3. Was hat sich verändert?
Ich konnte meinen Frust kaum in Worte fassen. Seit meiner Ankunft gab es Auseinandersetzungen. Ich weigerte mich zu töten, wenn es nicht zwingend notwendig war, um zu überleben. Und alle, die mich kannten, wussten das. Mein Mentor, meine Teamkameraden und alle anderen Membuat der Klasse A, vielleicht noch Klasse B. Zwar wurde dieses Verhalten nicht gerne gesehen, dafür aber missbilligend toleriert. Wenn auch nur aufgrund meiner Leistung.
Warum jetzt nicht mehr?
Und die Lösung für das vermeidliche Problem war genauso lächerlich wie die Begründung. Als ob ich eine Gefahr für die Organisation wäre. Waren die ganzen Jahre im Einsatz so viel anders gewesen? Ungefährlicher?
Immer noch empört lege ich den Kopf auf meinen Unterarm ab und sehe mit zusammengekniffenen Augen in das weite Tal der Negev Wüste. Seit unserer Ankunft im Quartier sind schon zwei Stunden vergangen und die Sonne steht bereits hoch am Himmel. Vereinzelte Wolken bedecken ihn, dennoch scheint sie gnadenlos und versenkt die Wüste in eine unangenehme Hitze.
„Ich sagte doch, dass er hier oben ist."
Für einen Moment kneife ich die Augen zusammen. Konnte man nicht einmal seine Ruhe haben? Scheinbar nicht. Denn Dario setzt sich einfach neben mich und stößt mit seiner Schulter gegen meine. Valeria lässt sich auf meiner anderen Seite nieder.
„Solltet ihr nicht schlafen?", frage ich missmutig und starre weiter in die Ferne. „Haben wir, aber mein Schlafrhythmus ist so zerstört, dass ich wieder aufgewacht bin", erklärt Valeria, deutlich freundlicher gestimmt als vorhin. „Und da du von deinem Gespräch mit Hamza nicht wiedergekommen bist, wollten wir dich suchen." Genervt verdrehe ich die Augen. „Komm mir ja nicht mit dem."
Interessiert funkeln ihre Augen. „Was hat er denn gesagt?"
„Nichts, was dich etwas angehen würde, nachdem du mich verraten hast", entgegne ich und lege mich nun endgültig auf den Stein, strecke die schmerzenden Beine aus und drehe mich auf den Rücken. Schließe dabei die Augen wegen der Sonne.
Ich höre, wie sie neben mir auflacht. Nicht amüsiert, verachtend. „Ich habe dich nicht verraten, Idiot! Hamza ist nicht dumm, er konnte sich schon denken, wo das Problem liegt... mal wieder", fügt sie leiser hinzu und verärgert öffne ich nun doch die Augen. „Wieso tut ihr alle so, als hätte ich jemanden im Sand vergraben? Der Mann musste nicht sterben! Und wir wissen noch nicht einmal, ob er den Alarm wirklich ausgelöst hat. Vielleicht ist er schon vorher verblutet." „Klar, das-"
„Könnt ihr jetzt mal aufhören?", knurrt Dario und ich schließe kapitulierend die Augen.
Doch Valeria denkt nicht dran. Ich kann es mir bildlich vorstellen wie sie die Arme verschränkt und ihre dunklen Augen zu Schlitzen formt. „Es ist jedes Mal dasselbe. Ezra ist ein weiches Ei und-" „Das heißt Weichei", korrigiere ich sie und ernte einen Schlag gegen die Schulter. „Hamza ist viel zu nachlässig mit dir! Schon im Training wurdest du bevorzugt. Und das alles nur, weil du ein verdammter deutscher Schön-"
„Schluss jetzt!" In Darios Stimme schwingt unüberhörbarer Zorn mit. „Niemand kann etwas für sein Herkunftsland."
Im Prinzip hat er recht. Auf die Herkunft hatte man keinen Einfluss. Und dennoch hat mir meine deutsche Staatsbürgerschaft so einige Vorteile bei den Membuat beschafft. Zwar lebe ich seit meinem zwölften Lebensjahr in Israel, aber meine blonden Haare und blaue Augen lassen mich aus der Masse herausstechen. Damit sehe ich genauso aus wie mein Vater. Doch das ist für mich kein Grund zum Stolz sein. Vinzent Roth, unser Anführer, kommt ebenfalls aus Deutschland und obwohl fast alle Mitglieder der Membuat Israeliten, Syrer oder Bewohner Libanons sind, so bevorzugt er Europäer. In seinen Augen sind sie die stärkeren Mitglieder, haben mehr Potential. Sie sind besser. Und mit dieser Ansicht ist er leider nicht allein.
Meine Mutter, eine Jüdin, war der Grund für den Umzug nach Akkon. Nur drei Jahre später wurde ich in der Hafenstadt, als einer von vielen Jugendlichen, geraubt und als Membuat trainiert.
„Was meinte Hamza jetzt eigentlich?", rollt Valeria das Gespräch wieder auf.
Unwohl beiße ich mir auf die Lippe. Die Strafe war erniedrigend, gar beschämend. „Ich soll ihn bei dem Training der nächsten Teams unterstützen." Überrascht schnappt sie nach Luft. „Du wirst befördert?! Zum Mentor?" „Nein, degradiert! Ich bin sein kleiner Laufbursche, Assistent, Sklave, das ist ein Unterschied", kläre ich sie auf. „Ach komm schon", versucht nun Dario mich aufzumuntern. „Kleine Kids trainieren kann Spaß machen. Es hätte schlimmer kommen können." „Viel schlimmer", ergänzt seine Schwester.
„Ich soll ihnen das Töten beibringen." Müde stehe ich auf. In der Sonne wird mir langsam zu warm und ich sollte die restliche Ruhezeit zum Schlafen nutzen, ehe das Training wieder beginnt.
Valeria lacht und folgt mir mit Dario ins Innere des Bunkers, in dem die Schlafräume für die Mitglieder der verschiedenen Klassen sind. „Stimmt, das kannst du ja gar nicht", bemerkt sie. „Vielleicht soll er es zusammen mit den Frischlingen lernen?", grinst Dario und legt wie immer einen Arm um mich, wenn er auf meine Kosten Späße macht und mich besänftigen will.
Und wie eigentlich immer schüttle ich ihn ab. „Ich soll sie viel eher auf den Krieg gegen die Percaya vorbereiten."
Denn das ist das primäre Ziel der Membuat. Dafür wurden auch wir ausgebildet. Die verschiedenen Organisationen, Clans und Sippen dieser Welt mögen zwar unterschiedliche Ziele haben, aber eines verbindet uns alle. Der Kampf gegen die Percaya. Eine aufständische Organisation von ungeheurer Macht, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das System der Membuat und der aktuellen Regierungen zu zerstören. Nur kommen dabei immer wieder Zivilisten zu Schaden. Terroristen also, wie sie in den Nachrichten genannt werden.
„Du machst das schon", sagt Valeria, die den Raum zum Schlafsaal öffnet. „Und wenn nicht, dann kannst du immer noch Gott um Hilfe bitten", lacht ihr Bruder und klopft mir auf den Rücken.
Zu gerne würde ich etwas Bissiges erwidern. Die Ehre meines Herrn verteidigen, doch mein Mund ist staubtrocken. Die Worte bleiben mir im Halse stecken und zurück bleibt ein schmerzliches Stechen. Die Hoffnung auf seine Hilfe habe ich schon lange verloren. Ein Zeugnis für mein geringes Vertrauen. Aber ich bin immer noch hier. Hier in diesem Lager, welches mich gefangen hält. Ich bin ein Soldat eines brutalen Systems. Und all meine Versuche zur Flucht scheiterten. Zudem werde ich verhöhnt, trotz meiner Leistung. Mein Glaube hilft mir nicht, im Gegenteil, er macht alles nur noch schlimmer.
Also warum sollte ich Gott erneut um Hilfe bitten?
Besser ich kam alleine klar und fand mich mit meiner Situation ab. Denn bald würde ich Jugendliche in einer Sache unterrichten müssen, an die ich selbst nicht glaubte. Nämlich das Verhindern einer gewaltsamen Revolution, die uns näher war als das Volk da draußen nur ahnen konnte.
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