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Louis
Wie problemlos Schulwochen doch vergehen konnten.
Alles, was es dazu anscheinend brauchte, war Harry, der fünf Tage lang sein Lächeln nicht verlor und mir sagte, dass er mich liebte, selbst wenn ich gerade nicht wusste, dass ich es hören wollte. Mit rauer Stimme, wenn wir aufwachten, mit geschlossenen Augen, wenn er in meinem Arm in den Schlaf döste, mit träumerischem Blick, wenn er bemerkte, dass ich ihn beim Lesen beobachtete. Trotzdem war es nicht schwer, mit ihm mitzuhalten. Es gab nichts, das ich lieber erwiderte.
Wie konnte Glück aus drei kleinen Worten bestehen? Keine Ahnung. Aber mit Harry hatte ich längst gelernt, mich auf Sachen einzulassen, die sich richtig anfühlten, auch wenn ich sie nicht wirklich verstand. Liebe existierte nicht, um verstanden zu werden. Man musste sie nur leben.
»Kurze Hosen?« Harry hielt ein Paar helle Jeansshorts hoch. Ich schob meinen Stapel mit Bibliotheksbüchern beiseite und sah ihn fragend an.
»Was ist damit?«
»Mitnehmen oder nicht?« Harry deutete auf sein Bett, auf dem sein geöffneter Sesamstraßenkoffer lag.
Ich lachte überrascht. »Nach London? Harry, wir fahren nicht heute, sondern nächsten Freitag!« Oder Donnerstag, fügte ich in Gedanken hinzu. Ich hatte Evelyn gestern um Erlaubnis gebeten, dass Harry und ich schon Donnerstag nach der Schule losfahren dürften. Wir würden selbstverständlich alles für Freitag vorarbeiten. Sie hatte mir noch keine endgültige Antwort gegeben, aber immerhin nicht abgelehnt.
Harry verdrehte die Augen und krempelte die Hosentaschen von außen nach innen. »Das weiß ich. Ich will trotzdem schon mit dem Packen anfangen. Ich bin zu aufgeregt, um länger zu warten. Also. Denkst du, ich brauche kurze Hosen? Wettermäßig?«
»Vielleicht wüsstest du das, wenn du nicht eine Woche vorher packen würdest, Haz.«
»Du bist keine Hilfe, Louis.«
»Ich sag's ja nur.« Ich zog ein weiteres der Bücher zu mir heran. Sie mussten danach sortiert werden, ob ich oder Harry sie ausgeliehen hatten. Oscar Wilde. Eindeutig Harry. »Aber wenn du die Frage ernst meinst; ich würde sagen, lass sie hier. Keine große Chance, dass es nächstes Wochenende immer noch so warm ist wie die letzten Wochen. Englischer Frühling ist kein Kurze-Hosen-Wetter. Und selbst wenn eine Hitzewelle einbrechen sollte, sind wir in London. Wir können dir einfach eine kaufen.«
Zufrieden nickte Harry. Er schob die Jeans zurück in den Schrank. Ich widmete mich wieder den Büchern. Bis es klopfte.
»Ja?«, rief Harry mit einem Stapel Pullovern in der Hand, der definitiv zu groß für die wenigen Tage in der Hauptstadt war.
Die Tür öffnete sich und Niall streckte den Kopf ins Zimmer. Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Seit wann klopfst du?«
»Seit du und Harry euer erstes Mal verpasst habt.« Er zog die Tür hinter sich zu und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Es ist nicht mehr sicher, dieses Zimmer unangekündigt zu betreten.«
»Denkst du, ich sollte eine kurze Hose nach London mitnehmen, Ni?«, fragte Harry, ohne Nialls Erklärung Beachtung zu schenken.
Niall zuckte mit den Schultern. »Ja. Nimm sie mit. Kann nicht schaden.«
Ich schob den Atlas, den ich ausgeliehen hatte, auf den ›Louis‹-Stapel. »Es muss einen Grund dafür geben, dass du jetzt hier bist, trotz der schrecklichen Gefahr, mich und Harry beim Sex zu stören.«
Niall nickte. »Richtig, Louis. Ich wollte euch warnen.«
Harry und ich warfen uns einen skeptisch amüsierten Blick zu. Die Art von Hochgezogene-Augenbrauen-Blick, den man sich oft gegenseitig zuwarf, wenn man einen Freund wie Niall hatte.
»Wovor?«, fragte Harry wie beiläufig.
Niall seufzte. »Zayn.«
Wieder fing ich Harrys Blick auf. Besorgnis flackerte in seinen Augen. »Wieso, Ni?«
»Er steht seit einer Weile vor den Waschräumen und sieht die ganze Zeit den Flur hinunter. Ich hab mich mit Sophie unterhalten – spar dir deinen Kommentar, Tomlinson – deswegen ist er mir aufgefallen. Ich denke, er wartet darauf, dass du das Zimmer verlässt, Louis. Oder Harry. Es macht nicht wirklich einen Unterschied.«
»Ich hätte ihn einfach am ersten Tag umbringen sollen.« Größter Fehler meines Lebens.
Niall grinste. »Du warst der erste von uns, der sich mit ihm befreundet hat! Du wolltest ihn nie umbringen, du fandest ihn super.«
»Das war nicht mein erster Eindruck von ihm. Der war nämlich schlecht.«, erklärte ich. Dann fiel mir wieder der eigentliche Ablauf ein. »Naja, zumindest der erste Eindruck nach meinem allerersten Eindruck von Zayn, der sehr gut war.«
»Dein allererster Eindruck von Zayn war sehr gut?«, fragte Harry ungläubig. »Seine Vorstellungsrede war ziemlich seltsam, fand ich.«
»Ich fand sie witzig.«, kommentierte Niall.
Ich überging ihn. »Nicht wegen seiner Rede. Zayn ist attraktiv, kommt schon! Deswegen war mein erster Eindruck von ihm sehr gut.«
Ein unmöglich zu deutendes Lächeln legte sich auf Harrys Gesicht. Er warf ein paar Socken zurück in den Kleiderschrank, kam auf mich zu und schloss mein Gesicht in seine Hände. Ohne eine Sekunde vergehen zu lassen, küsste er mich lächelnd. Ich war zu verwundert, um den Kuss wirklich erwidern zu können. Offensichtlich zufrieden löste Harry sich wieder von mir und drehte sich mit demselben Lächeln zurück zum Schrank.
»Wofür war das?«, fragte ich noch immer ein wenig perplex.
»Dass du Zayn attraktiv findest.«, antwortete er. Zum vielleicht ersten Mal überhaupt schaute ich verwirrt und Hilfe suchend zu Niall. Aber auch der konnte nur ratlos mit den Schultern zucken.
»Du freust dich darüber, dass ich den Jungen attraktiv finde, der beinahe unsere Beziehung zerstört hätte?«
»Was? Nein.« Harry sah aus, als würde er es stark in Erwägung ziehen, mich für meine Dummheit mit einem der Sockenpaare in seinen Händen abzuwerfen. »Ich freue mich darüber, dass du dich in deiner Sexualität wohlfühlst! Dass es dir nichts ausmacht, über Jungen zu reden, wie du früher über Mädchen geredet hast. Oder es immer noch tun würdest. Bi immerhin.«
Lächelnd schüttelte ich den Kopf und beschloss, darauf nichts mehr zu sagen. Nur Harry Styles könnte so glücklich darüber sein, dass sein fester Freund andere Leute attraktiv fand.
»Okay, können wir zurück zum Thema kommen?«, meldete Niall sich wieder. »Zayn lauert einem von euch da draußen auf. Da bin ich mir zu 99% sicher.«
Ich verschwendete nicht viel Zeit damit, über diese Sache nachzudenken. »Mir macht es wirklich nichts aus, den Rest des Tages hier im Zimmer zu verbringen. Ich schätze, Harry und ich werden uns schon zu beschäftigen wissen.«
Harry verzog das Gesicht. »Ich will nicht den Rest des Schuljahres in unserem Zimmer aussitzen.«
»Ich weiß. Aber ich will mir nicht vorstellen, was Zayn alles für Pläne geschmiedet hat, um irgendeinen neuen Keil zwischen uns zu treiben. Ich habe einfach genug von seinem Drama.«
»Das verstehe ich, Louis, ich habe auch genug davon. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Es kann nichts passieren. Dieses Mal weiß ich, was seine Intentionen sind. Er wird mich kein zweites Mal küssen können.«
Ich seufzte leise. »Ich weiß. Tut mir leid.« Das letzte, was ich wollte, war, Harry weiterhin das Gefühl zu geben, als würde ich ihm nicht mehr vertrauen. Ich hatte genug angerichtet. Zayn würde nicht einfach verschwinden. Ich würde Geduld haben müssen. Mich nicht von ihm provozieren lassen. Außerdem hatte er sich die letzte Woche sehr ruhig verhalten. Vielleicht lag Niall falsch, und Zayn hing einfach gerne vor den Waschräumen herum. Vielleicht hatte er die Sache mit Harry und mir hinter sich gebracht. Hoffentlich. »Manchmal hasse ich es wirklich, pausenlos an diesem Ort festzustecken.«
Niall sah zu Harry, der nickte. »Ich auch, Louis.«, antwortete mein fester Freund.
»Hört auf, so rumzujammern.« Niall ließ sich neben dem geöffneten Koffer auf Harrys Bett fallen. »Deswegen fahrt ihr in einer Woche doch nach London! Die halbe Schule ist neidisch.«
Damit hatte Niall auch wieder recht. Ich konnte selbst nach den vergangenen Monaten insgeheim noch immer nicht glauben, dass Evelyn mir die ganze Sache sofort genehmigt hatte, als ich sie gefragt hatte. Trotz der Regelung, dass Schüler außer in den Ferien das Internat nicht verlassen durften. Und dann kam noch ihr Angebot wegen des Transports hinzu. Vielleicht hatte das Universum einfach beschlossen, Harry das beste Geburtstagsgeschenk überhaupt zu ermöglichen.
»Okay«, Niall rappelte sich wieder auf und legte eine Hand auf die Türklinke. »Ich werde euch Zwei mal wieder alleine lassen. Du hast recht, Louis, ihr werdet euch schon zu beschäftigen wissen. Bis später.«
Mit diesen Worten verließ er unser Zimmer wieder. Harry ging zurück zu seinem verfrühten Packen über. Ich widmete mich den letzten Büchern auf meinem Stapel. Wenn ich nachher zur Bibliothek runtergehen würde, könnte ich sehen, ob Zayn noch immer von den Waschräumen stand.
»Wann wirst du packen, Louis?«, fragte Harry nach einer Weile. Sein Koffer hatte sich beträchtlich gefüllt. All diese Sachen würde er in drei Tagen niemals brauchen.
»Am Donnerstag, schätze ich. Wieso?«
»Nimm bitte dein FC Arsenal T-Shirt mit.«, überging er meine Frage. Oder war das die Antwort?
Verwirrt runzelte ich die Stirn. »Wieso?«, fragte ich wieder. In dem Shirt schlief ich nur. Es war mir definitiv ein bisschen zu groß.
»Ich will es tragen. Schließlich werde ich in London sein.«
Ich lachte amüsiert. »Nenn mir auch nur einen einzigen Spieler des Teams!«
Schmollend verzog Harry sein Gesicht. »Ich hasse dich, Louis.«
Es war unmöglich, das Lächeln zu unterdrücken. »Ich liebe dich, Harry. Auch wenn du keine Ahnung von Fußball hast. Aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich dich das T-Shirt tragen lasse.« Das war wahrscheinlich eine Lüge. Harry würde perfekt in dem Shirt aussehen, das auch ihm ein bisschen groß wäre.
»Ich liebe dich auch, Louis.« Er hatte alle Kleidungsstücke beiseite gelegt und setzte sich jetzt kurzerhand mit gespreizten Beinen auf meinen Schoß. »Noch mehr, als du Arsenal liebst.«
»Unmöglich«, grinste ich gegen seine Lippen.
»Sicher? Hat der FC Arsenal je das hier getan?« Er küsste mich, lächelnd, mit Zunge. Die Wärme seines Mundes war bestechend. Seine Lippen hatten längst gelernt, was sie tun mussten, um meine feucht und rosig werden zu lassen.
Ich würde Harry nicht verraten, dass ich die Pläne unseres ersten Mals auf London verschoben hatte. Es war noch besser als Ferien im Internat, mit Zayn im Fernsehzimmer. Viel besser.
Es würde perfekt werden.
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Ein Extrakapitel am 24.? Es ist one rooms letztes Weihnachten...
Habt ein paar schöne Tage mit oder ohne eure Familien und frohe Weihnachten an alle, die es feiern!! <3
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