
Nadeln
TW: Drogen, Tragik
Er schlug die Augen auf. Durch die Vorhänge, kämpften sich durch die Lücken ein paar wenige Lichtstrahlen hinein ins trostlose Schlafzimmer. Er richtete sich in eine sitzende Position auf und zuckte zusammen. Er spürte ein Piksen im linken Unterarm. Genervt stellte er fest, dass er nach dem gestrigen Fixen, die Nadel nicht herausgezogen hatte. Auch der Stauschlauch lag noch um seinen Arm, aber bei Weiten nicht so fest, wie bevor er sich die Spritze gesetzt hatte. Der Schlauch musste sich im Schlaf gelockert haben. Gähnend schlug er die Decke zurück und setzte sich auf die Bettkante. Er warf einen flüchtigen Blick zu seiner Freundin hinüber, sie schlief noch. Er stand auf und schlurfte ins Bad. Müde stellte er sich unter die Dusche. Das Wasser war kalt. ,,Fuck!", er schlug mit der flachen Hand gegen die Kacheln. Er hatte anscheinend vergessen, die Heizkosten zu bezahlen.
Durch das kalte Wasser nun aber gänzlich wach, trocknete er sich ab und stellte sich dann vor den Spiegel. Er fuhr mit einem Finger über die dunklen Ringe unter seinen Augen und griff dann nach der Haarpomade. Gestylt sah man ihm den täglichen Konsum psychotroper Stoffe fast gar nicht an. Seine Wangen waren mittlerweile etwas eingefallen, ansonsten sah er einfach nur sehr müde aus. Er griff neben die Pomade zu der kleinen Schatulle mit dem Blumenmuster. Es machte klack und der Deckel sprang auf. Er nahm sich 2 Pillen heraus, Ritalin. Heute brauchte er all seine Konzentration. Er steckte sich die Pillen in den Mund und ließ sich den Mund unter dem Hahn mit Wasser volllaufen. Er kehrte zurück ins Schlafzimmer und bemühte sich gar nicht erst leise zu sein, warum auch, wenn sie schlief dann schlief sie. Mit wenig Elan schlüpfte er in seine Jeans und zog ein braunes T-Shirt darüber. Die Waffe, die in der obersten Schublade der Kommode lag, steckte er sich hinten in den Hosenbund und ging dann in die Küche. Auf dem Küchentresen lag ihr Handy. Ohne zu zögern griff er danach und entsperrte es mit ihrem Pin-Code. Zwei neue Nachrichten von Michael:
Trenn dich endlich von diesem Penner!
Komm zu mir. Ich hol dich da raus.
Der Typ schaufelt sein eigenes Grab und deins gleich mit.
Oder gib mir eure Adresse.
Ich komm vorbei und wir packen deine Sachen.
Bitte meld dich mal wieder.
>Wieder?!<, seine Augenbraue zuckte unwillkürlich. Aber er hatte jetzt keine Zeit sich darüber aufzuregen, denn schon klingelte sein eigenes Handy. Routiniert löschte er die beiden Nachrichten, sperrte ihr Handy wieder und legte es zurück auf den Küchentresen. Dann eilte er ins Wohnzimmer, in dem gerade mal eine schmale Couch und ein Fernseher Platz hatten. Er nahm sein Handy von der Fensterbank und ging gerade noch rechtzeitig ran, bevor der Anrufer auflegte. ,, Man, was ist los mit dir?! Ich ruf dich bestimmt schon zum dritten Mal an. Der Auftraggeber will nicht länger warten müssen.", sagte eine unfreundliche Stimme am anderen Ende der Leitung. ,,Sorry, hab mein Handy gestern im Wohnzimmer liegen gelassen und-", versuchte er sich zu rechtfertigen, doch er wurde schroff unterbrochen:" Interessiert mich nicht! Du machst dich jetzt auf den Weg, oder du kannst vergessen, dass ich dir noch mal Stoff vorstrecke." ,, Ja, mach ich.", antwortete er, doch der Anrufer hatte schon aufgelegt. Schnell lief er in den Flur, schmiss sich seine Lederjacke über und stürmte aus der Haustür.
Als er in die Wohnung zurückkehrte und seine Lederjacke an den Haken hing, fühlte er sich schäbig. Es war vielleicht 15 Uhr, aber in die Wohnung fiel kaum Licht, diese lag nämlich direkt hinter einem Hochhaus. Im Wohnzimmer stopfte er sich einen Bong-Kopf und ließ sich mit der Bong auf der Couch nieder. Er fühlte wie die körperliche Anspannung langsam von ihm abließ. Aber sein Kopf wollte noch nicht ganz abschalten, also stellte er die Bong erstmal zur Seite und schmiss seine Konsole an. Er zockte 4 Stunden durch, als er langsam Hunger bekam. Normalerweise hätte seine Freundin schon etwas gekocht, aber sie schien noch unterwegs zu sein. Er ging in die Küche und schmierte sich ein Brot mit Salami. Ihr Handy lag noch auf dem Tresen, anscheinend hatte sie es mal wieder zu Hause gelassen. Er spekulierte darauf, dass sie es oft mit Absicht zu Hause ließ, damit er sie nicht orten konnte. Er setzte sich mit ihrem Handy und dem Brot an den Tisch und begann damit ihre Chatverläufe durchzulesen. >Wenn du dich gerade mit diesem Wichser triffst, kannst du was erleben.<, dachte er gereizt und schleuderte das Handy über die Tischplatte ans andere Ende des Tisches.
Er beschloss sich den Schuss heute früher zu setzen. Nachdem er noch ein Brot gegessen hatte, begab er sich zurück auf die Couch und zog unter dem Sofa ein Tablett hervor. Er platzierte es neben sich und begann die Dosis vorzubereiten. Im Fernsehen lief irgendeine Dokumentation über Vulkane. Mit vor Vorfreude zitternden Fingern, setzte er die Spritze an und drückte sich das süße Gift in die Vene. Augenblicklich durchfuhr ihn ein Gefühl, das 100 Mal befriedigender war als jeder Orgasmus und er sank noch tiefer in die Sofakissen. Zeit verging und er war sich nicht sicher, wie lange er schon so dort lag und auf den Fernseher starrte. Er rief nach seiner Freundin, aber er erhielt keine Antwort. Er richtete sich langsam auf und wankte ins Schlafzimmer. Hatte sie es jetzt tatsächlich getan, hatte sie ihn verlassen? Für so einen Snob von der Volksbank?
,,Fuck, pennst du immer noch?", rief er aus, als er sah, dass sie immer noch im Bett lag. Aber er war erleichtert und musste lächeln. Vor seinem inneren Auge hatte er sich schon ausgemalt, wie sie und der Typ es ungehemmt trieben und sich dabei über ihn lustig machten. Er ging zu ihr hinüber und strich ihr sanft über das Haar. ,,Bist du krank?", fragte er zärtlich und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie sah von ihm weg, irgendwohin in die Ferne. Und das war der Moment, in dem er erkannte, dass sie ihn doch verlassen hatte. Von einer Welle an Emotion überrollt presste er ihren kalten Körper an sich und wiegte ihn sanft hin und her. Tränen liefen über seine Wangen. ,,Es tut mir so leid.", presste er hervor.
,,Wie konnte ich es nicht bemerken?", fragte er aufgelöst und heiser in die Stille, doch da war niemand, der ihm antworten könnte, außer er selbst.
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