Transidentität
Mir ist es wichtig, vorweg zu sagen, dass das nur mein Weg ist, und jeder andere genau so richtig.
Als ich klein war, habe ich mein Geschlecht nie hinterfragt, mit Puppen gespielt und mich super mit anderen Mädchen verstanden. Es schien, als wäre alles gut. Seit der ersten Klasse hatte ich aber das Gefühl, dass irgendetwas fehlen würde. Ich konnte es nie identifizieren, habe mich gefragt, ob ich wohl auf Mädchen stehe oder das Gefühl nur daher kommt, dass ich Sehnsucht nach jemandem hatte, mit dem ich über alles sprechen konnte.
Ich denke, ich war gerade zwölf geworden, als ich in meinem Kopf das erste Mal die Frage formulieren konnte, ob ich mich nun als Mädchen oder als Junge fühle. Ich weiß noch, dass ich mir selbst darauf sagte, dass ich das jetzt noch nicht zu wissen brauchte, doch irgendwie ließ mich die Frage nicht los.
Damals ging ich zu einer Schulsozialarbeiterin, weil ich mich oft leer fühlte und nicht wusste, wo die Ursache dafür lag. Irgendwann fragte sie mich, ob es da noch etwas gäbe, das ich wegschiebe. Ich fing fieberhaft zu überlegen an, was ich darauf antworten sollte, und nickte schließlich mit Tränen in den Augen. Sie fragte, ob ich es ihr erzählen wollte, doch ich vereinte. Ein paar Sitzungen später sagte ich ihr dann mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen, dass ich nicht wusste, ob ich mich wirklich mit dem weiblichen Geschlecht identifizieren konnte, dass mir bei der Geburt zugewiesen wurde. Ich hatte unfassbare Angst davor, was sie dazu sagen würde. Aber glücklicherweise war sie total offen dafür (es ist nicht so, als ob ich etwas anderes erwartet hätte) und hat mir dann einige Fragen gestellt.
Anfang des Sommers hatte ich dann die Phase Eigentlich-bin-ich-zufrieden-mit-meinem-Geschlecht, bis ich zu einer Psychologin, zu der mich die Sozialarbeiterin verwiesen hatte, sagte, dass ich einmal mit meinem Gender gestruggelt hatte. Denn sie fragte mich, ob das immer noch der Fall sei und genau in diesem Moment merkte ich, dass ich mir etwas vorgemacht hatte. „Immer noch", schluchzte ich. Die Sommerferien danach waren nicht besonders schön.
Im Herbst hatte die Grübelei dann endlich ein Ende, da ich feststellte, dass ich als Mädchen nicht glücklich werden würde. Es war eine große Erleichterung für mich, doch ich war immer noch ganz am Anfang meines Weges. Viele Outings und Gespräche mit Psycholog:innen, Warten, Untersuchungen, Spritzen. Die Frage nach der Fertilität, Entscheidungen und ständig dieser suchende Blick 'Bist du dir sicher?'. Diese Frage hat mich mehrmals sehr verunsichert, was nicht hätte sein müssen. Es ist ja nicht so, als ob trans* Menschen diese Entscheidung leichtfertig treffen würden.
Ich habe der Sozialarbeiterin immer wieder erzählt, wie unwohl ich mich manchmal mit meinem Körper fühle. Sie hat es immer ernst genommen, bis auf dieses eine Mal. Damals ging es mir langsam endlich besser, viele Outings hatte ich schon hinter mich gebracht. Oft hatte ich ihr nicht mehr viel zu erzählen und wir hatten schon darüber gesprochen, unsere Treffen seltener werden zu lassen. Dann aber sagte ich ihr, wie scheiße es sich anfühlt, im 'falschen' Körper festzustecken. Was sie darauf antwortete, werde ich wahrscheinlich nie vergessen.
Sie meinte, dass ich mit meinem Körper bestimmt auch nicht zufrieden sei, wenn ich mich mit dem weiblichen Geschlecht identifizieren könnte. Als sie das gesagt hat, hat sich etwas in mir schlagartig vor ihr verschlossen. Ich bin der Meinung, dass das überhaupt nicht dasselbe ist. Wenigstens haben die anderen Jugendlichen die Geschlechtsmerkmale, als die sie sich fühlen. Das habe ich nicht.
Ich bin mir sicher, dass sie es nicht so gemeint hat und mir mit diesen Worten nur etwas von dem Schmerz nehmen wollte, den ich empfinde. Trotzdem bin ich danach höchstens noch zweimal zu ihr gegangen und habe mich nicht mehr bei ihr gemeldet, obwohl sie mir sehr geholfen hat. Es kam mir so vor, als hätte sie meine Gefühle damit als etwas Harmloses und Normales abgetan. Trotzdem bin ich ihr total dankbar dafür, dass sie mich in dieser schweren Zeit so unterstützt hat. Ich wüsste nicht, wo ich sonst heute ohne sie stünde.
Ich erzähle niemandem, den ich neu kennenlerne, gleich, dass ich trans bin. Ich habe Angst, dass ich ausschließlich auf diesen Begriff reduziert werde. Dass man mich deswegen abscannt und nach vermeintlich weiblichen Merkmalen sucht. Dass alles, was ich tue und sage, be- und verurteilt wird.
Ich bin gerne der feminin angehauchte schwule Mann. Meine Fingernägel sind oft schwarz lackiert. Aber ich habe ein Problem damit, wenn andere denken, dass sie das Recht hätten, mir meine Männlichkeit abzusprechen. Auch habe ich Angst davor, dass andere mich als nicht männlich lesen. Die Angst ist irrational, das ist mir klar, aber ich verschränke die Arme dennoch oft vor meiner Brust und achte darauf, dass der Hoodie flach fällt.
Es tut weh, in den Spiegel zu sehen. Nicht das zu sehen, was man will oder als das man sich identifiziert. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass ich mich bestimmt verhalten muss, um von anderen, die wissen, dass ich trans bin, nicht als Frau, die denkt, ein Mann zu sein, gelesen zu werden. Diese Bedenken werden auch nicht gerade kleiner, wenn andere mich aus Versehen misgendern.
Ich frage mich dann, was so schwierig daran ist, mich mit den richtigen Pronomen anzusprechen. Klar, es gibt immer die Phase, in der sich alle umgewöhnen müssen, sogar ich selbst, aber irgendwann ist doch wirklich genug Zeit vergangen, um sich anzupassen.
Manchmal habe ich Angst davor, dass andere transphobe Aussagen machen oder mich bei meinem alten Namen nennen. Er hat für mich keine Relevanz mehr und es ist mir wichtig, dass ich ihn nicht mehr höre, auch wenn meine Eltern manchmal meinen, es sei in Ordnung, meinen Deadname zu benutzen, wenn sie von mir vor der Zeit reden, in der ich mich geoutet habe. Dabei habe ich sie schon mehrmals darauf hingewiesen, dass ich das nicht möchte. Ich fühle mich unwohl damit.
Es gab eine lange Zeit, in der ich mich so wenig wie möglich mit fiktiven wie realen trans* Menschen beschäftigt habe. Ich habe kein Buch gelesen, ich habe nicht gegoogelt, ich habe keine Dokus geschaut. Ich hatte einfach zu große Angst davor, mich richtig damit auseinanderzusetzen. Ich denke, ich wollte nicht, dass ich wieder so zusammenbrach, wie es einmal geschehen war, als ich ein Buch las, an dessen Ende herauskam, dass die Hauptfigur, die trans ist, aus Unvorsichtigkeit eine Fehlgeburt hatte. Aber irgendwann ist der Knoten geplatzt und ich habe begonnen, mir auf YouTube Videos von und über trans* Menschen anzuschauen. Es war nochmal eine ganz andere Art, sich damit auseinanderzusetzen und auch wenn es mich sehr aufgewühlt hat, hat es doch gutgetan und war ein wichtiger Schritt.
Mich vor anderen zu outen, fällt mir nach wie vor schwer. Wie beginnt so ein Gespräch? Was soll man sagen? Wie soll man es formulieren? Macht man es kurz und knapp? Oder doch eher vorsichtig und erklärend? Die Fragen, die auf solch ein Outing unweigerlich folgen, stören mich oft. Was geht es andere an, welche Genitalien ich besitze, ob ich Hormone nehme oder welche Sexualität ich habe? Denken sie, nur weil ich trans bin, hätten sie ein Recht darauf, mir solche Fragen zu stellen? Cis Menschen werden diese Fragen schließlich nicht gestellt. Warum also mir oder anderen trans* Menschen?
Zurzeit beschäftigt mich ein Thema sehr: die sich häufenden Artikel von wegen trans* sein sei ein Trend. Ich bin auf einen Artikel der NZZ gestoßen, in dem es heißt, es gäbe 'einen globalen Trend zum Transgender' und man müsse von einer 'sozialen Ansteckung' sprechen. Außerdem wird behauptet, dass 'sich Ärzte diesem Zeitgeist beugen, um ihre Sensibilität für soziale Gerechtigkeit zu beweisen und nicht als transphob zu gelten'. Unter dem Text finden sich sehr viele transphobe Kommentare, die einfach nur schmerzen, wenn man zu den Betroffenen gehört. Beispielsweise steht da einmal: 'Dann will auch ich mit dem richtigen Pronomen angesprochen sein, das da ist: "seine Göttlichkeit".' Es wird sich darüber ausgetauscht, welcher Mensch 'diese bizarre Situation auch sehr akkurat' beschreibt, es heißt, es würden 'Tausende von jungen Menschen verstümmelt, entstellt, sterilisiert, traumatisiert ohne dass vertieft abgeklärt wird, ob sie tatsächlich zu den äußerst seltenen echten Transgender-Menschen gehören.' Darauf gibt es Antworten, die den Ärzt:innen unterstellen, dass sie es mit der ärztlichen Ethik vereinbaren könnten, wenn sie gut daran verdienen. 'Abnormal ist die neue Normalität' steht da und vieles mehr. Warum um alles in der Welt wird solcher Bullshit verbreitet? In einem anderen Artikel steht geschrieben, 'jeder Transmann ist eine verlorene Butch'. Als ob es nicht auch Transmänner gäbe, die eine andere Sexualität haben. Ich verstehe nicht, warum es Menschen gibt, die so sehr gegen trans* Identität sind. Die Kritik an Gesetzesvorschlägen, in denen es darum geht, dass alle, die sich als trans* identifizieren, selbst und praktisch egal welchen Alters darüber entscheiden dürfen, ob sie Hormone bekommen usw. verstehe ich noch einigermaßen. Aber dass Transphobie immer stärker wird und es Länder gibt, die Gesetzesentscheidungen für trans* Menschen wieder zurückziehen wollen und auch schon getan haben, finde ich unfassbar schlimm. Auch sollte man sich einmal vor Augen führen, wie sehr man trans* Jugendliche verunsichert, wenn sie solche schlimmen Kommentare oder Artikel lesen. Natürlich ist es wichtig, dass sich jeder, der sich unsicher ist, ob man sich mit dem biologischen Geschlecht wohlfühlt, ausreichend Gedanken darüber macht, Zweifel zulässt und sich richtig mit dem Thema auseinandersetzt. Aber mir hat sich das Herz bei einigen Kommentaren unter dem ersten Artikel zusammengezogen und unangenehme Gedanken angefeuert, mit denen ich mich schon zu genüge beschäftigt habe. Alle haben das Recht, ihre Meinung frei zu äußern, aber andere als Transe zu beleidigen und ähnliches finde ich unverschämt.
Abschließend möchte ich alle, die sich ihres Geschlechts wegen unsicher sind, dazu ermutigen, sich zu informieren, sich Zeit zu lassen und sich gegebenenfalls mit anderen 'Gleichgesinnten' auszutauschen und/oder sich mit jemand anderem darüber zu unterhalten. Mir persönlich hat das schlussendlich unfassbar viel gebracht.
Danke an alle, die sich meine Geschichte und Meinung durchgelesen haben.
Hier noch die beiden Artikel, die ich erwähne:
Artikel 1: https://www.nzz.ch/meinung/transgender-diagnosen-nehmen-zu-mit-teils-bedenklichen-folgen-ld.1585147
Artikel 2: https://www.zeit.de/kultur/2015-12/transsexualitaet-homosexualitaet-diversity-geschlecht-butches-10nach8
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