alte, kitschige liebesschinken ও || 1
Beeindruckt lege ich meinen Kopf in den Nacken und bestaune die farbenprächtigen Deckenmalereien, die mich augenblicklich in ihren Bann ziehen.
Prompt sticht mir ein großer, orangener Fleck ins Auge, aus dem Flammen züngeln. Dieser Feuerball schwebt an der Decke und scheint vor Lebendigkeit und Hitze Funken zu sprühen, die überall im allumfassenden Nachthimmel als kleine Sterne herumschwirren.
Die Grundfarbe des Himmels wogt und wirbelt in dunklem Ultramarinblau und ein paar rosa angestrahlte Wolken schwimmen darin.
So hört es sich nach einem schönem Bild aus dem späten 19. Jahrhundert an, aus dem frühen Expressionismus, wenn ich mich nicht irre und alles aus dem Kunstunterricht schon aus meinem Hirn geschmissen haben sollte.
Vielleicht war es auch irgendwas mit Post-Imperialismus, -inferiomucho oder so.
Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich sowieso nur noch daran -wenn auch eh nur spärlich-, da uns dazu ein Bild von dem Einohrtypen gezeigt wurde.
Mag zwar makaber klingen, aber nur deshalb ist es hängen geblieben.
Was dieses Bild aber besonders prägt, so eindringlich und verstörend für mich macht, ist die Musterung des Feuerballs.
Denn darin treiben viele verzweifelte, schmerzverzerrte Gesichter, manche den Mund zu einem stillen Hilfeschrei geöffnet, weit geöffnete Augen und Grimassen schneidend.
Sie strömen in einer Art Spirale, die ungleichmäßig immer zunimmt und wieder abklingt und sich in einen fallenden Strudel vertieft.
Zwischendrin driften einzelne Gliedmaßen, auch ein paar innere Organe und Eingeweide kann ich erkennen.
All diese Figuren verschmelzen mit dieser Lichtexplosion, werden eins und als Individuen bedeutungslos, mit all ihrem Schmerz und der Verzweiflung, von denen ihre Gesichter gezeichnet sind.
Besonders dominant ist das rote, brural auseinandergerissene Herz, dessen Ränder fransig und blutig in die Fratzen der Gepeinigten hängen.
Was zur Hölle, Mio? Sei nicht so verdamnt dramatisch!
Und als Kontrast, ganz rein und lieblich, baden im dunklen Nachthimmel um die feurige Aufwallung süße Blumen, vor allem viele weiße und cremefarbene Rosen, elfenbeinfarbene Lilien, alpinblaue Vergissmeinnicht und rosa Tulpen.
"Beeindruckend, nicht wahr?", reißt mich eine helle, weiche Stimme aus dieser kunstwissenschaftlichen Analyse.
Ich nehme meinen Kopf aus dem Nacken und lasse ihn ein paar Mal knacken, da mein Hals sich schon ganz steif anfühlt, und wende meinen Blick zu ... einem Mädchen mit verstrubbeltem schokoladenbraunem (oder kackbraunem, wie sie selbst ihre selbst geschnibbelten Haare abwertet) Pixie Cut und großen haselnussfarbenen Augen, für deren Betonung sie den Kajal und die Mascara eigentlich gar nicht benötigen würde.
Und - ta da da- meine Mitbewohnerin Hashtag Number One.
Netterweise begleiten sie und der Rest der Bande mich Greenhorn auf meiner Sightseeing-Tour durch die Kleinstadt bei der wir momentan in einer mittelalterlichen Kirche gestrandet sind.
Endlich habe ich es nämlich nun mal geschafft dem Umzugsstress zu entkommen und wollte mir ein paar Sehenswürdigkeiten und die Hauptattraktionen, die diese Stadt zu bieten hat ansehen. Und meine Mitbewohner*innen haben sich dazu entschlossen, dass sie mir unbedingt alles zeigen und noch ein paar Exclusive-Stories zu einigen Orten auspacken wollen.
Tja, und jetzt kenne ich peinliche Anekdoten aus dem Leben von Menschen, denen ich noch nicht einmal begegnet bin.
Da ich aber seit einer Woche nur am Kisten einpacken und dann hier wieder auspacken bin, ist das hier eine willkommene, zugegebenermaßen auch sehr amüsante Abwechslung.
Aufgrund dessen, dass ich mich in einer WG eingenistet habe, musste ich glücklicherweise nicht alles mitschleppen, da das Wichtigste bereits vorhanden ist. Eine Einbauküche, ein Sofa, eine Waschmaschine und ein Fernseher. Mehr benötigen wir (bis jetzt) nicht.
Mit meinen Mitbewohnern und meiner Mitbewohnerin komme ich ziemlich gut klar. Um ehrlich zu sein, dafür hatte ich am meisten Angst. Nicht richtig aufgenommen, als Außenseiter, Einsiedler abgestempelt zu werden. Einfach keinen Anschluss zu finden. Ich habe aber anscheinend massives Glück mit den Dreien.
Da ist einmal Noah. Ihn kannte ich schon vorher, aber auch nur von Fotos und Erzählungen meiner besten Freundin Felicitas. Da sie aber noch nicht so lange zusammen sind, habe ich noch nicht die Ehre gehabt, ihm persönlich die Hand zu schütteln und ihm dann zu drohen, ihn aus einem Flugzeug zu werfen, sollte er sie verletzen.
Glücklicherweise ist er ein total netter, gemütlicher Kerl. Durch ihn bin ich auch auf diese WG gestoßen, da Feli mir erzählt hat, dass er und seine Mitbewohner*innen noch ein Zimmer frei haben und jemanden suchen. Da das hier meine absolute Traumstadt ist, in der ist schon seit ich 15 bin, studieren möchte, habe ich nicht zweimal drüber nachgedacht und ihn kurzerhand angeschrieben. Und siehe da - here I am!
Im Zimmer mir gegenüber wohnt Fanny, das Mädchen, das seit geraumer Zeit neben mir steht und auf eine Antwort wartet. Sie ist eine total hübsche junge Studentin, die neben ihrem Studium, das irgendwas mit Film und Regie zu tun hat -so genau hatte ich das nicht verstanden- noch ihre Brötchen in einer Bäckerei verdient. Sie ist sozusagen das Aushängeschild dieser, denn viele Jungs und auch ein paar Mädchen auf der Uni haben einen Crush auf sie, weshalb dort vor allem in ihren Arbeitszeiten reger Betrieb herrscht.
Sie macht sich aber nichts daraus, ist sie doch schon lange mit Adrien zusammen, unserem Nachbar den ich allerdings bis jetzt noch nie getroffen habe.
Die kleine, eigentlich unspektakuläre Bäckerei trägt den Namen Teq's und hat einen ziemlich schrulligen Besitzer, mit dem ich auf eine ziemlich skurrile Art auch schon Bekanntschaft gemacht habe. Als ich gestern dort war, wollte er mir weismachen, er sei der Gott des Tequilas und wollte welchen unter der Ladentheke verticken.
Ich habe dankend abgelehnt, was dazu führte, dass er mich verdrossen ansah und raunte: "Ich weiß zwar nicht, wie du heißt und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es mir nicht merken können. Aber kein Tequila zu wollen ist frevelhaft!"
Darauf in hickste er einmal und wandte sich ab, sodass wieder "Findy" an der Theke übernehmen konnte.
Fanny ist ziemlich tough, wird wie funny ausgesprochen, hat beim Umzug ordentlich mit angepackt und hat auch einen überaus ungehobelten Wortschatz wie ich ihn bei kaum einem Menschen je gehört habe. Vor allem wenn sie sich mit dem Hammer auf die Finger schlägt.
Den Job des Hammerns hat daraufhin Henry genommen, der stachelhaarige Junge, der am liebsten in unserer Garage chillt und Autos auseinandernimmt, was angeblich zu seiner Ausbildung zum Mechaniker für irgendwas Kompliziertes gehört.
Er ist manchmal sehr aufgeregt und albern, kommt aber schnell wieder runter, sobald seine Freundin Alyssa da ist. Sie ist oft in der WG (immerhin an drei von vier Tagen, weswegen ich davon ausgehe, dass das schon immer so ist) und ziemlich rigoros, wenn es darum geht, Henry in seine Schranken zu weisen. Ich habe jetzt schon Wortgefechte gesehen und gehört, dass ich so Unterhaltung gar nicht mehr den Fernseher anschalten muss.
Fanny lässt sich durch meine Sprachlosigkeit jedoch nicht aus der Ruhe bringen und plappert munter weiter, als hätte sie sich durch einen Reiseführer gefuttert.
"Die Kirche hier ist spätgotisch, das heißt sie wurde irgendwann 15 Hundert oder so gebaut, also noch Mittelalter. Glaube ich jedenfalls ", grüblerisch zieht sie ihre Nase kraus.
"Na ja, ist ja auch egal, wann dieses Teil hier gebaut wurde. Viel interessanter ist die Deckenmalerei! Denn die hat wirklich eine brisante Geschichte und Bedeutung. Auswendig gelernt habe ich sie, jedes Jahr, beinahe jeden Mitarbeiter! Ich möchte die Malerei und ihre Geschichte unbedingt mal für einen Film nutzen, sie hat mich schon zu einigen Drehbuchideen inspiriert ", erzählt sie mit leuchtenden Augen.
"Das ist ja cool", versuche ich mein Interesse zum Ausdruck zu bringen, hier merke ich wirklich, wie leidenschaftlich Fanny für diese Malerei und ihre Geschichte brennt "Denkst du, du kannst es irgendwann mal umsetzen, selbst wenn es nur ein Kurzfilm ist?"
"Da sieht es leider eher mau aus, mein Prof ist nicht so der Typ für alte kitschige Liebesschinken, wie er meinen Entwurf geschrieben hat. Er meinte, dass er bei solchen Romanzen das große Kotzen kriegt", kurz sacken ihre Schulter nach unten, ihr Lächeln bleibt, allerdings gezwungen. Wie, um mich nicht spüren zu lassen, wie sehr sie der abfällige Kommentar getroffen hat.
"Scheiß Lackaffe. Ich glaube du bist großartig. Mit deinem etwas... derberen und vielfältigen Wortrepertoire kann das gar nicht so übermäßig schnulzig und trashig werden. Würdest du mir vielleicht irgendwann mal die Ehre erweisen, dass ich das Drehbuch lesen darf, auch wenn es nur ein Entwurf ist? ", frage ich vorsichtig tastend.
"Wenn jemand so viel Leidenschaft und Wissen in etwas steckt, dann kann das nur gut sein. "
"Danke, wirklich, Mio. Aber ich bezweifle, dass dich das wirklich interessiert. Es ist doch schon sehr gefühlsduselig"
Na und, it doesn't matter. Ich mag das irgendwie", gebe ich dann etwas leiser zu. "Auch wenn das nicht zu dem männlichen Stereotyp passt. Aber ist unsere Generation nicht dazu da, um dieses bescheuerte binäre Geschlechtermodell mal etwas aufzufrischen?
Und wünschen sich nicht die meisten irgendwie, irgendwann die große, wahre Liebe zu finden?"
"Du findest auch schon noch die Richtige."
"Oder den Richtigen ", füge ich lässig, warte innerlich aber angespannt auf Fannys Reaktion.
"Genau, meinte ich doch. "Sie zuckt mit den Achseln und grinst mich an, mit nun endlich wieder gestrafften Schultern.
"Jetzt aber genug armselige Gefühlsduselei. Ich habe Adrian und du kriegst auch noch jemanden ab, bist ja recht ansehnlich. Ich musste noch aaalles über diese Malerei erzählen!", verkündet sie enthusiastisch mit einem kleinen Großtante Hildegard-Zwinkern.
"Na dann, fahre sie fort", fordere ich sie mit der passenden Handbewegung auf.
.:it's a church of burnt romances:.
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