Drei
Mit den Händen stütze ich mich auf dem Waschtisch aus schwarzen Mamor ab und starre in den großen Spiegel an der Wand. Ich versuche meine Fassung wieder zu erlangen und mich zu beruhigen. Diese Momente, in denen mir alles zu viel wird, habe ich immer wieder. Schon in meinen Teenagerjahren haben mich diese Attacken heimgesucht. In letzter Zeit allerdings treten sie vermehrt auf.
Mir ist durchaus bewusst, was mir mein Körper damit sagen möchte. Dennoch kann ich mich nicht dagegen wehren. Ich kann nicht einfach mein Leben umwerfen und meinen Eltern die Stirn bieten, um endlich wirklich glücklich zu werden. Dafür bin ich zu schwach und ängstlich.
Nur eine Person hat es bisher geschafft, sich gegen meine Eltern zu stellen - mein Bruder Alex.
Er ist schon immer das schwarze Schaf in unserer Familie gewesen. Zumindest behauptet das meine Mutter, sobald das Gespräch auf Alexander fällt. Mein Vater sieht seinen einzigen Sohn hingegen als eine herbe Enttäuschung. Nicht würdig den Namen Altenstein zu tragen, pflegt mein alter Herr mittlerweile zu sagen.
Anders als er, ist Alex immer jemand gewesen, der gutmütig und spendabel ist. Als mein Bruder sechzehn Jahre alt war, hat er damit begonnen sich für die Erde und die darauf existierenden Probleme zu sorgen. Ein Projekt in der Schule hatte ihm vor Augen geführt, dass es nicht jedem so gut ging, wie uns. Alexander begann sich zu informieren. Unterhielt sich mit Organisation, die Spenden für Menschen in Not sammelten, spendete an diese sein Taschengeld.
Er wollte helfen. Doch meine Eltern waren und sind noch heute der Ansicht, dass jeder selbst dafür verantwortlich ist, was aus einem wird. Für Reichtum muss man arbeiten und wenn man diesen gewünschten Wohlstand erreicht hat, soll man diesen auch für sich behalten.
Sie halten nichts von Spenden. Wenn sie überhaupt etwas abgeben, dann nur, wenn dadurch auch ein Vorteil für sie rausspringt. Zum Beispiel ein wohlwollender Artikel über unsere Firma in der Zeitung. Am Ende sorgt mein Vater ohnehin dafür, dass er die Spenden, welche er tätigt, über die Steuer absetzen kann.
Doch mein Bruder ist anders. Sobald er volljährig wurde, verkündete er, dass er sich einer Hilfsorganisation angeschlossen habe, um mit dieser die Welt zu retten, wie meine Eltern es anschließend gerne höhnisch formulierten.
Wurde der Idealismus meines Bruders bis dato von unseren Eltern belächelt, so begriffen sie in dem Moment, als er mit gepackten Koffern vor ihnen stand, wie ernst es Alex war.
Jeder hätte wohl in diesem Moment erwartet, dass Tränen vergossen wurden. Meine Mutter ihren Sohn würde aufhalten wollen und mein Vater ihm viel Glück auf seinem Weg wünschte. Doch der Abschied verlief, wie nicht anders zu erwarten, komplett gegenteilig.
Sie lachten über seine idealistischen Moralvorstellungen, die Welt ein Stück besser machen zu wollen. Meine Eltern verspotteten ihren eigenen Sohn gar als Narr. Ich und meine Schwester sahen hilflos dabei zu, wie mein Bruder ihnen erklärte, dass sie schlechte Menschen seien, wenn ihnen das Elend Anderer so egal ist. Und das, obwohl sie doch die Möglichkeit hätten zu helfen.
Meine Mutter funkelte ihn daraufhin böse an, regte das Kinn arrogant in die Höhe. Mein Vater lachte selbstgefällig und fragte Alex, was es ihm denn bringen würde, fremden Menschen zu helfen, die einem dafür nichts zurückgeben? Man keinen Gewinn daraus für sich schlagen kann? Wozu das Ganze denn dann gut sei?
Daraufhin schüttelte mein Bruder nur bedauernd den Kopf. Mitleid für die falsche Einstellung meiner Eltern war in seinen dunklen Augen zu lesen, als er mit Stolz verkündete, dass es ihm nicht um die materiellen Dinge ginge. Es für ihn Gewinn genug sei zu wissen, dass er nicht tatenlos dem Elend gegenüberstehe. Er wolle einfach zufrieden sein und das tun, was ihn glücklich macht. Geld würde ihm dieses Gefühl nie geben können. Ich wusste, auch schon in diesem Moment, dass er mit seiner Einstellung Recht hat.
Mit einer Umarmung verabschiedete Alexander sich daraufhin von mir und meiner Schwester. Dicke Tränen kullerten sowohl über ihre als auch meine Wangen. Unser Bruder war derjenige, der uns Geschwister zusammengehalten hatte. Die Rivalitäten, welche sich später erst zwischen mir und Elena entwickeln sollten, gab es zum damaligen Zeitpunkt so noch nicht.
Alexander war für Elena der große Bruder, der sie immer vor dem Bösen beschützte. Für mich hingegen war er der einzige Blutsverwandte, dem ich mich anvertrauen konnte. Meine Geheimnisse waren sicher bei ihm. Meine Zweifel wurden verstanden.
Noch bevor er endgültig ging, versuchte er mich davon zu überzeugen, dass ich ihn begleiten sollte. Doch ich konnte nicht. Alex redete auf mich ein, meinte, es würde schon alles gut gehen. Aber meine Angst davor, zu rebellieren, welche mir jahrelang anerzogen wurde, hielt mich zurück. Mein Bruder war traurig, dennoch musste er gehen und ich verstand ihn. Sowie ich mich dem Willen meiner Eltern nicht in den Weg stellen konnte, so konnte Alex sich diesem nicht beugen.
Mit schwerem Herzen musste ich ihn schließlich ziehen lassen. Auch, weil ich wusste, dass er das Richtige für sich tat. Alex war niemand der sich wie ich einsperren ließ. Der sich der Norm beugte. Er war ein optimistischer Kämpfer. Das komplette Gegenteil von mir.
Als Alexander damals die Tür hinter sich zuschlug, war ich zwanzig Jahre alt. Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, sprachen wir nur noch selten zu Hause über ihn. Meinen Eltern taten einfach so, als hätte es ihn nie gegeben. Elena weinte tagelang, bis auch sie nie wieder über ihn sprach. Sich stattdessen zurückzog und ihr eigenes Ding machte.
Und ich vermisse diesen Rebellen, der mein Bruder nun mal war, noch heute.
„Fräulein Altenstein", ruft eine tiefe Männerstimme meinen Namen durch die geschlossenen Badezimmertür, begleitete von einem höflichen Klopfen.
„Ich bin gleich da", gebe ich als Antwort und wische mir gleichzeitig mit den Fingern unter den Augen entlang. Mein Mascara ist etwas verschmiert und um dem tadelnden Blicken meiner Mutter zu entgehen, wische ich das überflüssige Make-up mit meinen Fingern fort.
Bevor ich den Schlüssel in der Tür herumdrehe, hole ich noch ein weiteres Mal tief Luft. Vor der Tür wartet bereits in sicherem Abstand ein junger Mann. Er ist einer der Kellner des Cateringunternehmens, welches heute das Essen zubereitet und serviert hat. Unsere Blicke kreuzen sich. Prüfend sieht er mich an. Dies ist mir unangenehm, denn er scheint zu ahnen, dass ich nicht nur auf der Toilette war.
„Frau Altenstein schickt mich, um nach Ihnen zu sehen. Die Gesellschaft wartet auf Sie im Wohnzimmer", teilt er mir mit einem professionellen Lächeln mit.
Ich bedanke mich bei dem jungen Kellner und folge ihm Richtung Wohnzimmer. Der Nachtisch scheint also beendet zu sein und ich bin nicht traurig darüber, den größten Teil davon verpasst zu haben.
Nun ist es Zeit für den großen Showdown des Abends denke ich, als ich das großzügige Wohnzimmer über drei Stufen betrete. Es läuft leise, klassische Musik im Hintergrund. Alle sitzen mit einem Glas Wein in der Hand auf der teuere Ledergarnitur und unterhalten sich.
Der Kopf meines Partners dreht sich in meine Richtung. Besorgt folgen mir die blauen Augen, als ich den Platz neben ihm einnehme. Ich spüre, dass Niall sich nach meinem Befinden erkundigen möchte, doch die Gelegenheit wird ihm genommen, als das Men's Health Model sich unter lautem Räuspern erhebt und somit die volle Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Um Haltung zu bewahren vor dem, was nun folgt, greife ich nach der Hand meines Freundes und straffe die Schultern. Ich lege eine interessierte Miene auf, auch wenn ich viel lieber schreiend das Haus verlassen möchte.
Mit einem Blick, der nicht ganz zu dem passen will, was er meiner Vermutung nach vorhat, lässt Lennard seine fast schwarzen Augen durch den Raum wandern, um am Ende bei meinen Eltern inne zu halten.
"Johann und Elisabeth", wendet er sich an die beiden Hausherren, mit dem schütteren grauen Haar und der perfekt, drapierten, blonden Frisur.
Die Angesprochenen erheben sich von ihren Plätzen. Mein Vater knöpft sich währenddessen das Sakko seines dunkelblauen Anzugs zu und stellt sich, den einen Arm um die Taille meiner Mutter gelegt, aufrecht hin.
Wäre die Situation nicht so ernst, würde ich am liebsten laut loslachen. Unauffällig werfe ich einen Blick in die Runde. In den Augen meiner Eltern glitzert der Stolz, während meine Schwester schon jetzt mit den Tränen zu kämpfen scheint.
Zu meinem Bedauern, scheint sie diesen aufgeblasenen Angeber wirklich zu lieben. Ich empfinde Mitleid, weil ich weiterhin nicht daran glauben kann, dass er es genauso ernst mit ihr meint wie sie mit ihm. Da unser Vertrauen allerdings so sehr zerrüttet ist, dass ich weiß, Elena würde mir nicht glauben, wenn ich ihr meine Bedenken mitteilen würde, sondern vermutlich denken, dass ich ihr das Glück nicht gönnen würde, bin ich still.
Die Horans hingegen sitzen höflich lächelnd neben ihrem Sohn und verfolgen interessiert das Schauspiel, welches uns in diesem Moment geboten wird.
In einem langen, geschwollenen und wie einstudiert wirkendem Monolog bittet Lennard meinen Vater um Nachsehen, da er bereits ohne sein Einverständnis um die Hand seiner jüngsten Tochter angehalten hat. Bei dem Schönling ist keine Spur von Nervosität zu erkennen. Unweigerlich stelle ich mir die Frage, ob das nicht eigentlich normal sein sollte, wenn man dabei ist seine Verlobung bekannt zu machen. Doch dieser Börsenfutzi scheint sich seiner Sache wie immer mehr als sicher zu sein.
Mein alter Herr setzt eines seiner Lächeln auf, die er immer dann zur Schau trägt, wenn er weiß, dass er gewonnen hat. Mit einer schwungvollen Geste nimmt er seinen zukünftigen Schwiegersohn in den Arm, um anschließend seine Jüngste wohlwollend zu beäugen.
Ich hingegen möchte die Augen verdrehen. Spüre aber den Blick meiner Mutter auf mir ruhen und lasse es aus diesem Grund besser sein.
Stattdessen fokussiere ich eine Familienaufnahme, welche an der gegenüberliegenden Wand hängt. In schicker Kleidung lächeln wir gestellt in die Kamera. Es wirkt mehr wie ein Fotoshooting für ein Schöner-Wohnen-Magazin, als eine Aufnahme für die private Familiensammlung. Alexander fehlt natürlich darauf. Von ihm gibt es kein einziges Bild in diesem Haus.
Ohne es zu bemerken, verpasse ich in Gedanken versunken den großen Moment, in dem Lennard meiner Schwester noch einmal seine aufrichtige Liebe gesteht. Erst der Applaus der anderen Gäste und als Niall mich an der Hand von der Couch hochzieht, signalisiert mir, dass Elena und ihr Verlobter bereit sind sich beglückwünschen zu lassen.
Der dicke Klunker an dem zarten Finger meiner Schwester wird nun bewundert und gebührend zur Schau gestellt. Lobend für die teure, wenn auch wenig originelle Auswahl wird meinem zukünftigen Schwager auf die Schulter geklopft.
Auch ich wünsche dem Paar „Alles Gute". Dies meine ich absolut ernst, da ich im Grunde meine Schwester, trotz aller Widrigkeiten zwischen uns weiterhin liebe. Ich wünsche mir wirklich für sie, dass ich mich in Bezug auf Lennard irre.
Der freundliche Kellner von vorhin, betritt mit einem Tablett, auf welchem für jeden der anwesenden Gäste ein Glas Champagner bereitsteht, das Wohnzimmer. Klirrend werden die Gläser aneinandergestoßen.
Ich benetzte mit dem teuren Prickelwasser lediglich meine trockene Kehle. Champagner habe ich noch nie gemocht. Aber bei solch einem wichtigen Anlass gehört es sich nun mal mit dem edlen Tropfen anzustoßen. Anschließend begnüge ich mich damit das Glas zwischen meinen Finger hin und her kreisen zu lassen. Verträumt sehe ich den kleinen Bläschen dabei zu, wie sie in dem langstieligen Glas emporsteigen.
„Und Niall, wann wirst du endlich um die Hand meiner Ältesten bitten?", wendet sich mein Vater an den jungen Mann, der seinen Arm um meine Taille gelegt hat.
Mein Freund möchte gerade seinen Champagner leeren. Doch die freimütige Frage meines Vaters scheint ihn völlig unvorbereitet getroffen zu haben. Hustend fasst er sich mit der Hand, welche eben noch bei mir ruhte an die Brust.
Wie kann es sein, dass Niall nicht geahnt hat, auf was diese ganze Scharade hinausläuft?
Mit seinem lauten Husten allerdings hat mein Partner es geschafft auch die restliche Aufmerksamkeit der Anderen auf uns zu lenken. Selbst die des Kellners, welcher sich unbemerkt neben der Tür positioniert hat und auf seinen Einsatz wartet.
Nachdem sich Niall von seiner Attacke erholt hat, nimmt auch er wieder Haltung an. Kurz huschen seine Augen zu mir. Ich erwidere seinen Blick und flehe stumm, dass er eine gute Ausrede parat hat. Die prägnanten blauen Augen wenden sich wieder dem Hausherrn zu.
„Wir haben es nicht so eilig mit dem Heiraten. Viktoria und ich, wir sind auch so glücklich", versucht er die Situation zu entspannen.
Doch dieses Mal lässt mein Vater sich nicht so einfach abwimmeln.
„Ihr seid beide fast dreißig Jahre alt. Ihr solltet heiraten und langsam an Kinder denken. Seht ihr das nicht genauso?", gibt er unverblümt das Zepter an die Horans weiter.
Und jetzt wird mir deren Anwesenheit an diesem Abend bewusst. Innerlich aufgewühlt, sehe nun auch ich Nialls Eltern an.
Was denkt ihr über die Familiengeschichte von Vicky?
Und wie glaubt ihr werden Nialls Eltern jetzt regieren?
Danke, danke, danke für eure tolle Resonanz zu OW, macht bitte weiter so. :)
Anni
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