04. Schimpftiraden
- Elenas POV -
„Wie bitte?"
Verwundert über Harrys spontane Berufsberatung schüttelte ich den Kopf und sah ihn fragend an, während er beiläufig in einen der Aschenbecher auf den kleinen Steinsäulen aschte.
„Wenn du Respekt vor dir selbst hast, dann hängst du so schnell du kannst, diesen Job an den Nagel", blieb er bei seiner Meinung und sah mir immer noch ruhig, aber eindringlich an.
Harrys Augen waren bemerkenswert. So viel Tiefe und Güte lag darin, obwohl sie gleichzeitig eine melancholische Traurigkeit ausstrahlten, die man ihm bloß zu gerne sofort abnehmen wollte.
Was ich jedoch kaum darin erkennen konnte, war das Feuer und die Lebensfreude, wie ich sie mir von einem erfolgreichen jungen Mann erwartet hätte.
Stattdessen seufzte er bloß verbittert auf, nachdem er mir nahegelegt hatte, der PR und Modest schnellstmöglich den Rücken zu kehren.
„Du bist wohl kein Fan von deinem Management", bemerkte ich bloß das Offensichtliche, als ich mein Gegenüber nachdenklich musterte. „Dabei wirken Jeff und Co recht zufrieden mit ihrem Job. Und ihr scheint ja auch ganz gut mit ihnen zu können."
„Weil Jeff und Co nicht merken, wie sehr Modest auch sie besitzt", fiel mir Harry beinahe ins Wort, bevor er wieder tief an seiner Zigarette zog, als wollte er sich durch das Nikotin in seinen Lungen beruhigen.
„Jeff denkt, er zieht die Fäden, aber letztendlich ist er selbst eine der vielen Marionette. Er ist schon viel zu lange in dieser Branche, um das noch zu sehen. Aber du hast noch andere Augen", murmelte er und sah mich ehrlich, ohne Umschweife an. „Du bist noch nicht blind für die Menschlichkeit, du siehst noch klar."
Ich hatte es zwar nicht kommen sehen, doch allem Anschein nach hatte sich Einiges in Harry angestaut und nun in mir ein unfreiwilliges Ventil gefunden.
„Aber Jeff ist doch in Ordnung, er ist doch nett zu euch", versuchte ich vorsichtig die Wogen zu glätten und war selbst schockiert darüber, wie naiv ich klang, als ich mich reden hörte.
Dasselbe musste sich wohl auch Harry soeben gedacht haben, denn sofort sog er spöttisch die Luft ein.
„Klar, wahnsinnig nett", blaffte er mit vor Ironie triefender Stimme. „Und weißt du seit wann? Seitdem Zayn ausgestiegen ist und Modest gezeigt hat, dass wir sehr wohl diesen Schritt gehen könnten und schon wäre One Direction Geschichte. Seitdem versucht man uns wieder bei Laune zu halten und sie denken wohl auch noch, wir würden das nicht merken."
Ja, ich hatte definitiv unbewusst den Startschuss für einen kleinen Gefühlsausbruch, oder viel mehr einer kleinen Schimpftirade seitens Harry gegeben.
„Und weißt du auch, weshalb du heute Abend hier bist?", redete er weiter und sah mich fragend an.
Stumm schüttelte ich den Kopf, überfordert von Harrys Worten, aber auch von der gesamten Situation.
„Weil Niall und Liam heute Vormittag angesprochen haben, wie fragwürdig die Frauenquote bei Modest wäre", brachte er Licht ins Dunkle und schüttelte abfällig den Kopf.
Tatsächlich war ich bei Modest den Großteil der Zeit unter Männern und auch bei dem heutigen Dinner war ich wieder die einzige Frau am Tisch.
Harrys Theorie war also gar nicht so abwegig. Wenn Niall und Louis Jeff wirklich darauf angesprochen hatten, würde sich Jeff niemals die Gelegenheit nehmen lassen, Modest sofort ins rechte Licht zu rücken. Und das würde zumindest auch Jeffs übertrieben freudiges Strahlen mir gegenüber nach dem Interview erklären - und meine hiesige Anwesenheit.
Ich sollte, zumindest zum Schein, Modests Frauenquote retten.
„Hier tut niemand etwas ohne Hintergedanken und nicht für sein eigenes Wohl, niemals", drang wieder Harrys tiefe, raue Stimme an mein Ohr.
„Genau wie auch heute, an diesem gesamten Abend. Weißt du, der Red Nose Day ist 'ne gute Sache, ich würde gerne alles Mögliche machen, um dabei zu helfen. Aber natürlich muss das Management erst abklären, was für sie dabei rausspringen könnte und wie man uns als Band am besten verkauft. Im Grunde müssten wir gar nicht mal hier sein, wir sitzen bloß pro forma mit am Tisch. Am Ende ist es ohnehin das Management, das über unsere Köpfe hinweg entscheidet und der gute Zweck dahinter wird sowieso komplett vergessen."
Etwas perplex von Harrys abfälligen Ton und auch zugegebenermaßen erfrischenden Ehrlichkeit, stand ich da, die Zigarette in der Hand, ohne auch bloß ein einziges Mal daran gezogen zu haben.
Nach allem, was ich eben gehört hatte, hätte ich Harry so unheimlich gerne in all seinen Punkten zugestimmt, ihm versichert, dass es einen anderen Weg gäbe oder ihn gar ermutigt, es Zayn gleich zu tun, wenn ihn die Situation so sehr belastete, doch derart heftig konnte ich meinem Arbeitgeber nicht in den Rücken fallen.
Es gab immerhin immer zwei Seiten.
„Naja", fand ich langsam und unsicher meine Stimme wieder. „Aber wenn man den Alten einfach so das Spielfeld überlässt, wird sich nie etwas ändern. Ich verstehe dich, wirklich. Aber vielleicht kommt ja mit mir eine ganze Generation von Menschen mit klarem Blick nach und wir erobern die Branche", gab ich mich möglichst optimistisch und versuchte nicht nur ihn, sondern auch mich selbst von meinen Worten zu überzeugen.
Zögerlich verzog ich mein Gesicht zu einem schwachen Lächeln, in der Hoffnung es würde sich in Harrys Miene spiegeln.
Allerdings seufzte er bloß noch einmal tief und langsam wich die Welle an Wut, die ihn ganz offensichtlich überrollt hatte, seiner Nachdenklichkeit.
„Tut mir leid", ruderte er entschuldigend zurück, als wäre ihm erst jetzt bewusst geworden, dass ich, wenn auch nicht in Festanstellung, Teil seines Managements, an dem er eben kein gutes Haar gelassen hatte, war. „Ich bin nicht immer so. Eigentlich ist das sogar überhaupt nicht meine Art, aber es gibt einfach Dinge, die gehen mir unglaublich auf die Nerven."
„Keine Sorge, ich versteh' schon", winkte ich ab.
Das tat ich sogar tatsächlich, ich verstand jedes seiner Worte, noch besser aber jeden seiner Blicke.
In den ganzen Wochen, die ich nun Jeff auf Schritt und Tritt gefolgt war, hatte ich keinen solchen Einblick in diese Branche bekommen, wie in diesen wenigen Minuten mit Harry und seiner Ehrlichkeit.
Mir stellten sich so unheimlich viele Fragen und Gedanken warteten darauf, zerlegt zu werden, doch im Moment stand mir immer noch Harry gegenüber.
Und er hatte nicht weniger Ehrlichkeit verdient, wie er mir soeben entgegengebracht hatte.
„Aber ehrlich gesagt, weiß ich sonst auch gar nicht, wohin mit mir", platze nichts als die Wahrheit aus mir heraus. „Meine Familie treibt sich gesammelt im Journalismus oder der PR rum, also hab' ich eben auch diesen Weg eingeschlagen und diese Richtung studiert. Journalismus ist nichts für mich, also wurde ich dank meines Onkels eben hierher verfrachtet. Klar, Praktika sind immer recht bescheiden, aber man kann nicht sagen, dass es bei Modest nicht interessant wäre. Gut möglich, dass ich hier Karriere mache. Wenn nicht ich, dann würde es eben wer anderes machen. Die Branche wird es immer geben, egal wer an der Spitze sitzt. Dann kann ich mich doch mal daran versuchen."
All diese Worte sprudelten geradezu aus meinem Mund, doch ich hatte tatsächlich das Gefühl, als müsste ich mich vor Harry rechtfertigen oder gar dafür entschuldigen, dass ich derzeit in Modests Reihen war und noch nicht das gesamte Management durchschaut und verflucht hatte.
Ob das, was ich sagte auch Sinn ergab, wusste ich nicht. Was ich jedoch wusste, war, dass Harrys Blick noch ein Stück nachdenklicher wurde und mich weiterhin eindringlich musterte, als er den letzten Zug seiner Zigarette nahm.
Stumm drückte er die Kippe im Aschenbecher aus, bevor er mir noch einmal in die Augen sah und sich nun doch endlich ein mattes Lächeln in seinem Gesicht zeigte.
„Nein, du wirst nicht so, wie diese Kerle da drinnen", war er sicher. „Wie war nochmal dein Name?"
„Elena. Elena Walsh", antwortete ich, einmal mehr verwundert über Harrys Aussagen.
Verstehend nickte er, als sich sein schwaches Lächeln zu einem schiefen Grinsen entwickelte.
„Nein", schüttelte er schmunzelnd, aber bestimmt, den Kopf. „Elena Walsh wird nicht eines Tages an der Spitze von Modest Management stehen."
In seinen Worten lag kein Vorwurf, er wünschte mir auch keinen Misserfolg oder gar zu Scheitern. Ganz im Gegenteil - er wirkte, als wünschte er mir alles Glück der Welt, auf seine ganze eigene Art und Weise.
In seinem Blick lag so viel Zutrauen und Sicherheit, wie ich es selten zu spüren bekommen hatte, ohne den Menschen hinter dem Namen „Harry Styles" näher zu kennen.
Noch bevor ich ihm etwas entgegensetzen oder meinen nicht existenten Glauben an meine Karriere kund tun konnte, war bereits ein anderes bekanntes Gesicht an uns herangetreten und hatte sich zu uns gesellt.
Die Flucht, getarnt als Zigarettenpause, war wohl eine gängig Methode innerhalb der Band, denn schon stand Liam zwischen uns.
„So, Schichtwechsel", verkündete Liam und klatschte auffordernd in die Hände, bevor er sich nun eine Zigarette zwischen die Lippen steckte. „Mal wieder rein mit euch, sonst ist der Tisch bald komplett leer. Louis und Niall scharren auch schon mit den Hufen."
Unwillkürlich musste ich etwas grinsen.
Immerhin waren diese vier Kerle immer noch vier Weltstars, die dank ihres Jobs in aller Munde waren und Millionen scheffelten. Allerdings schienen sie selbst die Einzigen zu sein, die von ihrem Job nicht gänzlich überzeugt waren.
„Na schön", seufzte Harry gequält und drehte sich schwungvoll auf seinen Absätzen wieder in Richtung des Restaurants. „Dann bringen wir's mal hinter uns."
Innerlich immer noch vollkommen durch den Wind, äußerlich jedoch bemüht darum, die Ruhe selbst zu sein, folgte ich Harry wortlos zurück zum Tisch, an dem Jeff soeben einige Blätter vor sich ausgebreitet hatte.
Interessiert sah er kurz von dem Papier auf, als Harry und ich gemeinsam zurückkehrten, wobei sein Blick natürlich mehr dem Weltstar - seinem Klienten - galt, als mir.
Doch zum ersten Mal erkannte auch ich das, was Harry zuvor gesagt hatte. So oft hatte ich Jeff bereits angesehen, doch zum ersten Mal sah ich nun seine dumpfen, vernebelten Augen, die mir bei Modest in jedem Büro entgegenblickten.
Ich hatte meine Zukunftsplanung noch nie allzu sehr hinterfragt, immerhin hatte die Richtung von Anfang an festgestanden. Der Zweck hinter meinem Studium war zu jeder Zeit die große Karriere gewesen, das große Geld, gepaart mit Ruhm und Ehre, wie meine Eltern es mir vorgebetet hatte - selbst, wenn ich selbst nicht verstand, weshalb mein Leben dadurch besser werden sollte.
Aber nachdem meine Familie im Medien-Bereich bereits Fuß gefasst hatte, sollte mir dieser Weg nun mal verhältnismäßig geebnet sein und mir standen mehr Türen offen, als einigen anderen.
Doch nun, nach allem, was Harry gesagt hatte, fing ich langsam an, all das von einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Mir war bewusst, dass die Medien nichts weiter als ein Spiel waren, ebenso wie die PR.
Doch noch nie hatte ich einen Gedanken daran verschwendet, was in den Menschen, die dort verkauft wurden, vor sich geht.
Flüchtig warf ich einen Blick über den Tisch, als er für einen Moment bei Harry verharrte.
Ich hätte schwören können, dass er durch seine grünen Augen mehr sah, als all die anderen an diesem Tisch. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass er, kaum hatte ich ihn angesehen, seinen Blick auf mich gerichtet hatte.
Sofort zuckten seine Mundwinkel leicht nach oben und er nickte mir kaum merklich zu, beinahe als würde er mir ein „Wir schaffen das schon" zukommen lassen wollen.
Damals hatte ich dieses ermutigende Nicken auf den schrecklich langen Abend in dieser Gesellschaft geschoben, doch rückblickend lag so viel mehr darin. Es gab so viel mehr, so viel wichtigeres als diesen Abend, was es zu bestreiten gab.
Schon hier hatte ich das Gefühl, dass Harry etwas in mir bewirkt hatte und mir den nötigen Denkanstoß verpasst hatte, doch niemals hätte ich erwartet, welchen Einfluss er auf mich und mein Leben noch haben sollte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro