Fliegen lernen
Kürbistumor
Vielleicht sollte sich das als das Dümmste was ich je hatte tun wollen heraus stellen, doch in dem Moment, indem ich mich auf den Weg zum Flugplatz machte, war ich noch völlig entschlossen.
Ich war auf dem besten Weg, einen Tandemsprung zu machen und das obwohl ich panische Höhenangst hatte. Viel eher konnte man aber sagen gerade deshalb, wollte ich in ein Flugzeug steigen und dann nur durch einen Fallschrim abgesichert, herunter springen.
Ich tat es nicht einmal für mich, doch meine Schwester hatte vor einem halben Jahr eine Diagose erhalten: Chorea Huntington.
Die Krankheit war schon recht weit fortgeschritten und sie hatte nur noch einige Jahre, bevor sie vermutlich sterben würde.
Sie hatte die Nachricht recht gefasst aufgenommen und mich nur wenig später um einen Gefallen gebeten. Sie wollte die Welt sehen.
Ihr größtes Ziel war eine Tour durch den Ural, solange ihr Körper der Belastung noch standhalten konnte. Ich und mein Bruder sollten sie, zusammen mit ihrem Partner und zwei erfahrenen Wanderen begleiten, doch bis jetzt machte mir die Angst einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.
Die flache Landschaft zog an mir vorbei, mein Bruder brachte mich zum Flugplatz wo ich eine Verabredung mit einem proffesionellen Fallschrimspringer hatte. Ich hatte ihm vor drei Wochen eine E-mail geschreiben und so hatten wir eine Verabredung ausgemacht. In 15 Minuten würde ich Patrick, so hieß er, am Flugplatz treffen.
Viel zu schnell verging die Zeit und als Peter den Motor abstellte, hatte ich das Gefühl die Nervosität würde mich jeden Moment überwältigen. Mit zittrigen Knien stieg ich aus, mein Bruder wünschte mir viel Spaß, er würde mich später wieder abholen.
Ein braunhaariger Mann in meinem Alter kam lächelnd auf mich zu: "Du bist Manuel oder? Schön, dass du da bist, ich bin Patrick.", stellte er sich vor und gab mir die Hand. Ich erwiederte die Geste: "Freut mich dich kennen zu lernen und du kannst mich gerne auch Manu nennen."
"Okay.", er nickte. "Und du hast Höhenangst? Warum machst du nicht so etwas wie eine Ballonfahrt oder einen Rundflug?", wollte er interessiert wissen.
"Ich habe vor ein paar Wochen einen Flug gemacht, aber das hilft mir nicht die Angst zu überwinden. Ich glaube wenn ich diese Bergtour durchstehen will, muss ich mich meiner Angst stellen. Aber das wird nicht so einfach, ich bin jetzt schon extrem nervös."
Patrick lächelte verstehend und erklärte: "Das wird schon, immerhin machen wir das zusammen. Das heißt ich bin für dich da, okay?"
Ich nickte: "Danke, ich weiß echt nicht ob das eine gute Idee von mir war."
"Du wirst schon sehen, fallschrimspringen kann unglaublich viel Spaß machen.", beruhigte er mich und schlug dann vor: "Wir haben noch etwas Zeit bevor der Flug los geht, wie wäre es wenn wir auf unseren Aussichtsturm gehen, dann kannst du dich vielleicht besser auf die Höhe einstellen."
Etwas zuversichtlicher stimmte ich zu und Folgte ihm zu einem hohen, weißen Turm.
Dank des Fahrstuhls dauerte es nicht lange bis wir auf der umzäunten Platform standen. Als mein Blick sich auf den Boden richtete, krallte ich mich augenblicklich an die Brüstung, wollte den Blick jedoch nicht abwenden. "Alles gut?", wollte Patrick wissen und ich nickte etwas verkrampft. "Weißt du, der erste Fallschirmsprung war im Jahr 1797. Am 22. Oktober ist ein Franzose aus einem Ballonkorb gesprungen. Ich frage mich immer wie der darauf gekommen ist.", erzählte er.
"Der war bestimmt Lebensmüde und hat gehofft es würde nicht klappen.", lachte ich und Patrick fiel mit ein.
"Ich bin ihm ziemlich dankbar dafür, ich springe jetzt schon seit fünf Jahren und das ist wirklich eine Leidenschaft geworden."
"Na wenn du das seit fünf Jahren schon machst und noch lebst, kann mir doch eigentlich auch nichts passieren oder?", hakte ich nach.
"Naja, passiern kann immer was, aber das ist mit allem im Leben so." Darauf hin erklärte er mir grob wie der Fallschirm funktionierte. Ich hörte ihm gespannt zu und hatte die Höhe fast ganz vergessen. Auch als er weiter hinten auf ein Flugzeug auf der Startbahn zeigte, hatte ich kaum ein Problem damit runter zu schauen.
"Merkst du, dass es gar nicht so schlimm ist hier zu stehen?", wollte er wissen und ich musste ihm recht geben. Als er jedoch meinte wir sollten langsam zum Flugzeug gehen, war die Nervosität sofort zurück.
Er führte mich zu einer Halle, in der ein kleines rot-weißes Flugzeug geparkt war. Zwei weitere Männer, die sich mir als Maurice und Michael vorstellten, waren schon da und trugen beide ihre orangene Ausrüstung. Während Patrick uns ebenfalls Abzüge besorgte wollte Maurice wissen: "Alles gut? Du bist echt blass." "Geht schon, ich bin nur nervös.", wunk ich ab und kaute angespannt auf meiner Unterlippe herum.
"Das ist mein erster Fallschrimsprung alleine, Micha ist mein Trainer.", erzählte er mit glänzenden Augen und Michael legte ihm eine Hand auf die Schulter: "Mauri, ich glaube du solltest Manu ein bisschen Ruhe geben, du weißt doch noch wie es dir das erste Mal ging."
Maurice lachte verlegen: "Glaub mir Manu, wenn du es geschaft hast zu springen, fühlt es sich großartig an."
Patrick war zurück und während er sich umzog half Micha mir mit meinem Anzug. Danach erklärte er noch einmal in aller Ausführlichkeit was gleich passieren würde und hielt eine Sicherheitseinweisung, bei der er den hibbeligen Maurice mit einem gespielt strengen Blick bedachte.
Meine Hände zitterten von Minute zu Minute mehr und ich schaffte es ebendso nicht still zu stehen. Schließlich stiegen die beiden anderen ins Flugzeug und Patrick forderte mich auf auch zu kommen.
Doch ich konnte nicht.
"Ich.. ich...", meine Stimme brach ab und ich drückte die Hände gegen die Stirn während ich beinahe panisch hin und her lief. Wie soll ich das nur überleben, wir sind doch nicht mal vom Boden weg. Ich atmete stoßweise und Tränen sammelten sich im meinen Augen. "Ich kann nicht.", meine Stimme zitterte, ich wusste nicht wie ich die Angst aushalten sollte.
Plötzlich stand Patrick dicht vor mir und griff nach meinen Händen. "Beruhig dich Manu. Ich habe dir versprochen, dass nichts passiert. Ich bin da und ich passe auf dich auf."
"Es... es geht nicht darum das etwas passiert. Ich kann nur nicht, ich hab Angst.", stammelte ich.
Mit seiner Antwort hatte ich nicht gerechnet: "Na und? Natürlich hast du Angst, deshalb bist du doch hier. Also komm, du schaffst das."
Damit schaffte er es mich zu überzeugen und mit zitternden Knien stieg ich in das kleine Flugzeug. Kaum hatte Patrick hinter sich die Tür zu gezogen, rollten wir auch schon in Richtung Startbahn. Es dauerte nicht lange und der Pilot erhielt das Signal zum Start.
Ich starrte aus dem Fenster, die Hände fest an einen der Gurte geklammert und biss mir auf die Unterlippe. Es gab keine Sitze und als wir starteten wurde ich in den Gurt am Boden gedrückt. Mit wachsendem Entsetzen sah ich wie der Boden unter uns unaufhaltsam verschwand und wir immer höher stiegen. Ich war beinahe unfähig mich zu bewegen, als Patrick zu mir herüber rutschte. "Ich setze mich hinter dich und hänge die Anzüge an einander. Es dauert nicht mehr lange bis wir auf der richtigen Höhe sind."
Ich bekam nicht wirklich mit was er machte. Meine Hände krallten sich in meinen Haaransatz und ich versuchte gegen die panischen Tränen zu kämpfen. Unruhig fuhr ich mir immer wieder über das Gesicht, mein Herz schlug immer heftiger und ich atmete nur noch Stoßweise.
Ich konnt das nicht, konnte nicht eine Sekunde länger mit dem Wissen leben, so weit vom Boden entfernt zu sein. Völlig verzweifelt presste ich die Hände gegen die Schägen und kniff die Augen zu. Die Panik war so groß, dass ich kaum mehr damit umgehen konnte.
"Manu, hör mir zu. Achte nur auf meine Stimme.", wies Patrick mich an. Sanft nahm er meine Hände vom den Schläfen und hielt sie fest. Dann drückte er mich nach hinten, so dass ich mich gegen seine Brust lehnte.
"Ich habe dir versprochen, dass ich da bin. Ich werde nicht von deiner Seite weichen bis wir wieder festen Boden unter den Füßen haben und so lange brauchst du keine Angst haben."
Eine seiner kühlen Hände legte er auf meine heißen Wangen und beruhigte mich damit ungemein. "Es ist nur Höhe, ich weiß das macht dir Angst, aber es passiert nichts."
Er rutschte ein Stück nach vorne und zog mich mit sich. "Mach die Augen auf.", wies er mich an, immer noch hielt er meine Hand und als Micha die Tür öffnete krallte ich mich daran fest.
Doch die Panik wurde nicht schlimmer, ich zitterte immer noch und hätte nichts auf die Reihe bekommen, doch sie füllte mich nicht mehr koplett aus. Ich war der Angst nicht mehr so halt los ausgesetzt.
Der kalte Wind schlug mir flatternd ins Gesicht. Michael und Marice saßen dicht an der Kante und auf ein Zeichen des Piloten hin sprangen sie kurz nacheinander hinunter. "So, jetzt wir.", flüsterte Patrick und schob sich so weit nach vorne, dass unsere Beine aus dem Flugzeug baumelten.
"Willst du zählen?", wollte er wissen und fahrig nickte ich.
Der Pilot gab das Zeichen und einen letzten Blick warf ich in richting Boden bevor ich die Augen zukniff und zählte: " Drei, zwei, eins, null!"
Wir fielen, immer tiefer. Viel zu schnell kam der Boden näher und der Wind rauschte in meine Ohren. Zunächst verhinderte die Panik es, doch dann schrie ich, frei heraus und es tat unglaublicht gut. Wie ein Ventil für die angestaute Angst.
Nur Sekunden später öffnete sich über uns der große, bunte Fallschrim und bremste uns ab.
Das Gefühl war unbeschreiblich, ich hätte es nie für möglich gehalten doch es war großartig.
Nicht die Aussicht, sondern das Gefühl von Freiheit, wie als hätte man das reale Leben für den Moment ausgeschaltet.
Ich sagte nichts, lachte nicht, ich genoss nur den Augenblick.
Als wir landeten, zitterte ich so stark, dass meine Beine weg knickten. Patrick löste die Anzüge voneinander und nahm den Fallschrim ab ehe er zu mir kam.
Er schloss mich in die Arme und erschöpft ließ ich mich gegen ihn sinken. Nachdem er so für mich da gewesen war wie im Flugzeug, war er kein Fremder mehr.
"Du hast es geschafft.", stellte er lächelnd fest und ich nickte. Verstohlen wischte ich mir die Tränen von den Wangen als er mir aufhalf.
"Danke. Ich wüsste echt nicht was ich da oben, ohne dich hätte machen sollen."
"Kein Problem, mich würde nur interessieren ob du mal wieder kommst.", antwortete er lachend und schon wieder fand ich mich in einer Umarmung wieder.
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