53. Klappe die Zweite
"Huch. Hast du das gehört? Da war so ein komisches Geräusch."
Äh, ja danke. Ich glaube das war ich...
Es war anstrengend. Es war wie eine Tür, gegen die ich die ganze Zeit drückte und sprechen ging nicht so richtig. Ich wusste gar nicht mehr richtig wie das ging und es war so fürchterlich anstrengend und überhaupt. In meinem Kopf konnte ich Brautkleid bleibt Brautkleid und Blaukraut bleibt Blaukraut problemlos sagen. Aber nach außen ging nichts.
Dabei habe ich das "Klappe" wirklich aus tiefstem Herzen gedacht...
Als ich wieder aufwache ist Harry weg.
Natürlich. Auch sonst ist niemand da. Das Fenster ist auf. Kühle Luft. Es muss Nacht sein. Ich bekomme wieder Angst. Etwas neben mir piept. Ärzte kommen. Ich höre den heraus, der immer schnell spricht und den, der lieber Physiker geworden wäre und der immer nach Zigarre riecht...
Der Anruf erreichte Harry mitten in der Nacht. Nur drei Wörter: Er wacht auf.
Harry sprang direkt in die nächste Tube. Im Schlafanzug mit Bademantel drüber und ohne Schuhe. Scheiß egal. Was würde passieren? Die Ärzte hatten schon damals gesagt, dass junge Patienten eine bessere Prognose hätten als ältere, aber es durchaus dauerhafte Schäden geben könnte. Das war nicht nur wahrscheinlich. Wie würde Louis sein?
Wie würde es ihm gehen? Könnte Harry ihn zu Hause pflegen irgendwann? Er hatte sich den Arsch aufgerissen für die Wohnung, in der das möglich wäre. Alles für Louis.
Schlussendlich passierte im Krankenhaus erstmal gar nicht so viel. Es war nicht so, dass jemand aufwachte und wach war. Es war ein Prozess. Einer, den man von außen her wohl manchmal schlecht wahrnehmen konnte. Aber Harry merkte es.
Es war wie eine Erfüllung, als die schwache Hand den leichten Druck seiner Hand erstmals erwiderte. Harry heulte, als Louis das erste Mal ein Grummeln von sich gab. Als sich sein Gesicht verzog.
Er überhaupt irgendwas tat. Völlig egal was. Die Diagnosen waren gut.
Die Hirnleistungen stimmten die Ärzte optimistisch.
Trotzdem war es ein langer Weg. Immer wieder litt Louis an Blutdruckschwankungen und all so etwas, wovon Harry keine Ahnung hatte. Harry ging nicht mehr nach Hause. Er kam einfach mit einer Tasche und blieb im Krankenhaus. Wenn sie ihn weg haben wollten, müssten sie die Polizei rufen.
Harry hatte sich schon vorher an der Pflege von Louis, soweit möglich beteiligt.
Jetzt tat er es soweit für Laien möglich komplett. Alle fanden das komisch.
Nur Harry nicht. Was wenn Louis alles mitbekam? Harry hoffte, dass er sich freute, dass Harry sich um ihn kümmerte.
Irgendwann kicherte Louis, wenn er Harry sah und Harry hätte schwören können, dass es das schönste Geräusch der Welt war. Eine ganze Weile kommunizierte er über Kichern, Grummeln und so etwas. Aber Kichern tat er eben nur bei Harry. Kein Zufall. Er war ruhiger, wenn Harry dabei war. Harry kitzelte Louis gern, einfach weil er die Geräusche so unglaublich Doll liebte.
Stan und Oli kamen irgenwann vorbei als Louis wach war. Und Louis zeigte seinen Mittelfinger.
"Alter, ernsthaft?! Du liegst drei Jahre im Koma und zeigst mir deinen Mittelfinger?", Fragte der völlig schockiert.
Und Louis grinste breit. Und Stan und Oli grinsten auch. Egal wie tief drin. Aber da war Louis.
Eine direkte Ablehnung hatte er gegen Nathalie. Sobald sie den Raum betrat brummte er säuerlich und machte die Augen zu. Fertig.
"Also... Wie zu erwarten war, gibt es einige Folgeschäden. Der Bereich, der für die Beine zuständig ist, zeigt nach wie vor keinerlei Reaktion. Wir haben inzwischen alles Mögliche getestet, aber es sieht aus, als wäre kein bewusstes Gefühl in den Beinen. Etwa ab der Hälfte der Oberschenkel. Er wird, wie es aussieht, nie wieder laufen können."
"Ich habe ein Erdgeschosswohnung und breite Türen und der Vermieter ist mit weiteren Maßnahmen einverstanden. Das ist okay.", Erklärte Harry einfach.
"Die linke Hand weist zwischendurch immer wieder unkontrollierbare
Z
uckungen auf, während die Rechte relativ stabil wirkt. Der Speichelfluss und auch die sprachlichen Barrieren scheinen hingegen auf die Therapien anzusprechen. Wir bewegen uns definitiv im palliativen Bereich. Eine vollkommene Heilung ist, nach jetzigem Stand, ausgeschlossen. Es geht eher darum, die vorhandene Gesundheit zu erhalten und eine möglichst hohe Lebensqualität zu erreichen."
Für andere vielleicht eine fürchterliche Diagnose. Aber Harry freute sich. Er würde Lou irgendwann mit nach Hause nehmen können.
Das Leben spielte manchmal seltsam.
Noch über ein Jahr musste Louis in der Klinik bleiben. Er hatte viele Therapien.
Er selbst haderte natürlich mit seinem Körper. Verfiel in Depressionen und allem was dazu gehörte. Er hatte Harry von sich wegstoßen wollen. Wie alle anderen auch.
Bei allen ging es. Aber nicht bei Harry.
Der packte ihn in den Rollstuhl und ging mit ihm raus. Denn dort war es Louis zu peinlich zu meckern, seit ein Mann Mal unwirsch gefragt hatte, ob man wegen Tourette jetzt einen Rollstuhl bräuchte.
Oft musste Harry Louis vom Boden aufheben, weil der einfach versucht hatte, aufzustehen. Mehr als einmal verletzte er sich dabei. Aber Harry blieb. Es bestand für ihn keine andere Option. Egal, wie oft Louis sagte, dass er gehen sollte. Dass er keine Schuld hatte und endlich ein Leben ohne Klotz am Bein leben sollte.
"Du bist kein Klotz."
"Doch. Ich bin beweglich wie ein Klotz."
"Dafür hat der Mensch das Rad erfunden."
"Ey, ich bin kein Klotz."
"Genau, Schatz. Worüber regst du dich also auf?"
Und so fanden sie ein Leben, dass ihres war. Mit Rollstuhl, mit medizinischen Hilfsmitteln, Behandlungen und Therapien.
Und irgendwann musste Louis einsehen, dass Harry ihn niemals allein lassen würde. Nicht, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, sondern weil Harry das wollte. Weil er Louis liebte. Mit allem was er hatte.
"Aber du musst deinem Freund den Arsch abwischen? Ist das nicht komisch?", Wurde er auf einer Party gefragt. Louis wurde von Niall geschoben. Unter Liams Aufsicht. Das war sicherer. Letztens hatten die beiden allein getestet, ob ein Rollstuhl driften konnte... Niall war ursprünglich Praktikant im Krankenhaus gewesen und dann war er Louis' schräger Kumpel geworden und inzwischen Liams Freund. Naja. Louis' schräger Kumpel war er immer noch. Er hatte sich auch Mal auf dessen Beine gesetzt, weil er nicht mehr stehen konnte.
Louis hatte empört geguckt und Niall hatte nur gelacht: "Was denn? Du merkst es doch eh nicht. Sei nicht so geizig. Ich will auch sitzen."
Alle hatten die Luft angehalten und Louis hatte einfach gelacht. Harry betrachtete Niall inzwischen als eine Art Therapiehund. Nur nicht so haarig.
"Ich schiebe ihm auch meinen Schwanz rein und lecke ihn.", Meinte Harry achselzuckend. Solche Bemerkungen prallten an ihm ab. Er kannte sowas zu Genüge. Egal ob seine Antworten unzureichend waren oder nicht. Leute die so anfingen wollten schließlich kein ernsthaftes Gespräch. Und mundtot machen konnte Harry.
"Aber willst du keinen gesunden Freund?"
"Nein. Ich will den, den ich liebe. Nur das ist wichtig. Wenn man jemanden liebt, gibt man ihn nicht auf. Egal wie hart es ist und wie schwer. Man tut es einfach nicht. Weil man niemals ohne denjenigen könnte. Und so lange du so denkst, tust du mir Leid. Denn dann weißt du nicht, was Liebe ist.", Grinste Harry und stand auf.
Liam und Niall hoben gerade den Rollstuhl wieder rein. Louis war schmutzig, aber grinste breit. Das war Nialls Zauberkraft.
Harry und Louis lagen im Bett. Sie hatten Sex gehabt. Denn das ging super. Nun lagen sie eng aneinander gekuschelt unter der Decke im halbdunklen Raum.
"Ich liebe dich.", Flüsterte Louis.
"Ich dich auch, mein Herz." Louis betrachtete ihre Körper, die sich durch die dünne Decke abzeichneten.
Harrys Beine waren muskulöser als seine.
Natürlich. Aber, so unter der Decke sah man es kaum. Da sah man keinen Rollstuhl und keine Medikamente. Da war einfach alles okay.
Ich atme die Luft, ich sehe in die Sonne, ich spüre die Wärme auf meiner Haut und den Wind in meinen Haaren. Ich spüre Leben. Ein Leben, an dem ich drei Jahre nicht teilhaben konnte. Wir sind im Park. Es hat geregnet. Harry schiebt mich schnell durch die Pfützen. Er fährt Skateboard. Ich lache. Denn ich spüre Leben. Und es hat nichts mit der Sonne oder dem Wind zu tun. Mein Leben steht hinter mir auf dem Skateboard und lacht, weil er uns durch eine Pfütze manövriert.
Ich bin glücklich. Weil ich Nathalie mit dem Rollstuhl über die Füße gefahren bin und weil ich vermutlich der Einzige bin, der eine Hupe am Rollstuhl hat.
Ich bin glücklich, weil es Menschen in meinem Leben gibt. Niall, Liam, Zayn, meine Eltern. Und dann gibt es meinen Menschen. Meinen Harry. Der immer bei mir ist. Der sich um mich kümmert und der mich zum Lachen bringt und der mich vergessen lässt, was ich nie wieder werde tun kann. Weil er sich über alles freut, was ich kann. Alles andere spielt für ihn keine Rolle. Er sieht mich. Mit dem was ich kann. Er fokussiert sich nicht auf das, was nicht geht. Ich selbst kann das nicht. Ich lerne. Von ihm. Er ist mein Kompass, der mir dabei hilft. Jeden Tag.
"Louis?", fragt er, als wir zu Hause sind.
Ich liege im Bett. Bin erschöpft. Die Therapie heute war anstrengend.
"Hm?"
"Mein Louis... Ich .. ähm. Also... Ich liebe dich... und ich will dich nie verlieren und ... Ich brauche dich... Und ohne dich kann ich mir ein Leben nicht vorstellen.. und ich hab lange überlegt und... Ich-"
"Harry?"
"Ah... Ja?"
"Klappe. Ja, ich will."
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