Einundzwanzig
„Woher weißt du das?", frage ich.
„Naja, er ist der Grund, warum ich zu spät war", erklärt Harry, als wäre das offensichtlich.
Verwundert frage ich ihn, ob es noch eine kurzfristige Besprechung gegeben hat, oder ob es Probleme wegen der Sternbewertung geben würde.
„Besprechung, ja so kann man das vielleicht nennen", lacht Harry und als ich ihn immer noch fragend ansehen, weil ich nicht verstehe, was daran so komisch ist, erklärt er mir, dass die Unterhaltung zwischen ihm und Niall nur unter vier Augen stattgefunden hat.
„Verdammt", murmle ich daraufhin und raufe mir nervös die Haare.
Ich hätte es eigentlich ahnen müssen, dass Niall so wie er gestern drauf war nicht viel Zeit verlieren wird, um sich Harry zu greifen. Ich hätte Louis sagen sollen, worum es geht, oder ihn fragen müssen, ob ich mit Harry telefonieren kann. Stattdessen bin ich wieder einmal eigennützig vorgegangen, weil ich Harry unbedingt persönlich treffen wollte und habe den Kellner somit in sein Unglück rennen lassen.
Harry allerdings macht nur eine lässige Handbewegung, welche wohl bedeuten soll, dass alles halb so schlimm ist und wieder einmal frage ich mich, wie er schafft, die Dinge so locker zu nehmen. Um ehrlich zu sein bewundere ich ihn für seine Lässigkeit und würde mir wünschen, dass es auch mir so leicht fallen würde ernste Situation positiv zu betrachten. Da das aber nicht der Fall ist, will ich von Harry zuerst wissen, was Niall genau von ihm wollte, auch wenn ich Angst vor der Antwort habe.
Nachdenklich wandert Harrys Hand in seine dunklen Haare, bevor er spricht.
„Naja im Großen und Ganzen hat er mehr als deutlich gemacht, dass ich mich von dir fernhalten soll. Daraus schließe ich, dass er weiß, dass wir essen waren?", hakt er interessiert nach.
Mit Unglauben in meinem Blick, darüber dass Niall das wirklich zu ihm gesagt hat, sehe ich ihn an und nicke lediglich.
„Was hat Niall noch gesagt?"
„Naja im Grunde nur, dass, wenn ich mich nicht daranhalte, ich meinen Job vergessen kann und dass er mich im Blick haben wird", fasst er das Gespräch kurz und knapp zusammen. „Er scheint äußerst eifersüchtig zu sein, dabei ist doch gar nichts passiert", überlegt Harry laut.
„Das habe ich ihm auch gesagt", antworte ich und mein Gegenüber nickt nur.
„Er wirkte wütend. Ist er öfter so?", erkundigt sich Harry mit deutlicher Besorgnis in der Stimme.
Unsicher wechsle ich das Gleichgewicht von einem auf den anderen Fuß, als ich Harry antworte, weiche ich seinem Blick etwas aus.
„Nein, so kenne ich ihn nicht."
Ich spüre, dass Harry mich mustert, aber trotzdem füge ich meiner Erklärung nichts weiter hinzu, da es ihn auch nichts angeht, was gestern Abend zwischen mir und Niall passiert ist. Stattdessen frage ich Harry, warum er dennoch zu unserem Treffen erschienen ist, wenn Niall ihm doch damit droht, dass er seinen Job verlieren wird, sollte er uns noch einmal zusammen sehen.
„Also erstens, ist es nur ein Job. Ich mache das aus Spaß. Zweitens, lasse ich mir doch nicht von einem Fremden vorschreiben, mit wem ich mich treffe und mit wem nicht und drittens", nun sieht er mich direkt an, „sind wir doch nur Freunde, was spricht also dagegen, wenn wir etwas Zeit als Freunde miteinander verbringen?"
Seine Frage geht direkt an mich und versetzt mir einen kleinen Stoß. Natürlich sind wir Freunde, wenn man dieses Verhältnis zwischen uns überhaupt so bezeichnen kann, denn eigentlich kennen wir uns bisher kaum. Also, was habe ich erwartet, wie Harry die Dinge zwischen uns sieht? Er ist augenscheinlich ein Mensch, der nicht davor zurückschreckt neue Kontakte zu knüpfen und auf fremde Personen zuzugehen. Ganz anders hingegen bin ich. Normalerweise bin ich verschlossen gegenüber neuen Kontakten. Vielleicht liegt das aber bisher auch daran, dass ich mich in Kreisen aufhalte, in denen jede Verbindung mit irgendwelchen Bedingungen oder Forderungen einhergeht und man daher immer Angst haben muss, dass etwas erwartet wird.
„So ist es", bestätige ich seine Aussage schließlich und sehe ihn unsicher an.
„Gut, dann gibt es ja auch keinen Grund für deinen Freund, dass er eifersüchtig ist und du musst kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir uns treffen."
Wieder nicke ich nur, weil mir keine passende Erwiderung einfallen will. Denn Harry hat mit dem was er sagt absolut recht. Dennoch muss ich mich fragen, warum mich seine Aussage auf einer Seite unglücklich macht, obwohl sie mich doch in erste Linie beruhigen und zufrieden stimmen sollte. Es war doch im Grunde genau das, was ich von ihm wollte. Eine deutliche Aussage darüber was wir sind und warum er unbedingt etwas mit mir unternehmen möchte. Harry sieht uns als Freunde und das ist schlussendlich auch gut und richtig so. Es macht die Dinge leichter und für Niall gibt es keinen Grund eifersüchtig auf den Kellner zu sein, da er mir gegenüber jetzt mehr als deutlich gemacht hat, welche Art von Interesse er hat. Niall sollte das unbedingt erfahren, überlege ich. Außerdem hoffe ich, dass er so wieder sein gewohntes Gesicht mir gegenüber zeigt.
Nialls demonstratives, egomanisches Auftreten gestern Abend hat mich eingeschüchtert, mir Angst gemacht und mich viel zu sehr an meine Eltern erinnert.
„So, wie sieht's aus, was hast du heute noch vor?", erkundigt sich Harry mit einem unbeschwerten Grinsen auf den Lippen.
„Ich weiß nicht genau, ich wollte jetzt eigentlich zurückgehen", erkläre ich wahrheitsgetreu.
Zwischen Harry und mir ist alles geklärt, also ist es vielleicht an der Zeit, noch einmal das Gespräch mit Niall zu suchen, um entstandene Missverständnisse beseitigen zu können.
Doch Harry scheint andere Pläne zu haben als ich. Er schiebt die Unterlippe vor und sieht mich bittend an, als er mich fragt, ob ich wirklich schon wieder gehen müsse. Obwohl mich meine innere Stimme ermahnt, dass ich mich lieber mit Niall unterhalten sollte, lenke ich zu Harrys Freude ein und frage ihn, was er denn noch vorhat.
Beschwingt legt er einen Arm um meine Schulter und zieht mich enger an sich. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, als er nachdenklich in den Himmel schaut und so tut, als hätte er nicht schon längst eine Idee, was man mit dem angebrochenen Nachmittag anfangen kann.
„Bist du weiterhin daran interessiert, wie meine Wohnsituation aussieht?", erkundigt er sich und zwinkert, als ich vorsichtig nicke, da ich es noch immer mehr als merkwürdig finde, dass sowohl er als auch Louis daraus so ein Geheimnis machen.
„Dann folge mir. Es passt heute auch super, wir haben einen Grund zu feiern und du bist jetzt offiziell eingeladen."
Bevor ich nachfragen kann, was es denn genau zu feiern gibt, hat sich Harry schon auf den Weg den Strand entlang gemacht. Mit einigen großen Schritten schließe ich zu ihm auf und blicke die Sonne, welche langsam immer tiefer sinkt mit den Händen abschirmend zu dem Mann neben mir hoch.
„Wir fahren nicht mit dem Moped?"
„Vermisst du die wilde Fahrt auf Molly schon?", stellt Harry mir nur eine Gegenfrage anstatt zu antworten.
„Es war nicht ganz so schlimm, wie ich es erwartet habe", gebe ich zu und die Erinnerung an die notwendige Nähe zu Harry wegen der Fahrt lässt mein Herz erneut schneller schlagen. Doch dieses Detail verschweige ich besser.
„Ich denke irgendwann kann ich dich nochmal auf Molly mitnehmen, aber heute können wir laufen, es ist auch nicht so weit. Ich hoffe du hast kein Problem damit ein wenig zu klettern. Die richtigen Schuhe hast du ja zum Glück an."
Mein Blick wandert zu meinen leichten Turnschuhen und wieder zurück zu Harry, als ich ihn frage, warum wir denn Klettern müssen, wenn wir zu ihm wollen. Doch wieder ziert nur ein geheimnisvolles Schmunzeln seine Lippen, als er mir spielerisch mit seinem Zeigefinger auf die Nase tippt und sagt, dass ich das schon früh genug erfahren würde.
Nun ist es einmal an mir schmollend die Lippen vorzuschieben und Harry lacht nur, als er meine Grimasse sieht.
„Du kannst mich nicht mit meinen eigenen Waffen schlagen, Vicky", lacht er und legt wieder locker den Arm um meine Schulter, wo dieser auch für ein gutes Stück des Weges verweilt.
Seine unbeschwerte, ausgelassene Art gefällt mir immer besser und ich genieße es einem Menschen begegnet zu sein, der das Leben nimmt, wie es kommt, ohne lange nachzudenken oder zu hinterfragen. Eine Leichtigkeit geht von dem Mann mit den wilden Locken und dem immer präsenten Schmunzeln in den Augen aus, von der ich mir wünsche, dass etwas davon auf mich abfärbt. Ich möchte auch positiv in die Zukunft blicken können, egal wie dicht über mir die Wolken auch gerade stehen.
Aber aus meinen gewohnten Verhaltensmuster auszubrechen ist alles andere als einfach. Auch wenn es mir hier auf dieser Insel gelingt, etwas lockerer zu sein, so kann ich zu Hause nicht tun und lassen, was ich für richtig halte. Meine Entscheidungen werden immer mit Argusaugen beobachtet und ich trage Verantwortung für mehrere tausend Arbeitnehmer auf meinen Schultern. Das ist eine Last, die ich nicht so leicht von mir werfen kann, wie ich es manchmal gerne möchte.
Einige Minuten gehen wir schweigend nebeneinander her. Harry pfeift heiter eine Melodie, während er mich den Strand entlangführt. Irgendwann verlassen wir diesen und steigen eine Treppe nach oben. Ich bleibe Harry dicht auf den Fersen und ohne es wirklich zu bemerken steigen wir immer höher. Mit jedem Meter, den wir zurücklegen, wird meine Neugier immer größer auf das, was mich erwarten wird. Ich habe noch immer keine Idee. Habe es allerdings auch aufgegeben mir darüber Gedanken zu machen, da ich es ja schon bald zu sehen bekommen werde und Harry sich ohnehin nicht erweichen lässt und vorher das Geheimnis offenlegt.
„Was macht dich so sorglos?", unterbreche ich die Stille und starre auf Harrys Rückenansicht, während ich ihm abseits des Trampelpfades durch wadenhohe Gräser folge.
Harry wird ein wenig langsamer und sieht mich über seine Schulter hinweg an. Ohne lange zu überlegen antwortet er: „Ich habe gelernt, dass das Leben zu kurz ist, um sich ständig Sorgen zu machen."
„Aber macht es dir zum Beispiel keine Angst, dass Niall dir damit droht zu kündigen und du dann kein Geld mehr verdienst, um dein Leben zu finanzieren?", bohre ich weiter nach, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass man sich keine Gedanken über die Zukunft macht.
Unerwartet bleibt Harry stehen und wendet sich in meine Richtung. Mit diesem plötzlichen Stopp von ihm habe ich nicht gerechnet und da ich immer dicht hinter dem jungen Mann geblieben bin, laufe ich direkt in ihn hinein.
„Oho nicht so stürmisch", lacht er nur und legt seine Hände auf meine Oberarme um mich besser ansehen zu können.
Ich bemerke sofort, wie ich rot werde und entschuldige mich kleinlaut für meine Unachtsamkeit.
„Ach mir ist schon Schlimmeres passiert, als dass eine hübsche Frau in mich hineinläuft", kommentiert Harry meine Schusseligkeit und ich werde aufgrund seines Komplimentes nur noch roter.
Um meinen wilden Herzschlag aufgrund der unvorhergesehenen Nähe zu ihm wieder zu beruhigen, mache ich einen Schritt zurück und vergrößere so den Abstand zwischen uns.
„Zu deiner Frage von eben", übergeht Harry diskret meine Scham und wechselt das Thema. „Wie ich schon gesagt habe, ist der Job in erster Linie nur Spaß und Zeitvertreib für mich und Geld ist außerdem nicht alles. Wenn es wirklich so kommen sollte, dass er mir kündigt, dann ist das eben so. Mein Gott irgendwas Anderes wird sich schon ergeben."
Mir bleibt nicht viel als über seine Worte zu staunen und mich zu wundern.
„Aber wie willst du zum Beispiel deine Miete bezahlen", verweise ich auf die Fixkosten, die doch jeder zu begleichen hat und man nicht umgehen kann.
Nun präsentiert er mir wieder triumphierend seine Grübchen.
„Ah, da wären wir auch schon beim eigentlichen Anliegen unserer Wanderung."
Fragend sehe ich ihn an. Wir stehen mitten in der Einöde wenige Meter von einer Klippe entfernt, die runter zum Meer führt.
Wie ein Zirkusdirektor, der seine Manege präsentiert, breitet Harry die Arme aus und dreht sich einmal filmreif um die eigene Achse und verkündet, dass er hier wohnen würde. Abwartend blickt er mich daraufhin um und meine erste Reaktion ist es zu lachen. Noch einmal sehe ich mir die Umgebung an und muss mich selbst fragen, ob ich mich in ihm geirrt habe und er eigentlich völlig übergeschnappt ist und ich das nur in meinem Interesse an seiner Person falsch gedeutet habe.
„Ja alles klar, veralbern kann ich mich alleine", scherze ich und warte darauf, dass er „April, April" ruft und die Situation auflöst.
„Ich scherze nicht", antwortet mein Gegenüber nur vollkommen ernst und macht eine paar Schritte auf die Klippe zu. „Sieh einfach mal hier runter", fordert er nun und deutet in die Tiefe.
Vorsichtig folge ich seiner Aufforderung und mache langsam ein paar Schritte auf den jungen Mann zu, der mir seine ausgestreckten Arm entgegenhält.
„Keine Angst, ich will dich nicht die Klippe hinabstürzen. Vertrau mir", versucht er mir ruhig Mut zu machen.
Ich brauche nicht lange überlegen. Meine Hand lege ich vertrauensvoll in seine und lasse mich so von ihm in eine für mich völlig gegensätzliche Welt führen, als ich sie bisher kennengelernt habe.
So, ich bin gespannt auf eure Ideen, was Harry da nun präsentiert ^^
Ab Sonntag bis einschließlich Mittwoch bin ich für ein paar Tage in Hamburg, Updates werden kommen, die habe ich geschrieben, aber ob ich eure tollen Kommentare zeitnah beantworten kann, das weiß ich noch nicht. :)
Ich muss euch einfach immer wieder für eure Unterstützung danken. <3 Beste Motivation überhaupt.
Anni
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