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•| das versprechen unter der eiche |•

Authors Note

•Isabella x Leslie•
•The Promised Neverland AU
•Trigger Warning / Content Warning: mental illnesses (D/pr/ssion, su/c/de, truman-syndrome, insomnia,...), physical illnesses (cancer,...)•
• ALTERSEMPFEHLUNG: 15+ •
word count: 5763 words•

______________

Der 14. Juli kennzeichnete einen besonderen Tag, im negativen, wie im positiven Sinne. Es war der Geburtstag der nahezu einzigen Überlebenden des großen Schiffsunglücks, jedoch auch der Jahrestag, an dem das große Kreuzfahrtschiff im atlantischen Ozean versank und tausende Menschen in den Tod gerissen hat.
Die gerade einmal zehn Jahre alt gewordene Isabella strandete auf einer kleinen Sandbank, die aus der Wasseroberfläche ragte. Nichts zu Essen, nichts zu Trinken, nur sie und die Einsamkeit. Um sich bei Laune zu halten, unterhielt sie sich mit sich selbst, sie bildete sich ein, das alles sei nur ein Teil einer Fernsehserie, es sei alles nicht so schlimm, denn in Wirklichkeit spielten sie alle ihren Tod, um den Zuschauer zu überzeugen.
Die Ärzte meinten, sie sei fast gestorben, nachdem ein Rettungstrupp sie vollkommen unterernährt und nahezu dehydriert auffand.
Isabella tat es mit einem Lächeln ab, nahm die Ärzte nicht ernst.
In Wirklichkeit, so glaubte sie, näherte sie sich dem Staffelfinale, und danach würden neue Schauspieler die Besetzung verstärken.

Das war das Truman-Syndrom, eine Wahnvorstellung, bei der der Betroffene denkt, er werde rund um die Uhr, seit seiner Geburt an, von versteckten Kameras gefilmt.
Isabella bildete sich dies ein, um nicht vor Einsamkeit verrückt zu werden, doch in gewisser Weise war sie das bereits.
Nachdem sie wieder in ein normales Leben zurückkehren durfte, scheiterte sie klaglos an der Gesellschaft. Sie verließ sich auf ein Drehbuch, das nie existiert hatte, in der Schule lernte sie nie, da sie hoffte, die Schauspieler um sie herum würden ihr schon bei dem Text helfen, wenn sie nicht weiter wusste. Ging es ihr einmal schlecht, zuckte sie nur grinsend mit den Schultern, schließlich diente es der Charakterentwicklung, ein wichtiger Bestandteil für eine gute Serie.

Auf diese Weise schaffte sie es tatsächlich, die Schule so weit zu bestehen, dass sie ihren höchsten Schulabschluss anstreben konnte. Doch ihr Durchschnitt sank stetig weiter, denn sie wurde immer rücksichtsloser, je älter sie wurde.

Mit einem schwarzen Schulrucksack über der Schulter trottete Isabella lässig über den leeren Schulhof. Sie verpasste freiwillig die ersten beiden Schulstunden, sie wollte ihrem Mathematiklehrer nicht begegnen. Er war stets unfreundlich zu ihr, ein wirklich unsympathischer Schauspieler.
Was die sich bei der Besetzung wohl da gedacht haben, dachte sie, während sie mit einem tiefen Atemzug die kühle Herbstluft einatmete.
Die sanften Töne eines Instruments drangen in ihr Ohr, neugierig blickte sie sich um und versuchte zu verorten, woher die liebliche Melodie kam. An einer großen Eiche gelehnt saß ein Junge ihres Alters, auf seinem Schoß lag eine Mandoline, dessen Saiten er geschickt zupfte.
Isabella war nun nicht mehr so begeistert, sie trat auf ihn zu.
"Hey, die Musiker dürfen nicht vor der Kamera stehen! Du musst wieder zurück hinter die Kamera!", schimpfte sie mit ihm.
Er zuckte erschrocken zusammen und starrte sie aus großen, hellblauen Augen an.
"Ja, ich meine dich!", meinte Isabella und verschränkte ihre Arme vor der Brust, ihre dunklen, geflochtenen Zöpfe wehten im Wind.
"I-ich weiß nicht, was du mit Kamera meinst", stotterte der Junge, nun legte er seine Mandoline beiseite und richtete sich auf.
Isabella musterte ihn erschrocken.
"Ach verdammt, dann bist du einer der neuen in der Besetzung", zischte sie mehr zu sich selbst, dann drehte sie sich um und starrte in die Luft.
"Und genau diese Szene können wir nicht nochmal neu drehen!"

Isabella wirbelte herum und sah den Jungen lächelnd an, er entgegnete das Lächeln etwas unsicher.
"Dann vergessen wir einfach, was gerade eben passiert ist", meinte sie fröhlich und streckte ihre Hand aus.
"Ich bin Isabella."
"Leslie", entgegnete er freundlich, seine Hand zitterte noch ein wenig.
"Und was machst du hier, Leslie? Du schwänzt doch nicht etwa die Schule?"
"Nein!", japste Leslie etwas lauter als gewollt, vor Scham errötete er und senkte den Kopf.
"Ich hab' verschlafen und trau' mich nicht wirklich, mitten im Unterricht in die Klasse zu gehen", seufzte er auf.
Isabella ließ sich auf dem Boden nieder, Leslie tat es ihr gleich.
"So war ich schon immer, seit der Grundschule, das hat sich bis zur Oberstufe jetzt nie geändert..."
"Wollen wir das denn nicht ändern?", fragte Isabella, sie legte den Kopf schief.
"Ich wüsste nicht, wie", seufzte Leslie und legte seine Mandoline wieder auf seinen Schoß.
Isabella erhob sich und streckte ihm die Hand aus.
"Wir gehen einfach gemeinsam und treffen uns nach der Schule wieder", schlug sie vor.
"Dafür werde ich mich auch überwinden, mit meinem Mathelehrer zu reden."
Leslie ergriff die Hand, er ließ sich auf die Beine ziehen.
"Deal."

~•~

Ihr Kopf lag bequem auf ihrer Hand, die sie aufrichtete, sie starrte mit ihren violetten Augen aus dem Schulfenster.
Ihre Gedanken drifteten ab, sie hörte dem Unterricht schon gar nicht mehr zu.
Wann immer die Parallelklasse eine Freistunde hatte, saß Leslie unter der großen Eiche, ganz allein. Nur seine Mandoline und seine Melodie ließen ihn nicht einsam wirken.
Isabella bewunderte ihn. Er wirkte so frei und unbeschwert, wie ein kleines Kind, wenn er da so saß, während Isabella ständig die Last und den Druck der versteckten Kameras auf ihr spürte. Sie wurde immerzu beobachtet, nie hatte sie Zeit für sich ganz allein.
Diese Freiheit fehlte ihr, hinterließ eine Leere in ihrem Herzen.
"Isabella? Hast du Aufgabe zehn gelöst?", fragte der Mathematiklehrer und riss sie aus ihren Gedanken.
Ertappt warf sie ihren Kopf umher, nach der Antwort suchend. Sie war ja nicht einmal bis zur Aufgabe fünf vorgestoßen.
Der alte Mann an der Tafel seufzte und rief jemand anderen auf.
Die Szenen, in denen sie in der Schule sitzen musste, mochte sie am wenigsten. Aber sie wusste, sie waren notwendig, und zum Glück war sie eine äußerst schnelle Lernerin.
Das Läuten der Pausenglocke endete den Unterricht, die Schüler schlenderten gemächlich aus dem Klassenraum.
"Isabella, kommst du bitte kurz zu mir?", bat der alte Lehrer und legte einen dicken Hefter auf dem Lehrertisch ab.
Die Brünette seufzte und trottete statt zum Ausgang zum Lehrer.

"Dein Schnitt sinkt immer weiter", erklärte er.
"Die ganze Lehrerschaft weiß über dein Problem bescheid, aber das sollte dich nicht daran hindern, vernünftig zu lernen. Du hast nicht mehr viel Zeit, der Abschluss steht bevor."
Sie musste sich eingestehen, dass er Recht hatte. In zwei Jahren würde sie nicht mehr zu Schule gehen, diese zwei Jahre musste sie noch überstehen. Zögerlich nickte Isabella. Sie würde ihn nur zu gerne fragen, wann der Regisseur ihn wohl endlich feuern würde, doch das durfte sie nicht.
Allein schon aus dem Grund, dass man vor der Kamera nicht über die Kameras reden durfte.

~•~

Isabella räkelte sich auf einem breiten, niedrig hängenden Ast. Manchmal brauchte sie die Ruhe im Wald, fernab von den nervigen Schauspielern um sie herum. Nun gab es nur sie, den Wald, und leider auch die Kameras. Sie war es leid, ständig im Mittelpunkt zu stehen, sie wollte keine Schauspielerin sein.
Neben dem friedlichen Gezwitscher der Vögel drangen auch die Stimmen von einer kleinen Menschengruppe in ihr Ohr. Die Stimmen waren ihr vertraut, sie besuchten zusammen eine Klasse.
"Ich glaube, Isabella blufft nur", meinte eines der Mädchen.
"Die ist niemals im Leben wirklich Schauspielerin und spielt in einer Serie mit."
"Und was, wenn sie doch die Wahrheit sagt?", fragte ein weiteres Mädchen.
Das Erste zuckte mit den Schultern.
"Wo sind denn dann die ganzen Kameras?"
Sie sind überall, antwortete Isabella gedanklich.
Ihr seid nur zu blind, um sie zu sehen.

"Wenn es wirklich Kameras gibt, und wir auch gefilmt werden, könnten wir sie doch verklagen", lachte ein drittes Mädchen auf.
"Dazu brauchen wir doch erstmal Beweise, du Dumpfbacke."
"Ganz egal, was jetzt nun wahr ist, mit dieser Isabella ist irgendwas nicht richtig", meinte die Erste wieder.
Isabella schloss ihre Augen und lächelte vor sich hin. In jeder Serie gab es das Trio, das immer über den Protagonisten herzog und über ihn lästerte, warum also sollte dieses Trio hier fehlen? Diese Anfeindungen ließen die Brünette kalt, früher oder später würden sie sowieso aus der Serie geschmissen werden.
Jedoch erklang auch eine vierte Stimme, mit der Isabella nicht rechnete.
"Hört auf mit den Lästereien, ihr falschen Schlangen", fauchte Leslie die Mädchen an und stellte sich ihnen entgegen.
"Seid ihr nicht die ersten in der Schule, die sich wie lästige Kletten an Isabella heften?"
"Oh man, der Zombie mal wieder", schmunzelte eines der Mädchen und deutete ihrer Gruppe, kehrt zu machen.
"Wie wär's mal mit ein bisschen Schlaf?"

Leslie stand reglos da, blickte den Mädchen hinterher und ließ schließlich seine Hände in den Taschen der weißen Hose versinken. Er trug immerzu die übliche Schuluniform, ein weißes Hemd mit einer weißen Hose, manchmal dürfte es auch eine schwarze Hose sein. Für die Mädchen gab es statt Hosen Röcke.
"Das war mutig", lobte Isabella ihn. Leslie schrie erschrocken auf und wirbelte herum. Dabei stolperte er über eine Wurzel und fiel rücklings auf den sandigen Waldboden.
"Isabella!", rief er noch immer leicht panisch.
"Du kannst mich doch nicht so erschrecken!"
Kichernd hangelte Isabella am Ast entlang, sie landete elegant auf dem Boden.
"Das gerade eben war zwar mutig, aber schreckhaft bist du immernoch", schmunzelte sie fröhlich.
"Was machst du eigentlich hier?"
Mit einem leichten Kopfnicken deutete er auf seine Mandoline, die an dem dicken Baumstamm lehnte.
"Manchmal setze ich mich einfach hier hin und fange an, irgendetwas zu spielen", erklärte er und richtete sich auf, nur um sich einige Meter weiter an den Stamm zu setzen.
"Hier gibt's einfach die beste Atmosphäre."
"Spielst du mir vielleicht mal etwas vor?", bat Isabella, sie setzte sich neben ihn und zog die Beine heran.
Leslie seufzte tief auf.
"Eigentlich mag ich's nicht, vor anderen zu spielen", murmelte er und schnappte sich sein Instrument. Sachte glitten seine Hände über die feinen Saiten. Er schloss seine Augen und spielte eine sanfte Melodie. Es wirkte, als würde er seine ganzen Emotionen einfließen lassen, ihr seine gesamte Gefühlswelt offenbaren.

Isabella schloss ebenfalls die Augen, lauschte der Musik und lächelte nur. Ein Schmetterling flatterte auf sie zu, setzte sich zärtlich auf ihren schmalen Finger und zeigte ihr seine blauen Flügel.
Beide wirkten sie wie unbeschwerte Kinder. Als wenn jener schicksalhafte Tag nie existierte.
Isabella spürte den Boden unter ihr schwinden, ein Schwarm wunderschöner Schmetterlinge ließ sie nach oben schweben, über die Wipfel hinaus, bis sie Halt auf den weißen Wolken fand. Blaue Flügel schlugen sanft, die Schmetterlinge umhüllten ihren Körper und ließen sie schwerelos fühlen.
Leslie stand neben ihr, sanft lächelnd, auch er war umgeben von den schönen Tieren. Er streckte seine Hand aus, Isabella zögerte nicht eine Sekunde und ergriff sie.
Er führte sie über die Wolken hinweg, direkt auf die orange schimmernde, untergehende Sommer zu. Stetig färbte sich der Himmel in ein weiches Pink, was sich ebenso schnell in ein mildes lila wandelte. Winzige Sterne benetzten den dämmernden Himmel, sie ließen ihre Augen glitzern.
Wortlos schwebten sie gemeinsam über die nächtlichen Wolken hinweg, bis die Melodie allmählich ausklang.

Isabella öffnete blinzelnd die Augen, sie fand sich wieder auf dem Waldboden wieder.
"Das... das war wunderschön", murmelte sie überrascht. Dieses Gefühl war unglaublich. Nur sie, Leslie und die Musik, nicht einmal die Kameras waren fähig, diesen Moment einzufangen.
Begeistert blickte sie zu Leslie. Sein Blick lag auf der Mandoline, ein wenig waren seine Wangen errötet.
Erst jetzt bemerkte Isabella, wie blass der Junge neben ihr überhaupt war.
Tiefe Augenringe zierten ihn, seine Augen glänzten nicht. Ihr kamen wieder die lästernden Mädchen in den Kopf, die sie sogar beleidigten.
"Leslie, sie haben dich vorhin als Zombie bezeichnet", sprach sie besorgt und berührte vorsichtig seine Schulter.
"Ach, das meinst du", meinte er schmunzelnd und rieb sich den Hinterkopf.
"Ich hab' die Nacht nicht geschlafen, weil doch die Prüfungen anstehen. Ich bin nicht gerade der schnellste Lerner, weißt du."
Isabella erwiderte sein fröhliches Gelächter, doch sie war sich im Klaren, dass hier irgendetwas nicht stimmte. War das eine dreiste Lüge von ihm, um sie nicht in Besorgnis zu versetzten? Oder musste er diesen Satz sagen, um das Drehbuch zu verfolgen?
Ein leichter Stich setzte ihrem Herzen zu.
"Du solltest mehr schlafen", wies Isabella ihn zurecht, noch immer grinsend.
Leslie nickte stumm und schloss seine Augen.

"Du, Isabella", murmelte er mit leiser Stimme plötzlich, durchbrach das lange Schweigen.
Isabella hob ihren Kopf und musterte ihn neugierig.
"Die Mädchen meinten, du prahlst damit, Schauspielerin zu sein. Stehst du denn gerne vor der Kamera?"
Isabella lehnte sich an den Baumstamm an. Sie war ein offener Mensch, der keine Schwierigkeiten hatte, anderen zu vertrauen. Allein das Drehbuch würde keine Verschwiegenheiten und unbedeutende Geheimnisse tolerieren, denn nichts von denen würde eine Serie weiterbringen.
"Eigentlich will ich gar keine Schauspielerin sein", antwortete sie wahrheitsgemäß.
"Die ganze Zeit wird man von Kameras verfolgt und nie hat man seine Ruhe."
Leslie lachte amüsiert auf, doch Isabella atmete tief ein. Sie hätte erwarten müssen, dass er sie nicht verstehen würde. Niemand tat das bisher, doch bei niemanden hatte es sie interessiert.
Die streckte ihre Hand aus und zeigte auf ein kleines Rotkehlchen, dass zwischen den wenigen vertrockneten Herbstblättern nach Nahrung pickte.
"Da ist zum Beispiel eine versteckt."
"Du willst mir doch jetzt nicht ernsthaft erklären, dass du an die Verschwörungstheorien, Vögel seien die Drohnen der Regierung, glaubst."
"Nein", meinte Isabella gespielt empört.
"Siehst du nicht das Funkeln neben dem Vogel? Da ist 'ne Kamera versteckt."
Leslie zuckte nur mit den Schultern.
"Ich seh' da nichts. Aber die Dinger heißen ja auch nicht umsonst 'versteckte Kamera', kein Wunder dass ich die nicht sehe."
Verblüfft riss sie die Augen auf, ein wohliges Kribbeln durchzog ihren Körper.
War das nur ein Teil seiner Rolle, oder verstand er sie wirklich?
Es war ihr ganz egal, warum er dies sagte, es machte sie unglaublich glücklich.

~•~

Das trockene Laub raschelte auf dem Boden, als die schweren Regentropfen sie trafen und der Wind sie davon wehte.
Der Schnee ließ auch in diesem Jahr auf sich warten, es würde wohl wieder keine weiße Weihnachten geben. Isabella lehnte ihren Kopf an das kalte Fenster. Sie hätte gerne wieder einmal den eisigen Schnee gespürt oder wäre auf einem gefrorenen See Schlittschuh gefahren, nun musste sie sich aber wieder erneut mit künstlichen und überfüllten Eisflächen zufrieden geben.
Die Schulglocke erklang, Isabella löste sich vom Fenster.
Es war Zeit für einen großen Talentwettbewerb, der jedes Jahr kurz vor der Weihnachtszeit abgehalten wird. Jegliche Jahrgänge nahmen daran Teil, und diesmal sprang auch Leslie über seinen Schatten und wollte vor einem großen Publikum spielen.
Die Show stellte sich jedoch als langweilig heraus, es war wie in jeder normalen Serie, wenn das Kind der Familie einen Auftritt hatte. Warum also sollte so eine Folge bei Isabella fehlen?
Zuerst versuchten ein paar jüngere Schüler, das Publikum mit zirkusreifen Tricks, ewig lang einstudierten Klavierstücken und Gesängen, die manchmal die Trommelfelle strapazierten, zu unterhalten. Die Älteren waren erst später dran.
So auch Leslie, der mit mutigen Schritten die Bühne unter dem Regenschutz betrat, seine Mandoline in der Hand. Er setzte sich auf einen kleinen, niedrigen Hocker und positionierte sich, um entspannt spielen zu können.

Jedoch blieb er regungslos sitzen, den Blick zum Publikum gerichtet.
Hektisch strich sein Blick über jeden einzelnen Zuschauer, seine Hände wurden ganz zittrig und ihm wurde warm.
Leslie hatte Lampenfieber. Ein Gefühl, das Isabella nicht im geringsten kannte.
"Na komm, mach dir nichts draus", murmelte sie, ihr Herz pochte unentwegt gegen ihren Brustkorb.
Leslie reagierte nicht, feine Schweißperlen bildeten sich im Scheinwerferlicht auf seiner Stirn.
Isabella konnte das nicht mit ansehen. Sie wollte nicht, dass er sich so sehr vor der gesamten Schule blamierte. Sie rutschte ein kleines Stück nach vorne und räusperte sich kaum hörbar.
Sie erhob ihre Stimme und begann zu summen. Es war die Melodie von jenem Tag, an dem sie im Wald unter dem Baum saßen und sich von den Schmetterlingen führen ließen.
Zufällig war es auch dieselbe Melodie, die er spielte, als sie sich das erste Mal begegneten.
Leslie sah von der Bühne auf sie herab, die Augen vor Überraschung geweitet.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass Isabella ihn unterstützte.
Als sie sich dem Chorus der Melodie näherte, ließ Leslie seinen Blick auf die Mandoline senken und er verengte die Augen.
Er setzte ein und spielte so, wie er es am besten konnte: vollkommen konzentriert auf sich selbst, er blendete das Publikum gänzlich aus.

Isabella rückte wieder ein wenig zurück und verstummte. Sie hatte ihm eine kleine Starthilfe gegeben und nun genoss sie dieses kleine Musikstück.
Es war zwar nicht so verzaubernd wie an jenem Tag, doch auch heute erweckte die Melodie in ihr Gefühle, die keine Kamera dieser Welt aufzunehmen vermag.

~•~

Isabella starrte in den wolkenverhangenen Himmel. Laut Wetterberichten sollte es den ganzen Silvesterabend so bleiben, jedoch rechnete man nicht mit Niederschlägen jeglicher Art.
Die Brünette seufzte auf und trottete durch die kleine, dunkle Wohnung. Sie war alt genug, um alleine leben zu können, nachdem das Waisenhaus sie verabschiedete.
Einige Monate, nachdem ihre leiblichen Eltern die Serie verließen, gab es eine Änderung der Besetzung und des Szenenbilds, sie lebte sechs Jahre in einem Haus für Kinder, die das selbe Leid erlitten wie sie. Doch konnte keiner dieser Kinder die Kameras sehen, die Isabella ständig entdeckte. Sie rasselten allesamt den Inhalt und die Vorgaben des Drehbuches hinunter.

Wie auch letztes Jahr würde Isabella den Eintritt in das neue Jahr alleine feiern. Sie machte sich aber nichts draus, sie hatte schließlich zwei Möglichkeiten:
Entweder redete sie zu den Kameras und sprach ihre Zuschauer an, oder aber sie unterhielt sich mit den kleinen Topfpflanzen, die sie gerade goss. Das war das einzig schöne an den Pflanzen, sie antworteten nämlich nicht. Sie gehörten nicht zur Besetzung und wussten auch nichts von einem Drehbuch.
Dabei war es ganz gleich, mit wem sie redete, die Kameras bekamen alles mit.

Ein lautes Knallen erschütterte den Fensterrahmen, bunte Lichter schimmerten verschwommen durch das Glas.
"Was, es gibt schon die erste Feuerwerksshow?", fragte sie sich selber. Tatsächlich dämmerte der Himmel bereits, die bunten Feuerwerkslichter waren schon deutlich zu erkennen.
Schnell sammelte sie sich einige Kleidungsstücke zusammen und machte sich ein wenig hübsch, vielleicht wollte ja einer der Schauspieler mit ihr an diesem Tag etwas unternehmen.
In der Nähe gab es einen großen See, an dessen Ufer ein weiter, steinernder Steg gebaut war. Genau zu diesem machte sie sich auf, um die perfekte Sicht auf das Feuerwerk zu haben.

Sie stand dort, am stählernden Geländer, und starrte gebannt in den dunklen Himmel. Gelegentlich wurde er durch helle Lichter geziert, jedoch auch die Ohren von dem Knall und dem Pfiff betäubt.
Über ihr Gesicht zog sich ein feines Lächeln, während sie das Farbspiel betrachtete, wohl wissend, dass die Kameras auch hier sie aus allen Winkeln aufnahmen. Das war das einzige, was ihr die Laune ein wenig verdarb.
So war es immer gewesen, man gewöhnte sich daran.

"Isabella?"
Sie drehte sich um und blickte direkt in die hellblauen, matten Augen von Leslie.
"Bist du ganz alleine hier? Triffst du dich nicht mit jemanden?"
Isabella senkte den Kopf, starrte nun auf die Wasseroberfläche, auf der sich das Farbspiel wiederspiegelte.
"Ich wüsste nicht, mit wem ich mich treffen könnte", scherzte sie und lachte auf.
"Die hängen sowieso nur wegen den Kameras mit mir ab."
Leslie stützte sich am Geländer ab und starrte verträumt in den Himmel.
"Die Kameras", flüsterte er.
"Du vergleichst immer alles mit einer Serie, woher kommt das?"
Ihr ständiges, fröhliches Lächeln verschwand, als sie an diesen Tag zurückdachte.
"Ich habe die Kameras zum ersten Mal bemerkt, als ich zehn Jahre alt geworden bin. Damals war ich mit meinen Eltern auf einem Kreuzfahrtschiff mitten im Atlantik, es war mein Geburtstag. Irgendwas ist aber schief gelaufen, vermutlich rammten wir einen Berg oder zerstörten den Rumpf des Schiffes durch eine Sandbank, und das Schiff versank. Damals haben sich die ganzen Nebenrollen aus der Besetzung verabschiedet, aber auch meine Eltern. Sie gaben ihre Schauspielerkarriere auf und verließen die Serie."
Leslie senkte seinen Blick, traurig sah er auf die glitzerne Wasseroberfläche herab.
"Das tut mir leid für dich", murmelte er.
"Das muss schrecklich gewesen sein für dich."
"Man gewöhnt sich dran", antwortete Isabella wieder fröhlicher.
"Vor den Kameras durfte man eben nicht so schlecht gelaunt sein, die Serie stoppte schließlich nicht für mich und die neue Staffel stand auch schon in den Startlöchern, mit einem Waisenhaus-Setting."

Leslie musterte sie von oben bis unten, sein schwaches Lächeln wirkte bemitleidend und ließ sein Gesicht nur noch müder aussehen.
"Solltest du nicht lieber schlafen gehen, als hier die Nacht durchzumachen?", fragte Isabella besorgt und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, als hätte sie eine ganze Flasche Cola auf einmal geleert.
Er lachte auf.
"Ich hatte schon immer Schwierigkeiten mit dem Schlafen, aber seitdem ich dich getroffen habe, kann ich zumindest wieder träumen."
Sie errötete, ihre Augen wurden groß und ihre Kinnlade klappte herunter.
Sie war kein Freund von Kitsch, schon damals wollten einige ihr eine kitschige Beziehung aufdrängen, und jeden einzelnen wies sie mit einem Gefühl der Übelkeit ab.
Hier jedoch verspürte sie ein vollkommen anderes Gefühl, sie fühlte sich sicher und geborgen, in ihr stieg ein ungewohntes Kribbeln auf, als hätte sie eine ganze Flasche Cola auf einmal geleert, dass ihr Magen alleine gegen die Kohlensäure kämpfte.
Leslie wandte seinen Blick vom Wasser ab und bemerkte Isabellas überraschten Blick.
"E-entschuldige, das war viel zu kitschig", meinte er aufgeregt und rieb sich den Hinterkopf.
"Vergiss es einfach, wenn's nicht in dein Drehbuch passt."
Eine kleine Träne löste sich und rollte langsam ihre Wange hinunter und hinterließ eine feuchte Spur. Wieder erinnerte sie sich an die Melodie von jenem Tag, als hätte sie eine tiefere Bedeutung. Als würde sie sie verbinden.
Sie trat einen Schritt näher an ihn heran, sodass sich ihre Schultern berührten. Urplötzlich begann sie zu weinen, bitterliches Schluchzen verließ ihren Mund. Selten weinte sie wegen so einem lapidaren Grund, sie wusste nicht einmal, ob sie aus Freude oder aus Trauer weinte.
Leslie drehte sich zu ihr und riss seine Augen auf. Ohne zu zögern schloss er sie in seine Arme und drückte sie fest an sich.
"Hey, es ist alles gut", flüsterte er ihr tröstend zu.
Er verstand sie, selbst wenn er nicht sehen konnte, was sie sah. Bei ihm hatte sie ein anderes Gefühl als bei all den anderen Leuten.
Er war der einzige, der niemals die Serie verlassen durfte.

~•~

Es war Januar, der Müll der Silvesterraketen lag noch immer überall herum, verschmutzte die wenig befahrenen Straßen.
Der Winter wollte nicht so richtig eintreten, statt weißem Schnee gab es nassen, kalten Regen. Dieses Wetter hielt Isabella trotzdem nicht davon ab, die Zeit draußen mit Leslie totzuschlagen.
Sie saßen auf einer trockenen Decke unter einem Baum, spielten und lauschten der Musik und fühlten sich wie unbeschwerte Kinder.
Eisiger Regen tropfte von den kahlen Ästen herab, es begann in Strömen zu regnen.
"Ich hätte 'nen Regenschirm mitnehmen müssen", seufzte Leslie auf. Er hievte sich mühsam auf die Beine und hielt Isabella seine Hand hin.
"Es ist schon spät geworden", bemerkte Isabella, nachdem auch sie auf den Beinen stand, doch ließ sie seine Hand nicht los.
Leslie starrte in den Himmel.
"Ich wünschte, es würde langsam Mal schneien."
Er verfestigte seinen Griff um ihre Hand und lächelte sie freudig an.
"Na komm, ich bring dich nach Hause, bevor es noch stärker regnet."
Es dauerte nicht allzu lange, bis sie aus dem nassen Wald Hand in Hand beim großen Wohngebäude ankamen.

"Das nächste Mal bringe ich dich nach Hause", bestimmte Isabella schmunzelnd.
"Abgelehnt, ich kann dich doch nicht einfach im Dunklen allein gehen lassen", lachte Leslie auf und schloss Isabella in seine Arme.
"Morgen ist wieder Schule. Ich hol' dich ab", flüsterte er.
Nach jener erster Begegnung verpasste keiner der beiden mehr einen Schultag freiwillig, was sich auch in ihren Schulnoten spiegelte.
Isabella verschwand in der Tür, blieb jedoch im engen Hausflur stehen. Sie hatte bisher nicht einmal gesehen, wo Leslie überhaupt wohnte. Er sagte ihr zwar, er lebe in einer Art Wohngemeinschaft, dort gewesen war sie aber noch nie.

Nachdem Leslie ziemlich weit gelaufen war, machte auch Isabella sich wieder auf den Weg.
Sie verfolgte ihn die Straße hinunter, vorsichtig, damit ihr Vorhaben nicht aufflog und sie entdeckt werden würde.
Als sie die lange Brücke betrat, bekam sie plötzlich ein mulmiges Gefühl. Es folgte noch ein Gebäudekomplex, doch auch in der Nähe befand sich das örtliche Krankenhaus. Sie verlangsamte ihren Schritt, behielt Leslie aber dennoch im Blick.
Je weiter sie ans Ende der Brücke kam, desto schlimmer fühlte sie sich.
Leslie blieb wenige Meter vor den Eingangstüren des Krankenhauses stehen, zögerte einen Moment, bis er das Gebäude betrat. Isabella war wie erstarrt.
Was sollte er so spät abends noch im Krankenhaus tun? War es wegen seinem Schlafmangel?
Warum hatte er es ihr nicht erzählt?
Tiefe Trauer nahm ihrem Gesicht das Lächeln, ein Lichtblitz zuckte über den Himmel und ließ ihn aufheulen. Es regnete, als würde jemand einen gefüllten Eimer über ihren Kopf auskippen.
Die Energie verließ ihren Körper, sie machte kehrt und stapfte durchnässt den Weg wieder zurück.

~•~

Am nächsten Tag stand Leslie nicht vor ihrer Tür. Er holte sie nicht von der Schule ab, und auch in der Schule konnte Isabella den Jungen nirgens finden.
Die Zeit verging langsamer, die Zeit war langweiliger. Lediglich die kleine Melodie hielt sie bei Laune.
Isabella machte sich weiterhin große Sorgen und beschloss, einen Besuch im Krankenhaus zu wagen.

Allein mit einer einzelnen Rose in der Hand schlich sie durch die trostlosen Gänge.
Die Raumnummer wurde ihr genannt, ihre Besorgnis war demnach berechtigt.
Ein Arzt verließ den Raum, ließ die Tür einen Moment weit offen stehen. Isabella warf einen flüchtigen Blick hinein, der Anblick überwältigte sie.
Eingefallene Wangen, ein erschöpfter, leerer Blick und ein Tropf neben dem Krankenhausbett.
Isabella drehte sich weg, hielt sich die Hand vor dem Mund und sank an der weißen Wand zu Boden.
War das wirklich Leslie gewesen? Ging es ihm wirklich so schlecht?
Warum hatte er nie ein Sterbenswörtchen darüber verloren?
Sie fühlte sich verloren, verzweifelt, verraten. Sie hatte ihm alles anvertraut, er redete nie über seinen Zustand.

Die Rose lag inmitten ihrer Blütenblätter auf lieblos auf dem trostlosen Boden, ihr Träger war nirgens mehr zu sehen.
Der Träger saß in diesem Moment in einer Ecke ihres Zimmers, Tränen überfluteten ihr Gesicht und ihr Kopf spielte verrückt. Sie wollte nicht recht glauben, was ihre Augen da erblickt hatten.
"Diese Serie ist doch beschissen", murmelte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.
"Warum kann diese Serie nicht einfach enden?"
Ihr verschwommener Blick fiel auf ihre Gitarre, die schon seit geraumer Zeit in der Ecke verstaubte. Seit sie Leslies bezaubernde Melodien zu Ohren bekam, begann auch sie wieder mit dem Musizieren, sie versuchte, die Melodie der ersten Begegnung nachzuspielen.
Ihr war nicht klar, welche ihrer unzähligen Emotionen sie steuerte, als sie sich von der Ecke erhob und mit einem Bein auf das Instrument trat, den Gitarrenhals vom Hohlkörper brach.
War es die Wut?
War es die Trauer?
Auf was war sie überhaupt wütend?
Hatte sie das Recht dazu, wütend zu sein?
Es war die pure Verzweiflung, die Hilflosigkeit, von der sie gesteuert wurde.

~•~

Isabella trottete über die lange Brücke, eine schwarze Kapuze lag über ihrem braunen Haar und schützte sie vor dem andauernden Regen.
Eine schwache Stimme machte sich vor ihr bemerkbar, da sie unentwegt auf den Stein starrte und nichts vor ihr bemerkte.
"Isabella", sprach die Stimme schwächlich. Vor ihr stand Leslie, er hielt einen Regenschirm in der Hand. Sie erkannte das breite Armband um sein schlankes Handgelenk, welches nur aus dem Krankenhaus stammen konnte. Seine Augenringe wurden dunkler, sein Gesicht wirkte erschöpft und unlebendig.
"Ich wollte gerade zu dir", meinte er leise, gerade laut genug um den tosenden Regen zu übertönen.
Isabella starrte ihn emotionslos an, vor ihrem inneren Auge tauchten die Bilder von gestern auf, wie er kraftlos auf dem Bett lag, so kreidebleich wie eine Leiche.
"Ist alles okay?"
"Wieso hast du mir nie etwas davon erzählt?", fragte Isabella, sie war erneut den Tränen nahe.
"Dir ging es von Tag zu Tag schlechter, und hast alles mit einem Lächeln abgetan, und mir nie die Wahrheit gesagt."
"Isabella, es tut mir leid", antwortete er beschämt und trat einen Schritt auf sie zu.
"Nein!", entgegnete sie wutentbrannt.
"Du hast mich die ganze Zeit für dumm verkauft, als würde ich nichts bemerken!"
"Ich wollte doch nur nicht, dass du dir Sorgen um mich machst", versuchte Leslie sich zu erklären, doch erneut unterbrach Isabella ihn.
"Ich habe mir aber nur noch mehr Sorgen gemacht! Du verdammter Vollidiot, das steht nicht im verdammten Drehbuch!"
Sie wirbelte herum und machte kehrt, sie konnte nicht länger in sein blasses Gesicht sehen.
"Bitte hör mir doch zu", flehte Leslie, seine Stimme bebte.
"Ich wollte nicht, dass du meinen Kampf übernehmen musst, du musst schließlich auch deinen eigenen Kampf austragen!"
Isabella schwieg und setzte einen Fuß nach dem anderen, lief weg von Leslie und zurück in ihr einsames Zuhause.
"Isabella, wir sehen uns Freitag in der Schule wieder!", rief er ihr noch hinterher, mit aller Mühe und Not, den Verkehrslärm zu übertönen.
"Bitte verzeih' mir!"

~•~

Isabella saß auf ihrem Bett, ohne ein einziges Zeichen der Glücklichkeit. Die optimistische, fröhliche Isabella schien wie verschwunden, und es sah nicht aus, als würde sie so schnell zurückkehren.
Sie fühlte, wie die Kameras immer näher kamen, als würden sie ihre Tränen zählen wollen.
"Verdammt, verschwindet!", schrie sie in die Leere, doch die Kameras wollten nicht einfach verschwinden.
"Ich will euch nicht länger hier haben!"
Sie stampfte in die Küche und zückte ein Brotmesser mit dem Hintergedanken, das frische Laib Brot vom Bäcker zu schneiden und aus Frust zu essen, doch die Verzweiflung übermannte sie und ließ sie das Messer in Richtung der Tür werfen, wo es stecken blieb.
"Hört auf, mich zu verfolgen", flehte sie und brach auf dem kalten Laminat zusammen.
"Ich will nicht mehr in dieser scheiß Serie mitmachen!"

Sie wusste, dass es nur einen Weg gab, diese Serie als Hauptcharakter zu verlassen. Sie konnte nicht einfach woanders hingehen, überall wo sie war, waren auch die Kameras. Sie musste den Weg ihrer Eltern gehen. Sie war nahe, ihre Karriere als Schauspielerin wie ihre Eltern endgültig zu beenden.
Eines hinderte sie jedoch daran:
Sie wollte Leslie ein letztes Mal wiedersehen, ihm sagen, dass sie ihm verziehen hat. Sie wollte noch einmal mit ihm die Melodie von jenem Tag singen, noch einmal sich an ihn schmiegen und sich geborgen fühlen, ehe sie diese Serie absetzte.

~•~

Mit schnellen Schritten lief Isabella über den Schulhof. Es war der letzte Freitag im Januar, der Tag, an dem Leslie zur Schule zurückkehren würde. Der Himmel war wolkenverhangen, doch kein Tropfen fiel auf die Erde hinab.
Sofort steuerte sie auf die große Eiche in der Mitte des Schulhofes zu, in der Hoffnung, Leslie zu sehen und seine Musik zu hören.
Doch dort stand nur seine Mandoline, mutterseelenallein an der Eiche gelehnt. Neben ihr lag ein dunkler Blumenstrauß, sogar ein eingerahmtes Bild lag dazwischen.
"Was", murmelte Isabella verwirrt. Es ergab keinen Sinn, Leslie meinte doch, er sei am Freitag in der Schule.
Sie kniete sich vor das Bild, betrachtete es genau. Es zeigte Leslie mit einem breiten Lächeln, doch auch hier zogen sich tiefe Ringe unter seinen Augen entlang.
"Bitte lass das nur ein dummer Streich sein", wisperte sie unter Tränen. Sie entdeckte einen kleinen Schnipsel im Hohlraum der Mandoline, sie fischte ihn mit ihren schlanken Fingern hinaus und faltete den Zettel auf.

~•~

Liebe Isabella,

Ich habe dir versprochen, dass ich am Freitag wieder in der Schule bin. Naja, in gewisser Weise bin ich das auch. Ich habe dir auch versprochen, dass ich dir alles in Ruhe erklären werde, auch das werde ich in gewisser Weise einhalten.
Die meisten denken jetzt bestimmt, ich hätte mir das Leben genommen, oder sei bei einem Verkehrsunfall umgekommen.
Das ist alles falsch.
Es war Lungenkrebs, was mich besiegte.
Es begann alles, als ich noch klein war. Meine Eltern sind bei einem Hausbrand in der Nacht gestorben, nur ich überlebte damals, weil die Flammen nicht bis in mein Zimmer vordrangen. Aber der Rauch. Die Ärzte sagten damals, ich hätte nur eine leichte Rauchvergiftung, und sie würden mich schnell auf die Beine kriegen. Das schafften sie auch, nur entwickelte ich Ängste. Ich hatte Angst, dass in der Nacht etwas passierte, das mir alles nahm was mir lieb war, und ich würde nichts dagegen tun können. Ich konnte nichts mehr schlafen, die Ängste zerfraßen mich. Schließlich versuchte man, mich per Therapie und Medikamente wieder zum Schlafen zu bringen, doch jedes Mal, als ich es versuchte, kamen die Albträume zurück. Ich sah den Tod, der mich verschonte, aber alle anderen nicht.
Vor einiger Zeit wurde bei einer Untersuchung festgestellt, dass die Rauchvergiftung doch keine leichte war und ich einen Tumor im rechten Lungenflügel entwickelte. Die Diagnose kam zu spät, denn der Tumor hatte bereits gestreut. Es blieb also nur die Hoffnung, die Chemotherapie würde mich retten. Die Schlafprobleme blieben aber, was die Heilung und Rettung unmöglich machte.
Ich wollte nie, dass du meinen Kampf kämpfen musstest, ich wollte dich beschützen und habe dabei vergessen, dass du meine Rettung warst. Dank dir konnte ich die Albträume verdrängen und nachts wieder an etwas schönes denken. Dazu war nicht einmal die Musik imstande.
Jetzt, wo ich den Kampf verloren habe, bereue ich vieles. Aber nichts bereue ich so sehr, als mit dir nicht darüber geredet zu haben.
Jetzt liegt es an dir, deinen Kampf zu kämpfen. Ich weiß, diese Staffel bekommt kein schönes Happy End, aber das ist noch lange nicht das Ende der Serie. Nach dieser Staffel kommt eine weitere, mit neuen Charakteren die in die Besetzung aufgenommen werden. Wenn die Kameras dich mal nerven, stell dir einfach vor, dass anstelle der Kameras ich auf dich herabsehe.
Irgendwann wirst du einem Schauspieler begegnen, der genauso an deiner Seite sein will wie ich, irgendwann wirst du vielleicht selber einmal eine Mutter sein.
Wann auch immer du traurig bist, sieh in den Himmel und ich werde da sein. Wenn auch immer du dich an einen Baum setzt, werde ich neben dir sitzen. Wann auch immer dir ein Song in den Ohren liegt, werde ich ihn singen.
Bitte setze die Serie nicht ab, schließlich will ich mir noch einige Staffeln ansehen.

In Liebe,
Leslie.

~•~

Isabella wischte sich mit einem Ärmel über das Gesicht, wischte ihre Tränen weg. Sie las sich den letzten Satz immer und immer wieder durch.
"Bitte setze die Serie nicht ab."
Ein feiner Tropfen nässte den von Hand geschriebenen Brief, Isabella sah in den Himmel.
Weiße Schneeflocken rieselten langsam hinab und färbten den Boden für kurze Zeit, bis sie wieder schmolzen.
Eine Melodie legte sich in ihr Ohr, sie drehte den Kopf und sah Leslie neben ihr sitzen, seine Mandoline auf dem Schoß. Er spielte die Melodie jenes Tages, vollkommen konzentriert.
Er war derjenige, der die Besetzung niemals hätte verlassen dürfen.
Nun war er statt Schauspieler der Zuschauer.
Sie summte die wunderschöne Melodie und schloss dabei die Augen.

"Ich werde die Serie nicht absetzen. Das verspreche ich dir."

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