zickzack - fibromyalgie
Die weißen Lichter der U-Bahn blendeten ihn grell ins Gesicht. Seinen Koffer hielt er fest umschlossen, damit er nicht rollte, während seine Augenlider kämpften offenzubleiben. Wenige Passagiere fuhren ebenfalls zu so später Stunde noch mit der Bahn. Komische Gestalten, Betrunkene, Obdachlose. Er fühlte sich unwohl. Er wollte wieder nach Hause.
Kurz nach Mitternacht kam Basti im Hotel an. Abgeschottet, am Stadtrand. Und damit begann seine Reise. Schnell tippte er eine Nachricht zu Veni. ‚Bin jetzt angekommen', sonst würde es wieder zu Streitigkeiten kommen. Auf Grund der längeren Behandlung muss er die nächste Zeit in einer anderen Stadt wohnen. Als er die Diagnose Fibromyalgie bekam, eine schwere chronische Krankheit, dachte er sich nichts dabei. Mit der Zeit wurden die Schmerzen jedoch schlimmer und schlimmer. Die Ärzte waren überfragt, er musste zu einem Experten.
Erschöpft stellte der Schwarzhaarige seinen Koffer in eine Ecke, zog sich um und gesellte sich sofort ins Bett. Es war viel zu spät, viel zu dunkel und viel zu schmerzhaft seiner Meinung nach. Unruhig wälzte er sich hin und her, massierte seine Kopfhaut. Aber die Sorgen hörten nicht auf. Was, wenn diese Behandlung auch nicht half? Er möchte nicht mit diesen Schmerzen leben, möchte einfach ein normales Leben mit seinem Freund leben. Aber das war alles nur Wunschdenken.
Bereits am frühen Morgen wachte Basti auf, nach ganzen zwei Stunden Schlaf. Genervt seufzte er und blieb einfach liegen. So würden seine Muskeln zumindest nicht zu stark schmerzen. Er wusste, dass heute der erste Arzttermin anstand, doch so sehr er sich auch endlich eine Behandlung wünschte, wollte er einfach den ganzen Tag im Bett bleiben. Viel mehr konnte er ohnehin nicht unternehmen.
Er schaute auf die Uhr am Nachttisch und stöhnte. Es war erst halb sechs, aber er wusste, dass er nicht wieder einschlafen konnte. Mit müden Augen und schweren Gliedern erhob er sich von dem viel zu weichen Bett und schleppte sich ins Badezimmer. Er betrachtete sich im Spiegel und schüttelte unglücklich den Kopf. Seine schwarzen Haare standen in alle Richtung vom Kopf ab und der Rest sah nicht viel besser aus.
Basti seufzte nochmal und ließ seine Finger durch die widerspenstigen Haare gleiten, um sie einigermaßen zu glätten. Er dachte an Veni, seinen Verlobten, der jetzt warscheinlich noch im Bett lag. Auf Grund seiner Arbeit musste er zu Hause bleiben und konnte Basti nicht begleiten. Er drehte den Wasserhahn auf und benetzte sein Gesicht mit ein paar Tropfen. Eine kalte Dusche würde ihm jetzt gut tun.
Seine Schlafklamotten legte er unordentlich auf dem Klodeckel ab, für Sauberkeit fehlte ihm jegliche Kraft, und stellte sich unter die Dusche. Eigentlich hasste er diese in Hotelzimmern, aber das kühle Wasser entspannte seinen Körper und dämmte die Schmerzen zumindest teilweise. Einige Momente stand er still da und fühlte einfach den Effekt des Wassers, spürte die Bewegung auf seiner nackten Haut.
Basti schloss die Augen und ließ das Wasser über sich hinwegfließen. Es war fast meditativ, wie das Rauschen seinen Kopf füllte und alles andere ausblendete. Nur das Prasseln war zu hören - und sein eigener Atem, welcher immer unregelmäßiger wurde, je mehr er sich zu entspannen versuchte. Träge griff er nach einer der vielen Duschgele und fing an, sich einzuseifen.
Keine Stunde später befand er sich erneut in der Straßenbahn. Umgeben von wildfremden Leuten knetete er unwohl mit seinen Händen. Es fühlte sich an, als würden sich die Schmerzen verstärken, allein durch seine Angst davor. Gefühlt alle 100 Meter hielt die Bahn, bis sie endlich an der richtigen Haltestelle ankam. Basti stieg aus und lief den restlichen Weg zur Praxis.
„Also Herr Richter, Sie haben Muskel-Faser-Schmerzen...", begann der Facharzt seinen Satz. „Die häufigste Ursache dafür ist ein körperliches Trauma. Haben Sie soetwas in kürzlicher Vergangenheit erfahren?" Das Kneten wurde immer kraftvoller und sein Bein fing an zu wippen. Er wollte sich nicht daran erinnern. „Ja, ehm" Er räusperte sich kurz. „Ich hatte vor einem Monat einen Autounfall. Und danach hat es angefangen. Anfangs noch ganz leicht, aber es wurde immer schlimmer" „Mmh, das ist typisch für diese Krankheit" Der Arzt schrieb einige Notizen auf.
„Wie lange dauert denn der Heilungsprozess?", fragte der Schwarzhaarige, ohne Augenkontakt herzustellen. Sein Gegenüber lächelte mitleidig. „Da muss ich Sie enttäuschen. Fybromyalgie schwindet nur selten, es gibt keine Heilung dafür" Sein Herz setzte einen Schlag aus. Musste er jetzt so weiter leben? War das überhaupt Leben? „Es gibt lediglich Möglichkeiten, die Schmerzen einzugrenzen. Rotlichttherapie, Physio, Ausdauertraining und zeitweise Medikamente. In den USA wäre sogar eine Injektionstherapie mit einer PRP-Spritze möglich, welche in Deutschland leider nicht erlaubt ist. An welchen Bereichen haben Sie denn am meisten Schmerzen?"
Sein Gehirn musste die ganzen Informationen erstmal verarbeiten. Bei diesem Sprechtempo kam sein Kopf nicht mit. „Hauptsächlich Beine und am Rücken" „Haben Sie Probleme mit dem Stehen?" „Ja, am besten ist liegen, aber sitzen ist zumindest besser als stehen" Der Arzt nickte verständlich. „Man kann halt leider nicht den ganzen Tag liegen, was?" Eine unangenehme Stille herrschte in dem Praxiszimmer.
„Wissen Sie, was überhaupt hinter Fybromyalgie steckt?" Peinlich schüttelte er den Kopf. „Sie besitzen zu wenig GABA, eine y-Aminobuttersäure, die hauptsächlich hemmend auf die Nervenzellen wirkt und die Erregbarkeit reduziert. Ein Mangel davon zeigt sich in Form von Stress, Nervosität, Unruhe, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie Schlaf- und Angststörungen. Manchmal auch erhöhter Blutdruck und Puls und Heißhunger auf Süßes. Erfahren Sie einige dieser Symptome?"
„Alles, außer Heißhunger" Ihm fiel es extrem schwer seine Probleme zuzugeben. Selbst wenn es ein Arzt war. Er wollte sich nicht eingestehen, wollte es nicht zugeben, wie krank er wirklich ist. „Das ist bereits viel, glauben Sie mir. Wir bekommen Patienten mit weniger bis gar keiner Symptomatik" Der Anblick, wie der Arzt so unbekümmert war, verursachte in Basti eine gewisse Wut. Wie konnte der Mann so unbedarft sein? „Diese Unterversorgung führt zu einer erhöhten Entzündungsbereitschaft ihres Körpers. Somit werden Ihre Nervenzellen und Muskelzellen stärker gereizt und die Schmerzen werden intensiver..."
Während der Arzt weiter sprach, spürte Basti eine Mischung aus Panik und Verzweiflung in sich aufsteigen. Das alles war einfach zu viel. Er wollte das nicht hören. Er möchte den Mann einfach zum Schweigen bringen, ihm einen Schlag versetzen - irgendwas. Alles - hauptsache dieses Geschwafel hörte endlich auf. „Sagen Sie, Herr Richter, wohnen Sie alleine?" „Ehm, nein" Der Arzt schaute ihn wartend an, aber Basti war sich unsicher, was er sagen soll. Die letzten Male, als er von seinem Verlobten erzählte, wurde ihm der Tod gewünscht. „Besitzen Sie einen Fahrstuhl?" Verwirrt musterte er seinen Gegenüber. „Nein" „Wohnen Sie im Erdgeschoss?" „Nein, im vierten"
Nachdenkend kratzte der Mann mit dem Kugelschreiber an seinem Kinn. „Wären Sie bereit umzuziehen?" „Äh, weiß nicht. Hatten wir eigentlich nicht vor. Wir sind zufrieden mit unserer Wohnung. Warum sollten wir?" „Nun, ich würde es für eine sinnvolle Lösung halten, Ihnen einen Rollstuhl zu besorgen. Natürlich ist mir bewusst, dass Sie durchaus laufen können. Aber wenn Sie mal einen besonders schlimmen Tag haben, oder eine lange Strecke laufen müssen, würde ein Rollstuhl sehr helfen" Tatsächlich hatte er darüber noch gar nicht nachgedacht. Beim Gedanken daran sich nicht eigenständig fortbewegen zu können wurde ihm schlecht.
„Das müsste ich mit meinem Mitbewohner besprechen" „Ja natürlich, bis der Antrag genehmigt wird, dauert es sowieso einige Zeit" Bastis Herz sank bei dem Gedanken, Veni überhaupt nach einem Umzug zu fragen. Sie wohnten erst seit kurzem in der Wohnung und es war seine größte Angst, dass es deswegen zu weiteren Diskussionen kommen könnte. Er wollte nur noch aus diesem Zimmer raus. Er wollte aus dem Gebäude flüchten und verschwinden.
„Nun, ich würde Ihnen zunächst ein paar Medikamente geben. Amitriptylin, eigentlich ein Antidepressivum, was aber teilweise auch durch die beruhigende Wirkung bei Schlafstörungen helfen kann. Gegen die Angststörung gebe ich Ihnen Duloxetin, und erinnern Sie sich noch an Ihren GABA-Mangel? Um die neuronale Erregbarkeit im zentralen Nervensystem zu senken, verschreibe ich Ihnen noch Pregabalin. Durch die unterschiedlichen möglichen Nebenwirkungen ist es gut, dass Sie vorübergehend hergezogen sind. Sollte etwas passieren, können Sie jederzeit vorbeikommen, oder Sie rufen an und ich fahre zu Ihnen. Zur Physio sollten Sie zunächst zwei mal die Woche" Er lächelte ihn aufmunternd an. Anscheinend besaß er deutlich mehr Vertrauen in die Medizin als Basti.
Ein rosa Zettel wurde ihm in die Hand gedrückt. Super, musste er auch noch bei der Apotheke vorbei. Sein Körper schrie ihn förmlich an sich wieder hinzulegen. Basti nahm den Zettel entgegen und nickte zum Dank, ob dies jedoch wahr oder gespielt war, wusste er selbst nicht so genau. Er verabschiedete sich schroff vom Arzt und verließ die Praxis. Kaum war er ein paar Schritte gelaufen, spürte er, wie seine Beine immer schwächer wurde. Am liebsten hätte er sich sofort auf den Boden gelegt. Aber er kämpfte dagegen an, unterdrückte die Tränen und schaffte es zum Glück, ohne Zusammenbrüche die Straßenbahn Station zu erreichen.
Zu dieser Zeit herrschte viel Verkehr in der Großstadt. Die Leute fuhren allmählich zur Arbeit, nur Basti fuhr zu Apotheke. Ohne jegliche Lust auf sozialen Kontakt betrat er das Gebäude, und verließ es mit noch weniger. Die drei Medikamente lagen lose in seiner Jackentasche, da er sonst nichts dabei hatte.
Im Hotel angekommen bemerkte er erst, dass er seit mehreren Stunden nicht mehr auf sein Handy schaute. Fast perfekt rief Veni zu diesem Zeitpunkt an. „Endlich, ich dachte es wäre was passiert", begrüßte ihn der gebürtige Österreicher. „Tut mir leid, war beim Arzt" „Und, was meinte er?" Basti machte den Mund auf, um zu fragen, ob er bereit wäre umzuziehen, aber kein Ton kam heraus. Warum? Bestimmt würde Veni es verstehen, warum hatte er solch Angst vor der Reaktion. Egal, wie sehr er es vermag, er schaffte es nicht die Frage zu stellen. „Naja, hab jetzt Medikamente, die soll ich jeden Morgen und eins davon Abends nehmen" „Na das ist doch schonmal was. Wie hast du heute Nacht geschlafen?", fragte er vorsichtig, auch wenn er die Antwort bereits kannte. „Ach das übliche, ungefähr zwei Stunden"
Am anderen Ende der Leitung ertönte ein Seufzen. „Jetzt bin ich nichtmal da, um dich zu umarmen", gab er kleinlaut zu. „Ja, ist okay. Ich versteh das doch" „Ich wäre wirklich gerne bei dir" „Ich weiß" Insgeheim fühlte es dich dennoch komischerweise ein wenig gut an, alleine zu sein. Mal nicht stark sein zu müssen, nicht seine Energie mit reden verbrauchen, oder ständig irgendwelche Geräusche in der Wohnung zu hören. Ausnahmsweise war es still. Und das fand der Schwarzhaarige perfekt. Dann fühlte er sich wieder schlecht, weil er es so perfekt fand.
Basti ließ sich erschöpft aufs Bett fallen, um seine Beine zu entlasten. Die Anspannung fiel allmählich von ihm ab, während er seine Augen schloss und sich in die weichen Kissen einkuschelte. Veni versuchte die unangenehme Stille irgendwie zu füllen und erzählte von seinen morgendlichen Erlebnissen, doch Basti hörte kaum zu. Er war viel zu ausgepowert.
Veni plapperte munter weiter und schien die unausgeschlafene Gleichgültigkeit seines Partners nicht wahrzunehmen. Es dauerte eine Weile, bis dieser bemerkte, dass etwas nicht so ganz stimmte. „Alles in Ordnung?" Erneut ertönte ein Seufzen und Veni konnte das Schuldbewusstsein in seiner Stimme hören, als er antwortete.
„Ich... ja... nein... weiß ich auch nicht", murmelte Basti undeutlich, denn er fühlte sich, als würde er gleich einschlafen. Veni schwieg für eine kurze Weile, da er ebenfalls bemerkte, dass Basti offensichtlich keine Kraft zum Reden hatte. Dennoch nagte an ihm die Sorge um seinen Zustand. Erstaunlich, was so ein Unfall alles verändern konnte. Eine Pause entstand, in der keiner von beiden wusste, was er noch sagen sollte.
Auch wenn er immer müder wurde, konnte Basti einfach nicht einschlafen. Er hasste es. Er hasste sich. Veni saß anscheinend gerade an seiner Arbeitsstelle, denn er beschwerte sich lauthals über seine Mitarbeiter und Kunden, was dem anderen ein leichtes Schmunzeln ins Gesicht zauberte. Er versuchte ihn schon oft zu überreden einfach zu kündigen, aber sie brauchten das Geld. Vor allem, da Basti nun arbeitsunfähig war. Aber daran wollte er nicht denken.
„Es tut mir leid", hauchte Basti irgendwann zittrig. „Ich wollte nie, dass du dir Sorgen machst. Ich möchte doch einfach ein glückliches Leben mit dir verbringen" „Hey, das ist doch okay. Du kannst nichts für den Unfall" „Hätte ich vielleicht ein bisschen schneller reagiert-" „Nein, es ist nicht deine Schuld. Der andere Fahrer trägt allein die Schuld. Bitte rede dir keinen Schwachsinn ein" Basti versuchte seinen Worten zu glauben, aber er fand immer wieder neue Wege, die ihn selber zum Schuldigen machten. Wäre er fünf Minuten früher oder später losgefahren, hätte er eine andere Abzweigung genommen, oder hätte er vielleicht ein anderes Auto nicht überholt, würde er jetzt seelenfroh in ihrer Wohnung liegen und die Hochzeit vorbereiten. Es hätte vielleicht jemand anderen getroffen. Warum er?
„Was machst du noch den restlichen Tag?", fragte er dann um sich abzulenken. „Habe in zwei Stunden Mittagspause, und nach der Arbeit geh ich vielleicht mal wieder in den Park. Muss mal mehr rausgehen, du weißt" „Ja, das sag ich dir oft genug. Muss ich etwa erst abhauen, bevor du auf mich hörst?" Der Blondierte seufzte gespielt genervt. Aber sein Herz ging auf, da Basti noch genügen Energie hatte um zumindest ab und zu Witze zu reißen. Am liebsten jedoch würde er ihn dabei anschauen. Sein reizendes Gesicht, die kleinen Grübchen, die sich bei seinem Lächeln bilden. Die zusammengekniffenen Augen und die rosa Bäckchen. Es war erst der erste Tag, und schon vermisste er ihn unheimlich.
„Soll ich auflegen? Willst du schlafen?", fragte er den Jüngeren. „Mh, ja, aber ich kann nicht" „Versuch's doch. Ich muss eh aufhören, sonst schimpft mein Chef wieder" Ein leises Kichern war zu vernehmen, bevor er hauchte: „Okay. Bis später" Und damit auflegte. Kaum war der Anruf beendet, fiel sein Handy aus seiner Hand auf die Matratze. Basti seufzte einmal kurz in das Kissen hinein, bevor er die Decke über sich zog und versuchte etwas Schlaf nachzuholen.
Überrascht wachte er drei Stunde später auf. Das er es wirklich schaffte, hätte er nicht gedacht. Verschlafen blickte er sich in dem Hotelzimmer um. Sein Kopf brummte und in den Ohren lag ein Klingeln. Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass er bereits unzählige neue Nachrichten von Veni bekommen hatte. Er würde später darauf antworten. Gerade besaß er dafür keine Nerven. So sehr er ihn auch liebte, die ständigen Nachrichten nervten ihn etwas. Aber er wusste nichtmal warum. Er möchte doch einfach seine Ruhe.
Er fühlte sich weder ausgeschlafen noch erholt. Das war mittlerweile jedoch der normale Alltag. Was sollte er denn mit der ganzen Zeit anfangen? Durch die Stadt laufen wollten seine Beine nicht. Mit den ganzen Tag fernsehen war sein dröhnender Kopf nicht einverstanden. Im Bett liegen ließ sein Verstand nicht zu. Er fühlte sich so schwach. Schwach, weil er nichts hinbekam. Zumindest etwas, eine kleine Routine. Ein kleines Ereignis, um den Tag auszufüllen. Bis auf Physiotherapie blieb der Kalender allerdings leer.
Kraftvoll presste er die Hände über die Ohren, in der Hoffnung, das nervtötende Klingeln würde endlich nachlassen - vergebens. Es wurde immer lauter und lauter, drang in seinen Kopf und ließ ihn keine Ruhe. Verzweifelt krallte er seine Hände in die Bettdecke. Warum hörte das nicht auf? Warum konnte er nicht in Ruhe gelassen werden? In seinen Ohren ertönte ein hohes Pfeifen, das alles überdeckte. Er atmete tief durch und versuchte mitzuzählen, um sich irgendwie einzureden, dass er nicht verrückt wurde.
Wie viele Male musste er sich zusammenreißen bis endlich Schluss war? Basti öffnete langsam die Augen und ließ die Hände sinken. Noch immer klingelten seine Ohren, doch das hohe Pfeifen wurde allmählich leiser.
Er seufzte und streckte seine verkrampften Glieder. Sein Puls raste und er spürte, wie ihm kalter Schweiß am Körper runterlief. Was war dieses verdammte Geräusch?
Langsam stand er vom Bett auf und schaltete das Zimmerlicht an.
Ruckartig öffnete er das Fenster und atmete die frische Luft ein. Sie half dabei den Verstand zu klären. Mit tiefen Atemzügen gelang die Luft in den Kreislauf des Körpers. Einige Momente stand er einfach vor dem geöffneten Fenster, während seine Hände ihn an der Fensterbank stützten. Sein regelmäßiger Atem kam nach und nach wieder, das klirre Geräusch verstummte allmählich. Den Grund verstand er jedoch trotzdem nicht. Warum kam das so plötzlich?
Mit Mühe schleppte er sich ins Badezimmer, um sich mit etwas Wasser zu klarem Verstand zu bringen. Durch seinen benebelten Zustand stolperte er allerdings gegen die Badewanne, knickte um und fiel auf den Boden, wobei sein Rücken hart gegen die Wand krachte. Ein leises Knacken hallte in seinen Ohren, das Gesicht verzog er schmerzverzerrt. Und das erste, woran er dachte, war Veni.
Zum Glück hatte er davor sein Handy in seine Hosentasche gesteckt. Sofort wählte er die besagte Nummer. Immer noch spürte er den pochenden Schmerz in seinem Kreuz. „Ist alles okay? Brauchst du was?", fragte dieser direkt mit Besorgnis. Schließlich wurden seine ganzen Nachrichten von davor einfach ignoriert. „Ja...ja, ich wollte nur kurz mit jemanden reden" Seine Stimme war dumpf. „Okay. Über was denn?" „Erzähl mir einfach was. Irgendwas. Bitte"
Das war sein Stichwort um wie ein Wasserfall zu reden. Veni liebte es zu reden. Vor allem mit seinem Freund. Basti hörte nur halbherzig zu. Er saß weiterhin auf dem kalten Badezimmerfußboden, die Beine waren ihm viel zu weich um aufzustehen. Seine Wirbelsäule tat fortgehend höllisch weh. Aber die Worte des Anderen beruhigten seinen Herzschlag. Er versuchte auf Venis Atmung zu hören und sich ihr anzupassen. Er war so unendlich dankbar, dass er keine Fragen stellte, sondern einfach seiner Bitte nachgeht.
Venis Stimme war alles, was Basti noch benötigte. Er saß stumm auf dem Boden und lauschte jedem, noch so kleinsten Geräusch am anderen Ende. Er war so unfassbar dankbar für das, was der Ältere tat. In seinem Herzen machte sich eine unglaubliche Wärme breit, dass sich sein Schmerz langsam in den Hintergrund schob. Vorsichtig versuchte er sich zu bewegen, wobei sich sofort ein stechender Schmerz im unteren Rückenbreich ausbreitete. Schmerzvoll zischte er auf, was den Redefluss des Österreichers unterbrach. „Hey, alles gut?" Er könnte sich selbst schlagen.
„Ja, klar. Sorry. Erzähl weiter" „Nein, ich merk doch, dass was los ist. Bitte. Du kannst mit mir über alles reden" „Es ist nichts schlimmes. Bin nur gestolpert und jetzt tut mein Rücken ein bisschen weh. Das wird in ein paar Minuten wieder" Seine Worte schienen ihn nicht zu überzeugen. „Da ist noch was. Ich merke das" „Ich kann gerade nicht aufstehen. Aber keine Sorge, das dauert einfach noch" Veni blieb die Sprache weg. Wie konnte er so naiv sein? „Ich rufe deinen Arzt" Bevor Basti antworten konnte hatte sein Freund schon den Anruf beendet.
Seufzend lehnte er den Kopf gegen die Wand. Inzwischen konnte er sich zumindest einigermaßen wieder bewegen, alles fühlte sich noch träge an. Als hätte er brutalen Muskelkater im Rücken. Zur Sicherheit blieb er weiterhin sitzen, bis eine gefühlte Ewigkeit später die Wohnungstür geöffnet wurde. Der Arzt besaß bereits einen Ersatzschlüssel für Notfälle. Er untersuchte den Rücken präzise. „Tut das weh?" Er fuhr mit einem Finger ganz leicht die Wirbelsäule ab. Sofort zischte Basti auf. Sein T-shirt musste er davor ausziehen und saß nun oberkörperfrei auf den kalten Fließen. „Ich sehe bereits eine leichte Verfärbung entlang Ihrer Wirbelsäule. Das gibt noch ein paar schöne Blutergüsse. Sieht mir nach einer Prellung aus"
Angestrengt atmete der Schwarzhaarige aus. Als hätte er nicht genügend andere Probleme. „Erzählen Sie nochmal, wie das passiert ist" Also erklärte er ihm, wie er mit seinem Schienbein an den Badewannenrand gestolpert ist und somit das Gleichgewicht verloren hat. Vorsichtig verteilte der Doktor eine Creme entlang der Prellung. Basti krallte die Nägel in die Haut, um keine schmerzvollen Laute auszustoßen. Mit zusammengekniffenen Augen wartete er einfach die Prozedur ab. „Es wäre gut, wenn Sie die nächsten Tage die Stellen noch weiter eincremen, aber Sie kommen dort nicht selber ran. Wären Sie damit einverstanden, wenn ich nun täglich vorbeikomme, um die Salbe aufzutragen?"
Eigentlich wollte er nein sagen. Alles in ihm sträubte sich gegen Besuch. Doch er wollte nicht einen noch kaputteren Rücken haben als davor. Also bejahte er die Anfrage zögerlich. „Gut, meine Praxis schließt um 17 Uhr, dann würde ich einfach danach kommen", meinte er. Schnell verabschiedete er sich wieder, um zurück an die Arbeit zu gehen.
Als der Arzt endlich fort war seufzte Basti laut auf. Natürlich konnte nichts einfach laufen, wenn es um ihn ging. Das Glück hatte ihn lange Zeit verlassen. Er konnte es regelrecht spüren.
Sein Magen knurrte plötzlich und erinnerte ihn daran, dass er noch nichts gegessen hatte, seitdem er nun hier war. Doch irgendwie war ihm der Appetit vergangen. Er blieb noch einen Moment auf dem Boden sitzen, um seinen Rücken zu schonen. Dann stand er langsam auf, hielt sich sicherheitshalber am Waschbecken fest und blickte erneut in sein Spiegelbild. Allein die dunklen Augenringe sprachen Bände von der zu kurzen Nacht.
Mit einem Taschentuch wischte er sich den kalten Schweiß von der Stirn. Mit seinem Handy recherchierte er im Internet, was man gegen GABA-Mangel unternehmen kann. Und eine Sache stich ihm besonders ins Auge. Alkohol. Eigentlich war er kein Trinker, aber er wollte einfach diese blöden Schmerzen loshaben. Wollte einfach wieder leben wie davor. Zwar gab es bei der Droge nur eine 50% Chance auf Besserung - 50% auf Verschlechterung - aber das war ihm genug. Alles würde er tun, um kein komplettes Wrack zu sein.
Plötzlich fuhr sein Körper hoch und das Herz pochte schneller. Eine unbeschreibliche Gier nach Heilung erfüllte ihm. Direkt neben seinem Hotel gab es einen Supermarkt. Er müsste nur das Haus verlassen. Fünf Minuten, mehr wären es nicht. Und dieser Gedanken gewann schlussendlich.
Mit hinkenden Beinen, da diese mittlerweile eingeschlafen waren, schleppte er sich zum Treppenhaus, wo er lieber den Fahrstuhl benutzte. Er spürte, dass die Salbe wirkte, denn die Schmerzen flachten ab. Bei der Getränkeabteilung angekommen durchschaute er das Sortiment. Nicht allzuviel Geld hatte er mitgenommen, vielleicht war etwas im Angebot. Sein Blick fiel auf eine Flasche Wodka mit Himbeergeschmack. Das würde wohl genügen.
Zurück im Hotelzimmer schnappte er sich ein kleines Glas und schüttete die durchsichtige Flüssigkeit dorthinein. Zuerst rang er noch mit sich selbst. Was würde Veni dazu sagen? Bei dem Gedanken wurde ihm übel. Aber dann dachte er daran, wie viel besser es ihm ohne den GABA-Mangel gehen wird. Wie viele Freiheiten er hätte. Wie viel er erleben könnte. Ohne diese Schmerzen.
Mit einem Schlag schluckte er den warmen Alkohol hinunter. Das Brennen breitete sich im Hals aus. Den Himbeergeschmack bekam er nicht wirklich mit. Es schmeckte einfach nach nichts. Nach brennendem Nichts. Zur Sicherheit schüttete er gleich noch ein zweites Glas hinterher. Wie viel brauchte er denn?
Nach einer guten Viertelstunde spürte er bereits die ersten Zeichen der Wirkung. Die Gier und der Durst nach dem Alkohol verschwanden langsam, ersetzt durch einen dumpfen Nebel. Doch in dem Moment fühlte er sich ruhig und entspannt, keine quälenden Gedanken kreisten wieder durch seinen Kopf.
Leichter Schwindel breitete sich in seinem Kopf aus. Als würde ein Schleier seinen Geist verbingen. Der Alkohol floss durch seinen Körper, durch seine Venen. Basti schloss die Augen und sank auf dem Bett nieder. Das einzige Geräusch was er wahrnahm war nun das Rauschen des Blutes in seinen Ohren.
Basti spürte plötzlich eine tiefe Müdigkeit. Sie kroch wie eine Schlange durch die Adern seines Körpers, umhüllte seine Glieder und bewegte sich auf seinen Verstand zu. Alles an ihm drückte in einen tiefen Schlaf, den es jedoch nicht gab. So sehr er es auch versuchen mochte, in den Schlummer wollte er nicht gleiten.
In seiner Hosentasche vibrierte sein Handy. Veni rief an, er wusste es, ohne den Bildschirm angeschalten zu haben. Doch er besaß keine Kraft mehr um zu antworten. Und das war gut so. Sein Freund durfte ihn nicht so erleben. Er wäre enttäuscht. Beschämt. Basti war doch derjenige, der jedem immer eine Moralpredigt hielt, dass man nicht trinken sollte. Er war selbst angewidert und enttäuscht von sich.
Er biss sich auf die Unterlippe, um die Schuldgefühle zu zerstechen. Aber er wollte doch einfach nur Schmerzenfreiheit und Freiheit. Ohne das alles - die Schmerzen und die Scham. Die Erinnerung an das Unfallgeschehen spukte durch seinen Kopf. Wie ein Echo hallte sie durch sein Innerstes und ließ keine Ruhe. Er war es leid. Mit dem Alkohol jedoch verblasste diese Erinnerung immer mehr und mehr. Alles drehte sich nurnoch. Sein Kopf war endlich ruhig. So schön ruhig. Und er verspürte nichts als Freude, nach so langer Zeit.
yoyoyo mal wieder back von den toten wa 🤗 irgendwann wirds part 2 geben, die frage ist nur wann
versuche wirklich wieder mehr hochzuladen (zum dritten mal wupsi)
wörter von little_butterfly2005 :
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro