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Louis
»Du hast wirklich einen schlechten Einfluss auf Harry, Louis.« Niall sah mich vorwurfsvoll an – wie so ungefähr immer.
»Ach ja?« Niall konnte sagen, was er wollte. Ich hatte gute Laune. Es war Sonntag, keine Schule und gutes Frühstück also. Viel besser ging es wohl nicht. »Wieso das jetzt schon wieder?« Harry neben mir sortierte das Obst zu einem Muster auf seinem Tellerrand, aber ich konnte ihm ansehen, dass auch er auf Nialls Antwort wartete.
»Ganz einfach«, ließ der Ire nicht länger auf sich warten, »Früher hätte Harry um nichts in der Welt Forrest Gump verpasst. Nichts hätte ihn jemals von diesem Film fernhalten können. Und dann kommst du an, und schon war es das mit Tom Hanks. Wusstest du, dass Harry perfekt seinen Akzent aus dem Film nachmachen kann?«
Ich schüttelte den Kopf, merkte mir das für später. Aber es störte mich ganz und gar nicht, dass ich die Macht hatte, Harry von seinen Lieblingsfilmen fernzuhalten.
»Ach Niall, lass die beiden.«, sagte Liam. »Es ist doch kein überraschender Zufall, dass Harry den Film verpasst, zusammen mit Louis. Und den ganzen Abend nicht mehr wiederkommt. Wir können doch froh sein, dass uns deswegen nicht wieder vorgehalten wird, wie schrecklich deprimierend es ist, single zu sein, während sie miteinander kuscheln und mehr von den Augen des Anderen als vom Film mitkriegen.«
»Vielleicht finde ich es ja viel deprimierender, wenn mir vorgehalten wird, dass die beiden nicht mal zum Schmusen ins Fernsehzimner kommen, weil sie oben ganz andere Dinge miteinander machen.«
»Gott, Niall, kannst du nervig sein.« Liam stach ihn mit seiner unbenutzten Gabel in den Arm. »Nur weil Sophie nicht mehr mit dir schläft.«
»Wer ist Sophie?«, meldete Zayn sich zu Wort. Er saß zwischen Harry und Liam, sah jetzt aber Niall an.
»Nialls Freundschaft Plus«, klärte ich auf. »Oder eher; seine Ex-Freundschaft-Plus.«
»Halt den Mund, Tomlinson. Nur weil du meinem besten Freund aus echten Gefühlen heraus Orgasmen bescherst, heißt das nicht, dass sie besser sind als die von Sophie und mir es waren.«
Ich lachte und stellte meine Teetasse zurück auf den Tisch, ohne etwas daraus getrunken zu haben. »Dreimal darfst du raten, Niall, wie gut es sich gestern für Harry und mich in der Bibliothek angefühlt hat.«
Sofort spürte ich, wie Harrys Finger sich in meinen Unterarm krallten. Als ich ihn ansah, hatte sich eine hartnäckige Röte auf seine Wangen gelegt. Erst Liams Worte halfen mir, diese Reaktion ganz zu verstehen.
»In der BIBLIOTHEK?!«
Ich biss mir auf die Zunge. ›Bibliothek‹ war mir wohl unbewusst rausgerutscht. Oops.
»Harry!« Niall starrte ihn an, als hätte Harry irgendwen umgebracht.
»Shh!«, Harry sah Liam und Niall verzweifelt an, mit einem Finger auf den perfekten Lippen. »Bitte ein bisschen leiser, ja?«
»Ich kann es nicht fassen«, Liam raufte sich die Haare, seine Stimme jetzt ein wenig gesenkt, »Ihr habt es in der Bibliothek getrieben.«
»Wo, ich muss wissen-« Niall unterbrach sich selbst, »Nein, sagt es mir nicht! Oder, Moment, doch! Dann weiß ich, welchen Bereich der Bibliothek ich garantiert nie mehr betreten werde. Und welche Bücher bedauerlicherweise nicht mehr von mir gelesen werden.«
Harry schüttelte hektisch den Kopf, und ignorierte Nialls Frage. »Hey, wir sind eigentlich in die Bibliothek gekommen, um-«
»In der Bibliothek gekommen«, berichtigte Liam grinsend. Sogar ich musste lachen. Um ihm wenigstens noch ein bisschen Beistand zu leisten, drückte ich Harrys Hand. Er musste wirklich noch lernen, wie man mit Freunden über sein eigenes Sexleben redete.
»Sagt mir bitte, wo!«, bettelte Niall gequält. »Sonst könnte ich die komplette Bibliothek nie wieder betreten.«
Ich schloss kurz die Augen und überlegte. Von der Seite spürte ich Harrys Blick auf mir, weil ich sehr wohl wusste, dass er bei dieser Sache auf meine Expertise baute. Ich öffnete die Augen wieder, zwar nicht sicher, ob mein Entschluss der beste war, aber ich wusste es nicht besser.
»Nein.«, sagte ich und Niall sah mich entgeistert an. »Du musst sowieso in die Bibliothek, Niall. Und wenn jeder Ort dort für dich gleich schlimm ist, weil es der Ort sein könnte, dann ist auch jeder Ort gleich sicher.«
»Das ist kompletter Schwachsinn.«, erklärte Niall. »Aber keine Sorge, Louis. Ich krieg das schon noch aus Harry rausgekitzelt.«
Harrys grüne Augen bildeten längst einen hübschen Kontrast zu seinen roten Wangen. Wieder drückte ich seine Hand. »Komm, Harry. Lass uns hochgehen. Die drei Idioten sind neidisch, das muss uns nicht interessieren.«
Als wäre es ein stilles Abkommen, beeilten wir beide uns, den Rest unseres Frühstücks schnell zu verschlingen. Liam und Niall lachten uns dafür aus. Aber ehrlich, das könnte mir nicht egaler sein. Sie gingen dazu über, Zayn alle Details über Niall und Sophie zu erzählen, und was zwischen den beiden lief – beziehungsweise nicht mehr lief.
Harry und ich brachten unser Geschirr weg und wollten eigentlich nicht mal mehr bei den anderen stoppen, bevor wir hochgingen, aber Niall rief uns nochmal zu ihnen.
»Was wollt ihr denn jetzt oben machen?«, fragte Niall und wackelte mit den Augenbrauen. Gott, dieser Junge. »Ihr habt es ja eilig, hoch zu kommen. Jetzt, wo alle unten beim Frühstück sind.«
»Astro«, antwortete ich knapp und wahrheitsgemäß. Ehrlich gesagt war ich außergewöhnlich motiviert für dieses Projekt, weil Harry und ich uns sogar beide ziemlich für das Thema interessierten. Manchmal fand ich es unfair, dass ich nicht einfach alle Arbeit für die Schule in einer Partnerarbeit mit Harry erledigen konnte.
Harry nickte. Seine Wangen hatten wieder ihre normale Farbe zurückgewonnen, sein Lächeln lag entspannt auf seinen Lippen. »Wir müssen uns damit ein bisschen ranhalten langsam. Aber wir haben uns vorbereitet – alle Bücher besorgt, und uns schon eine Struktur vorbereitet. Nicht wahr, Louis?«
Ich küsste seine Haare als Antwort und wir wollten der Gruppe gerade den Rücken kehren, als Niall geräuschvoll einatmete. Die Art von geräuschvollem Einatmen, die Einen sich erschrocken wieder umdrehen lässt.
»Astronomie!«, rief er aus. Sein Gesicht trug einen Ausdruck, als hätte er gerade als erster die Relativitätstheorie begründet. Ha.
Ich runzelte die Stirn. »Ja, das Projekt. Du müsstest das zusammen mit Noah machen..? Ich weiß nicht, wieso-«
»Ich meine die Bibliothek! Es war bei den Astronomiebüchern, nicht wahr? Sagt es mir, ich habe recht!« Ich musste Harry nicht ansehen, um zu wissen, dass sein Gesichtsausdruck Niall alles verriet, was er wissen musste. Ach, Harry. Er hatte noch so viel zu lernen.
Nialls Ausdruck von Triumph fiel, jetzt war sein Gedicht eine fast schmerzverzerrt wirkende Maske. »Ich wusste es, oh Harry, wie konntest du uns das antun?! Allen Menschen, die einfach nur friedlich Bücher über Sterne und Schwarze Löcher lesen wollen. So wie ich!« Er tat so, als würde er seinen Kopf gegen die Tischplatte knallen lassen. So eine Dramaqueen. »Wenn Evelyn davon wüsste!«
»Niall!« Harry sah ihn warnend an, aber wir wussten alle, dass das nicht nötig war. Niall würde länger schweigen als jeder andere, er würde Harry niemals verraten.
»Gut, wo wir das jetzt geklärt hätten...« Ich beendete den Satz nicht, sondern zog Harry einfach mit mir. Raus aus dem Speisesaal.
Erst als wir in der Eingangshalle waren, redete ich wieder. »Harry, dein Gesicht ist ein Verräter.«
Harry entzog mir seine Hand, um sie zusammen mit der anderen verteidigend zu heben. »Tut mir leid! Ich kann nichts dafür.«
»Ich werfe dir ja nichts vor.«, grinsend zog ich ihn an der Taille zu mir. »Du solltest dich mal sehen, wenn du so komplett rot wirst.«
Trotzig sah er mich an. »Sei nicht gemein.«
»Ich bin nicht gemein, Harry.« Ich stoppte ihn vor dem Weitergehen. »Ich liebe dich nur.«
Sofort zeichneten seine Augen sich weich. Er lächelte, und küsste mich. »Ich vertraue dir, Lou.«, sagte er, nachdem seine Lippen wieder ihm allein gehörten.
Ich nahm seine Hand. Lächelnd setzten wir unseren Weg nach oben fort.
Ich wusste, wie wichtig es für Harry war, mir zu sagen, dass er mir vertraute, wann immer ich ihm meine Liebe gestand. Und deswegen bedeutete es mir so viel. Außerdem war Vertrauen etwas, das so sehr unterschätzt wurde, und etwas, das ich aus meinen vergangenen Beziehungen genauso wenig kannte wie Liebe.
Harry vertraute mir. Ich liebte ihn. Zeit war alles, das zwischen uns lag. Vor wenigen Wochen hatte ich genau das gleiche gefühlt wir Harry jetzt. Ich wusste, wie verwirrend die Fragen waren.
Aber Zeit war nichts, das uns aufhalten könnte. Kein Hindernis, keine Hürde.
»Also«, sagte Harry, nachdem er die Tür hinter uns geschlossen hatte. Unser Zimmer war klein und still, so wie ich es kennengelernt hatte. Ich wartete darauf, dass Harry mehr sagte, aber das tat er nicht.
Er trat nur hinüber zum Tisch, auf dem wir vor dem Frühstück schon einige Arbeitsmaterialen für Astronomie bereitgelegt hatten. Mit seinen schlanken Fingern strich er zart über den dunklen Einband des Buches, das wir uns gestern besorgt hatten. Die Berührung war so behutsam, als würde der Buchdeckel noch die Wärme unserer Körper des gestrigen Abends in sich halten.
»Wir müssen es noch ausleihen.«, stellte ich fest. Harrys Blick hob sich fragend, seine Augen verloren sich auf dem Weg zwischen dem Buch und meinem Gesicht.
»Ich meine, es richtig ausleihen. Wir haben es uns gestern einfach genommen.«, erklärte ich und trat an Harry heran. Meine Finger fuhren über seine, die noch auf dem Buch lagen.
»Ich habe schon Bescheid gesagt.«
Stirnrunzelnd sah ich Harry an. Ich wusste, dass er nicht log, aber ich hatte keine Ahnung, wann er mit Mr. Deighton geredet haben sollte. Es war noch nicht mal 10 Uhr und es war Sonntag.
»Okay«, war also alles, was ich sagte. Plötzlich klopfte es.
»Ja?«, sagten Harry und ich gleichzeitig und teilten einen verwunderten Blick.
»Hey« Zayn betrat den Raum mit einem seiner perfekten Lächeln. Harry und ich schwiegen abwartend, also fuhr Zayn fort. »Ich wollte euch nur meine Hilfe für das Projekt anbieten. Ich habe ja kein Astronomie, also ist das sicherlich erlaubt. Ich bin wirklich gut.« Zayn sah Harry an.
Ich fühlte mich ein wenig überfordert. »Wenn du so gut in Astro bist, wieso hast du es dann nicht gewählt?«
Zayn zuckte mit den Schultern. Ich hatte das Gefühl, dass mir ein paar wichtige Informationen fehlten.
»Ich denke, wir brauchen keine Hilfe. Harry?« Ich sah Harry fragend an. Wieso sollte Zayn uns seine Hilfe für irgendein Schulprojekt anbieten?
»Ich denke nicht, nein. Danke, Zayn. Wir machen das lieber alleine.« Harry lächelte entschuldigend. Ich bemühte mich, das Lächeln zu kopieren.
Zayn wirkte ein wenig enttäuscht, aber er ließ uns allein. Skeptisch sah ich Harry an, nachdem Zayn verschwunden war. »Was war das?«, fragte ich in die Stille des Raumes.
Harry zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung.« Er sah auf die Tür, die Zayn vor ein paar Sekunden geschlossen hatte, als würde sie ihm Antworten liefern. »Ist aber auch egal. Wir sollten loslegen, Lou, die Zeit spielt uns nicht in die Karten.«
Ich nickte, nachdem ich meine letzte innerliche Perplexität abgeschüttelt hatte. »Gut. Lass uns anfangen.«
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