Achtzehn
Ich brauche nicht lange, um die Vor- und Nachteile abzuwiegen, ob ich weiter bei meiner Lüge bleibe, oder aber zugebe, dass ich gestern mit Harry unterwegs war. Beides wird vermutlich in einem Streit enden und alleine schon die Tatsache, dass Niall erneut nachfragt, zeigt doch mehr als deutlich, dass er bereits zu ahnen scheint, dass ich ihn angelogen habe.
Sicherlich wird er glauben, dass es zwischen mir und Harry mehr als nur ein Abendessen gab und wenn ich ihm versichere, dass er sich in diesem Punkt wirklich irrt, ja dann ist die Frage, ob er mir nach meiner ersten Lüge noch glauben kann.
„Ich warte auf eine Antwort", knurrt Niall mit einer großen Portion Ungeduld in der Stimme.
Noch immer steht er direkt vor mir und sieht mich von oben herab mit einem kalten, undurchdringlichen Blick an. In ihm muss es kochen und ich kann ihm das nicht einmal übelnehmen. Ich habe dieses ganze Dilemma, in dem ich selbst stecke, zu verantworten und es ist nun an der Zeit, dass ich für meine Dummheit geradestehe.
Ich überlege aufzustehen, um mich in einer besseren Position zu befinden. Allerdings würde ich dann wohl direkt Nasenspitze an Nasenspitze mit Niall stehen, denn er macht im Moment nicht den Eindruck als würde er ein Stück zurückweichen wollen. In keinem Punkt.
„Nein", antworte ich leise, aber dennoch ehrlich auf Nialls Frage.
Ich halte den Blick gesenkt, weil ich zu feige bin, ihm dabei in die Augen zu sehen. Ich habe Angst, was ich darin zu erkennen vermag. Schmerz, Verachtung, Hass – alles Gefühle von denen ich nie wollte, dass sie Niall meinetwegen empfinden muss. Doch nun wird das sicherlich der Fall sein.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich zu leise bin und mich Niall wirklich nicht verstanden hat, oder er einfach nicht glauben kann, was ich gerade geantwortet habe. Auf jeden Fall fragt er noch einmal nach, was ich eben gesagt habe.
Ich zwinge mich nun doch den Blick zu heben und wenigstens auf seinen Brustkorb zu starren, welcher sich im Moment unter schweren Atemzügen regelmäßig hebt und senkt. Die Stimmung zwischen uns ist eisig und noch immer wirkt der Mann, den ich geglaubt habe in und auswendig zu kennen wie eine tickende Zeitbombe auf mich.
„Nein ich war nicht alleine unterwegs", antworte ich ein weiteres Mal und werde zeitgleich präziser, in der Hoffnung, dass er mich nicht noch einmal dazu veranlasst diese Worte zu wiederholen.
„Scheiße", flucht Niall lediglich und jegliche Ruhe, die er bis eben noch versucht hat zu bewahren, fällt schlagartig von ihm ab.
Rastlos wandert er nun vor dem Bett auf und ab. Immer wieder will er Luft holen, um etwas zu sagen, aber ihm scheinen die Worte zu fehlen. Stattdessen schüttelt er lediglich den Kopf, sieht mich einen Augenblick an. Zerstreut rauft er sich die Haare, um sich anschließend wieder abzuwenden und weiter durchs Zimmer zu tigern.
Schließlich stehe ich auf und will nach seiner Schulter fassen, um ihn zur Ruhe zu bringen. Ich habe die Büchse der Pandora geöffnet und nun müssen wir auch über dessen Inhalt sprechen.
„Es tut mir... ", will ich beginnen mich für meine Lüge zu entschuldigen, aber Niall schüttelt nur genervt meine Hand weg und dreht sich mit einem wütenden Glitzern in den blauen Augen in meine Richtung.
"Wage es gar nicht zu sagen, dass es dir leidtut", attackiert er mich und deutet mit dem erhobene Zeigefinger auf mich.
Ich will Luft holen, um etwas zu erwidern, aber Niall scheint seine Stimme wiedergefunden zu haben, denn er redet sofort weiter auf mich ein.
„Hättest du auch nur einen Moment ein schlechtes Gewissen gehabt, dann hättest du mich nicht angelogen", wirft er mir an den Kopf und seine Wut sorgt dafür, dass er bereits rot anläuft.
„Ich ... ", will ich mich verteidigen, aber Niall ist noch immer nicht fertig.
Erneut bedeutet er mir mit einem Fingerzeig, der mich viel zu sehr an meinen Vater erinnert, dass ich den Mund zu halten habe. Mutlos lasse ich die Schulter hängen und sacke etwas mehr in mir zusammen. Niall scheint dies nicht zu bemerken, stattdessen hagelt es weiter Vorwürfe, die ich nun wohl gezwungenermaßen über mich ergehen lassen muss.
„Du hast mir abgesagt, um dich mit einem Anderen zu vergnügen. Anschließend kommst du spät abends zurück. Deine Haaren sehen aus, als ob du frisch gevögelt wurdest und deine Wangen sind knallrot. Und du willst mir erzählen, dass es dir leidtut? Wie soll ich dir das glauben? Wer war es? War es dieser Harry?", schleudert Niall mit wutentbrannt entgegen.
Unbehaglich kaue ich auf meiner Unterlippe. Ungern möchte ich Harry in diese Sache mit reinziehen und ihn so unweigerlich ins Unglück stürzen, weil Niall ihn sicherlich kündigen wird. Aus diesem Grund sträubt sich in mir alles dagegen, seinen Namen und somit Nialls Vermutung zu bestätigen. Harry hat das nicht verdient, da er doch im Grunde nur freundlich war, als er mich zu einem Essen eingeladen hat. Ich hätte mich darauf einfach nicht einlassen dürfen.
Doch auf der anderen Seite kommt mir die Situation von heute Morgen beim Frühstück wieder ins Gedächtnis. Falls dieses Abendessen doch bereits hier innerhalb des Hotelpersonals die Runde gemacht hat, dann wird Niall über kurz, oder lang ohnehin erfahren, dass es Harry war mit dem ich unterwegs gewesen bin.
Verständlicherweise zeigt meine Partner keine Geduld und so fordert er mich ein weiteres Mal nachdrücklich auf, ihm seine Frage zu beantworten.
„Hab wenigsten jetzt die Courage und sei direkt ehrlich zu mir, Viktoria."
Mein Name, den er sonst immer mit so viel Ehrfurcht und Liebe ausgesprochen hat, klingt nun fast so als würde Niall Gift schlucken müssen.
„Sag, dass es dieser Kellner war!"
Ich schlucke schwer und versuche wieder etwas von meiner Haltung zurückzugewinnen, indem ich meine Schultern straffe.
„Ja, es war Harry, aber es war trotzdem nicht, wie du denkst", beteuere ich und hoffe, dass er mich nun endlich zu Wort kommen lässt und sich die wahre Geschehnisse anhört.
Niall, der bis eben mit dem Rücken zu mir stand und aus dem Fenster gestarrt hat, dreht sich schlagartig in meine Richtung. Seine Gesichtszüge sind noch immer wutverzerrt und verleihen ihm eine düstere Erscheinung.
„Na dann lass mal hören", fordert er fast schon sarkastisch, so als würde er nicht glauben können, dass ich ihn wirklich davon überzeugen kann, dass er die völlig falschen Schlüsse aus dem Ganzen zieht.
Ein paar Sekunden nehme ich mir die Zeit zu überlegen, was ich Niall alles erzählen möchte und wo ich anfange. Schließlich entscheide ich mich wirklich von vorne zu beginnen und somit weitere Missverständnisse möglichst zu vermeiden. Ich will nicht, dass Niall in dem Glauben lebt, ich hätte ihn betrogen.
„Es ging mir gestern wirklich nicht gut. Schon den ganzen Tag hatte ich mit Schwindel und Kopfschmerzen zu tun", beginne ich und ignoriere das ungläubige Luftholen meines Partners geflissentlich.
Ich kann es Niall ja schlecht übelnehmen, dass er im Augenblick alles in Frage stellt, was ich ihm erzähle.
„Nachdem ich dir abgesagt habe, bin ich runter an die Poolbar. Ich hatte das Gefühl mir würde hier die Decke auf den Kopf fallen", fahre ich fort.
„Und hast natürlich gehofft, dass du ihn dort triffst, hab ich recht?", forscht Niall mit einem bissigen Unterton nach und ich schüttle vehement meinen Kopf, denn dies entspricht nicht der Wahrheit.
„Die Wahrheit ist, ich habe vorher erst geschaut, ob ich ihn dort entdecke. Als das nicht der Fall war, bin ich zu Bar gegangen. Dort wurde mir plötzlich schwindlig und schwarz vor Augen. Ich wäre beinah vor aller Augen dort vom Hocker gefallen, wenn Harry mich nicht rechtzeitig festgehalten hätte", erzähle ich die Geschehnisse.
Niall presst angespannt die Lippen aufeinander und bevor er wieder lauter werden kann, fahre ich schnell fort. Seine Mimik und die geballten Fäuste lassen mehr als deutlich erahnen, dass es in ihm weiterhin brodelt.
Ich erzähle ihm, dass Harry mich gefragt hat, ob er mich nicht zu einem Essen einladen kann, weil es mir schlecht ging. Da ich es als unhöflich empfunden hätte, nachdem er mir geholfen hat, habe ich sein Angebot nicht abgelehnt. Dass Harry allerdings dafür seinen Dienst vorzeitig beendet hat, lasse ich unter den Tisch fallen. Es ist im Grunde auch nicht wichtig, da es bereits sehr spät war, als ich wieder im Hotel aufgetaucht bin und Niall so hoffentlich nicht auf die Idee kommt und nachprüft, wann sein Angestellter Feierabend gemacht hat. Über die Fahrt auf dem Moped, bis hin zum Abendessen erzähle ich meinem Freund alles. Unwichtige Details, wie das Aufeinandertreffen mit Valeria lasse ich aus.
Genauso wie Harrys Vermutung, dass ich einsam bin und seine Aufforderung, dass ich mich selbst fragen soll, ob ich glücklich bin.
Zum einen erwähne ich das nicht, weil es Niall sicherlich wütend machen würde und skeptisch, wie ein Fremder auf die Idee kommt, mir solche Fragen zu stellen. Zum anderen ist dieser Moment so intim gewesen, dass ich ihn nicht teilen möchte. Wenngleich mich Harrys Vermutung und Frage im ersten Moment unvorbereitet getroffen und sogar verletzt hat, so muss ich jetzt mit etwas Zeit dazwischen zugeben, dass sie mich unweigerlich zum Nachdenken angeregt hat.
Ich ende schließlich mit meiner Erzählung, dass Harry mich zurückgebracht und ich in meine Eile lediglich vergessen habe, mir meine Haare und mein Kleid zu richten.
„Bitte Niall glaube mir, wenn ich dir sage, es ist wirklich nichts Schlimmes zwischen mir und Harry passiert", versuche ich zu guter Letzt an seinen rationalen Verstand zu appellieren.
Es herrscht Schweigen und Niall mustert mich, als würde er überlegen, wen er eigentlich im Augenblick vor sich hat.
„Du hast mich also von vorne bis hinten belogen", schlussfolgert er und ich bin entsetzt, dass er nur das als Fazit zieht, obwohl ich ihm gerade offenbart habe, dass wirklich nichts Körperliches zwischen mir und Harry gelaufen ist.
Schleichend setzt er sich in Bewegung und beginnt mich zu umkreisen. Dabei wandert sein Blick von oben bis unten über meine Erscheinung. Ich schlucke schwer, als ich seinen kalten Blick bemerke, der direkt meinen trifft.
„Hast du mir nicht versprochen, dass du diesem Kellner aus dem Weg gehst?", fragt er mich so, als wüsste er die Antwort nicht bereits.
„Es war nicht geplant", verteidige ich mich und muss meinen Kopf immer wieder wenden, um Niall nicht aus den Augen zu verlieren.
Als er wieder in meinem Blickfeld auftaucht, bleibt er vor mir stehen. Nachdenklich kratzt er sich an seinem Bart. Eine bedrohliche Stille legt sich über uns, bis Niall wieder etwas sagt.
„Du hast es also nicht geplant mit einem einfachen Kellner zu vögeln, wie eine billige Schlampe?", wirft er mir plötzlich an den Kopf und meine Kinnlade fällt nach unten, aufgrund seiner Worte.
Kalt und unbarmherzig mustert er mich und in mir steigt die Wut hoch. Entrüstet frage ich, was ihm einfällt, mich als Schlampe zu betiteln. Niall lächelt mich allerdings nur abschätzig an und fragt mich, wie er mich denn sonst nennen soll.
In diesem Moment platzt mir der Kragen und ehe ich mich versehe, oder zurückhalten kann, hole ich mit der flachen Hand aus und verpasse dem Menschen, der mir bisher so unendlich viel bedeutet hat und immer eine Stütze war, eine schallende Ohrfeige.
Niall taumelt überrascht ein wenig zurück, bevor er sich an die nun gerötete Wange fasst und in diesem Moment fällt seine komplette Fassade, der Blick wird weich. Doch ich halte es zu diesem Zeitpunkt keine Sekunde länger mit ihm in dem Zimmer aus. Bevor er die Chance hat, mich zurückzuhalten, drehe ich mich auf den Absatz um und verlasse das Zimmer.
Bevor die Tür hinter mir ins Schloss fällt, höre ich Niall mit einem Zittern in der Stimme nach mir rufen. Ich stürme in Richtung Treppenhaus, da ich verhindern möchte, dass er mich während ich auf den Lift warten muss abfangen kann.
Während ich die Stufen schnell hinabsteige, ohne ein wirkliches Ziel zu haben, bin ich mir sicher, dass Niall mir nicht folgen wird. Er kann sich nicht leisten, vor seinem Personal mit mir einen Streit anzufangen. Das gehört sich für einen Chef nicht und dem ist er sich genauso bewusst, wie ich.
Froh über diese Tatsache, verlangsame ich schließlich meinen Schritt, auch weil mir die Luft bei all den Treppen langsam ausgeht. Noch immer kann ich nicht glauben, was eben passiert ist.
Dass Niall eifersüchtig, wütend und verletzt ist, all das kann ich verstehen, aber dass er es wagt mich als Schlampe zu betiteln und das, obwohl ich ihm gesagt habe, es wäre nicht passiert, das ist in diesem Moment zu viel für mich. Ich habe sein Misstrauen verdient, ohne Frage und ich habe das Versprechen an ihn gebrochen, genauso wie ich ihn angelogen habe. Trotzdem bin ich entsetzt, dass er in seinem verletzten Stolz solch eine Seite zeigt und mich so herabwürdigt.
Die Ohrfeige war zwar eine Kurzschlussreaktion meinerseits, aber bereuen tue ich sie nicht. In meinen Augen hat er sie verdient, wenngleich ich selbst von mir überrascht bin, dass ich zu solch einer Handlung fähig bin. Doch bisher wurde ich auch noch nicht so in die Ecke getrieben und behandelt.
Die Gefühle in meinem Inneren sind völlig durcheinander und für den Augenblick weiß ich selbst nicht, wo ich mit mir hinsoll. Ohne, dass ich es beeinflussen kann, oder für mich so entschieden habe, tragen mich meine Füße in irgendeine Richtung.
Im Endeffekt lande ich an dem Ort, wo alles vor einem Tag seinen Lauf genommen hat und mein Leben und mich selbst völlig durcheinandergebracht hat.
Nialls Reaktion? Verständlich, oder falsch?
Und Vicky? Hat sie genug erzählt? Hätte sie mehr sagen sollen?
Bitte das Sternchen nicht vergessen, wenn ihr es mochtet!
Danke für alles. Für die bisherigen Votes, die Kommentare und Leselisten. Eure Unterstützung ist meine Motivation :)
Anni
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro