Reddie🎈
Everything I need is you
"Eddie, geht es dir gut?"
Eddie sah auf, Tränen verschleierten seine Sicht und der Apfelkuchen auf seinem Teller ist nicht einmal mehr warm.
Der kleine Junge sah auf, seine Augen fanden die seiner Tante sofort.
Er nickte und wischte sich die heißen Spuren von den Wangen, denn Jungen weinen nicht.
. . .
"Hey, Eds! Na, wie war dein erster Tag?"
Eddie wurde von einem anderen Jungen geärgert und seine Mutter zu sehen, ließ die Traurigkeit endgültig aus ihm herausbrechen.
Stan hieß der Junge.
Eddie war frustiert, er hatte sich so einen schönen ersten Schultag ausgemalt.
Mit freundlichen Lehrerinnen, aufgeregten Kindern und ein oder zwei neuen Freunden.
Aber daraus wurde nichts.
"Eddie", die Stimme seiner Mutter war ernst.
Er sah auf und erneut rollte eine Welle Schluchzer über ihn.
"Es tut mir leid, Mami. Bitte sei nicht böse. Er hat mir weh getan."
Eddies Mutter nahm ihn an die Hand un gemeinsam liefen sie von der Schule weg.
"Hör auf zu weinen, Edward. Kleine Jungen kebbeln sich eben manchmal. Kein Grund, sich gleich wie ein Mädchen zu verhalten. Als nächstes willst du noch, dass ich dir Babies kaufe. Wie Bev nebenan sie hat. Das wäre ja noch schöner."
Eddie hätte gerne eine Puppe gehabt. Aber seine Mutter hatte recht, denn Jungen weinen nicht.
. . .
Eddie war müde.
Er war häufig müde in letzter Zeit.
Müde und traurig.
Er kannte jede Ecke seines Hauses, jeden Winkel und jede lockere Diele auf dem Boden.
Kannte die Weise, auf die seine Mutter in dem abgefetzten, alten Sessel saß und auf den Fehrnseher starrte.
Er hatte schön jede Oberfläche gewischt, oder sauber gemacht, in jedem Kochtopf gekocht und ist in jedem Stuhl im Haus eingeschlafen.
Denn, das Ding ist, Eddies Mutter kann es nicht.
Oder: schafft es nicht; wie sie immer sagt.
Sie ist zu schwerfällig, zu langsam, um sich zu bewegen und Eddie hatte sie angebettelt, sich Hilfe zu suchen, aber sie tat es nicht.
Und langsam war es Eddie egal.
So grausam es auch klingen mag, es war ihm egal, ob seine Mutter Probleme bekam. Mit dem Hezen, Blut, was auch immer.
Denn er war müde und er musste sich um sich, seine Mutter und die Schule kümmern.
Aber Eddie hatte auch Angst.
Denn das Geld auf den Konten von ihm und seiner Mutter wurde knapp und Eddie wusste nicht, wie es weitergehen sollte, wenn sie komplett pleite waren.
Sonia Kaspbrack war nicht immer so unverantwortlich.
Früher würde sie Eddie zur Schule und zum Tennistraining fahren, ihn fragen, wie sein Tag war, oder ihm erlauben, mit Freunden nach draußen zu gehen.
Doch die Jahren waren für Eddie schlimmer als die, in der seine Mutter ihn ignorierte.
Er strich abwesend über die kleinen Hebungen auf der Innenseiten seines Oberschenkels, als er an all das dachte, was sie verursachten.
An die Nächte, die er weinend verbracht hatte, in der Dunkelheit seines Zimmers, denn er durfte es nicht, wenn die Lichter um sie herum brannten.
Er wusste nicht, ob seine Mutter recht hatte, wenn sie sagte, dass er nicht weinen durfte.
Denn nur Mädchen weinen, Eddie. Merk dir das.
Oder die Stunden, die Eddie alleine an einem Tisch in der Ecke gesessen und sein Brot gegessen hatte, weil keiner seiner Klassenkameraden sich zu ihm setzten wollte.
Warum? Ganz einfach (oder unendlich kompliziert): Eddie war schwul.
Und er hätte nie gedacht, dass die ganzen Klischees von den gemobbten, einsamen, homosexuellen Jungen stimmten. Doch, ja, sie stimmten.
Eddie war der lebende Beweise. (Leider - würde er jetzt sagen. Er hatte nichts. Geistig, wurde seine Mutter schon vor Jahren von ihm verlassen.)
Er war einsam. Um es einfach auszudrücken.
___
Als Eddie am Samstagmorgen aufwachte, ließ er seinen Kopf sofort wieder in die Kissen sinken.
Yaiy. Samstag. Wenigstens keine Schule.
Sein Gesicht wurde von der Sonne gewärmt.
Hätte man ihn fotografiert, würde das Bild am besten in eine Kunstaustellung passen.
Poetisch war es schon alleine, wie seine Haare wie Honig in seine Stirn flossen, oder wie seine Wangenknochen glitzerten, als er sich etwas zur Seite drehte.
Er sieht aus wie ein Elf. Ich muss ihm mal Flügel geben, dachte Richie.
Er beobachtete den dösenden Jungen im Haus gegenüber noch einige Augenblicke, bis er bemerkte, dass es vielleicht etwas creepy rüberkam.
Unten hörte er seine Eltern umzugskisten in verschiedene Räume tragen. Schon jetzt war er froh über die Auswahl seines Zimmers.
Er drehte sich vom Fenster weg und half seinen Eltern.
Den Jungen von gegenüber vergaß er vorerst.
Seitdem seine Eltern ihm erzählt hatten, dass sie umziehen würden (was vor zwei Wochen war. Sie haben Monate damit gewartet, ihm von dem Hauskauf zu erzählen), war das Verhältnis zwischen ihm und ihnen nicht mehr das beste.
Richie fühlte sich hinzergangen - und hatte, seiner Ansicht nach, auch alles Recht dazu - und seine Eltern warfen ihm vor, sich wie ein kleines Kind zu verhalten.
"Mum, das könnt ihr nicht machen! Ich bin alt genug. Ich habe das Recht, von soetwas zu erfahren!"
Richies Mutter sah auf ihren wütenden Sohn herab. Mitleid spiegelte sich in ihrem Ausdruck wieder.
Es war ganz gewiss nicht echt.
"Dein Vater und ich wollten dich nicht stressen. Was machst du überhaupt für ein Theater? Du hast sowieso keine Freunde hier gefunden. Sieh es als Neuanfang!"
Sie hatte gelächelt, doch das war der Moment, in dem Richie weinend auf sein Zimmer gerannt ist.
Die Wahrheit ist, Richie hatte Freunde. Einen, um genau zu sein. Doch das konnte er seiner Mutter nicht sagen, denn er liebte seinen Freund und sein Freund liebte ihn und sie waren mehr als Freunde.
Er schrieb Nick, dass er mit ihm sprechen musste und kam zwei Tage nicht nach Hause.
Seinen Eltern war es anscheinend egal.
Sie fragten nicht einmal, wo er gewesen ist oder warum er nicht angerufen hat.
Und Richie konnte sich damit abfinden.
Nicht aber mit der Tatsache, dass er Nick verlassen musste. Vielleicht für immer.
Übertrieb er? Höchstwarscheinlich. Aber seine Eltern hatten ihm immer noch nicht gesagt, wohin sie überhaupt ziehen würden.
Der Abscheid war schmerzhafter als alles, was Richie je erlebt hatte.
Und es tat immer noch so, so sehr weh, Nicks Gesicht zu sehen oder sich seine Sprachnachrichten anzuhören, die er behalten hatte.
Natürlich war es mit Nick jetzt aus.
Sie waren sich einig, dass es nicht funktionieren würde, aber das hieß nicht, dass sie sich nicht mehr liebten.
Er trug seine Kisten auf sein Zimmer und begann, die leeren Regale und seinen Kleiderschrank einzuräumen.
Nach einigen Stunden waren die Regale voll mit DVD's, Platten und Büchern und die Wände zugekleistert mit Postern von Bands und Filmplakaten.
Er schmiss sich auf sein Bett und ließ den Blick über seine Arbeit gleiten. Schließlich blieb er an dem Pink Floyd - Plakat neben dem Fenster hängen.
Es war Basic, das Cover von The Dark Side Of The Moon, und viele würden es für langweilig halten, doch es war nicht das Poster, dass Richies Aufmerksamkeit aufsich zog.
Es war der Elf von vorhin.
Der Junge mit den Honig-Locken, wie Richie ihn genannt hatte.
Und er schien unglücklich zu sein.
Das Gesicht auf die Arme gelehnt, Knie an die Braust gezogen; so saß er da, auf dem kleinen Dach vor seinem Fenster über der Haustür.
So gerne würde Richie zu ihm gehen, ihn halten und ihm sagen, dass, was immer ihn belastete, bald vorbeigehen würde.
Doch eine Eule schrie irgendwo und der Junge zuckte vor Schreck zusammen, als erwartete er eine Bedrohung.
Also zog Richie seufzend die Vorhänge zu und verpasste das neugierige Aufschauen des anderen Jungen.
___
Eddie zwang sich am nächsten Tag nicht in die Schule.
Seine Mutter würde es eh nicht bemerken - sie schlief warscheinlich noch um ein Uhr Nachmittags noch.
Und er Junge war zu erschöpft, um sich seinen Schulkameraden zu stellen.
Also blieb er einfach liegen und genoss seine seltenen Stunden Ruhe.
Vögel zwitscherten zart vor seinem angelehnten Fenster und irgendwo mähte ein Nachbar seinen Rasen.
Die Luft, die in sein Zimmer strömte, schmeckte nach Sommer, Eis und Ausflüge an die Seen in der Umgebung, doch Eddie blieb liegen, denn er hatte niemanden, mit dem er Ausflüge unternehmen konnte.
Er hob seinen Kopf und sah einen Jungen in dem Fenster gegenüber.
Mit einem leichten Schrecken duckte er sich wieder, denn gewöhnt war er die alte Frau, die dort lebte, mit Blumentöpfen auf der Febsterbank und Spitzenvorhängen.
Doch jetzt war dort ein Junge mit lockigem Haar und dicken Brillengläsern um die Augen.
Der mysteriöse Junge war gerade dabei, sich sein T-Shirt über den Kopf zu ziehen und Eddie erwachte noch ein bisschen mehr.
Er hatte milchige Haut, die sich leicht über seinen Oberkörper spannte, seine Finger waren lang und Eddies Gedanken blieben noch etwas länger an ihnen hängen als beabsichtigt.
Seine schwarzen Locken wippten leicht auf seinem Kopf, das Gesicht hatte er vom Fenster abgewandt.
Eddie konnte sein Blut kaum davon abhalten, in die untere Hälfte seines Körpers zu schießen, als er weiter starrte. Nur der Gedanke daran, wie creepy es war, einen fremden Jungen beim Umziehen zu beobachten, brachte ihn schließlich dazu, seinen Kopf abzuwenden.
Ob er wohl Eddies Schule besuchte?
Heute würde er es jedenfalls nicht herausfinden.
____
Richie war erleichtert, dass seine Mutter ihn heute zuhause bleiben ließ.
Er war immer noch zu iritiert von dem Umzug und allein die Vorstellung davon, all die neuen Menschen kennenlernen zu müssen, war die reine Folter für seinen Namen.
Allerdings sind beide seine Eltern gerade zur Arbeit gefahren und nun war er alleine, hatte nichts zu tun in dem neuen Haus und ihm war langweilig.
Der Gedanke an den Jungen von gegenüber schlich sich wieder in in seinen Kopf und er lief die Treppe zu seinem Zimmer hoch.
Warscheinlich war er sowieso in der Schule, aber Richie fand es schon immer außergewöhnlich interessant, sich die Zimmer von anderen Leuten anzusehen.
Vielleicht konnte er ja ein bisschen über ihn herausfinden.
Etwas überrascht blieb er stehen, als er sah, wie der Junge gegenüber in seinem Zimmer auf und ab lief.
Jedenfalls ging er davon aus, dass es der Junge war.
Die Vorhänge waren zugezogen und man konnte nur den Schatten einer etwas kleineren Person mit zerzausten Haaren erkennen.
Und weil er in dieser Stadt niemanden kannte und Freunde gut gebrauchen konnte, stieg er aus dem Fenster auf das kleine Vordach, hob einen Stein auf und warf ihn.
Mit einem leisen pling prallte er vom Fenster ab und landete auf dem gegenüberliegenden Vordach.
Richie bezweifelte, dass der Junge ihn überhaupt gehört hatte.
Doch die Bewegungen hinter dem Fenster stoppte und Richie setzte sich im Schneidersitz hin.
"Hi", grinnste er, als sich das Fenster öffnete.
Ihn trafen braune Augen. Die Sonne stach rötlich in ihnen hervor, doch gerade waren sie fragend zusammengezogen, während er sich aus dem Fenster lehnte.
"Hallo?"
Seine Stimme war hell, vielleicht etwas aufgebracht - immerhin hatte Richie sein Fenster mit einem Stein abgeworfen - doch war sie wunderschön.
"Ich bin gestern hier eingezogen." Richie stand auf und streckte dem verdutzten Jungen seinen Arm entgegen. "Richie."
"Eddie."
Offenbar-Eddie ergriff die Hand zögerlich.
Sie lag weich und leicht in Richies und er konnte nicht anders als festzustellen, wie viel kleiner sie im Gegensatz zu Richies war und wie sehr ihm das gefiel.
Er schüttelte sie mit leichtem Druck, seine Fingerspitzen striffen über die milchige Haut, als wollte er sich das Gefühl so gut wie möglich einprägen (und vielleicht war das auch so).
"Uhm-"
Eddies Stimme schien verlegen, als er seine Hand langsam zurück zog.
"Ich bin neu hier", sagte Richie, sich wieder auf den Boden fallen lassend.
Er wollte sich mit Eddie unterhalten.
"Okay."
Wollte Eddie das etwa nicht?
"Warum bist du nicht in der Schule?", fragte er einfach weiter, ein (seiner Hoffnung nach) vertrauenswürdiges, offenes Grinsen auf dem Gesicht.
Vielleicht wurde er auch Zuhause unterrichtet.
"Ich hatte keine Lust."
Okay.
Das war eine Antwort.
Richie haderte kurz mit sich selbst, nicht wissend, ob er tiefer bohren sollte.
Schließlich antwortete er nur "Hat das nicht niemand?", in der Hoffnung, dass Eddie ihm von selbst mehr erzählen würde.
Richie ließ seine Augen über den Teil seines Oberkörpers gleiten, der nicht von seinen an die Brust gezogenen Knie bedeckt war, und stellte fest, dass Eddie wirklich hübsch war.
Ein kleiner Schauer Elektrizität durchfuhr ihn, als er bei Eddies Gesicht ankam und sich ihre Augen trafen.
"Es ist nicht höflich zu starren."
Richie kicherte etwas verlegen.
Die Röte schlich sich auf seine Wangen und er kam sich vor, wie ein kleiner Schuljunge, der mit seinem ersten Schwarm sprach.
Also nicht besonders begehrenswert.
"Stimmt. Tut mir leid."
Eddie zuckte nur mit den Schultern und Richie war etwas erleichtert.
"Und deine Eltern? Meine würden mich köpfen, würde ich nicht in die Schule gehen."
"Warum bist du dann hier?"
"Wir sind erst eingezogen. Ich darf heute einen Tag frei haben um mich an alles zu gewöhnen und", er äffte seine Eltern nach, "mich mental vorzubereiten."
Eddie kicherte wegen der schlechten Imitation, die Mittagssonne fiel auf die kleinen Grübchen in seinen Wangen.
"Meine Mutter merkt nicht, ob ich hier bin oder nicht."
Richie wurde etwas traurig.
"Oh. Das tut mir leid."
Wieder zuckte Eddie mit den Schultern, doch dieses Mal sah es fast verzweifelt aus.
Tränen glitzerten in den Augenwinkeln des Jungen und fielen schon kurz darauf über seine Wangenknochen.
Richie tat das erste, was ihm einfiel.
Er stand auf, überbrückte die kleine Lücke zwischen den Dächern der beiden und zog auch Eddie auf die Beine.
Der Kleinere sah ihn kurz aus großen, erstaunten Augen an, dann zog Richie ihn an seine Brust und legte seine Arme sicher um ihn.
Eddie verkrampfte sich kurz in der Umarmung.
Dann lehnte er sich vorsichtig gegen Richie, die Stirn auf seiner Schulter und die Arme um seine Hüften.
Sie standen für einige Zeit einfach nur da.
Richie schaukelte die beiden nur hin und her, wie leichte Wellen, die ein Segelboot auf sich fliegen lassen. Und Richie wurde zu Eddies Anker.
"Danke", schluckte Eddie nach einiger Zeit.
Richie fühlte, wie Eddie seine Augen an seinem Oberteil trocknete und grinste leicht.
(Er fühlte, dass es das ist, was er wollte.)
"Gerne, Eds."
Eddie starrte ihn an. Ein Lächeln stahl sich auf seine Wangen.
Richie wusste nicht ganz, wo der Spitzname her kam. Aber Eddie war so klein in seinen Armen, sein Gewicht fühlte sich so gut an, gelehnt gegen seine Brust, dass er einfach passte.
Eddie boxte ihn nur leicht auf den Oberarm, das Lächeln spielte immer noch um seine Wangen.
Es machte, dass Richie sich ganz warm und irgendwie Zuhause fühlte.
. . .
In den nächsten Tagen ging Richie auch in die Schule.
Er war älter als sein Nachbar, also hatten sie keinen Unterricht zusammen, doch er beobachtete Eddie manchmal, wie er alleine an einem Tisch beim Essen saß.
Es machte ihn etwas traurig. Und doch setzte er sich nicht zu ihm, unwissend, ob Eddie seine Anwesenheit überhaupt wollte.
Aber sie sprachen miteinander. Wenn sie Abends nicht schlafen konnten und sich auf ihre Dächer flücheten.
Dann sprachen sie über alles.
Begonnen hat es bei ihren Sternenzeichen, als sie den gespränkelten Nachthimmel beobachteten, bis hin zu der Frage, welche Blumen sie auf ihren Hochzeiten bekommen wollen würden.
Eddie und Richie wollten beide nicht heiraten.
Sie hatten so viel gemeinsam, dass Eddie sich schon nach einigen Gesprächen so vertraut anfühlte, als wären sie lange Freunde.
Und doch war dort etwas, dass Richie nicht ganz entschlüsseln konnte.
Der Grund dafür, warum Eddie nicht bei seinen Klassenkameraden aß oder warum er gesagt hatte, dass seine Muttet es nicht bemerken würde, würde er nicht zur Schule gehen.
Überhaupt hatte Richie Eddies Mutter noch nie gesehen. Genauso wenig wie Eddies Vater.
Doch die meiste Zeit schob er diese Gedanken in den Hintergrund. Er wollte Eddie weder zu nahe treten, oder überfordern.
Wenn er mit ihm reden wollte, dann würde er reden.
Wenn sie sich Nachts trafen, sprachen sie nicht über die Schule und auch nicht über sich selbst.
Wenn es dunkel wurde, wurden ihre Gespräche schwerer und ihre Stimmen sehnsüchtig nach etwas größerem.
Wie dem Universum, in dem alles so still und frei von Erwartungen war. Oder einem fernen Land.
China, vielleicht? Wo man in Menschenmassen untergehen konnte. Nicht herausstrach als Der Neue oder Der Junge Mit Zu Viel Verantwortung.
Es waren schöne Momente, wenn auch voll mit Unerreichbarem.
Denn sie wussten beide, dass sie diese Auszeiten brauchten.
. . .
"Eddie?", fragte Richie vorsichtig, nachdem sie einige Zeit nur stumm dagesessen und Musik gehört haben.
Eddie nahm den einen Kopfhörer aus seinem Ohr und sah ihn erwartungsvoll an.
"Was ist mit deinen Eltern?"
Er wusste nicht, ob er diese Frage überhaupt stellen sollte.
Vielleicht würde Eddie so überfordert sein, dass er nicht mehr mit Richie sprechen wollte.
Oh Gott. Der Moment in dem die Frage seinen Mund verließ, bereute Richie sie wieder. Wollte sie zurückziehen. Doch gesagt ist gesagt.
Eddie seufzte.
"Mein Vater hat meine Mutter verlassen, als ich noch klein war. Sagte, sie würde ihn gefangen halten. Ich kann nicht sagen, dass ich es ihm verübel. Doch er wollte weder mit mir noch meiner Mutter etwas zu zun haben, nachdem sie sich getrennt hatten, deshalb bin ich bei ihr geblieben. Und meine Mutter - ich weiß nicht genau warum, aber sie ist über die Jahre immer dicker geworden. Jetzt kann sie sich gar nicht mehr bewegen und hat auch kein Interesse, etwas daran zu ändern. Und ich muss mich um sie und den Haushalt kümmern."
Er erzählte es so einfach, als wäre es keine große Sache, doch Richies Augen wurden immer trauriger und er wusste, dass es das Gleiche mit Eddie war.
"Oh", sagte er nur, dann nahm er Eddie in den Arm. Eddie erwiederte die Umarmung ohne Wiederstand (wie er es sonst immer tat) und Richie fühlte warme Tränen auf seiner Schulter.
Eddie weinte nicht oft. Obwohl Richie beobachten konnte, dass er es gerne tun würde, tat er es nicht. Und das war falsch, denn jeder muss sich selbst hin und wieder erlauben, verletzlich zu sein. Vor allem Eddie, der so viel Gutes und noch mehr verdiente.
Also zog Richie ihn näher an seinen Körper und flüsterte immer wieder, dass es okay ist und dass er für ihn da ist - denn das war er und wird er immer sein - und Eddie nickte nur und hielt ihn fest.
"Jetzt", brachte Eddie zwischen Schluchzern hervor, "musst du mir auch etwas von dir erzählen. Etwas, das ich noch nicht weiß."
"Okay. Meine Lieblingsfarbe ist Hellgrün."
Eddie schlug ihn auf den Oberarm.
"Okay."
Richie überlegte einen Moment, dann erzählte er von Nick. Von seinem ersten und einzigen Freund und wie er ihn verlassen musste.
Davon, dass seine Eltern nie etwas von dieser Beziehung wusste (und es auch nie erfahren dürfen!) und ihn von Nick weggerissen haben.
Eddie hörte zu, Arme immernoch um Richies Körper gelegt, als Richie schilderte, wie er tagelang bei seinem Freund geschlafen hatte und seine Eltern seine Abwesenheit nicht einmal hinterfragt haben. (Immerhin mussten sie gedacht haben, Richie hätte irgendwo auf der Straße geschlafen, denn "du hast hier ja eh keine Freunde gefunden".) Das war, hätte Richie eine Liste über die schmerzhaftesten Ereignisse in seinem Leben (die er nicht hatte.), bestimmt auf Platz Zwei oder Drei.
Eddie streichelte Richie über den Rücken als auch dieser anfing zu weinen und dann standen sie einfach da, weinend, den Schmerz des anderen lindernd.
. . .
Es war Mittwoch der 27. September, an dem Eddie reslisierte, dass er sich in Richie verliebt hatte.
Okay, eigentlich war das schon vorher passiert, aber an diesem Morgen hatte er Gewissheit.
Er hatte diesen Traum, in dem Richie verletzt wurde und er nichts tun konnte und anders herum.
Es war schon an sich schrecklich, wenn auch nicht besonders bedrohlich, aber aufzuwachen und plötzlich zu wissen, warum man diese Dinge geträumt hatte, ist Folter.
Vor allem, weil Eddie nie mutig genug war, jemanden seine Gefühle zu gestehen.
Da war dieses Mädchen auf dem Spielpatz. Sie war immer zur selben Zeit da wie Eddie, doch nie spielten sie miteinander.
Sie hatte diesen Tollen Lastwagen aus Plastik, der auf Sand fahren konnte, und Eddie wollte so gerne mit ihr und dem Auto spielen. Er fand sie sehr hübsch und nach einiger Zeit wurde er traurig, jedes Mal, wenn sie gehen musste.
Doch niemals hatte er sie überhauot gerfagt, ob er mit ihr spielen dürfte. Immer wenn er seiner Mutter sagte, sie solle das Mädchen für ihn fragen, sagte sie "Nein, sie spielt bestimmt lieber alleine." oder "Schau mal, Eddie, es spielt schon jemand anderes mit ihrem Auto.". Dabei ging es Eddie gar nicht um das Auto. Aber er würde trotzdem nichts erwiedern.
Wenn er dann anfing zu weinen würden sie nach Hause fahren.
Also nein. Eddie konnte nicht gut mit soetwas umgehen.
. . .
Herbst kam und färbte die Blätter um sie herum gold und jeden Abend saßen sie auf einem der kleinen Vordächer und starrten in die Sterne.
Heute Nacht war besonders klar und Eddie liebte den schein des erleuchteten Zimmers auf Richies von der Kälte gerötetem Gesicht.
Er beobachtete den Jungen von der Seite. Nur kleine Blicke, die nicht bemerkt werden würden, wenn er schnell genug wieder hoch sah, sobald Richie den Kopf dreht.
Machmal hasste er es, wie sehr er immer darauf bedacht sein musste, nicht erwischt zu werden.
Ob es hier draußen auf dem rauen Boden des Vordaches war, oder später am Abend bei seinen Gedanken im Bett, wenn er eigentlich schlafen sollte.
"Eds?", dran Richies Stimme entfernt zu ihm durch. Er sah auf, sah, dass Richie ihn genauso beobachtete, wie er ihn, und wurde rot.
"Ja? Sorry."
Eichie lachte nur abwinkend.
"Ich weiß. Ich kann ganz schön ablenkend sein, nicht? Aber was ich eigentlich gesagt habe - wo du offensichtlich mit anderem beschäftigt warst - war, dass meine Eltern nächstes Wochenende nach Paris fliegen. Ohne mich! Kannst du das glauben?" Eddie grinste nur unbeholfen. Weil was sollte er sonst machen? "Irgendwie bin ich aber auch froh darüber, weißt du? Ein Wochenende mit ihnen in einem Hotelzimmer eingesperrt? Ohne dich? Nein danke."
Sie lachten, Eddie fühlte sich ganz warm.
"Aber Paris..Eddie, ich wollte da schon immer mal hin. Mein größter Traum, sozusagen." Meiner bist du. "Aber das wissen sie auch."
Richie war ein wenig niedergeschlagen, das sah Eddie, doch er wusste nicht was er machen sollte.
Also legte er einfach seinen Arm um Richie, wie er es schon gestern und vorgestern und den Tag davor genacht hatte.
. . .
Eddie fiel rücklings auf Richies Bett, zog den größeren Jungen am Kragen seines Sweatshirts hinter sich her.
Sein Rücken traf auf die weiche Matraze als im Hintergrund eine weitere Folge irgendeiner Serie startete.
Die goldene Herbstsonne schien am Abend besonders durch das offenstehende Fenster und traf Eddies Wangen.
Richie war immernoch über ihn gelehnt, beinahe regungslos, und sah auf ihn herab.
Eddie, gepackt von einem kurzen Moment des Selbstbewusstseins, vergrub seine Finger in Richies Haaren und brachte den Kopf seines besten Freundes langsam näher zu seinem.
Richie bewegte sich nun von selbest, ihre Lippen nur einige Millimeter voneinander entfernt. Jedenfalls so lange, bis sie sich vorsichtig übereinander schlossen.
. . .
Wenn man Eddie gebeten hätte, zu erklären, wie es zu dieser Situation gekommen ist- er könnte es nicht.
Denn irgendwann war Eddie einfach zu Richie ins Zimmer gestiegen, als er ihn hat Hausaufgaben machen sehen und ihm langweilig war, und sie haben sich unterhalten, dann haben sie angefangen sich um irgendein Kleidungsstück zu streiten (weil, wirklich, was besseres hatten sie nicht zu tun) und sind irgendwann auf dem Bett gelandet.
Von da an ging alles vorbei, als hätte man sie in Honig gelegt. Etwas langsamer, vielleicht beheblicher, aber so, so süß und golden wie Richies Haar an jenem Nachmittag.
Und sie hatten geredet! Über sich und über alles eigentlich. Über Eddies Mutter und wie er sich immerzu um sie kümmer musste, über Richies Eltern und wie sie sich nie um ihn kümmern und sich darüber was sie voneinander wollen und erwarten und all diese Kommunikations-Sachen, von denen Eddie immer ließt, wie wichtig sie in Beziehungen sind.
Eddie hatte Richie nochmal geküsst und ihm gesagt, dass er ihn eigentlich schon von Anfang an mochte und Richie hatte den Kuss erwiedert und versprochen, immer an Eddies Seite bleiben.
Und so sollte es auch sein.
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Hii Leute :)) ig ich hab auch mal wieder gepostet, sorry für das lange Schweigen meinerseits. Entweder hatte ich zu viel zu tun oder keine Motivation.
Aber ich habe diesen OneShot endlich, nacb 3 Monaten, beendet und ja auch wenn er zum Ende hin ein wenig rushed wurde und ich ihn nicht korrektur gelesen habe hoffe ich, dass er euch trotzdem gefällt :)
Byee <3
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