• 7 •
Hey. Hat super lange gedauert, ich weiß. Es waren Ferien und ich war bei meiner Familie in England :)
Aber 23 Uhr ist eine perfekte Zeit zum Uploaden, nicht wahr?
Louis
Ich hasste ihn. Harry war nervig, arrogant und egoistisch. Und es machte ihn nicht im Geringsten sympathischer, dass ich allein in diesen zwei Stunden Ethik herausfinden musste, dass er klug war. Er war nicht nur klug, er war geradezu brillant.
Und ein winziger Teil von mir bewunderte das. Er beneidete ihn ehrlich darum.
Aber dann war da der Rest von mir, der meinen Hass herausschrie. Und dieser Teil gönnte Harry keinen Neid und erst recht keine Bewunderung. Also machte ich es mir einfach; er war nicht brilliant. Er war ein eingebildeter Streber.
»Kannst du vielleicht mal ein bisschen langsamer machen?«, fuhr ich ihn an, während wir unsere Schulsachen einpackten – beziehungweise hatte er schon längst eingepackt und wartete jetzt mehr oder weniger geduldig auf mich.
»Kannst du vielleicht mal ein bisschen netter sein?«, erwiderte er, ohne meine Frage zu beantworten. »Und ich bin nicht grundlos so schnell. Wir haben nur fünf Minuten bis zur nächsten Stunde. Und müssen noch den Raum wechseln.«
Ich schnalzte genervt mit der Zunge und verstaute die restlichen Sachen in meinem Rucksack – es hatten übrigens wirklich alle den gleichen Schullogo-Rucksack. Dann folgte ich Harry, der erleichtert den Raum verließ.
Ich ging halb neben, halb hinter ihm. Einerseits wollte ich nicht direkt neben ihm gehen, damit wir nicht wie beste Freunde oder sowas wirkten, aber andererseits wollte ich auch nicht komplett hinter ihm gehen, denn ich wollte nicht mit einem Hund verglichen werden. Am allerwenigsten Harrys Hund.
Ich hätte mich so gerne gerne mal für eine Weile für ihm getrennt, aber leider war er derjenige von uns beiden, der wusste, wo wir Unterricht hatten und zusätzlich war er noch der, der sich dafür verantwortlich fühlte, dass ich dort heute auch pünktlich erscheinen würde.
Er lief schnell und die Gänge waren belebt – es war unglaublich, wie riesig dieses Gebäude war, ich würde mich hier nie zurecht finden. Aber Harry schien damit ganz und gar kein Problem zu haben, er schaute nicht mal auf. Er hielt ein aufgeschlagenes Buch in seinen Armen, das definitiv keins unserer Schulbücher war. Aber trotzdem sah es für mich eindeutig nicht nach Freizeitlektüre aus. Streber.
»Was machst du da?«, fragte ich ihn genervt. Ich konnte nicht mal sagen, was mich nervte. Einfach er.
Er zog eine Augenbraue hoch und sah von seinem Buch auf. Er musterte mich, als wäre ich vollkommen bescheuert.
»Die Tätigkeit, die ich vollführe, wird ›lesen‹ genannt. Ich erfasse mit meinen Augen den Inhalt eines Textes. Ich will dich mit dieser hohen Kunst aber nicht überfordern, also zerbrich dir nicht dein verwöhntes Köpfchen darüber.«, sagte er spöttisch und wandte seinen Blick wieder ins Buch.
Ich ignorierte seinen Spott einfach.
»Was liest du?«, fragte ich weiter. Es interessierte mich nicht. Keine Ahnung, wieso ich gefragt hatte.
Harry seufzte überanstrengt und gab es offensichtlich auf, weiterzulesen. Er klappte das große Buch zu und ohne stehenzubleiben oder sich zu mir umzudrehen, hielt er es mir hin. Ich nahm es und musterte den schmucklosen Einband.
›Anthropologie‹ stand darauf und ich beschloss, weder zu zeigen, dass ich beeindruckt von Harry, noch, dass ich mit dem Begriff ein wenig überfordert war. Ehrlich gesagt mehr als ein wenig.
Ich schlug das Buch auf und stieß auf der ersten Seite auf einen in schwarzer Tinte geschriebenen Namen. Verächtlich stieß ich die Luft aus.
Jetzt blieb Harry doch stehen und sah mich fragend an.
»Was?«, fragte er und der Blick seiner grünen Augen ruhte intensiv auf mir.
»›Harry Edward Styles‹?«, las ich den Namen abschätzig laut vor. »So heißt du? Harry Edward? Gehören deine Eltern der Königsfamilie an oder was?«
Kurz blitzte etwas in seinen Augen auf, das ich nicht deuten konnte. Aber es verschwand so schnell, wie es gekommen war und ich überging es.
Er ebenfalls, denn er nahm mir das Buch wieder aus der Hand, drehte sich dann einfach um und ging weiter.
Ich machte mir nicht die Mühe, darüber nachzudenken, ob der Name schön klang. Harry Edward Styles.
Im neuen Klassenraum angekommen – dank dem ach so verantwortungsbewussten Harry pünktlich – trennten wir uns sofort voneinander. Oder besser gesagt; er trennte sich von mir. Zielsicher ging Harry zu einem Tisch ziemlich weit hinten im Raum, an dem schon dieser blonde Junge saß, der gestern auch beim Essen neben Harry gesessen hatte. Ich blieb einfach unschlüssig stehen.
»Mr. Tomlinson? Sie in meiner Geographieklasse zu haben, ist mir eine große Freude!« Ich drehte mich überrascht um. Ein vielleicht fünfzigjähriger Mann stand vor mir und hielt einen Stapel Bücher in der einen und eine zusammengerollte Karte in der anderen Hand.
Ich wusste nicht genau, was ich darauf sagen sollte und fühlte mich sowieso unwohl, weil die gesamte Klasse saß und mich und anscheinend den Geographielehrer musterten.
»Setzen Sie sich doch zu Mr. Payne, dort in die dritte Reihe.« Mit der Karte deutete er auf einen leeren Platz neben einem braunhaarigen Jungen, den ich nicht weiter begutachtete. Ich war nur froh, dass ich mich hinsetzen konnte und ließ mich auf den freien Stuhl fallen, froh, endlich der Aufmerksamkeit von Lehrer und Schülern entkommen zu sein.
»Sagen Sie, Mr. Tomlinson, wie stehen Sie zur Geographie?« Na toll. Willkommen zurück, Aufmerksamkeit.
Wieder hatte ich keine Ahnung, was ich sagen sollte. Die Chance dazu bekam ich allerdings auch nicht.
»Eine faszinierende Wissenschaft, nicht wahr? So vielfältig und komplex, aber wunderschön! Auch wenn wir natürlich größtenteils in den didaktischen Teilgebieten bleiben werden, kann man sich natürlich schnell dafür begeistern! Was ist Ihr bevorzugtes Teilgebiet? Was finden Sie am interessantesten?«
Ich musste mir Mühe geben, nicht absolut überfordert auszusehen. Es gab Teilgebiete der Geographie? So was wie Afrika-Geographie und Europa-Geographie? Waren das Teilgebiete?
Plötzlich schob sich ein winziger Zettel in mein Blickfeld. Der Junge neben mir sah mich verstohlen an.
»Hydrogeographie«, las ich vor und tat nicht so, als würde ich das Wort zum ersten Mal in meinem Leben hören, sondern als wäre es mein leidenschaftlich liebstes Teilgebiet der Geographie.
»Hydrogeographie! Was für ein Zufall! Das ist auch mein absoluter Favorit!« Und ab dann hörte ich nicht mehr zu, als dieser Lehrer – dessen Namen ich noch nicht einmal kannte – begeistert über Hydrogeographie zu erzählen begann. Was auch immer das war.
»Danke«, sagte ich nach einer Weile leise und sah meinem Banknachbarn jetzt in die großen, braunen Augen. Er zuckte halbherzig mit den Schultern.
»Kein Ding. Morris braucht nicht viel, um sich in seiner eigenen Liebe zur Geographie endlos zu verquatschen und das bedeutet dann für uns; kein Unterricht. Und ich mache alles, um dem dämlichen Unterricht aus dem Weg zu gehen.« Und dieser letzte Satz machte ihn mir zu dem ersten sympathischen Menschen, den ich hier traf. Vielleicht waren hier doch nicht alles Blumen pflückende Streber. Naja, wahrscheinlich war Harry sogar der Einzige.
•
»Liam«, sagte er, während er sein Buch zu klappte und meins stattdessen geöffnet in die Mitte des Tisches schob. Wir hatten gerade eine Partneraufgabe von diesem verrückten Mr. Morris aufbekommen – und dementsprechend laut war es. Aber außer uns redeten alle über Geographie. Und ich war mir ziemlich sicher, dass weder Liam noch ich diese Aufgabe machen würden.
»Louis«, erwiderte ich die Vorstellung und er sah mich belustigt an.
»Ich weiß.« Er verdrehte die Augen. »Als wüsste ich nicht, wer du bist.«
Ich zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Bin ich so eine Berühmtheit?«, fragte ich scherzhaft und Liam sah mich überrascht an.
»Gewissermaßen ja. Du hast ja echt noch keine Ahnung von diesem Ort hier!«
Ich sah ihn offen an. »Dann erzähl's mir.«
Liam musterte mich noch eine Weile, bevor er begann zu erzählen. Aber er erzählte.
»Naja, du bist Harrys Mitbewohner. Und das macht dich zu jemandem, den jeder kennt.«
»Wieso? Ist Harry jemand Besonderes?«, fragte ich skeptisch. Skeptisch und ein wenig verächtlich.
Liam zuckte mit den Schultern. »Ja. Irgendwie. Wenn du verstehen willst, welchen Platz du hier in dem allen hast, musst du verstehen, welchen Platz Harry hat.
Er ist...ja, besonders trifft es eigentlich ganz gut. Niemand weiß wirklich wieso, wenn dir jemand Genaueres sagen könnte, dann wahrscheinlich Niall.
Aber ich kann versuchen, es dir zu erklären.
Diese Schule ist für Schüler ab der siebten Klasse. Und bis auf ganz wenige Ausnahmen sind alle Schüler unseres Jahrgangs zusammen hierher gekommen. Wir sind hier in die siebte Klasse gekommen. Die meisten von uns haben nicht unbedingt arme Eltern, die Schulausbildung hier ist auch nicht ganz billig.
Aber es kommen beinahe nie neue Schüler einfach so. So wie du. Achtundneunzig Prozent der Schüler kommen zur siebten Klasse her und machen hier ihren Abschluss. Niemand geht, niemand kommt.
Nur sehr selten. So wie du. Das ist der erste Punkt, wieso die meisten dich kennen.
Der andere und wesentlich bedeutendere ist wie gesagt Harry.
Ich habe dir erzählt, dass wir alle zusammen vor einigen Jahren hierher gekommen sind. Wir waren alle gleich. Nur Harry nicht.
Ich kann es nicht genau beschreiben. Harry war nicht nur so ein offener Junge, der auf alle Leute zugekommen ist und quasi im ersten Wimpernschlag Freundschaft geschlossen hat. Er war immer fröhlich. Aber das war nur seine Persönlichkeit, da liegt ja nicht viel bei.
Es war viel mehr, dass er nicht war wie wir anderen. Wir hatten alle keine Ahnung von Nichts und dann war da Harry. Keine Ahnung wieso, aber es war, als wäre er schon immer hier gewesen. Aber das liegt wahrscheinlich an seiner Persönlichkeit. Denn nach dem ersten Tag hier hatte jeder bereits das Gefühl, Harry schon sein Leben lang zu kennen. Es ist nicht so, als wüssten wir viel über ihn, es ist einfach seine offene Art.
Jeder kennt Harry. Jeder liebt ihn. Naja, jeder außer mir.«
Ich sah ihn überrascht an. Das war auf jeden Fall ein weiterer Pluspunkt für Liam! Der Junge wurde mir immer sympathischer.
Ich sagte aber nichts, ließ ihn einfach weiterreden.
»Nach der ersten Woche hätte jeder hier Harry ohne Zögern heilig gesprochen. Bis auf mich, wie gesagt. Harry ist so ein Typ Mensch, der immer lächelt, Leute in Gespräche verwickelt, die sie nie wieder beenden wollen. Er hält Türen auf, grüßt und ist hilfsbereit. Er ist immer unbeschwert und muntert andere auf, wenn sie traurig sind. Mich nervt er eher. Aber die anderen lieben ihn. Charisma wahrscheinlich.
Allerdings habe ich mich einfach immer von ihm ferngehalten. Ich lächle nie zurück. Ich glaube, es macht ihn in seinem kleinen, liebevollen Herz ziemlich traurig, dass ich so bin. Er liebt es, Menschen glücklich zu machen und bei mir schafft er das nicht. Das ist eine ziemliche Genugtuung für mich.
Wie gesagt, alle hier lieben ihn. Aber niemand liebt ihn mehr als Niall. Das ist der Blonde, der jetzt neben ihm sitzt.
Die beiden haben sich verbrüdert und sind die besten Freunde. Schon immer.
Und trotzdem sind da noch die seltsamen Dinge über Harry. Niemand weiß wirklich viel über ihn, vielleicht nicht mal Niall, keine Ahnung.
Manchmal hat er so eine Art von Anfall. Es ist aber keine Krankheit, glaube ich. Es ist nur ganz selten, vielleicht einmal in einem halben Jahr. Er weint und ist wie ein anderer Mensch. Er wird dann immer vom Unterricht befreit.
Apropos Unterricht; das ist das nächste Seltsame. Manche unserer Lehrer sprechen uns beim Vornamen an, aber viele – wie zum Beispiel Mr. Morris – nennen uns beim Nachnamen. Harry nicht. Alle nennen ihn Harry. Alle. Er hat irgendwie eine andere Beziehung zu den Lehrern, auch das kann ich nicht erklären.
Er nennt Evelyn Eve. Niemand tut das, sie ist unsere Schulleiterin. Wir geben ihr nicht einfach Spitznamen. Er schon.
Ich kann ihn dir nicht erklären, Louis, aber niemand hält das für nötig.
Und dich kennen alle, weil du das warst, worauf Harry immer gewartet hat. Einen Mitbewohner. Es gibt sicher einige, die dich beneiden. Ich nicht. Denn da ist noch die Sache mit Harrys Sexualität. Er ist-«
»Schwul?!« Ich hatte die Augen aufgerissen, starrte Liam fassungslos an. Stoßgebete, dass ich das Ganze falsch verstanden hatte, wirbelten durch meinen Kopf. Aber natürlich wurden sie nicht erhört.
Liam nickte.
Ich konnte nicht mal die einzelnen Emotionen beschreiben, die mich überrollten. Ekel, Wut, Hass? Wahrscheinlich traf es das ganz gut.
»Bitte sag mir, dass das ein Scherz ist.« Meine Stimme war rau und leise. »Sag mir, dass es ein verdammter Scherz ist! Ich teile mir nicht mit einem Schwulen das Zimmer?!«
Liam nickte wieder. »Das tust du, Louis. Harry ist schwul.«
Verzweifelt stützte ich meine Ellbogen auf dem Tisch ab und fuhr mir durch die Haare.
Er war schwul. Verdammt nochmal schwul! Der Junge, der mich heute morgen oberkörperfrei geweckt hatte. Ich schlief mit ihm in einem Raum!
Das durfte nicht wahr sein. Auch wenn es eigentlich nicht mal abwegig war. Harry war schwul. Und ich war sein Mitbewohner.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro