129. Kürbistumor
Ich hab eine angefangene Fortsetzung zu Kapitel 24 gefunden und die jetzt endlich mal zu Ende geschrieben, viel Spaß damit ^^
PoV Manu
Gut gelaunt kam ich nach Hause und wollte schon in mein Zimmer gehen, da fiel mir wieder ein, was Palle mir heute morgen aufgetragen hatte. Er war über das Wochenende bei seiner Familie, weswegen er mir eingebläut hatte, die Topfpflanzen zu gießen, meine Wäsche selbst zu waschen und dreckiges Geschirr zumindest in die Spülmaschine zu stellen.
Es hatte mich zwar ein wenig gewundert, dass er einen solchen Wert darauf gelegt hatte, doch ich wusste ja, dass Palle Ordnung mochte und dass ich eher unordentlich war. Ich bemühte mich also, immer alles schön wieder da hin zu räumen wo es hin gehörte, damit Palle in eine ordentliche Wohnung zurück kehren würde.
Schon am Samstag merkte ich, wie aufwendig es war, ständig alles aufzuräumen und schon bald wurde mir klar, was für einen Aufwand er gehabt haben musste, mir immer hinterher zu räumen. Vieles war mir überhaupt nicht aufgefallen, doch jetzt plötzlich bemerkte ich, was für Aufgaben anfielen, die Palle wohl immer still und leise selbst verrichtet hatte, ohne etwas davon zu sagen.
Und es tat mir aufrichtig Leid, ihm so eine Last gewesen zu sein. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie fröhlich er gewesen war, als ich zu ihm gezogen war, doch diese WG war für ihn wohl mehr zur Belastung geworden. Je länger ich darüber nachdachte, desto schlechter fühlte ich mich. Was war ich für ein Freund? Ich hatte doch bemerkt, dass er sich immer weiter zurückzog, warum hatte ich ihn nie darauf angesprochen?
In mir kochte Wut hoch, Wut auf mich selbst und ich beschloss, irgendwas tun zu müssen, um ihm zu zeigen, wie sehr es mir Leid tat und dass ich mich ändern würde.
Deswegen suchte ich in dem kleinen Schrank, in dem Palle Spülmittel, Handtücher und noch alle möglichen anderen Reinigungsutensilien aufbewahrte nach Lappen, Fensterputzmittel, einem Schrubber und einem Eimer.
Den ganzen Samstag Abend, bis in die Nacht hinein, und den kompletten Sonntag verbrachte ich damit, alle Fußböden in der Wohnung zu schrubben, die Fenster und das Bad zu putzen und alle Regale aus zu räumen, darin Staub zu wischen und geordnet alles wieder in die Fächer zu stellen. Ich hatte meiner Mutter früher oft geholfen, wenn sie das alles zweimal im Jahr gemacht hatte, doch wir hatten uns die Arbeit meistens auf drei oder vier Tage aufgeteilt, die ich aber nicht hatte, also beeilte ich mich und strengte mich an.
Ich wurde am Montag erst fertig, irgendwann im drei oder vier Uhr nachts, und schlief dann erschöpft auf der Couch ein.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte mich jemand zugedeckt und ich hörte Geklapper aus der Küche. Ich richtete mich auf, gähnte und suchte nach meiner Brille, die auf dem Couchtisch lag. Dann stand ich auf und lief zu Palle, der gerade am Herd hantierte. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon nach zwölf Uhr war, also kochte der Ältere wohl schon das Mittagessen.
Nachdem ich den Raum betreten hatte, begrüßte Palle mich lächelnd mit einem "Guten Morgen, du Langschläfer, gut geschlafen? Warum warst du auf der Couch?". Ich unterdrückte ein weiteres Gähnen und antwortete: "Ja, hab sehr gut geschlafen und... warum ich auf der Couch war ist eine längere Geschichte."
"Die kannst du mir ja beim Essen erzählen", erwiderte der Kleinere, "es gibt Nudelauflauf." "Lecker schmecker", antwortete ich mit meiner Tumorstimme und begann, den Tisch zu decken, während Palle die Auflaufform aus dem Ofen holte und die Sauce, die er gerade noch angerührt hatte, über die gebackenen Nudeln goss.
Zusammen setzten wir uns an den Küchentisch und mir fiel auf, wie lange wir schon nicht mehr so zusammen gegessen hatten. Es fehlte mir, Zeit allein mit Palle zu verbringen.
Bevor der Ältere irgendwas sagen konnte, fragte ich ihn, wie das Wochenende gewesen war. Er wirkte von meiner Frage überrascht und erzähle fröhlich davon, dass er mit seinen Eltern wandern gewesen war und die Zeit sehr genossen hatte. Sein breites Lächeln machte mich gleichzeitig glücklich und unfassbar traurig. So fröhlich und zufrieden hatte ich ihn lange nicht erlebt und das war zu einem Großteil meine eigene Schuld. Es war ewig her, dass ich ihn in einer ruhigen Minute ernsthaft gefragt hatte, wie es ihm ging, während er mir immer zugehört hatte, egal was mein Anliegen gewesen war.
Nachdem der Ältere fertig geredet hatte, fragte er: "So und jetzt erzähl, wieso warst du auf der Couch?"
Vor diesem Moment hatte ich mich gefürchtet, doch ich atmete tief durch und sammelte mich kurz. Ich hatte einen Fehler gemacht und war es Palle schuldig, mir diesen einzugestehen, also begann ich zu erzählen: "Also es hat mich ein Bisschen gewundert, als du mir mehrmals gesagt hast, worum ich mich unbedingt kümmern soll. Ich dachte irgendwie, dass das ja nicht so wichtig sein kann. Aber ich hab schon gestern gemerkt, wie krass ich das alles unterschätzt hab, die Sachen die so anfallen, alles was du immer erledigt hast, ohne mir was davon zu sagen. Und... naja ich will mich dafür entschuldigen. Ich bin Dir so sehr zur Last gefallen und das tut mir total Leid. Und deswegen hab ich dieses Wochenende die Wohnung geputzt, um Dir zu zeigen, dass ich es ernst meine."
Auf Palles Gesicht lag ein trauriges Lächeln als er antwortete: "Och Manu, das hätte doch nicht sein müssen... das war schon okay so. Aber trotzdem danke, das ist lieb von dir." Dann aß er weiter seine Nudeln.
Verwirrt starrte ich ihn an, ohne irgendwas zu sagen oder zu tun. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit sowas. Ich hatte Angst davor gehabt, dass Palle wütend werden und mich anschreien würde. Oder dass er nicht länger mit mir zusammenwohnen wollte. Hatte gehofft, er würde mir irgendwelche Aufgaben geben, mit denen ich ihm in Zukunft helfen konnte. Doch dass er es einfach akzeptieren und überhaupt nichts tun würde, hatte ich nicht kommen sehen.
"Palle... was ist los?", fragte ich vorsichtig. "Nichts, was soll sein?", erwiderte er und versuchte dabei, ganz beiläufig zu klingen, doch mir war klar, dass etwas nicht stimmte. "Bitte", hakte ich weiter nach, "ich merk doch, dass irgendwas nicht stimmt!"
Ich sah ihm an, dass irgendwas absolut nicht in Ordnung war, doch sobald ich diesen Satz ausgesprochen hatte, wurde mir klar, was er bedeutete. Merkte ich denn überhaupt noch, wenn es ihm nicht gut ging? Die letzten Monate über hatte ich es zumindest nicht hinbekommen, zu bemerken, wie schlecht es ihm gegangen war.
Bis gerade eben hatte der Ältere noch freundlich gelächelt, doch dieser Ausdruck war einem traurigen, fast schon bedauernden Blick gewichen. Er atmete tief durch, legte seine Gabel weg und begann zu erzählen: „Manu, es gab so viele Sachen die ich im letzten Jahr für dich gemacht hab und von denen du kein einziges Mal Notiz genommen hast. Ich hab nachts dein Licht und deine Musik aus gemacht, die du dauernd an gelassen hast, ich hab dein Zimmer geputzt, deine Dreckwäsche gewaschen... ich hab dir allen möglichen Scheiß hinterher getragen und du hast dich kein einziges Mal für irgendwas bedankt. Und am Anfang fand ich das noch okay, ich hab es gern für dich gemacht aber inzwischen ist mir das einfach alles zu viel. Nicht nur die Arbeit, auch du. Du machst mich fertig."
Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hatte so sehr gehofft, dass Palle sich freuen würde oder mir zumindest irgendwann verzeihen konnte, doch damit hatte ich nicht gerechnet. Ich machte ihn fertig? Ich schaffte es gerade so, leise „Warum?" zu fragen, ohne zu zeigen wie sehr meine Stimme zitterte und Palle redete weiter:
„Ich hatte solche Hoffnungen in diese WG als ich eingezogen bin aber anscheinend machen verliebte Menschen oft dumme Sachen. Und ich hab den Fehler gemacht, dir alles hinterher zu tragen bis du dich daran gewöhnt und es als selbstverständlich akzeptiert hast. Und sogar jetzt machst du mir noch alles so unfassbar schwer..." Er vergrub sein Gesicht in den Händen und stieß ein verzweifeltes Seufzen aus, während ich verzweifelt nach Worten suchte, die meine Verwirrung ausdrückten. Schließlich fragte ich: „Verliebt? Wie... also seit wann? Und..." Ich vervollständigte den Satz nicht und sah Palle nur verzweifelt an, der antwortete: „Schon bevor wir zusammengezogen sind. Ich hatte gehofft, dass es besser wird, wenn wir zusammenwohnen. Und vielleicht hatte ich auch die verrückte Hoffnung, dass ich eine Chance bei dir haben könnte. Aber die habe ich anscheinend nicht."
Perplex saß ich da, unfähig zu antworten. Palle hatte sich eine Chance bei mir erhofft? Die ganze Zeit über? Und ich hatte ihn so behandelt? Ich fühlte mich so unfassbar schlecht und gleichzeitig fand ich keine Worte die ausdrücken konnten, wie sehr es mir leidtat. Als ich nicht antwortete, fing Palle an, weiter zu erzählen: „Du machst mir wirklich alles schwer. Das Leben hier, meine Gefühle, meinen Job... und jetzt sogar, los zu lassen. Weißt du, ich wollte eigentlich ausziehen. Ich hab eine Wohnung in Hamburg besichtigt die echt schön ist und hätte sogar fast schon den Mietvertrag unterzeichnet aber... ach keine Ahnung warum ich das nicht gemacht habe aber dann komme ich hierher zurück und plötzlich entschuldigst du dich. Und zwar nicht so halbherzig, sondern mit so viel Aufwand, dass ich nicht anders kann als es ernst zu nehmen. Was soll ich denn jetzt machen? Willst du dich wirklich bessern? Kann ich dir glauben? Sollte ich dir glauben? Halte ich das noch länger aus?"
Resigniert senkte er den Kopf und mich überkam das Bedürfnis, den Kleineren zu umarmen. War das jetzt angebracht? Oder würde er sich bedrängt fühlen? Vorsichtig fragte ich: „Darf ich... darf ich dich umarmen? Du siehst aus als könntest du eine Umarmung brauchen..."
Mit einem traurigen Lächeln sah Palle auf und nickte, also quetschte ich mich neben ihn auf die kleine Eckbank und legte meine Arme um ihn. Der Kleinere lehnte sich gegen mich und einige Zeit lang saßen wir einfach nur so da, lauschten den Atemzügen des anderen und versuchten, diese Situation zu verarbeiten. Irgendwann fing ich leise an zu reden: „Palle, ich will nicht, dass du ausziehst. Du bist mir wirklich wichtig. Und auch wenn ich das mit deinen Gefühlen für mich noch nicht wirklich einschätzen kann, will ich dich zumindest als Freund nicht verlieren. Wir können gern so nen Plan machen, der mich zwingt, aufzuräumen und zu putzen und so... also ich kann verstehen, wenn du nichts mehr von mir wissen willst aber ich hoffe, dass du mir doch noch eine Chance gibst."
Ich hatte mich anstrengen müssen, mit dem Kloß in meinem Hals noch weiter zu sprechen. Die Tränen in meinen Augen waren kurz davor, mir über die Wangen zu laufen, doch es kam mir unangemessen vor, jetzt zu weinen. Ich hatte Fehler gemacht und ich würde dafür geradestehen.
„Versprichst du mir, dass es diesmal anders wird?", murmelte Palle leise. „Ja, ich verspreche es", antwortete ich ohne zu zögern, „du kannst mich auch immer drauf hinweisen, wenn dich trotzdem etwas stört und ich versuche, mich zu bessern, okay?" Der Kleinere nickte und ich hoffte, dass er das auch wirklich tun würde. Die Zukunft war schwer einzuschätzen. Wie würde das alles weitergehen? Würden wir es schaffen, gemeinsam zu funktionieren? Wie würde sich Palle mir gegenüber verhalten?
Ich konnte keine der Fragen beantworten, doch ich wusste, dass ich mich anstrengen würde, so sehr ich konnte, um meine Fehler wieder gut zu machen.
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