10. Eine stürmische Nacht
Die nächsten Tage im Haus Kobayashi waren ruhig. Takeo ebenso wie Fumiko blieben zuhause und erholten sich. Melodie half Takeo bei den Hausaufgaben und spielte mit Fumiko.
Das Haus war erfüllt von Kinderlachen. Reiji war die meiste Zeit auf der Ausgrabungsstätte seines Projektes und kam erst spätnachts völlig verschwitzt und dreckig wie ein Bergarbeiter nach Hause. An seinem Arbeitspensum hatte sich kaum etwas verändert, doch jeden Abend verbrachte er nun Zeit mit seinen Kindern. Erfreut beobachtete Melodie wie er Fumiko etwas vorlas oder mit ihr Lego spielte. Takeo und er hatten ein großes Puzzle angefangen und waren jedes Mal in Gespräche vertieft.
Die Beziehung zu den Kindern wurde lockerer, ehrlicher und liebevoller. Niemals hätte Melodie gedacht, dass Reiji sich zu solch einem Vater entwickeln könnte. Er nahm sich sogar Zeit für sie, fragte sie nach ihrem Tag, berichtete von seinem.
Hin und wieder konnte sie seine Hände an ihren spüren, fühlte seine körperliche Nähe wie die zunehmend emotionale. Er wurde buchstäblich zu dem Mann ihrer Wünsche und zerstörte all ihre Einwände sich in ihn zu verlieben. Melodies Hoffnung wuchs mit jedem Tag und genau das machte sie stutzig.
Hatte Reiji seine Entscheidung geändert oder hatte er beschlossen die letzten Monate mit ihr noch Spaß zu haben. Es war dieser Zweifel, giftig und zäh, der sich wenn er sich ihr näherte durch ihre Gedanken schlich. Sie musste Klarheit haben, alles andere könnte sie vor sich selbst nicht verantworten.
Mit mulmigen Gefühl im Magen beschloss sie am Freitag, am Ende dieser beinahe magischen Woche, ein ernstes Gespräch zu führen. Sollte er ihr erneut das Herz brechen, musste sie mehr Abstand zu ihm wahren. Zu den Kindern war dies ohnehin unmöglich.
Am Freitagabend also saß sie mit Fumiko und Takeo am Esstisch und aß zu Abend. Eigentlich hätte Reiji schon vor ein paar Stunden nach Hause kommen sollen, doch immer noch war von ihm nichts zu hören. Ungeduldig nahm sie einen großen bissen Reis und versuchte die Unruhe in Teriyakisoße zu ertränken. Wo war er nur? Die Kinder beobachteten sie unsicher.
"Arbeitet Papa heute wieder spät?", fragte Fumiko und stocherte in ihrem Essen herum. Die Kinder hatten ihre Mahlzeit kaum angerührt, offensichtlich spürten sie ihre nervöse Stimmung, die Sorge um Reiji und waren anders als Melodie nicht in der Lage ihren emotionalen Stress in Nahrungsmitteln zu begraben.
"Wie es aussieht, ja."
"Hätte er nicht anrufen sollen?", drängte Takeo, der sich ernsthaft sorgte. Er hatte Recht. Reiji meldete sich immer wenn er nach dem Abendessen kam, hauptsächlich um seine Portion zu retten, aber auch um ihnen die Sorge zu ersparen. Nachdenklich stützte sie den Kopf in die Hände. Sie sollte anrufen...oder nicht?
"Kannst du ihn mal anrufen?", bettelte Takeo und beinahe sofort gab sie nach. Hastig stand sie auf und suchte nach ihrem Handy.
"Da am Caochtisch.", rief Fumiko ihr zu. Erleichtert nahm sie sich das verflixte Teil, dass immer zu verschwinden schien, und wählte Reijis Nummer. Mit dem Handy am Ohr setzte sie sich wieder neben die Kinder. Stumm ruhten ihre Blicke auf Melodie. Es klingelte.
"Hallo, Kobayashi hier.", hörte sie Reijis Stimme. Neben seiner Stimme waren laute Rufe, der heulende Wind und donnernde Regen zu hören. Er musste draußen sein, inmitten des tobenden Unwetters.
"Reiji, Melodie hier. Wir haben uns Sorgen gemacht. Wann kommst du denn nach Hause?"
"Papa! Alles okay?", rief Fumiko dazwischen und wurde von Melodie mit einem mahnenden Blick gestraft.
"Nein, wartet, wir müssen die Kabel noch einmal überprüfen!", kam es aus dem Handy. Reiji schien mit seinen Kollegen zu sprechen.
"Reiji?", versuchte sie erneut seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
"Ja. Tut mir leid. Hier ist die Hölle los. Wir haben heute einen wahnsinnigen Fund ausgegraben. Es kann noch eine Weile dauern. Wir müssen die Ausgrabung vor dem Unwetter sichern."
"Verstehe. Ich stelle dein Essen in den Kühlschrank. Bitte pass auf dich auf."
"Keine Sorge Melodie. Ist nicht mein erstes Mal. Sag den Kindern, NEIN, ich hab gesagt die Kabel müssen noch einmal.." Ein lauter Knall, eine Explosion. Reiji schrie laut auf. Im Hintergrund hörte sie die Schmerzensschreie andere Menschen, das klirrend von verbiegendem Metall und etwas brach zusammen.
"Reiji! Reiji, bitte sag etwas!", rief Melodie in das Handy, doch eine Antwort blieb aus. Sie hörte ihn stöhnen und die Verbindung brach ab. Panisch versuchte sie ihn erneut zu erreichen. Ihre Finger zitterten stark, es fiel ihr schwer zu wählen.
"Was ist denn los?", wollte Takeo wissen, doch Melodie konnte nur den Kopf schütteln. Innerlich betend wollte sie nichts mehr als Reijis Stimme hören. Er musste einfach abheben. Was war das für eine Explosion? War er verletzt? Es klingelte, doch niemand hob ab.
Die Leitung blieb tot. Sprachlos starrte sie das Handy vor ihr an und hörte doch nur das Rauschen in ihren eigenen Ohren. Konnte er..nein, unmöglich es ging ihm gut..Schreckliche Angst griff nach ihr.
"Melodie?", zögerlich streckte Takeo seine Hand nach ihr aus. Sie hob den Blick und sah Reijis Kinder an. Die Panik, die ihr den Atem raubte, war bei den Kindern noch nicht angekommen. Fragend sahen sie sie an. Melodie zwang sich durch zu atmen, zwang sich ruhig zu werden. Sie musste stark, doch sie musste keinesfalls untätig sein. Hektisch wählte sie alle Nummern die Reiji ihr von seiner Arbeitsstelle gegeben hatte.
Die Universität konnte ihr keine Auskunft geben. Die Verwaltung bei der Ausgrabung blieb ebenfalls unbeantwortet. Frustriert legte sie das Handy auf den Tisch. Dieses nutzlose Ding brachte sie nicht weiter. Auf diesem Weg würde sie nichts in Erfahrung bringen. Es war der drängende Wunsch Reiji in Sicherheit zu wissen, der ihren Entschluss beeinflusste. Wenn er wirklich in Gefahr war, musste sie bei ihm sein. Hart schluckend reichte sie Takeo das Handy.
"Versuch weiter deinen Vater zu erreichen.", sie drehte sich zu Fumiko. Das kleine Mädchen trug bereits ihren Schlafanzug, "komm mit. Wir müssen uns umziehen."
Fumiko ergriff Melodies Hand ohne zögern und gemeinsam rannten sie in Fumikos Zimmer. Mit entschlossener Miene holte sie Pullover, Gatsch- und Strumpfhose aus dem Kleiderschrank und half Fumiko hinein. Das Mädchen blieb erstaunlich ruhig während dieser ganzen Prozedur, jammerte nicht, weinte nicht. Dankbar küsste Melodie ihre Stirn.
"Du bist toll, Miko-chan."
"Gehen wir Papa holen?" Nickend ergriff sie Fumikos Hand.
"Ja, wir werden ihn holen." Fertig angezogen, liefen sie zurück zu Takeo. "Hast du ihn erreicht?", fragte Melodie atemlos. Bedrückt schüttelte Takeo den Kopf. "Nein, ich habe es ganz oft läuten lassen, aber papa hat nicht abgehoben. Was machen wir denn jetzt?" Melodie zog ihn auf die Beine und nahm ihr Handy wieder an sich. Bemüht ruhig fasst sie ihn an den Schultern und sah ihm in die Augen.
"Wir fahren zu ihm."
"Ist er in Gefahr?", fragte Takeo besorgt. Melodie schüttelte den Kopf.
"Ich kann es dir nicht sagen. Ich weiß es nicht. Aber wir werden es herausfinden." Sie taxierte ihn von Kopf bis Fuß. Er hatte noch seine Schulsachen an. Eine Stoffhose und ein Hemd. Für dieses ungewollte Abendteuer würde es reichen.
"Zieh dich und deine Schwester warm an. Wir wollen so schnell wie möglich aufbrechen.", der Junge widersprach nicht. Im Gegenteil, zielbewusst griff er nach Fumikos Hand und zog sie zu ihren Schuhen. Melodie rannte in ihr Zimmer, zog warme Leggins, T-Shirt und eine Strickjacke an.
Die Haare band sie zu einem lockeren Pferdeschwanz. Immer wieder wählte sie Reijis Nummer, doch es gab kein Lebenszeichen von ihm. Angst schnürte ihr die Kehle zu, Sorge ließ ihren Körper zittern. Als sie ins Vorzimmer kam, standen die Kinder fertig angezogen bereits in den Startlöchern. Dankbar lächelte sie ihnen zu.
"Ihr macht das wunderbar.", wisperte sie ihnen zu. Die drei liefen zum Auto und stiegen ein. Takeo half seiner Schwester beim angurten während Melodie die Adresse der Ausgrabung ins Navigationsgerät eingab. Sie hatte ein Bild davon in Reijis blauem Ordner gesehen und sich den Straßennamen gemerkt. Diese lag etwa eine Stunde von Kamakura und ihrem Haus entfernt in den bergigen Wäldern der Präfektur Kanagawa. Melodie startete den Motor. In einer stürmischen Nacht wie dieser würde eine Stunde fahren ihnen wie eine Ewigkeit vorkommen. Der Wind und Regen wären keine guten Begleiter.
"Seid ihr bereit?", fragte sie die Kinder und bekam herzhaftes Nicken als Antwort.
"Dann mal los." Sie fuhr los und merkte schnell, dass das Unwetter stärker wurde, je weiter sie nach Westen in die Berge kamen. Die Straßen waren teilweise sogar vom Katastrophenschutz gesperrt.
Mehrmals wurde sie gefragt, ob sie diese Route unbedingt zu dieser späten Stunde mit zwei Kindern fahren müsse. Die Antwort blieb immer dieselbe >ja<. Schließlich kamen sie an eine Straßensperre, die nicht provisorisch oder gar schnell errichtet worden war.
Sie stoppte das Auto und wartete auf den zuständigen Mitarbeiter. Im Dunkel der Nacht lief ein Mann, gekleidet in einem durchsichtigen Regenmantel mit Taschenlampe auf sie zu. Die Lichter der Sperre funktionierten alle nicht. Das einzige Licht kam von den Autoscheinwerfern und der kleinen Taschenlampe. Der Mitarbeiter klopfte an ihr Fenster. Widerwillig öffnete sie es und wurde von einzelnen Regentropfen erwischt.
"Wer sind Sie und was machen Sie hier?", fragte der Fremde ungestüm. Seine ungeduldigen Augen taxierten die Mitfahrenden skeptisch.
"Ich bin Reiji Kobayashis Babysitterin. Er hat uns angerufen und dann war eine Explosion zu hören. Die Kinder waren außer sich und niemand konnte uns Auskunft geben.", Melodie wollte weitererzählen, doch wurde mit einer Handbewegung des Mannes gestoppt.
"Richtig, es gab einen Unfall. Aber,.."
"Ist Mr.Kobayashi in Ordnung."
"Ich weiß es nicht. Habe nur die Rettungsfahrzeuge durchgelassen."
"Dann werden Sie uns jetzt auch durchlassen."
"Das kann ich leider nicht tun."
"Hören Sie, ich bin gerade durch halb Kanagawa gefahren. Ich will einfch nur wissen ob es ihm gut geht. Bitte..."Der Mitarbeiter sah sich unbehaglich um. "Ich könnte ganz schön ärger kriegen.", murmelte er und sah mit seinen Taschenlampe auf den Rücksitz zu den Kindern. Wiederwillig seufzend nickte er.
"Ich hab auch eine Familie, will mir gar nicht vorstellen was die tun würden, gäb es hier einen Unfall. Ich lasse Sie durch, aber machen Sie kein großes Ding draus und bitte sagen Sie niemanden dass sie eigentlich nicht dort sein sollten." Melodie lächelte ihn dankbar an.
"Vielen Dank! Vielen, vielen Dank. Das werde ich Ihnen nie vergessen."
"Ja , ja..", meinte der Mitarbeiter und öffnete die Schranke, "ich muss das trotzdem Melden, aber Sie können schon mal vorfahren. Fahren Sie langsam, die Straße ist eng und durch den Sturm liegt allerlei Unrat auf der Fahrbahn." Er ging und sprach genervt in sein Funkgerät. Melodie blickte zu den Kindern.
"Gleich haben wir es geschafft."
"Der Mann sprach von einem Unfall, glaubst du das Papa...", Takeo konnte den Satz nicht vollenden. Melodie beugte sich zu ihm, strich ihm sanft über den Kopf.
"Wir dürfen so nicht denken. Ich bin sicher es geht ihm gut.", flüsterte sie eindringlich mehr zu sich selbst als zu den ängstlichen Kindern. Die Bestätigung eines Unfalls lag schwer in ihrem Magen.
Der Mitarbeiter öffnete die Schranke und Melodie fuhr los. Er behielt recht, die Straße war unwegsam, und schien so viel wie möglich von der Natur zu erhalten. Konzentriert starrte sie nach vorne und hoffte nichts zu übersehen.
Die gespenstische Dunkelheit und der heulende Wind halfen nicht dabei ihre Nerven zu beruhigen. Am Ende der Straße öffnete sich der Wald und gab den Blick auf eine Lichtung frei. Eine künstliche Lichtung, hier und dort konnte man abgeschlagenen Baumstämme erkennen und höhere Büsche.
Auf dem entstandenen Platz standen Metallcontainer und Bagger, Zelte und Equipment. Eine groß angelegte Ausgrabung. Von was konnte Melodie nicht sagen. Die Container schienen alle um etwas herum angeordnet zu sein, aber die Flutlichter, die sicherlich normalerweise für viel Licht sorgten funktionierten nicht.
Die Lichtung wurde von Autoscheinwerfern, Taschenlampen und Leuchtstäben erhellt. Und dem unheimlichen blauen Leuchten der Rettungswagen. Melodie parkte, zog ihre beige Regenjacke an und stieg aus. Takeo tat es ihr gleich, Fumiko wartete auf Melodie.
Sobald sie draußen standen und dem kalten Regen trotzten, gingen sie los. Melodie hatte an jeder Hand ein Kind und stierte gradewegs zum Rettungswagen. Dort würde sie am ehesten herausfinden wo Reiji war und ob es ihm gut ging.
Das Rettungspersonal hatte sich in einem Zelt genau daneben einquartiert und schien an mehreren Personen zu arbeiten.
"Entschuldigung? Bitte Entschuldigen Sie?", versuchte Melodie die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Eine Krankenpflegerin kam verwirrt auf sie zu. Ihr Blick schweifte immer wieder zu den Kindern, die sich ängstlich an Melodie pressten.
"Was soll das? Uns wurde gesagt, dass es hier keine Kinder gibt. Wer sind Sie?" Es war klar, dass diese Krankenpflegerin über ihre Anwesenheit nicht erfreut war. Melodie ließ sich davon nicht beirren.
"Ich suche.."
"Melodie?!" Reijis Stimme schnitt durch die Nacht wie ein lebensrettender Leuchtturm. Er stand im Regen vor dem Zelt und starrte sie mit einer Mischung aus Unglaube und Verärgerung an.
"Reiji..", hauchte Melodie und warf sich in seine Arme, dicht gefolgt von den Kindern.
"Ah, wartet, nicht so fest.", merkte Reiji an und trat etwas zurück. Unter dem Regenmantel konnte sie fremde Kleidung erkennen und einen Verband an seinem rechten Arm.
"Was ist passiert?" Reiji schüttelte den Kopf und winkte ab.
"Nicht so wichtig. Was machst du hier? Du dürftest überhaupt nicht hier sein! Wenn die das rauskriegen, gibt es großen Ärger."
"Nicht wichtig?!", Melodie platzte der Kragen. Saure Wut rauschte durch ihre Adern, "Hast du eine Ahnung was für Sorgen wir uns gemacht haben? Das letzte was ich von dir höre ist eine scheiß Explosion und ein Schrei! Ich dachte du wärst tot, Arschloch!", schrie sie ihm schlussendlich entgegen. Die umstehenden Leute warfen ihnen neugierige Blicke zu, einige blieben sogar stehen um zu gaffen. All das hatte für Melodie keine Bedeutung. Der Schreck saß zu tief und dieser Mann hatte mit seiner unbedachten Aussage eine Lawine provoziert.
"Genau, Papa, das war nicht okay.", stimmte Fumiko zu und drängte sich wieder an Melodie. Auch Takeo nickte stoisch. Sich dieser Übermacht an wütenden Gesichtern gegenüberstehend, musste Reiji einlenken. Geschlagen senkte er den Kopf.
"Kommt mit. Reden wir im Büro, dort ist es trocken und wärmer. Und privater.", fügte er mit einem Blick auf die neugierigen Menschen zu. Melodie und die Kinder folgten ihm über die Lichtung. Ihr forschender Blick versuchte herauszufinden was in der Mitte des Platzes ausgegraben wurde. Leider hatten die Archäologen ein großes weißes Zelt über die tatsächliche Ausgrabung gezogen.
Wohl um sie vor spionierenden Augen aus der Luft zu schützen. Reijis Büro war wie die anderen ein einfacher kahler Container aus blauem Metall. Nicht schön oder gemütlich, aber mit einem Schreibtisch und Elektronik ausgestattet, war er alles was Reiji zum arbeiten brauchte.
Mit kalten Fingern half Melodie den Kindern aus ihren Regenmänteln und sah zufrieden zu wie sie ihren Vater vorsichtig umarmten. Reiji ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und bot ihnen Klappsessel an. Mit der Tür des Containers zu, wurde es tatsächlich angenehm warm.
"Ich glaube ich sollte mich entschuldigen.", meinte Reiji unbehaglich und fuhr über seine nassen Haare.
"Ich warte.", entgegnete Melodie bloss und starrte ihn mit verschränkten Armen an. So leicht würde sie ihn nicht vom Harken lassen. Fumiko ahmte sie mal wieder nach, selbst den Gesichtsausdruck versuchte das kleine Mädchen wiederzugeben.
Seufzend griff Reiji nach etwas auf seinem Schreibtisch und legte es in Melodies Hände. Es war ein verschmortes Plastikteil, das entfernte Ähnlichkeit mit einem Handy hatte.
"Mein Handy, ", bestätigte Reiji nickend, "was du gehört hast war tatsächlich eine Explosion. Durch den Sturm ist ein Ast auf unseren Generator gefallen. Das Stromnetz ist hochgegangen. Es gab ein Feuer. Eines der Flutlichter ist auf mich gefallen, die heiße Oberfläche der Lampe hat meinen Arm erwischt.
Das Feuer hat sich dann mein Handy geholt. Ich wollte dich anrufen, aber wir haben hier kein Netz, kein Internet mehr. Mehrere Leute wurden so wie ich leicht verletzt, einige sogar schwer und dazwischen müssen wir immer noch die Ausgrabung sichern.
Dieses Unwetter ist tückisch, gefährlich." Er beugte sich vor, sah jeden von ihnen tief in die Augen.
"Es tut mir ehrlich leid. Ich wollte euch keinen Kummer bereiten. Könnt ihr mir verzeihen?" Fumiko sprang auf und warf sich um den Hals ihres Vaters.
"Ja, ich verzeih dir Papa." Nachdem Fumiko ihn losgelassen hatte, drehte Reiji sich zu seinem Sohn.
"Kannst du mir auch verzeihen?" Der Junge nickte und umarmte ihn leicht. Nun war alles wieder gut, zumindest für die Kinder. Melodie brodelte immer noch.
"Entschuldigt mich kurz.", meinte sie knapp, schnappte sich ihre Jacke und öffnete die Tür. Der Regen empfing sie kalt und nass, unangenehm, aber genau das brauchte sie nun. Irgendwie fühlte sie sich wie eine Idiotin..Reiji ging es gut..alles nicht so schlimm. Aber sie hatte die Kinder mitten in der Nacht durch halb Kanagawa geschleppt und vor seinen Kollegen eine Szene gemacht. Hatten ihre Gefühle, ihre Ängste sie mal wieder in eine peinliche Lage gebracht. Sie kam sich so dumm vor.
"Melodie?", Reiji kam ihr nach, schloss die Tür zu seinem Büro. Sie waren alleine im Regen. Keine Kinder, keine Kollegen. Nur die Nacht.
"Was ist?", meinte sie schnippisch und mied seinen Blick. Reiji kam näher, zwang sie ihn anzusehen.
"Ich kann mir vorstellen, was in dir vorgegangen ist. Ich will nicht wissen, wie ich reagiert hätte, wenn ich so einen Anruf bekommen hätte.", flüsterte er bekümmert.
"Ich war dumm. Ich hätte nicht gleich vom schlimmsten Ausgehen müssen.", Schniefend blickte sie zu Boden. Warum schämte sie sich so sehr? Reiji nahm ihr Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen. Ihre Blicke trafen sich, die Nähe überwältigte sie.
"Es tut mir leid.", hauchte er und küsste sie. Über ihnen donnerte der Himmel, der Regen fiel in Strömen, die Kälte kroch langsam in ihre Knochen, doch nichts davon war wichtig. Melodie fühlte seine Lippen, seine Hände, seine Wärme. Funken stoben in ihr wie in den kaputten Flutlichtern über ihnen. Die Welt blieb stehen.
Ihre Augen...ihr Gesicht...in einer grässlichen Nacht wie dieser hätte er sich nichts schöneres vorstellen können. Er hatte solche Angst gehabt sie und die Kinder nie wieder zu sehen.
Als er von dem Flutlicht erwischt wurde, hatte er nur sie gesehen, an diesem schönen Sonnentag in Nikko. Seine Familie, gesund und glücklich, sein Zuhause das er vielleicht nie wieder sehen würde.
Ihr Auftauchen an der Ausgrabungsstätte war überraschend, aber eigentlich nicht verwunderlich. Er war nicht sicher gewesen wann die Verbindung zu Melodie abgebrochen war, hatte gehofft, dass sie den Unfall nicht mit angehört hatte. Ihre Reaktion war nachvollziehbar und seine Gegenreaktion nicht besonders freundlich.
Sie hatte besseres verdient. Als er ihr in den Regen nachgelaufen war, hatte er im Grunde keinen Plan gehabt. Seinen Fehler einsehend, wollte er nur dafür sorgen, dass sie nicht mehr stritten. Ihre Gestalt umgeben von Wind, Regen und Nacht, nur erhellt durch die wenigen Taschenlampen, brachte etwas anderes zum Vorschein.
Erleichterung, gemischt mit wahnsinniger Angst sie zu verlieren. Es war diese Angst, der er nun auch den Kuss zuschrieb. Das war nicht fair und das wusste er auch. Aber er war nicht bereit sich mit seinen Gefühlen zu beschäftigen. Alles was er wollte war Melodies Nähe, sollte sie die Furcht und Sorge vertreiben. Zuvor hatte sie sich einen Kuss gestohlen, diesen hier, stahl er sich.
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