Is that alright?
Is that alright?
Das war die Frage, die ich mir stellte, als ich von der Beerdigung meines besten Freundes wegrannte. Ich hasste mich dafür, dass ich nicht stark genug war, es durchzuhalten. Doch ich konnte einfach nicht, ich kam mir vor wie die größte Heuchlerin der Welt dort zu stehen, zuzusehen wie sein Sarg in die Erde gelassen wurde, wenn ich doch schuld an seinem Tod war.
Wir kannten uns bereits so lange, schon in der Schule kannten wir uns. Entgegen dem, was viele jetzt vielleicht denken mögen, mochte er mich nicht von Anfang an, er drangsalierte mich, beschimpfte und beleidigte mich. Und doch war ich unwiderruflich und mit meinem ganzen Herzen in ihn verliebt. Er brach mein Herz wieder und wieder und nachdem ich endlich mein Abitur abgeschlossen hatte, vor beinahe vier Jahren, war ich einfach nur froh, ihn endlich los zu sein. Doch wir sahen uns wieder. Ich hatte einen Autounfall, ich war frontal mit dem Auto gegen einen Baum gefahren. Absichtlich.
Wie man sieht, überlebte ich und kam ins Krankenhaus, wo ein junger Arzt die Assistenz meiner OP war. Und es war niemand anderes als er. Er war ein paar Jahre älter als ich und hatte gerade eben sein Studium abgeschlossen. Immer noch war er so verdammt überheblich und trotzdem kam er in der Nacht nach der Operation in mein Zimmer und setzte sich einfach nur neben mich. Natürlich hatte er die Narben an meinem Körper gesehen. Narben, die ich mir selbst zugefügt hatte. Er saß einfach nur da und beobachtete mich. Wir sahen uns nur an und sagten kein Wort. Ich war in ständiger Angst, er könnte wieder einen seiner blöden Kommentare machen, die mich damals bereits so verletzt hatten. Doch er sagte nichts. Erst sein Pieper unterbrach die Stille zwischen uns. Es kam mir vor wie Stunden. Als er ging und bereits an der Tür stand, drehte er sich um und sagte einfach und sachlich: "Gut. Man sieht sich.", damit ließ er mich komplett verwirrt zurück. Was konnte er nur damit meinen?
Er half mir, er half mir durch die Therapie und ich merkte, er hatte sich verändert. Er machte weiterhin seine Kommentare, doch irgendwie wurde ich auch das Gefühl nicht los, er meinte das alles gar nicht so, auch waren sie nicht mehr so bissig wie früher. Im Gegenteil, manchmal konnten wir sogar darüber lachen. Und nach dieser einen Nacht und dem vielen anderen was er noch tat, obwohl es komplett widersprüchlich zu seinen teilweise bissigen Kommentaren aus der Vergangenheit war, wurden wir irgendwie so etwas wie Freunde. Doch mein dummes, dummes Herz machte mir einen Strich durch die Rechnung. Natürlich verliebte ich mich wieder in ihn, entgegen allem, was mein Kopf mir riet.
Natürlich sagte ich es ihm nicht, doch es belastete mich. Immer noch ging ich zur Therapie, doch mit der Zeit merkte ich, wie ich mich von allem abkapselte, auch von ihm. Wieder begann ich, mich selbst zu verletzen, zu bestrafen für meine dämlichen Gefühle. Wie könnte jemand wie er, ein erfolgreicher, gutaussehender Arzt, denn auch so jemanden wie mich lieben? Das war einfach unmöglich. Wir sahen uns natürlich weiterhin, doch ich ließ mir nichts anmerken. Dachte ich zumindest. An einem frühen Abend, vor nun etwa zehn Tagen, kam es zum Streit, als er die Wunden sah und ich gestand ihm alles. Unter Tränen. Er sah mich nur vollkommen perplex an und stürmte dann aus der Wohnung. Ließ mich sprachlos mit dem Chaos in meinem Kopf zurück.
Und dann kam der LKW. Frontal gegen sein Auto. Als die Polizei klingelte, sagten sie, er wäre eingeschlafen am Steuer. Ich nickte nur, konnte es nicht begreifen. Konnte ich immer noch nicht. Wie denn auch? Der einzige Mann auf der Welt den ich je geliebt hatte, war tot. Und wir hatten uns gestritten. Ich konnte ihm gar nicht klarmachen, wie sehr ich ihn wirklich liebte, wie dankbar ich ihm für alles war und vor allem, wie sauer ich auf mich selbst war, dass ich ihn enttäuscht hatte.
Es war zu spät. Da er keine näheren Verwandten hatte und, was mich wunderte, ich in seinem Testament als einzige erwähnt wurde, wurden mir seine Sachen übergeben. Ich brachte es nicht über mich, mir anzusehen was in dem Müllsack war, in dem die Sachen waren, die die Polizei in seinem Auto sichergestellt hatte. Auch hatten sie einen Brief gefunden. Ich hatte ihn seitdem immer bei mir, mein Name stand darauf, doch ich konnte mich nicht überwinden, ihn zu lesen.
Irgendwann wurde meine Sicht einfach zu verschwommen, als dass ich hätte weiterlaufen können und ich ließ mich einfach an Ort und Stelle auf den Boden sinken. Vielleicht sollte ich ihn jetzt öffnen. Schlimmer konnte es gar nicht mehr werden. Die Schuldgefühle, die ich wegen seinem Tod verspürte, erdrückten mich ohnehin schon. Ohne mich hätte er die Wohnung nicht verlassen und hätte auch nicht diesen Unfall gehabt. Es war meine Schuld. Ganz allein meine Schuld.
Mit zittrigen Fingern öffnete ich das Kuvert und zog den Brief heraus.
"Liebe Ilaria. Gerade hast du mir gestanden, dass du mich liebst. Es hat mich komplett überfordert, hatte ich doch jahrelang nie damit gerechnet, dass das was ich ersehnt hatte, tatsächlich Wahrheit werden würde. Ich schreibe dir diese Zeilen, weil ich einfach nicht die Kraft habe, dir gegenüber zu stehen während ich dir das sage. Als du damals eingeliefert wurdest, mit all deinen Blessuren und Blutungen und ich die zahlreichen anderen Narben an deinem Körper sah, Himmel, ich erschrak wie nie zuvor. Ich hatte so Angst, dass die Kommentare, die ich in der Schule abgegeben hatte, alles was ich dir angetan hatte, dass das hierfür mitverantwortlich sein sollte. Und ja, das ist egoistisch von mir gewesen. Als ich dann in dieser Nacht in dein Zimmer kam, wollte ich dir so vieles sagen, doch ich konnte einfach nicht. Mein dummes, dummes Ego war mir einfach im Weg. Wir lernten uns immer besser kennen und ich merkte, dass ich anfing, Gefühle für dich zu entwickeln. Doch wie hättest du, jemanden wie mich denn auch lieben können? Ich hatte dir so vieles angetan, hatte dich drangsaliert. Deine Worte "Verdammt, ja ich liebe dich und ich wünschte es wäre nicht so, denn dann wäre mir viel Schmerz erspart geblieben.", haben mich tief getroffen. Und genau deswegen kann ich dir das nicht persönlich sagen, ich könnte nicht ertragen, wenn das eintreten würde, was ich verdient habe: Dass du mich abweist. Deswegen werde ich jetzt zum nächsten Briefkasten fahren und diesen Brief einwerfen. Zusammen mit einer Frage, die Frage findest du ebenfalls in diesem Kuvert. Ich gehe mal stark davon aus, dass du genug Hirnzellen hast um sie zu verstehen."
Bei dem letzten Satz musste ich trotz den Tränen, die mir unentwegt übers Gesicht liefen und auf den Brief tropften lächeln. Es war so klar, dass er es einfach nicht lassen konnte. Doch welche Frage sollte ich in dem Kuvert finden?
Ich nahm das Kuvert, welches auf meinem Schoß lag und spähte hinein. Oh Gott.
Da war ein Ring. Das war ein Antrag.
Oh Gott. Ein Antrag. Ich schnappte nach Luft. Er wollte mir einen Antrag machen und ich hatte ihn umgebracht. Der Ring war wunderschön. Meine Finger zitterten unglaublich, doch irgendwie schaffte ich es, ihn mir an den Finger zu stecken. Ich bekam kaum noch Luft, ich hyperventilierte. Ich hatte meinen Verlobten umgebracht. Es war als würde der LKW, der ihn tötete, plötzlich auf meiner Brust liegen. Verzweifelt versuchte ich irgendwie, Luft in meine Lungen zu bekommen, doch es funktionierte nicht. Also gab ich auf.
Am Rande meines Sichtfeldes breiteten sich bereits schwarze Flecken aus.
"Ja, ich will.", war das letzte, was ich hauchte, bevor mich die Dunkelheit einfing.
I hate this.
(Falls jemandem Parallelen zu Doctor's Diary auffallen sollten: Es ist inspiriert davon)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro