Mission "Trust" (Teil 4)
Es werden leider doch 5 Teile. So war das eigentlich nicht geplant, aber ... well. Deal with it😁
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Die Dinge verhielten sich einfach. In der Theorie zumindest.
Liam hatte wie ein Irrer Nachforschungen angestellt, im Zuge derer sich Nialls Geschichte bestätigt hatte. Zudem hatte er Livsey mithilfe einer speziellen Gesichtserkennungssoftware auf den Aufnahmen diverser, öffentlicher Überwachungskameras wiederfinden und dabei beobachten können, wie sie in der Nacht, in der wir Babyface in ihrem Arbeitszimmer aufgegriffen hatten, im hintersten Winkel eines Fast-Food-Restaurants Absprache mit einer nicht identifizierbaren Person gehalten hatte.
Nicht nur das. Darüber hinaus hatte sie dem- oder derjenigen etwas in die Hand gedrückt, das ganz verdächtig nach einem USB-Stick ausgesehen hatte. Oder einer Speicherkarte. Auf jeden Fall irgendetwas, auf dem man digitale Daten sichern konnte.
Grund genug, um noch tiefer zu bohren.
Davon ausgehend hatte man mithilfe von Befragungen ehemaliger Mitarbeiter – die natürlich allesamt anonym bleiben wollten – in Erfahrung gebracht, dass sie offenbar in ihrem privaten Büro in der Firma einen Safe hütete. Einen Safe, der ganze Bündel von Geldscheinen beherbergte.
Geld, das nirgendwo auftauchte.
Und Geld, von dem sich sicherlich ein Teil in dem dicken Kuvert befunden hatte, das sie von der unbekannten Person im Austausch mit dem USB-Stick zugesteckt bekommen hatte.
Unser Boss war fuchsteufelswild.
Von der gerissenen Mrs. Livsey und ihrer weinerlichen Schauspielerei, bedroht und angegriffen zu werden, hatten wir uns schön an der Nase herumführen lassen. Dabei hatte sie lediglich Vorkehrungen getroffen, selbst als Opfer statt als Täterin dazustehen.
Vermutlich hatte sie sich auch noch irgendwo ein Hintertürchen offengelassen, bei Bedarf Greg Horan die Rolle als Kopf der ganzen Geschichte zuzuschieben, sollte sich dieser trotz allem dazu entschließen, einen Auftritt bei den Behörden hinzulegen.
In diesem Kontext war es also ein voller Erfolg gewesen, Niall aufzugabeln.
Was mich aber nicht davon abhielt, ihn trotzdem zu hassen.
Leider war ich mit dieser Einstellung der Einzige. Alle anderen Kolleginnen und Kollegen waren längst seinem Charme verfallen, den er mit dem blonden Haar, dem unschuldigen Augenaufschlag und seiner niedlichen Stupsnase mit sich brachte. Und natürlich wusste der kleine Psycho genau, wie er diesen Charme am besten einsetzte, um sich in die oberen Drittel aller Sympathielisten zu befördern.
Vor allem Liam hatte einen Narren an ihm gefressen.
Nein, das war eine Untertreibung.
Er vergötterte ihn.
Eigentlich dürfte das ja nicht verwunderlich sein.
Erstens und ganz objektiv gesehen, landete bei Liam ohnehin jedes Geschlecht im Beuteschema, und ich meine, nicht einmal ich konnte leugnen, dass der kleine Psycho definitiv attraktiv war, wenn auch auf milchbubihafte Art und Weise.
Zweitens konnte er aber bei Liam selbstverständlich auch noch damit punkten, sich spitzenmäßig mit PCs, Programmen und allerlei anderem technischen Kram auszukennen. Hacken und Programmieren war (neben der Vorliebe, mir auf den Sack zu gehen) seine größte Leidenschaft. Eine, die er sich mit Liam teilte.
An dieser Stelle musste man wohl gar nicht erst erwähnen, dass die beiden in jeder freien Sekunde die Köpfe zusammensteckten und an irgendetwas feilten oder sich austauschten. Dass bei Leuten wie ihm eigentlich höchste Vorsicht geboten war, schien dem sonst so übervorsichtigen Payno in diesem Fall nicht in den Sinn zu kommen. Dafür war er viel zu sehr damit beschäftigt, ihn zu huldigen. Garantiert hatte er sich schon unzählige Strategien zurechtgelegt, wie er ihn eines zufälligen Abends ganz unauffällig in seine Wohnung locken konnte.
Hm. Nein. So unanständig war mein lieber Herr Kollege nicht.
Auf jeden Fall stand er aber sicherlich so kurz davor, ihn zu einem Date einzuladen.
Ob Niall ahnte, welche Reaktion er da ausgelöst hatte, konnte ich nicht beurteilen. Meiner Meinung nach war und blieb er ein scheinunschuldiges Stück. Daran würde sich auch in naher Zukunft nichts ändern.
„Wir brauchen Beweise", hatte uns der Boss eingetrichtert. „Handfeste Beweise. Nicht nur manipulierbares Videomaterial, auf dem im Grunde genommen auch nichts zu sehen ist, was Kriminalität offenlegen würde. Wir brauchen die Daten und das Geld selbst. Beides wird in Livseys verschlossenen Büroräumlichkeiten in der Firma zu finden sein. Die Frau hat immer großen Wert darauf gelegt, weder Mitarbeiter noch Bodyguards in diesen Bereich zu lassen, unsere Leute sind immer auf dem Gang geblieben. Wir müssen also-..."
„Ich war schon mal drin", hatte sich dann Niall, dieser kleine Klugscheißer, natürlich zu Wort gemeldet. „Mit meinem Bruder bei einer Besprechung. Da sie auf dem Trip ist, alles wie bisher laufen zu lassen, damit nichts auffällig wird, würde sie mich sicherlich auch ein zweites Mal hineinlassen, wenn es um Verträge oder ähnliches geht. "
Daraufhin hatte sich Liam so dermaßen an seinem Kaffee verschluckt, dass ihm der wieder zur Nase hinausgelaufen war, um dann vehement zu protestieren.
Ein langes, ermüdendes Streitgespräch und viele, sinnlose Argumentationen später hatte schließlich festgestanden: Niall würde versuchen, sich über offiziellem Wege Zugang zu ihrem Büro zu verschaffen. Wenn Livsey wirklich so viel Wert darauf legte, nach außen hin alles wie sonst wirken zu lassen, konnte sie eine offen erbetene Besprechung der bestehenden Geschäftsverhältnisse schlecht abblocken.
Um ehrlich zu sein, hatte ich das ganze Konstrukt ohnehin noch nicht vollständig begriffen.
Greg Horan fand Hinweise darauf, dass Livsey an illegaler Waffenentwicklung beteiligt war, erhielt Morddrohungen und die Aufforderung, Stillschweigen zu bewahren – und zweifelte trotzdem daran, dass Livsey hinter den Drohungen steckte?
Das war doch einfach nur dumm.
Niall hatte auf diese Frage nur die Achseln gezuckt. „Er steht auf sie", war seine einzige Antwort gewesen. „Er würde nicht glauben, dass sie eine kaltblütige Bitch ist, selbst wenn sie es ihm höchstpersönlich buchstabieren würde."
Nun gut.
Was wollte man gegen eine solche Aussage noch einwenden?
Mein Boss hatte den Trottel die ganze Zeit über wohlwollend im Auge behalten und während seiner Erklärungen immer wieder nachdenklich genickt und allmählich befiel mich die Befürchtung, dass er ihn sich nach diesem Kram ins Boot holen wollte.
Spitzenhacker konnte man in unserer Branche immer gut brauchen.
Aber wieso denn ausgerechnet dieser Hacker? Konnten wir uns nicht einen suchen, der mich nicht aggressiv machte? Und einen, der nicht aussah wie die blondierte Version des Typs auf der Kinderschokoladepackung?
Leider hatte ich kein Mitspracherecht.
„Mimik, Kollege." Harrys Stimme war nicht mehr als ein Murmeln. „Wenn du weiter wie der Tod dreinschaust, schreckst du irgendwann sogar noch die Fliegen ab. Oder mich."
Säuerlich warf ich einen Blick zu ihm hinüber. „Vielleicht ist genau das mein Plan."
Harry hielt seine Augen starr nach vorne auf die blitzblank geputzte Fensterfront gerichtet, die die Straßenseite des Firmengebäudes auskleidete. Wir befanden uns im vierten Stock des Bürokomplexes von Livseys Firma, genau genommen an der Tür, die in ihren persönlichen Arbeitsbereich hineinführte und ein Tabu für sämtliche Mitarbeiter darstellte.
Wir zwei besetzten heute die Positionen der obligatorischen Bodyguards, die seit mehreren Wochen an Livseys Seite waren, um sie zu beschützen. Vor einer Gefahr, die es nicht gab. Zumindest nicht für sie, immerhin war sie selbst die Gefahr.
Verkorkste Sache.
„Ich hoffe, du erinnerst dich auch an den richtigen Plan, Louis." Harrys Tonfall war ungewohnt ernst. Und angespannt. Eine Aktion wie die heutige hatten wir noch selten gehabt. Wenn diese es schaffte, sogar einen erfahrenen Agenten wie Harry in Unruhe zu versetzen, hieß das so einiges. „Wenn die Kollegen nach dem falschen Alarm ausschwärmen, folge ich dem Evakuierungsprotokoll und schleppe Livsey nach draußen. Sie muss mitspielen, alles stehen- und liegenlassen und mitkommen, immerhin tun wir nur den Job, für den sie uns angeheuert hat. Du schickst Greg hinterher und tust so, als müsstest du dich noch um Niall kümmern. Wenn alle weg sind-..."
„... stellen Babyface und ich das Büro auf den Kopf", vollendete ich seinen Satz seufzend. „Ich weiß, Harold. Ich war dabei, als der Plan besprochen wurde, schon vergessen?"
Harrys angesäuertes Schnauben war laut genug, um im leeren Gang widerzuhallen. „Sicher? Meines Wissens nach, warst du eher damit beschäftigt, Niall mit Blicken zu erdolchen. Lass ihn doch einfach mal in Frieden."
Am liebsten hätte ich ihm eine Grimasse geschnitten, aber da das auf den Aufzeichnungen der Securitykameras kein gutes Bild gemacht hätte, ließ ich es bleiben. „Müssen wir das jetzt diskutieren?"
„Nein." Mein Partner erneuerte seinen Stand. Vermutlich schliefen ihm vom ewigen Stehen allmählich die Füße ein. „Aber nach dem Einsatz kommst du nicht mehr aus. Verbock das hier bloß nicht, Lou. Wenn die Aktion scheitert, weil du und Niall euch ständig in den Haaren liegt ..."
Ärger kochte in mir hoch. „Sag mal, warum hackst du eigentlich die ganze Zeit auf mir herum, Harold? Und warum zum Henker tust du so, als wäre Babyface das reinste Unschuldslamm und ich ein streitsüchtiger Hammel?"
Ich hielt inne, als ich seinen zweifelnden Blick sah. „Okay, ich bin ein streitsüchtiger Hammel. Aber zu einem solchen Konflikt gehören immer zwei. Und ich finde es im Moment wirklich beschissen, wie du ständig versuchst, mir die ganze Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Solltest du nicht eigentlich zu mir halten?"
Harry gab ein frustriertes Gurgeln von sich und hätte sich garantiert die Haare gerauft, wären wir nicht im Dienst und in der Öffentlichkeit gewesen. „Verdammte Scheiße, Lou! Jetzt ist nicht der richtige Z-..."
Gegenüber wurde eine Tür aufgestoßen und brachte ihn augenblicklich zum Verstummen.
„Hallo."
Höflich lächelten wir der jungen Frau zu, die nun in hochhackigen Schuhen auf den Gang trat, einen Stapel Akten in den Händen. Sie schenkte uns keine besondere Aufmerksamkeit – sollte sie unseren Zoff also mitbekommen haben, ließ sie es sich wenigstens nicht anmerken.
Kaum war sie um die Ecke verschwunden, schoss Harrys Kopf schon wieder herum. Seine grünen Augen blitzten wütend. „Wir setzen diese Unterhaltung danach fort."
Provokant starrte ich zurück. „Mit Vergnügen."
Die darauffolgende Dreiviertelstunde über standen wir unbewegt nebeneinander, stierten die gegenüberliegende Wand an und schwiegen verbissen. Im Streiten-ohne-zu-streiten waren wir schon immer unschlagbar gewesen.
Und als irgendwann mit dem charakteristischen Ping die Tür des Aufzugs aufging und mitunter einen vertrauten, blonden Haarschopf offenbarte, war ich noch nie so erleichtert darüber gewesen, Babyface zu sehen.
Ich atmete tief durch.
Nicht mehr lange, dann würde der Einsatz voll durchstarten – beginnend mit dem Täuschungsmanöver für die liebe Mrs. Livsey.
Die unter falschen Vorwänden eingefädelte Besprechung hatte noch keine zehn Minuten angedauert, als auch schon die abgesprochene Warnung von Liam durch unsere Headsets dröhnte – und obwohl ich im Gegensatz zu den meisten unserer anderen Kollegen wusste, dass die ganze Szene nur eine Masche war, um Livsey aus ihrem Büro zu bringen, machte sich ein mulmiges Gefühl in mir breit.
Bei einer solchen Durchsage, die eine unmittelbare Bedrohung für die Zielperson kundtat, verfielen wir für gewöhnlich sofort in das Evakuierungsprotokoll. Und es musste schnell gehen. So schnell wie nur irgendwie möglich. Keine einzige Sekunde durfte verzögert werden, auch nur ein einziger, falscher Schritt war ein absolutes No-Go, der den Tod der Zielperson bedeuten könnte.
All das heute ganz beabsichtigt zu missachten, widersprach meinen jahrelang antrainierten Prinzipien.
Heute tauschte ich nur einen vielsagenden Blick mit Harry – wenn auch einen sehr angriffslustigen, vielsagenden Blick – um dann abzuwarten und darauf zu lauschen, wann in den tieferen Stockwerken das Chaos ausbrach. Das Chaos, das wir brauchten, um genug Zeit für eine Bürodurchsuchung zu gewinnen.
„Leeroy an Larry. Die hausinterne Security ist beschäftigt", meldete Liam sich wieder per Headset. „Ihr könnt."
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen.
Zu meiner Enttäuschung übernahm zwar Harry den actionreichen Job, dramatisch die Tür einzutreten, aber wenigstens ging es nun los. Das ewige Abwarten machte mich wahnsinnig. Zumal danach ja auch noch dieses Krisengespräch mit meinem Partner fällig war, dem ich mit eher gemischten Gefühlen entgegenfieberte.
„Mrs. Livsey!" Mit wenigen, großen Schritten hatte Harry den kurzen Gang zu Livseys Besprechungszimmer zurückgelegt. Ich dackelte wie ein hilfloses Hündchen mit viel zu kurzen Beinen hinterher. „Mrs. Livsey, wir müssen Sie umgehend evakuieren. Mehrere bewaffnete Personen sind in das Gebäude eingedrungen und augenscheinlich auf dem Weg hierher."
Livsey, eine Frau mittleren Alters mit roter Kurzhaarfrisur und unzähligen Klunkern an Ohren, Hals und Fingern, sprang auf, einen fassungslosen Ausdruck im Gesicht. „Was?"
Greg Horan, der äußerlich nur recht geringe Ähnlichkeit mit seinem nervtötenden, kleinen Bruder aufwies, saß ihr gegenüber an dem Tisch und wirkte nicht minder entsetzt. Dem Anschein nach hatten die beiden mit eng zusammengesteckten Köpfen über einem Dokument gehangen und waren hektisch auseinandergefahren, als wir den Raum gestürmt hatten.
Falls Niall Recht hatte, was seinen Bruder und dessen Gefühlsleben für Livsey betraf, wusste Letztere nur zu gut, welche Stränge sie ziehen musste, um ihn zu Wachs in ihren Händen werden zu lassen.
Schön für sie.
Kurz scannte ich den überschaubaren, wenig möblierten Besprechungsraum nach meinem Zwangskollegen, doch Niall war nirgendwo zu sehen. Vermutlich hatte er sich nach Liams Durchsage mit irgendeiner Entschuldigung in einen anderen Raum verkrümelt und dort auf unser Eintreffen gewartet.
„Mrs. Livsey, Mr. Horan." Harrys harter, unnachgiebiger Befehlston, den er in solchen Kontexten anschnitt, schaffte es immer wieder, mich ehrfürchtig werden zu lassen. Er hatte inzwischen seine Dienstwaffe gezogen und tat so, als würde er überlebenswichtige Befehle über sein Headset empfangen. Verdammter Profi. „Ich fordere Sie dazu auf, umgehend mitzukommen."
Während Livsey sich mit sichtlich zusammengebissenen Zähnen hinter dem Tisch hervorschob – passen tat ihr das hier garantiert nicht, aber sie musste mitspielen, wenn sie weiterhin das bemitleidenswerte Opfer bleiben wollte – wedelte Greg Horan atemlos in Richtung Tür.
„Mein Bruder ist vorhin zur Toilette!" Panisch sah er zwischen uns hin und her. „Er weiß dann ja gar nicht, wa-..."
Natürlich saß Niall auf der Kloschüssel. Hmpf.
„Kein Problem." Harry bugsierte ihn zusammen mit seiner korrupten Geschäftspartnerin auf den Gang. „Mein Kollege kümmert sich um ihn."
„Aber-..."
„Raus!"
Schimpfend und jammernd und extrem ungeschickt bahnte sich das merkwürdige Trio seinen Weg durch den Gang und verschwand durch die Tür in den offiziellen Teil des Gebäudekomplexes.
Harrys warnender Blick war das Letzte, was ich von ihnen zu sehen bekam.
Angespannt wartete ich noch einige zusätzliche Sekunden, für den Fall, dass Livsey noch einmal hereinplatzte, ehe ich mich umsah.
„Niall!" Es kostete mich eine Menge, ihn mit seinem gewöhnlichen Namen anzusprechen. „Wir können loslegen!"
Prompt flog eine der Türen unmittelbar neben mir auf und sorgte dafür, dass ich zusammenzuckte. Ein spitzbübisch grinsender Niall schob seinen viel zu blonden Kopf durch den Spalt. „Hey, Tommo."
„Spar dir das." Abrupt wandte ich mich ab. „Wo ist das Büro von dieser Bitch?"
Niall schien mühsam eine provokante Bemerkung hinunterzuschlucken, denn biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor er auf die Tür wies, die sich ganz hinten im Gang befand. „Voilà."
„Danke." Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, marschierte ich an ihm vorbei. „Los."
Den Safe zu finden, war nicht schwer. Er befand sich an einem höchst gewöhnlichen Ort hinter dem Schreibtisch, fein säuberlich in den dortigen Aktenschrank integriert und sogar mit Bilderrahmen und künstlichen Blumen dekoriert. Ein klarer Fall von unauffälliger Auffälligkeit.
Nicht so ganz nicht-schwer war es allerdings, das verdammte Teil zu öffnen.
Während ich Niall dazu verdonnert hatte, an der Tür zu stehen und auf Geräusche möglicher Rückkehrer zu lauschen, tippte, schraubte und stemmte ich verbissen an dem Schloss herum. Es war kein Fingerabdruckscanner, wie ich zunächst befürchtet hatte, sondern tatsächlich ein gewöhnliches Zahlenfeld, aber das reichte aus, um mich länger zu beschäftigen, als mir lieb gewesen wäre. Ungefähr so, wie es auch schon bei Dennis Jones' Party vor einiger Zeit der Fall gewesen war.
„Verdammte Scheiße!" Fluchend ließ ich die flache Hand auf die geschlossene Schranktür daneben niedersausen, um gleich darauf zu Niall herumzuwirbeln, der sich sonst wo herumtrieb, nur nicht dort, wohin ich ihn verwiesen hatte. „Setz dich endlich auf deine vier Buchstaben, Junge! Deine Rennerei macht mich kirre!"
„Sicher, dass es meine Rennerei ist, nicht deine Unfähigkeit?", kam es prompt zurück, wie immer sehr gut gelaunt.
Ich war sprachlos.
Dieser kleine Pisser.
„Du bist ein-..."
„Lass mich mal." Besagter kleiner Pisser ließ sich neben mir auf den Boden fallen und machte Anstalten mich zur Seite zu schieben. „Du kannst das nicht."
Mein Blut kochte. „Ach, ist das so? Soll ich dir mal zeigen, was ich dafür ganz besonders gut kann? Ich habe ein Händchen dafür, besserwisserischen, möchtegernblonden Pissern die Fr-..."
„Meine Güte, Tomlinson." Niall verdrehte die Augen, noch immer in diesem provokant gelassenen Tonfall, gleichzeitig aber mit einem unschuldigen Blick, als wäre er das reinste Unschuldslamm. „Behalt deinen Hammer in der Hose. Es ist ja nicht so, als würde ich dir deinen Freund ausspannen oder so. Ganz sicher nicht." Er hielt inne, um die Nase zu rümpfen. „Und jetzt lass mich mal ran."
Wieder schob er meine Hand vom Zahlenfeld weg und verdammt, war ich wütend. Ich war so wütend. Ich war drauf und dran, ihm eine zu scheuern. Ich würde ihm so eine Ohrfeige geben, dass ihm die Ohren davon klingelten und-...
Dann fiel mir ein, was Harry mir eben noch mitgeteilt hatte.
Ich sollte das hier nicht verbocken.
Und ... nun ja. Meinem Zwangsverbündeten eine reinzusemmeln, weil ich mich von ihm provozieren ließ und es wirklich besser wissen sollte, zählte wohl ganz eindeutig zur Rubrik Verbocken.
In einem Anflug von Enttäuschung biss ich die Zähne zusammen.
Diese wohlverdiente Ohrfeige musste wohl noch ein wenig warten. Und ich musste mich beruhigen.
„Schön." Abrupt erhob ich mich und tätschelte ihm den Kopf. „Tob dich aus, Kleiner."
Niall wirkte enttäuscht – vermutlich darüber, dass ich nicht ausgeflippt war – und tatsächlich sogar ein wenig angefressen. „Was soll diese Bezeichnung denn ständig? Du bist auch nicht recht viel größer."
Ich schenkte ihm ein Grinsen, nun wieder in vollster Kontrolle über meine Gemütslage. „Aber älter." Ungeduldig winkte ich in Richtung des Safes. „Und jetzt mach endlich."
Während Niall also zu arbeiten begann, nahm ich den Rest des Raumes noch einmal unter die Lupe. Das Büro war an sich nichts Besonderes. Es war zwar unnötig groß und unnötig modern (und hässlich), aber ansonsten nicht recht viel anders als jedes andere Büro eben auch.
Aber dennoch war da eine Sache, die mich irritierte.
Stirnrunzelnd beäugte ich die sämtlichen offenen Schubladen an den Schränken. „Sag mal, was hast du denn hier getrieben? Wir hatten den Safe doch längst."
Niall brummte etwas, das unverkennbar frustriert klang. Anscheinend hatte auch er seine Probleme mit dem Safe.
Ha.
„Ich habe mich einfach noch ein wenig umgesehen", gab er schließlich zurück. „Schadet nicht."
„Wonach hast du dich denn umgesehen?"
Er zuckte die Achseln. „Einfach so."
Ein seltsames Gefühl beschlich mich. „Einfach so?"
„Ja."
„Ach."
Dann wandte er sich wieder vollständig dem Safe zu, doch nun war ihm die Anspannung überdeutlich anzusehen. Die hektischen Bewegungen, das unwillkürliche Umsehen, der vor Schweiß feuchte Haaransatz im Nacken.
Alarmiert trat ich näher.
Unser liebes Hackerblondchen war nervös. Und das ganz sicher nicht wegen der Mission, auf der wir uns gerade befanden.
Ich zögerte. Sollte ich mich unter einem Vorwand entfernen und die Kollegen in meinen Verdacht einweihen?
Nein. Die dachten ohnehin alle schon, ich hasste Niall grundlos, und würden sofort davon ausgehen, dass ich das nur als neuestes Argument benutzte, um ihn abzusägen. Vor allem Harry würde sich nur fassungslos an die Stirn greifen. Und dem hatte ich schließlich versprochen, nichts zu verbocken, oder?
Fuck.
„Ha!"
Der triumphierende Ausruf von Niall riss mich aus meinen Gedanken und als ich einen Blick auf den Safe warf, hätte ich fast vor Erstaunen gegrunzt.
„Was?!" Fast schon erschrocken schnellte ich an seine Seite, um die Safetür zu berühren, als müsste ich mich davon überzeugen, dass sich diese nun tatsächlich öffnen ließ. Was sie tat, wie man anmerken musste. „Wie ... was ... du hast-..." Verdattert brach ich ab, um mich zu ordnen. „Wie zum verschissenen Henker hast du das fertiggebracht?"
Niall strahlte mich an. Seine blauen Augen glänzten vor Aufregung, als er provokant mit den Brauen wackelte. „Können."
Und schon war er wieder dahin, der schwach aufkeimende Respekt für seine technisch-informatischen Fähigkeiten. Aber das war auch besser so, immerhin war da noch immer dieser nagende Verdacht in meinem Hinterkopf. Das Gefühl, dass Niall irgendetwas verschwieg, dass er mit ganz anderen Intentionen hier aufgetaucht war.
„Sieh dir das an." Niall hielt mir einen Packen Geldscheine unter die Nase, notdürftig mit einem Gummi zusammengebunden, als handelte es sich um wertlose Notizblätter. „Geld wie Heu."
Während ich fassungslos in dem Geld wühlte – vermutlich hatte ich noch nie so viel Kohle auf einmal in den Händen gehalten – erhob Niall sich, zog sein Smartphone hervor und schoss einige Bilder. Sowohl vom offenen Safe mit seinem Inhalt als auch vom gesamten Büro.
Wieder beobachtete ich ihn befremdet. „Wofür soll das denn gut sein?"
Er mied meinen Blick, sondern steckte übertrieben gewissenhaft sein Handy wieder weg. „Beweise und so."
Ich schnaubte. „Als ob das-..." Ich deutete auf das Geld. „...nicht Beweis genug wäre. Außerdem sind Fotos manipulierbar."
Ich spähte weiter in den Safe hinein und hätte fast wie ein Kind die Faust emporgereckt, als ich inmitten der Geldstapel mehrere Gegenstände ausmachen konnte, zum Teil silbrig glänzend, zum Teil mattschwarz oder gleich ganz auffällig in strahlend bunten Farben.
Datenträger. USB-Sticks, Speicherkarten, externe Festplatten. Sogar ein paar CDs waren zu sehen.
Genau das, wonach wir gesucht hatten.
Ich war entzückt. Wäre Harry hier, würde ich diesen Fund nun mit einer spontanen Knutsch-Session feiern.
Aber leider handelte es sich bei meiner aktuellen Begleitung um Niall-Klugscheißer-Horan. Und den würde ich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen.
Letztendlich entschied ich mich dazu, ihm trotzdem auf die Schulter zu klopfen. „Gute Arbeit."
Ich hatte fest damit gerechnet, ein gönnerhaftes „Ich weiß" zu kassieren, dicht gefolgt von einem Milchbubigrinsen, doch das kam nicht. Keines von beiden.
Denn ehe Niall auch nur Atem einholen konnte, zerbarst wie aus dem nichts die mächtige Fensterscheibe neben uns und ließ Scherben auf uns herabregnen, dicht gefolgt von einem aggressiven, harten Schlaggeräusch. Ein Schlaggeräusch, das ich sehr gut kannte.
Es stammte von einer Kugel, die auf eine harte, aber nachgiebige Oberfläche traf. Holz zum Beispiel. Die Tür zu unserer anderen Seite war aus Holz. Und jetzt gerade steckte in diesem Holz ziemlich mittig, ein wenig mehr in Richtung der Türklinke, eine Pistolenkugel.
Mein Herz setzte einen Schlag aus.
Jemand schoss auf uns.
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... ob das gut ausgeht? Vor allem, wo Niall ja irgendwie doch seine eigenen Pläne zu haben scheint ...
Tja.
Wie immer freue ich mich sehr über Sternchen und Kommis😊⭐
Liebe Grüße und einen schönen Start ins Wochenende!❤
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