Alles von vorn?
Seit einem Monat lag mein Freund schon im Koma und die Hoffnung, dass er erwachen könne, war kaum noch vorhanden. Die Ärzte hatten sich aufopfernd um ihn gekümmert, doch so langsam konnten sie auch nichts mehr machen. Julian musste von sich aus endlich wach werden.
Jeden Tag, den ich zum Krankenhaus ging, bekam ich mehr Angst, dass Julian nie wieder wach wurde.
Wieder saß ich neben meinem Freund auf dem alt bekannten Stuhl. Es war der letzte Tag, die Geräte wurden gebraucht, für Menschen, bei denen es noch Hoffnung gab. Die Ärzte hatten bereits den Verband um seinen Kopf weggenommen, damit ich richtig Lebewohl sagen konnte. So konnte ich Julian wenigstens richtig sehen, sein ganzes Gesicht. Ich hatte seine Hand genommen und erzählte ihm, was alles so passiert war. Ich verschwieg dabei, dass es der letzte Tag war, den wir zusammen sitzen konnten.
"Hey Engelchen. Ich vermiss dich. Wenn ich gewusst hätte, dass das hier passiert, hätte ich dich nie gehen lassen sollen. Man Jule, warum musste der Geisterfahrer gerade dich treffen? Du hast doch immer so sehr aufgepasst beim Autofahren. Und jetzt weiß ich nicht mal mehr, ob du jemals wieder Autofahren kannst... Geschweige denn aufwachst", flüsterte ich.
Ich wollte den Mut nicht verlieren, wollte die Hoffnung behalten, Julian wieder in die Augen zu schauen. Aber es rückte immer mehr in die Wunschvorstellung. Die letzten zwei Stunden saß ich an Julians Bett und hoffte, dass er die Augen aufschlug, doch nichts geschah. Es war doch alles hoffnungslos. Als der Arzt rein kam und mich zum Gehen bat, brach ich fast in Tränen aus. Es war vorbei, ich musste jetzt wohl für immer Lebewohl sagen.
Ich beugte mich ein letztes Mal zu Julian runter und küsste seine Stirn. Er hatte es geliebt, wenn ich das gemacht habe. Er hatte immer gesagt, dass er sich nach dem Kuss geborgener fühlte.
"Lebewohl mein Engel", flüsterte ich und die Tränen begannen über meine Wangen zu laufen. Ich schmeckte ihren salzigen Geschmack auf meinen Lippen. Vorsichtig löste ich meine Hand aus Julians und ging zur Tür. Es war grausam Julian alleine zum Sterben zurück zu lassen.
Bevor ich aus der Tür ging, drehte ich mich ein letztes Mal um und schaute zu meinem Freund. Mein Herz schlug genauso schnell, wie an dem Tag, an dem ich Julian zum ersten Mal gesehen hatte. Ich wusste gleich, dass das Liebe war. Und jetzt musste ich von meiner großen Liebe Abschied nehmen.
"Ich liebe dich, Julchen und werde dich für immer lieben...", sagte ich in den Raum und hoffte, Julian würde mich hören. Zwei drei Sekunden stand ich in der Tür, ehe ich mich umdrehte. Ich ging raus und schloss die Tür vorsichtig.
Gerade als sie ins Schloss fiel, hörte ich, wie das EKG anschlug. Ich schaute verblüfft zum Arzt, der die Tür wieder öffnete.
"Das kann nicht sein", murmelte er als vor sich hin, als er zu Julian lief und nach seinen Werten sah.
"Julchen", hauchte ich und lief zum Bett. Sanft nahm ich seine Hand und ein kleines Lächeln legte sich auf mein Gesicht. Er war wach, mein Julchen lebt wieder.
Es dauerte einige Minuten, dann bewegte Julian seinen kleinen Finger, danach seine ganze Hand. Langsam blinzelte er und mir kamen fast die Tränen. Endlich konnte ich wieder in wunderschöne braunen Augen meines Freundes sehen.
"Julian", flüsterte ich. Mein Herz raste vor Freude.
Ein leichtes Lächeln legte sich auf Julians Gesicht und er drückte meine Hand sanft. Es war kaum Kraft dahinter, aber ich wusste, dass er wieder da war.
Ich hielt weiterhin die Hand meines Freundes, während der Arzt einiges an den Geräten von Julian machte. Danach schickte er mich nach draußen. Er wollte Julian genauer untersuchen. Auch wenn ich es nicht gern tat, ging ich nach draußen und tigerte durch den Flur. Es kam mir wie eine Ewigkeit, bis der Arzt die Tür wieder öffnete.
Nervös blickte ich ihn an: "Ist mein Freund okay?"
"Seine Werte sind stabil. Ich habe seine Dosis runtergedreht, dennoch würde ich ihn an den Geräten lassen", erklärte der Arzt und warf dann noch mit einigen Fachbegriffe um sich.
"Wie geht es jetzt weiter?", fragte ich ruhig.
"Wir werden noch einige Test machen. Seine Kopfverletzung war heftiger als gedacht und das müssen wir uns nochmal genauer ansehen", erklärte der Arzt, "aber für heute würde ich sie beiden alleine lassen."
"Wie lange darf ich bleiben?", fragte ich leise. Der Arzt lächelte leicht und sagte: "Solange, wie ihr Freund es braucht. Das macht ihn gesund."
Ich lächelte breit und ging zurück in Julians Zimmer.
"Mein kleiner Prinz", flüsterte ich und küsste Julian auf die Wange. Julian öffnete müde die Augen. Dann lächelte auch er und bewegte den Mund zum Reden. Doch kein Wort kam aus dem Mund. Es war mehr ein Krächzen und ein Kaudawelsch. Erschrocken schaute er mich an und versuchte wieder was zu sagen. Doch wieder kam nichts vernünftiges bei rum.
"Hey, hey, es ist alles okay, Engelchen. Das wird schon wieder, wir bekommen das schon hin. Ich liebe dich, Baby und das ist doch das wichtigste", flüsterte ich.
Doch Julian fing an zu weinen. Er schluchzte immer wieder auf und ich konnte nichts machen. Nicht mal in den Arm nehmen konnte ich ihn, weil kein Platz war.
Ich nahm seine Hand und drückte sie sanft. Dann flüsterte ich: "Ich bin immer an deiner Seite und pass auf dich auf. Du bist doch mein Engelchen."
Julian schaute mich mit seinen braunen Augen traurig an. Vorsichtig küsste ich ihn auf die Stirn: "Ich verspreche es dir."
Anderthalb Monate später konnte der Arzt Julian entlassen. In der ganzen Zeit war ich bei ihm und hatte ihn unterstützt. Seine linke Gehirnhälfte war beim Unfall beschädigt worden und sein Sprachzentrum zerstört. Doch der Arzt hatte uns versprochen, dass es wieder werden kann. Julian muss nur üben und üben. Genauso wie das Laufen. Aber Julian wusste, dass ich ihm beistehen und unterstützen werde.
An dem Tag, an dem der Arzt Julian entlassen hatte, wollte ich ihn nach Hause bringen. Doch er schüttelte den Kopf und krächzte etwas. Ich schaute zu ihm und er malte einen Kreis. Es war nicht wirklich rund und den Stift hielt Julian ziemlich zitternd.
"Du willst zum Training? Schatz, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist", sagte ich und half ihm ins Auto.
Julian schaute mich traurig an und setzte einen bettelnden Blick auf. Ich seufzte und küsste ihn kurz. Dann strich ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht: "Hast gewonnen, wir fahren kurz auf den Trainingsplatz. Aber die Jungs wissen nichts von deinem kleinen Sprachproblem."
Überrascht schaute mich Julian an. Ich wusste irgendwie, was er sagen wollte.
"Tut mir leid, ich wusste nicht, ob du das willst", murmelte ich, "wenn du willst, rede ich mit ihnen, bevor du zu ihnen kommst."
Julian nickte leicht und schmiegte sich an meine Hand. Ich lächelte: "Ich liebe dich und bin so verdammt glücklich, dass du wieder wach bist."
Wir fuhren los und kamen nach einer guten halben Stunde bei Trainingsgelände an. Julian begann zu strahlen. Es bereitete mir eine unglaubliche Freude, ihn so zu sehen. Es tat lang gedauert, dass ich sein Lächeln wieder sehen konnte.
"Ich geh kurz rein und rede mit den Jungs. Dann hol ich dich ab, okay? Ich bin gleich wieder da", sagte ich und küsste Julian kurz. Dann lief ich in die Kabinen. Glücklicherweise waren die anderen schon mit dem Training fertig. Ich grinste: "Hey ihr!"
"Roman!!", rief Marco und grinste, "wie geht's? Was macht Julian? Wie geht es ihm?"
"Er sitzt draußen im Auto und freut sich voll, euch zu sehen. Aber bei seinem Unfall hat er das Sprechen verloren", sagte ich leise.
"Hey, es freut uns trotzdem unser Julchen wieder zu sehen", lächelte Mats.
"Dann bis gleich", grinste ich dankbar. Ich ging raus und holte Julian aus dem Auto.
Am Abend lag Julian vollkommen fertig in unserem Bett. Aber er war glücklich. Der Nachmittag war noch richtig schön geworden und Julian hatte wirklich Spaß gehabt. Und die Jungs gingen so sanft mit ihm um.
Ich legte mich zu Julian und zog ihn vorsichtig an mich. Ich wollte ihm nicht weh tun oder etwas machen, was Julian nicht wollte. Doch Julian schmiegte sich näher an mich und ich lächelte.
"Ich liebe dich, Julchen und ich würde dir das immer wieder sagen", flüsterte ich und strich dem Jüngeren durch die Haare, "ich werde auf dich aufpassen. Es ist mir egal, ob du reden kannst oder nicht. Du bist einfach perfekt für mich."
Julian schaute zu mir hoch. Dann zeigte er auf sich, auf mich und zum Schluss zeigte er ein Herz. Mir liefen ein paar Tränen über die Wange und ich küsste Julian leidenschaftlich.
Dann flüsterte ich: "Ich dich auch, so sehr..."
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