Dreizehn
„Hab ich mich wohl doch nicht geirrt", schmunzelt Harry, während er mir noch immer auffordernd den Helm unter die Nase hält.
Das Höllengefährt lasse ich weiterhin nicht aus den Augen, als ich ihn frage, womit er recht hat.
„Dass Spontanität ein Fremdwort für dich ist", antwortet er ohne ein Miene zu verziehen.
Anklagend deute ich auf das Moped und mache ihn darauf aufmerksam, dass dieses Ding nur zwei Räder hat. Harry lässt den Helm sinken und sieht mich ungläubig an. Seine Gestik ist im ersten Moment schwer zu deuten für mich, doch dann fängt er lauthals an zu lachen und nun ist es an mir, ihn ungläubig anzustarren.
„Was ist bitte so witzig?", empöre ich mich und stütze die Arme demonstrativ in der Taille ab.
Harrys Lachen wird immer lauter und ich blicke mich suchend um, ob wir bereits unerwünschte Beobachter haben, die sich fragen könnten, was hier los ist.
Noch immer schallend lachend macht Harry einen Schritt auf mich zu. Als er meine trotzige Haltung bemerkt, ist er sichtlich bemüht nicht noch mehr zu lachen. Ich gebe nur ein beleidigtes Schnaufen von mir. Doch als ich aus der Nähe erkennen kann, wie sich um seine Augen herum kleine Falten bilden und er in diesem Moment so viel Unbeschwertheit ausstrahlt, muss auch ich ein wenig schmunzeln.
Direkt vor mir bleibt er stehen. Harry wischt sich eine einzelne Träne aus dem Augenwinkel, bevor er sich räuspert und versucht seine Haltung wieder zu erlangen.
„Vicky", spricht er zum ersten Mal meinen Namen aus und sein Akzent verleiht diesem eine ganz neuen Klang, den ich wirklich mag.
„Wir sollten froh sein, dass der Roller zwei Räder hat. Mit nur einem wäre es ein Problem, aber so ist das völlig normal", erklärt er sachlich.
Mein Blick wandert an ihm vorbei zu dem roten Moped. An einigen Stellen entdecke ich bereits Rost. Sicherlich ist das bei der salzigen Luft hier auf der Insel nicht ungewöhnlich, dennoch macht das Ganze keinen besonders sicheren Eindruck auf mich.
„Aber", will ich ansetzen, doch Harry ist nicht bereit sich meine Versuche, ihn doch von einem Taxi zu überzeugen, anzuhören.
„Nichts aber, du bist doch sicherlich auch schon mal Fahrrad gefahren, oder?"
Verwirrt nicke ich und frage, was das denn jetzt damit zu tun hätte.
„Ja siehst du", beginnt er triumphierend, „das hat auch nur zwei Räder. Außerdem bekommst du meinen Helm und ich kann fahren, dir wird nichts passieren. Versprochen", beteuert er und hält mir erneut den Helm hin.
Ein letztes Mal mustere ich Harry und das Zweirad prüfend. Letzten Endes seufze ich und Harry scheint das als Zustimmung zu werten. Bevor ich mich versehe, hat er mir den Helm auf den Kopf gesetzt und verschließt das Band unter meinem Kinn mit einem Klicken. Dabei streichen seine warmen Finger nur Millisekunden über die Haut meiner Wangen, senden aber sogleich ungewohnte Impulse durch meinen ganzen Körper. Unsere Augen treffen sich und es erweckt fast den Eindruck, als hätte auch Harry etwas Unerwartetes gespürt.
Doch so schnell dieser Augenblick erscheint, verfliegt er auch wieder, als Harry sich mit federndem Schritt abwendet und mich zu dem Moped hinüberwinkt.
„Vielleicht hilft es, wenn ich euch miteinander bekanntmache. Um das Eis zu brechen."
Nun ist es an mir zu lachen.
„Du willst mich mit deinem Roller bekannt machen?"
Harry bleibt völlig ernst und nickt, als wäre es alltäglich, dass man einem Fahrzeug vorgestellt wird.
„Nun denn, Vicky das ist Molly, Molly das ist Vicky."
Mit seiner Hand deutet er, wie um seine Worte zu unterstreichen jeweils erst auf mich und dann auf das Moped. So albern wie diese Situation auch erscheinen mag, entscheide ich mich dazu dieses Spiel mit zu spielen. Mit einem Knicks, wie er mir in drei Jahren Ballettunterricht beigebracht wurde, verbeuge ich mich vor dem Gefährt und erkläre Molly, dass es mich freut ihre Bekanntschaft zu machen.
„Langsam wirst du etwas lockerer. Das gefällt mir", kommentiert Harry meinen Knicks und schenkt mir sein ganz eigenes Lächeln, inklusive Grübchen, welches mir so sehr gefällt.
Er hat recht. Es fällt mir in seiner Nähe ungewöhnlich leicht etwas von meinen Prinzipen und meinem Anstand zu vergessen und einfach nur mal das zu tun, was mir als erstes in den Sinn kommt. Allerdings muss Harry das ja nicht unbedingt wissen.
„Warum heißt sie Molly?", frage ich und mache einen ersten vorsichtigen Schritt auf das Moped zu.
Mit den Fingerspitzen fahre ich vorsichtig über das kalte Leder der Sitzoberfläche, während Harry mir antwortet: „Vielleicht weil wir Männer mit Frauen immer behutsamer umgehen", scheint er laut zu überlegen und ich sehe ihn fragend an.
Unbekümmert zuckt er mit den Achseln und führt seine Erklärung weiter aus, indem er mir erzählt, dass er darüber noch nie nachgedacht hat. Ich gebe mich mit der Antwort zufrieden und Harry steigt auf das Moped.
Etwas unsicher bleibe ich noch immer daneben stehen. Erst jetzt fällt mir wieder ein, dass ich ein Kleid trage. Es ist mir unangenehm breitbeinig in diesem auf das Moped zu steigen und das direkt hinter Harry. Dazu kommt noch der Wind, das alles kann doch niemals gut gehen.
„Was ist nun? Ich verhungere gleich", fordert mich Harry mit einer gewissen Ungeduld auf und ich erkläre ihm, dass ich nicht weiß, was ich mit meinem Kleid machen soll.
„Es reicht mir bis zu den Knöcheln und ist es da nicht möglich, dass sich der Stoff in den Rädern verfängt? Am Ende sitze ich nur noch in Unterwäsche hinter dir", erläutere ich mein Problem näher.
Harry sieht mich einen Moment lang an und ich hoffe, dass er keinen dummen Machospruch bezüglich meiner Angst, dass ich nur noch in Unterwäsche hinter ihm sitzen würde, bringt. Das würde all die Sympathie, welche ich ehrlicherweise für ihn empfinde mit einem Mal zu Nichte machen.
Harry aber enttäuscht mich nicht und schlägt lediglich vor, dass ich den langen Stoff zu einem Knoten binden soll und ich dann keine Bedenken mehr haben müsste. Ich befolge seinen Ratschlag und zwei Minuten später sitze ich hinter dem jungen Mann auf dem Moped.
„Leg deine Arme um meinen Bauch, dann kannst du dich am besten festhalten", erklärt er und nach kurzem Zögern komme ich auch diesem Vorschlag nach.
„Willst du dir nicht auch einen Helm aufsetzten?", frage ich, bevor wir starten.
Der Angesprochene dreht sich so weit nach hinten, dass er mich ansehen kann.
„Nein, das würde doch nur meine Lockenpracht zerstören. Außerdem mag ich es, wenn der Wind durch meine Haare weht", antwortet er nicht ganz ernst und fährt sich spielerisch mit der linken Hand durch seine Locken.
„Ne mal ehrlich, du hast meinen Helm auf, aber keine Angst, mir passiert nichts", versucht er mich zu beruhigen, bevor ich erneut protestieren kann.
Harry also ohne Kopfbedeckung, ich hinter ihm, die Arme nur zaghaft um seinen Oberkörper geschlungen und den Schutzhelm auf meinem Kopf sind wir schließlich startklar.
Nachdem er die Zündung gedreht hat, erwacht Molly laut knatternd zum Leben. Mit den Füßen stößt Harry sich vom Boden ab und rollt langsam vom Parkplatz Richtung Hotelausfahrt.
„Bitte fahr nicht zu schnell", flehe ich ihn an und Harry verspricht mir, vorsichtig zu sein, während er auf die öffentliche und zum Glück leere Straße fährt.
Sobald wir auf der Straße sind, gibt Harry etwas mehr Gas. Molly wird lauter und somit auch schneller. Aus meiner zuerst vorsichtigen Berührung, um nicht zu viel Körperkontakt zwischen mir und dem Fahrer herzustellen, wird schnell ein krampfhaftes Festhalten. Meine Arme reichen ohne Probleme unterhalb seines Brustkorbs herum. Zusätzlich umschließe ich meine Hände, weil ich sonst Angst habe in den Kurven von dem Gefährt zu rutschen.
Mein Kopf ruht auf Harrys Schulterblättern, die Augen halte ich geschlossen, um so die an uns vorbeiziehenden Umgebung ausblenden zu können. Ich bin auch noch nie jemand gewesen, der es mag in eine Achterbahn zu steigen, da mir dort ebenfalls immer schlecht wird.
Unter meinen Handflächen spüre ich die regelmäßigen und tiefen Atemzüge von Harry. Ganz gegensätzlich zu meinem Herzen, welches wild in meinem Brustkorb schlägt und somit fast droht aus diesem zu springen. Sicherlich kann er ebenfalls meinen Herzschlag deutlich spüren. Doch in diesem Moment ist es mir egal, was er wohl darüber denken könnte. Die kühle Abendluft weht mir um die Nase. Sie riecht nach Salz und Harrys herben Aftershave, das mir, wie ich zugeben muss, immer besser gefällt.
Tief hole ich Luft und mit jeder Minute, in der kein Unfall passiert, entspannte ich mich etwas mehr. Dennoch halte ich weiterhin engen Kontakt zu Harry. Die Wärme, welche von ihm ausgeht, lullt mich ein und innerlich wünsche ich mir fast, dass dieser Moment nie endet.
„Schau mal nach vorne", holt mich Harrys Stimme aus meinen Gedanken und ich schüttle nur den Kopf, weil ich nicht die Augen öffnen möchte.
„Doch tue es, ich möchte dir was zeigen", fordert er mich auf.
Vorsichtig hebe ich den Kopf und sehe über seine linke Schulter hinweg nach vorne. Gemächlich fahren wir auf der nahezu leeren Straße und ich rechne es Harry hoch an, dass er das Tempo drosselt, weil er zu wissen scheint, dass ich Angst habe.
„Das da vor uns, der hohe Berg, ist der Teide. Ich kann dir nur raten, dass du den Nationalpark besuchst. Vor allem in der Nacht. So viel Sterne wie dort, siehst du sonst selten", erklärt mir Harry und deutet leichtfertig mit einer Hand in die angegebene Richtung.
Augenblicklich bohren sich meine Finger in den dünnen Stoff seines T-Shirts und somit bekomme ich einen guten Eindruck davon, dass er zu trainieren scheint. Denn unter dem Stoff gibt sein Bauch nur wenig nach. Auf die angepriesene Aussicht kann ich mich nicht konzentrieren, solange er Molly offensichtlich nur mit einer Hand in der Spur hält
„Aua", lacht Harry und greift wieder mit beiden Händen nach dem Moped. Meine Finger lockern sich.
Fünf Minuten später scheinen wir ein kleines Dorf erreicht zu haben, in welchem sich Touristen sicherlich nur verirren, wenn sie hindurchfahren. Vor einem kleinen Bistro stoppt Harry das Moped. Ich steige zuerst ab und bin froh, den Helm abnehmen zu können, da es darunter doch schnell recht heiß geworden ist.
Harry sieht, wie ein männliches Supermodel aus, obwohl der Wind seine Haare ordentlich durcheinander gebracht hat. Kurz wirft er den Kopf nach vorne und schüttelt diesen ein wenig. Schließlich nimmt er eine Hand zur Hilfe und wirft die langen Locken über die Stirn wieder nach hinten. Und schon sieht seine Frisur herrlich unperfekt aus.
Obwohl mir bewusst ist, dass ich ihn wieder einmal anstarre, kann ich den Blick nicht lösen und so kommt es, dass er mich erneut darauf anspricht.
„Lass mich raten, du starrst mich nicht an", schmunzelt er und macht einen Schritt auf mich zu.
„Natürlich nicht", lüge ich sogleich und lächle ebenfalls.
Ich will ihm seinen Helm zurückgeben, doch Harry nimmt mir diesen nicht ab. Stattdessen schiebt er mit beiden Händen meine Haare hinter die Ohren. Kurz verweilen seine Handflächen an meinem Gesicht und obwohl ich nicht geglaubt habe, dass mein Herzschlag noch schneller als auf dem Moped pulsieren kann, werde ich jetzt eines Besseren belehrt.
Es scheint, als würde die Zeit stillstehen, denn sowohl Harry als auch ich, stehen einfach nur schweigend da. Scheinen beide gefangen in diesem Moment zu sein. Die grünen Augen des Mannes ruhen auf mir und ich versuche darin zu lesen, was hinter diesen vorgeht, doch es gelingt mir nicht. Stattdessen wandert mein Blick zu seinen fast schon feminin geschwungenen Lippen, dessen intensive Farbe irgendwie unnatürlich wirkt.
„Hab ich doch richtig gehört. Dieses Knattern kann nur Molly sein", zerstört eine weibliche Stimme hinter Harry den Moment.
Augenblicklich verlassen seine Hände mein Gesicht und ich gehe instinktiv einen Schritt zurück. Freudestrahlend wendet sich Harry an die Frau hinter ihm. Seine Arme sind weit ausgebreitet und die schwarzhaarige Latina springt förmlich in diese.
„Schön dich zu sehen Val", begrüßt Harry die Frau in seinen Armen.
Val präsentiert ihre perfekten, weißen Zähne als sie ihn breit anlächelt. Links und rechts drückt sie Harry einen Kuss auf die Wange. Mir ist die Situation mehr als unangenehm. Eingeschüchtert von dieser herzlichen Begrüßung halte ich mich im Hintergrund, um mich um mein Kleid zu kümmern und den Knoten zu lösen.
„Wer ist deine Begleitung Harry?", höre ich die junge Frau auf Englisch fragen.
„Das ist meine Bekannte Viktoria. Viktoria, das ist meine gute Freundin Valeria", stellt uns Harry einander vor.
„Nur eine gute Freundin?", erkundigt sich Valeria mit einem vielsagenden Lächeln, welches sie Harry schenkt.
„Im Moment schon", antwortet dieser ungeniert und steckt ihr die Zunge raus. Eine Geste die, die junge Frau lachend erwidert.
Ich straffe die Schultern und mache einen Schritt auf die rassige Schönheit zu, um ihr die Hand zu reichen. Doch ganz, wie es in Spanien üblich ist beugt sie sich zu mir und drückt mir ebenfalls rechts und links einen Kuss auf die Wange.
„Nenn mich Val", schlägt sie vor und ich nicke zurückhaltend.
Jap, ich lasse es hier enden, weil ich gerne von euch wissen möchte, was ihr nun über Harry denkt? Oder besser, wie schätzt ihr ihn ein?
Über Sternchen und Kommentare freue ich mich wie immer sehr. :)
Habt noch einen schönen Tag.
Anni
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