist ein echt heißer Kerl", lässt sie durch die geschlossene Kabinentür verlauten.
Ich beiße mir auf die Zunge. Im Moment denke ich viel über Niall nach, aber sicherlich nicht daran, dass er heiß ist. Obwohl ich ihr keine Antwort gebe, plappert sie munter weiter. Ich halte es nicht länger mit ihr aus und teile der Blondine mit, dass ich draußen vor der Tür auf sie warten werde.
Im Flur, welcher auch zur Küche des Hotels führt, lehne ich mich laut seufzend an die Wand.
„Harter Tag?", höre ich plötzlich Louis fragen, der mit einem Stapel Geschirr auf mich zu kommt.
„Frag nicht", antworte ich nur und versuche mich an einem Lächeln.
Louis nickt nur wissend und bleibt direkt vor mir stehen.
„Greif bitte mal in meine Hosentasche", überrumpelt er mich und zwinkert mir vieldeutig zu.
Ich dagegen reiße nur erschrocken die Augen auf und frage ihn, was denn plötzlich mit ihm los sei und erkläre, dass ich ihm ganz sicher nicht in seine Hosentasche fassen würde.
„Ach komm schon, es wird dich keine Schlange beißen", lacht er schelmisch.
„Louis was soll der Quatsch?", frage ich nur hilflos, weil ich nicht weiß wie ich reagieren soll.
„Da ist eine Nachricht von Harry an dich drin. Ich habe schon die ganze Zeit überlegt, wie ich sie dir unauffällig überreichen kann", erklärt er schließlich.
Noch immer hält er das Geschirr mit beiden Händen, sodass es ihm nicht möglich ist, mir selbst den Zettel zu übergeben.
„Was für eine Nachricht?", erkundige ich mich irritiert.
„Keine Ahnung. Er hat sie mir vorhin noch gegeben. Er wusste, dass ich für euren Tisch verantwortlich bin."
Meine Neugier ist geweckt und so fasse ich Louis in die Tasche. Noch immer gutgelaunt tut Louis so, als würde er es besonders genießen. Entspannt schließt er die Augen und lässt ein leises, wohliges Brummen hören, um mir anschließend zu erklären, dass noch nie ein Mensch so in seinen Taschen gewühlt hätte. Nun muss auch ich lachen und sage ihm, dass er albern sei.
„Danke lieber, toller Louis fürs Postbote spielen - das wäre die richtige Antwort gewesen, die ich von dir hören sollte", scherzt er und ich bedanke mich bei ihm.
Der kleine Zettel in meiner Hand ist zweimal gefaltet. Harrys Nachricht ist in einer engen, ordentlichen Handschrift auf einem Stück Papier, welches das Hotellogo trägt, verfasst.
Triff mich heute Abend auf dem Parkplatz.
Harry
Niall scheint sich immer weniger unter Kontrolle zu haben...
Denkt an das Sternchen, wenn ihr Spaß beim lesen hattet und ich wünsche euch einen guten Start in die Woche. :)
Anni
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