Feelings
(girlxgirl)
Bäume ziehen an mir vorbei, geparkte Autos und Straßenlaternen. Die Luft ist kühl, der Himmel wolkenverhangen und das obwohl wir gerade erst Ende September haben.
September.
Letztes Jahr war ich um diese Zeit im Urlaub, zusammen mit meiner besten Freundin.
Sorglos, lachend und uns die absurdesten Dinge ausdenkend lagen wir im Gras, waren stundenlang spazieren oder haben einfach nebeneinander gelesen.
Jetzt komme ich von der Schule, einen Stapel Hausaufgaben im viel zu schweren Rucksack und das obwohl es schon Nachmittag ist. Ich kann jetzt schon erahnen wie ich vom Stress erdrückt werde.
Ist das richtig so? Mit der neuen Schule, den Lehrern und neuen Leuten, die einfach so die alten ersetzen sollen?
Plötzlich fehlt mir so viel Zeit die ich vorher hatte, einfach so, ersetzt durch Unterricht, von dem ich nicht verstehe was er mir eigentlich bringen soll.
Wozu muss ich denn den Aufbau von Proteinen kennen? Ich könnte sehr viel sinnvolleres tun in der Zeit, in der ich mir Bio um die Ohren schlage.
Ich könnte vielleicht doch ein zweites Mal in der Woche zur Tanzschule oder mich bei dem Malkurs anmelden, den ich gerne machen würde.
Aber das werde ich nicht tun. Statt dessen fahre ich durch die ruhigen Straßen des Wohngebietes, auf dem Weg zum Fußballverein.
Als hätte ich nicht genug Probleme, schaffe ich es jeden zweiten Moment an diese eine Freundin zu denken. Nicht, dass das etwas Schlechtes wäre, es macht mich glücklich.
Der Gedanke an den Moment, wenn ich sie wiedersehe, nachdem wir einige, schrecklich lange Wochen auf unterschiedliche Schulen, in unterschiedliche Klassen mit unterschiedlichen Leuten gegangen sind.
Was ist das? Dieses Gefühl als würde irgendwas in mir einen kleinen Looping machen, weil ich an sie denke.
Verliebtheit? Fühlt Verliebtheit sich nicht an wie Schmetterlinge, die in deinem Bauch umher fliegen?
War es nicht so, als ich damals in einen Klassenkameraden verknallt war?
Ich schüttel entschieden den Kopf, ich kann nicht ständig das Selbe immer und immer wieder von vorne denken.
"Vorran kommen und Lösungsansätze finden, nicht wiederholen.", bete ich mir meine eigene Ermahnung, in der Stimmlage meiner früheren Deutschleherin vor.
Aber, dass es leider wenige Lösungsmöglichkeiten abgesehen von "Abwarten" gibt, weiß ich längst.
Es ist wie mit der neuen Schule.
Ich weiß einfach keine Lösung, zumindest keine mit der ich wirklich umgehen kann.
Automatisch biege ich auf den Parkplatz des Vereins ab, stelle mein Rad an den Zaun und schließe es an, während ich mich frage, ob der feine Nieselregen, der eingesetzt hat, sich zu einem ausgewachsenen Schauer entwickeln wird bevor ich im Trockenen bin, oder nicht.
Ein Blick auf die Trainingsplätze verrät mir, dass die Mädchenmannschaft schon in den Umkleiden ist.
Also stehe ich da und warte.
Trete vom einen Fuß auf den Anderen, pflücke mir die Haare aus dem Gesicht und werfe fast minütlich ein Blick auf die Uhrzeit, auf dem Sperrbildschirm meines Handys.
Es vergeht immer nur eine Minute. Natürlich.
Es ist mehr eine Beschäftigung als eine Vergewisserung, um den Eltern der E-Jugend, die ihre Kinder abholen, vorzugaukeln, ich hätte etwas besseres zu tun, als lediglich herumzustehen.
Obwohl das Handy da nicht die optimale Lösung bietet.
Ich fühle mich immer als würden sie mir verächtliche Blicke zuwerfen, mit denen sie sagen wollen: "Die Jugend von Heute, nur am Smartphone!"
Dabei schauen sie selbst alle paar Minuten auf ihr Handy, um sich zu vergewissern, ob nicht eine neue Nachricht in der E-Jugend-Whatsappgruppe aufgeploppt ist.
Langsam aber sicher durchnässt der Regen meine Jeansjacke und meine Haare, vermutlich verhindert nur noch das Zopfgummi, mit dem ich die vorderen Stränen, der Kinnlangen Mähne zurück gebunden habe, dass mir das Zeug in tropfenden Schlieren im Gesicht klebt.
Plötzlich durchbricht ein unverkennbares Geräusch das erdrückend unwichtige Gemurmel der Eltern. Es ist das laute Quietschen des Haupteingangs, direkt gefolgt vom bunten durcheinander Gequatsche der Mädchen, auf die ich warte.
Eine der Fußballspielerinnen, die vorne Laufen winkt mir fröhlich zu. "Hey, wie geht's dir?", will sie wissen und pustet sich eine rote, gekringelte Locke aus der Stirn, als sie bei mir ankommt.
Ich zucke die Schultern. "Wird schon gehen."
Sie schiebt leicht die Unterlippe vor, lächelt mich aber dann aufmunternd an. "Das wird schon."
"Wie läuft es bei euch?", erkundige ich mich bei ihr und den anderen Mädchen, die zu uns gestoßen sind.
Doch bevor ich wirklich eine Antwort bekomme, ruft irgendwer, der gerade erst durch die Tür kommt laut: "Miiiraaa, dein Engel ist daaa!", obwohl ich rot werde, muss ich lachen. Dass sogut wie die ganze Mannschaft Mira und mich für ein Traumpaar hält, ist schon ewig ein Insider.
"Ich weiß, dass sie da ist. Ist sie nämlich immer.", antwortet das Mädchen, welches nun durch die Tür tritt, breit grinsend.
Eigentlich ist sie der Engel von uns Beiden, mit ihren blonden Locken, die sie sich im Frühjahr hat kurz schneiden lassen, und den sturmgrauen, wunderschönen Augen.
"Natürlich bin ich da, ich würde sie doch nicht im Stich lassen.", entgegne ich lachend und achte kaum auf die Antwort die darauf folgt, denn Miras Blick, der auf mir liegt, hat mich längst gefesselt.
Lächelnd bleibt sie vor mir stehen. "Hey", kommt es leise über ihre Lippen, bevor sie mich in eine Umarmung zieht.
Sie trägt noch immer ihr Trainingsoutfit und riecht nach Rasen und Regen, sowie nach ihrem Deo. Am liebsten würde ich die Zeit anhalten und für den Moment vergessen wie schwer mir gerade alles fällt. Doch die Realität holt mich so er erschreckend schnell wieder ein, dass es mir fast die Tränen in die Augen treibt.
"Ihr seid schon ein bisschen zu cute.", stellte Natia, das Mädchen mit den roten Locken fest. Wir lösen uns voneinander und ich strecke ihr spaßhaft die Zunge heraus.
Die kleine Gesprächsrunde löst sich relativ schnell auf, denn alle wollen nach dem Training endlich nach hause und auch Mira und ich machen uns auf den Weg. Wie jeden Tag nach dem Fußballtraining, ist das Ziel die Créperie ihrer Eltern, wo wir immer so lange Sitzen wie die Zeit es zu lässt und uns alles erzählen was uns in den Sinn kommt.
Auf dem Weg sagen wir beide kaum ein Wort, doch das stört nicht wirklich, wir haben noch genug Zeit. Gerade heute, wo wir uns die letzten zwei Wochen nicht sehen konnten, gäbe es so unfassbar viel zu erzählen. Doch ich weiß, dass mir kaum etwas davon über die Lippen kommen wird.
Das liegt an der neuen Schule, ich will nicht darüber erzählen, nicht daran denken, am liebsten würde ich sie einfach wieder aus meinem Leben streichen.
Ich spüre ganz genau wie ich wieder an dem Punkt stehe, den ich nur allzu gut kennen gelernt habe in den vergangenen Tagen.
Der Moment in dem man ganz unvermittelt vor einer Klippe steht und weiß, dass jedes falsche Wort einen hinunterstürzen könnte, in völlig irrationale und trotzdem so beängstigende Verzweiflung, gegenüber allem was im Moment nicht funktioniert.
Die kleinsten Ereignisse reichen schon, um mich ganz unvermittelt an diesem Abgrund stehen zu lassen, wie die eigentlich tröstliche Umarmung des wundervollen Menschen neben mir.
Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals, doch ich kneife die Lippen zusammen und konzentriere mich auf den Weg. Wenn ich es richtig anstelle, wird nichts passieren. Ich werde der Klippe wieder den Rücken zuwenden und alles ist okay. Nicht gut, aber okay. Bis mich die Aussichtslosigkeit wieder einholt.
"Am Samstag haben wir ein Spiel, kommst du auch?", will Mira von der Seite her wissen. Ich nicke und lächle, vermutlich nicht sehr überzeugend, denn Mira mustert mich besorgt. "Ist alles gut Toffee? Du musst nicht kommen."
Sie nennt mich beim Spitznamen, das tut sie häufiger in letzter Zeit.
Ich schlucke und nicke. "Ich komme gerne. Wirklich."
Für einen Moment genehmige ich es mir die Augen zu schließen und durch zu atmen. Alles ist gut. Es gibt keinen Grund zu fallen. Alles ist okay.
Doch das stimmt nicht, das weiß ich und Mira weiß es auch.
Mir quietschenden Bremsen hält sie am Straßenrand und ich tue es ihr gleich.
Ohne ein Wort zu sagen schließt sie mich in ihre Arme und das ist der Augenblick in dem die Kante unter mir wegbricht und ich haltlos ins Nichts stürze.
Obwohl ich es versuche zu unterdrücken, schluchze ich, stumme Tränen laufen über mein Gesicht und versickern in Miras gelber Trainingsjacke.
Irgendwann schiebt sie mich ein Stück von sich weg. "Willst du reden?", will sie wissen und wischt mir liebevoll eine der Tränenspuren von der Wange.
"Nachher okay? Ich weiß nicht... tut mir leid.", murmle ich und will wieder auf mein Fahrrad steigen, doch Mira hält mich zurück.
"Toffee, du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich freue mich jeden Tag an dem ich dich nicht sehe, darauf, dass du mich abholen wirst, weil du so ziemlich der wundervollste Mensch in meinem Leben bist. Ich tue alles was ich kann, damit es dir besser geht und du wieder so fröhlich bist wie vor dem Sommer. Ich weiß, dass du es echt nicht leicht hast mit dem Schulwechsel, aber ich bin für dich da. Egal was ist."
Fast werden wieder meine Augen nass und ich flüstere: "Danke."
Es ist nicht viel, aber Mira weiß, dass das Lächeln was ich ihr schenke, das aufrichtigste und glücklichste seit Wochen ist.
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