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Louis
Es herrschte eine perfekte Stille im Klassenraum. Alle konzentrierten sich auf ihre Arbeit, nur zeitweiliges Umblättern von Seiten und Husten verriet, dass nicht alle Schüler eingeschlafen waren. Sogar ich hatte mich problemlos dem nicht enden wollenden Aufgabenblock unserer Algebralehrerin widmen können. Es war schwer zu sagen, ob es mehr der Verdienst Harrys oder der der strengen Regeln an dieser Schule war, aber der Unterrichtsstoff aller Fächer fiel mir immer leichter. In stetigem Tempo kämpfte ich mich immer weiter nach oben. Nie hätte ich erwartet, dass ein so guter Schüler in mir stecken könnte.
Erst bemerkte ich den kleinen Zettel nicht, der auf meiner Seite des Tisches auftauchte. Doch als Niall ihn energisch weiter zu mir schob, erregte er damit meine Aufmerksamkeit.
Ich warf Ms. Scott vorne einen prüfenden Blick zu, aber sie schien in ein Buch vertieft zu sein. So leise wie möglich faltete ich den Zettel auf.
Hat Harry dich schon gefragt? stand dort in Nialls Handschrift, die fast so krakelig war wie meine. Ich las die Worte doppelt, um mich auch nicht zu irren. Ein aufgeregtes Kribbeln blühte in meinem Bauch auf. Wovon auch immer Niall sprach, Harry hatte mich noch nicht gefragt. Sofort tanzten eine Million Fragen in meinem Kopf herum, die Harry mich fragen könnte. Die Algebraaufgaben waren vergessen.
Schnell kritzelte ich ein Nein auf das kleine Stück Papier. Ohne großes Zögern setzte ich ein Was? hinterher.
Während Niall wiederum eine Antwort schrieb, fasste ich Harrys lockigen Hinterkopf in mein Blickfeld. Er wollte mich also etwas fragen. Manchmal war ich wirklich froh, dass es Niall gab, der mir ab und zu genau die richtigen Informationen gab.
Doch als ich sah, was Niall auf den Zettel geschrieben hatte, vertilgte eine matte Enttäuschung das Kribbeln in mir so plötzlich wie es gekommen war.
Ob du heute Nachmittag mit zum Schlittschuhlaufen kommen willst. Ich seufzte; also doch nur eine beiläufig alltägliche Frage.
Dieses Mal zögerte ich doch, bevor ich zurückschrieb. Nur zaghaft schob ich ihm das Zettelchen hinüber. Ich habe das noch nie gemacht.
Niall grinste mich an, als er es las. Snoblinson kann nicht mal eislaufen. Süß. Aber keine Sorge. Harry wird es dir zeigen (der Junge hat Engelsgeduld).
Darauf antwortete ich ihm nicht mehr. Ich hatte eigentlich nicht besonders große Lust auf Schlittschuhlaufen. Ich war nicht gerade scharf darauf, mich vor den anderen lächerlich zu machen.
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»Niall hat mich zum Eislaufen eingeladen.« Ich schulterte meine Schultasche und griff nach Harrys Hand.
»Ja?« Es war keine Absprache nötig, als wir gemeinsam durch den Klassenzimmertrakt liefen. »Ich wollte dich auch gerade fragen, vorhin habe ich es vergessen. Es wird super, Louis! Jetzt ist das Eis dick genug und es liegt kein Schnee mehr drauf, perfekte Verhältnisse.«
Für meinen Geschmack war Harry viel zu aufgeregt und begeistert von dieser Sache. »Ich will eigentlich nicht.«, gab ich zu. Harrys viel zu schockierter Blick bewegte mich dazu, direkt weiterzureden. »Ich hab's noch nie gemacht.«, erklärte ich ihm. »Hör zu, ich will dir nicht den Spaß verderben, ich kann zusehen, wenn du willst! Ich ziehe mich warm an und setze mich zum See und ihr könnt fahren, bis es zu dunkel wird. Aber ich...will wirklich nicht.«
»Louis, es ist nicht schwierig!«, versicherte Harry mir. »Ich zeig's dir!«, sagte er, wie Niall es vorausgesagt hatte. »Man lernt es ganz schnell und dann wirst du sicher nicht mehr aufhören wollen!«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Harry, lass mal.« Er sollte nicht versuchen, mich zu überreden.
Aber Harry schien sich nicht geschlagen geben zu wollen. »Niall!«, sagte er dann nach kurzer Zeit siegessicher, als hätte er mich dadurch überzeugt, dass er mich mit dem falschen Namen ansprach.
»Ich bin Louis.«
Er verdrehte die Augen. »Ich weiß. Aber es geht um Niall. Wenn du das Schlittschuhlaufen nicht wenigstens versuchst, wird Niall dir das ewig vorhalten. Er wird dich für immer damit aufziehen, weil es eine Sache ist, die er kann, du aber nicht.«
Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Manchmal hasste ich es wirklich, dass Harry immer alles bedachte. Dass er so oft Recht hatte.
Also musste ich mich geschlagen geben und versuchte mich mental auf meine Blamage vorzubereiten.
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»Bitte sag mir, dass du Schlittschuhlaufen auch erst hier gelernt hast, Liam. Dass ihr euch alle lachhaft schlecht angestellt habt, als ihr hier zum ersten Mal auf Schlittschuhen gestanden habt.«
Liam grinste und ich kannte seine Antwort. »Ich muss dich enttäuschen, Louis; ich bin mir ziemlich sicher, dass jedes Liverpooler Kind eislaufen kann. Wir haben jedes Jahr unser Ice Festival unten im Hafen – und ich kann zwar nur für mich sprechen, aber ich habe meine Eltern jedes Jahr wieder dahin gezerrt. Ich bin ziemlich gut, ehrlich gesagt.«, endete er stolz.
Na toll. Sogar Liam war ein guter Eisläufer. Dann hatte ich absolut niemanden, der meine bemitleidenswerte Situation nachvollziehen konnte.
»Wo hast du denn Harry gelassen?«, fragte Liam, als wäre es schon jetzt wunderlich, einen von uns ohne den anderen zu sehen.
»Er meinte, dass er noch irgendetwas erledigen wollte und ich schon mal vorgehen sollte.«, berichtete ich knapp, aber eigentlich war mir schon etwas anderes eingefallen, was ich Liam bereits die letzten Tage fragen wollte. Ich hatte nur noch keine Gelegenheit dazu gefunden. »Apropos Harry; ich habe eine Frage, Liam.« Sein Blick bedeutete mir, fortzufahren. »Hast du ein Handy?«, fragte ich geradeheraus, »Ich weiß, es ist verboten hier, aber ich habe mir gedacht, dass du vielleicht trotzdem eins reingeschmuggelt hast. Ich brauche eins, es ist ziemlich wichtig.«
Aber Liam schüttelte den Kopf, auch wenn er mich mit unverhohlener Neugier ansah. »Tut mir leid, Louis. Ich glaube nicht, dass es irgendeinen möglichen Weg gibt, hier ein Handy reinzuschmuggeln. Aber man braucht es nicht mal, man gewöhnt sich so schnell an das handyfreie Leben. Wenn du unbedingt jemanden anrufen musst, dann musst du zu Evelyn.«
Ich dachte über diese Möglichkeit nach. Eigentlich wollte ich nicht unbedingt an die Schulleiterin gebunden sein bei dieser Sache. Ich hatte wirklich gehofft, Liam hätte mir anders weiterhelfen können.
»Wieso, Louis? Worum geht es?« Sein Blick scannte mein Gesicht gründlich, als könnte er so meine Gedanken lesen. Aber das war gar nicht nötig, ich wollte es ihm sowieso erzählen.
»Versprich mir, dass du nichts sagst.«, forderte ich, bevor ich begann, ihm von meiner Idee zu erzählen.
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»Ich glaube, wir haben das falsche Paar.« Mit verschränkten Armen nickte ich in Richtung der Schlittschuhe an meinen Füßen. Sie passten eigentlich noch genauso gut wie oben beim Anprobieren im Internat, aber ich sah einfach keinen anderen Ausweg mehr, um mich vor der ganzen Sache zu drücken.
Harry verdrehte die Augen. »Keine Ausreden, Louis! Es sind die Richtigen, jetzt komm mit!« Er hielt mir eine Hand entgegen, um mir von der Bank aufzuhelfen, auf der ich diese dämlichen Schuhe angezogen hatte. Trotzig ignorierte ich seine Hand und blieb stur sitzen. Wieso wurde ich hier zu solchen Dingen gezwungen?
»Feigling!«, brüllte Niall von der Mitte des Sees aus und grinste wie ein Lottogewinner. In vollem Wissen darüber, wie kindisch das war, streckte ich meine Zunge heraus und hievte mich dann auf meine eigenen Füße.
Harry half mir die wenigen Meter bis zur zugefrorenen Oberfläche des Sees. Es war sogar weniger schlimm als gedacht, die Standfläche meiner Füße auf zwei hauchdünne Kufen minimiert zu haben.
Zumindest galt das, solange ich noch nicht auf dem Eis stand.
»Du schaffst das.«, ermutigte mich Harry, bevor ich mit dem ersten Fuß den festen Boden verlassen konnte. Sein Gesicht kam meinem näher, dann küsste er meine Nasenspitze. »Zeig Niall, dass du es schaffst.«
Es war nicht wirklich eine große Ermutigung oder Motivation, aber jetzt war es sowieso zu spät. Mutig – eigentlich nicht mutig, aber ich tat einfach so, als wäre ich es – trat ich nacheinander mit beiden Füßen aufs Eis.
Mein erster Eindruck war ziemlich überrascht, denn das Eis war überhaupt nicht glatt. »Es ist gar nicht glatt.«, eröffnete ich Harry meine erleichterten Gedanken. »Eher rau. Stumpf.«
Jetzt trat auch er aufs Eis, nur dass seine Füße elegant ein Stückchen rutschten, bis er mit voller Kontrolle seine Bewegung stoppte, ohne dass ich sagen konnte, wie er es machte. Noch immer hielt er meine Hände. »Nein, Louis.«, er schüttelte den Kopf. »Es ist glatt, aber du bist verkrampft.«
In dem Moment fiel auch mir auf, dass ich mein komplettes Gewicht so sehr auf meine Füße verlagerte, dass sie sich quasi ins Eis bohrten.
»Du musst lockerer werden.«, erklärte Harry geduldig und verständnisvoll. Na toll, einer dieser typischen Sprüche, die einem überhaupt nichts brachten.
»Wie verdammt soll ich deiner Meinung nach lockerer werden?«, fuhr ich ihn genervt an und krallte mich an seine Hände, um nicht zu fallen.
»Immer weiter atmen.«, schilderte Harry ruhig und mit mildem Lächeln. »Die Unsicherheit ignorieren. An ein warmes Bad denken, wie deine Muskeln sich entspannen.« Er musterte meinen unverändert ganz gewiss nicht lockeren Körper. »Und wenn das alles nicht hilft,«, fügte er hinzu, beendete den Satz aber nicht. Stattdessen lagen seine Lippen auf meinen und bevor ich in Panik geraten konnte, hatte ich schon die Augen geschlossen und erwiderte den süßen Kuss instinktiv. Ich merkte nicht, wie Harry mit seinen Händen und einer erstaunlichen Leichtigkeit nach meinem Oberkörper und meiner Wange griff, und vor allem merkte ich nicht, wie gelassen meine eigenen Füße plötzlich auf dem Eis standen. Der zuckerne Kuss in der winterlichen Kälte schien mein Herz in warmen Honig zerlaufen zu lassen, der in jeden Teil meines Körpers gelangte.
»Behaltet eure Lippen für euch, so wird heute niemand Schlittschuhlaufen lernen!« Niall kam mit beängstigendem Tempo auf uns zu, bremste aber zu meiner Erleichterung rechtzeitig ab.
Erst als Harry jetzt wieder meine Hände in seine nahm und zufrieden ein lächelndes »Na siehst du« aussprach, als wäre Niall nicht existent, realisierte ich den leichten Stand meiner Füße. »Siehst du, Ni? Meine Lehrmethoden sind makellos und erfolgreich!«
Niall verdrehte die Augen und glitt dann wieder zurück in die Mitte des Sees, wo Liam und einige andere Schüler ihre Rennen und Kreise zogen.
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In der folgenden Stunde machte ich sehr tiefgründige Bekanntschaft mit Harrys – von Niall bereits angekündigter – Engelsgeduld. Es stimmte, er war unermüdlich, aber trotzdem ein sanfter Lehrer. Ehrlich gesagt fühlte ich mich dadurch auch manchmal ein wenig wie ein Trottel, der gar nichts auf die Reihe bekam, aber Harry stellte sicher, dass er mir immer wieder das Gegenteil versicherte.
»Super, Louis!«
»Hey, ganz ruhig, es sieht gut aus.«
»Du wirst immer besser!«
»Langsam hast du den Dreh raus, Lou.«
»Du bist nicht umgekippt, als ich dich losgelassen habe!«
»Du siehst fast gar nicht mehr wackelig aus.«
»Schau mal, Liam, unser London-Lou wird noch ein richtiger Eisläufer!«
Und immer so weiter.
Aber so richtig Fortschritte machten wir erst, als wir beide verstanden, dass selbst Nialls Schadenfreude nicht genug Ansporn für mich war. Wir brauchten nicht besonders lange, um zu verstehen, dass Küsse als Belohnungen viel wirksamer waren (natürlich von Harry, nicht Niall).
Nach dieser einen Stunde von vier Stürzen, mindestens dreißig Küssen, noch mehr Ermahnungen deswegen von Niall und endlos scheinender Geduld schien ich es endlich einigermaßen auf die Reihe zu bekommen. Ich wusste nicht genau, wie schnell ein durchschnittlicher Eislauf-Schüler lernte, aber ich war sogar ziemlich beeindruckt von mir. Natürlich sah ich nicht ansatzweise so leichtfüßig und elegant dabei aus wie die anderen, aber das hatte auch niemand erwartet.
Wie Eisprinzen und -prinzessinnen tanzten die anderen durch die Winterlandschaft, ihre menschliche Plumpheit allein durch zwei Metallkufen an ihren Füßen überwindend. Jetzt, wo ich Harry nicht mehr an meiner Seite brauchte, konnte ich auch die Selbstverständlichkeit seiner flüssigen Bewegungen bewundern. Von hier betrachtet sah er aus wie aus einer anderen Welt; der schlanke, wohlgeformte Körper schwebte über das Eis wie Seifenblasen im Wind, die braunen Locken folgten den Wirbeln seiner Beine und Füße, die Wangen von der Kälte fast so rot wie seine vollen Lippen. Hätte ich es nicht besser gewusst, wäre ich mir vollkommen sicher gewesen, dass er nicht real sein konnte. Geboren aus Wasser und Luft, die Augen grün wie die zarten Pflanzen, die unter dem kristallenen Schnee schliefen – ein Naturgeist vielleicht.
»Du starrst ihn an.« Liams Stimme war nur ein Hauchen und so nah an meinem Ohr, dass ich zusammenzuckte und hinter mir nach seinen Armen greifen musste, um nicht wieder mit dem Hintern auf dem Eis zu landen. Ich schaffte es, mein Gleichgewicht zurückzugewinnen, bevor das passieren konnte.
»Ach, halt den Mund!« Ich wollte ihn schubsen, aber er schien das vorausgesehen zu haben und stand jetzt sicher neben, anstatt hinter mir.
Er zuckte gelassen mit den Schultern. »Keiner macht dir Vorwürfe, Louis. Starr ihn an, soviel du willst. Jetzt ist es wenigstens nicht mehr so seltsam, er ist dein Freund. Vorher war es manchmal etwas...« Das richtige Wort schien ihm zu fehlen, aber er knuffte mich einfach in die Seite.
»Halt den Mund.«, wiederholte ich. Eigentlich kümmerte es mich nicht im Geringsten, dass Liam mich so häufig wegen meines peinlich hingerissenen Verhaltens um Harry, bevor wir uns geküsst hatten, neckte. Das einzige, was ich wirklich aus seinen Worten hörte, waren die, die meine Organe umzukrempeln schienen – auf eine gute Weise.
Harry war mein Freund, mein fester Freund. Mein fester Freund. Ich könnte es so oft in meinem Kopf wiederholen wie ich wollte, es würde ganz sicher niemals aufhören, unwirklich zu sein.
Seit wir unsere Beziehung öffentlich gemacht hatten, fühlte sich mein Leben komplett anders an, auch wenn das meiste vermutlich nur Einbildung war.
Eine Bekanntmachung in dieser Form hatte es eigentlich nicht gegeben, aber Harry und ich hatten am Montag einander ganz einfach geküsst, wann immer uns danach der Sinn stand – was ziemlich häufig war. Alle Leute, die mich fragten, ob Harry und ich zusammen waren, bediente ich mit einem stolzen ›Ja!‹. Natürlich verbreiteten sich diese Neuigkeiten wie ein Buschfeuer im Internat. Es hatte mich nicht überrascht, dass es keinerlei schlechte, geschweige denn homophobe Reaktionen von irgendjemandem gegeben hatte. Alle hier – glücklicherweise auch ich mittlerweile – waren tolerant.
Ehrlich gesagt waren sie nicht nur tolerant gegenüber uns, sie schienen es zu lieben. Ich wusste, dass es an Harry lag, denn ausnahmslos jeder liebte Harry und alle wussten, dass Harry nicht viele Wünsche im Leben hatte, aber mit jemand anderem glücklich zu sein, hatte definitiv dazu gehört. Die anderen Schüler behandelten mich plötzlich wie irgendeinen Prinzen oder Engel, nur weil ich derjenige war, der diesen Wunsch nun endlich erfüllen sollte. Als wäre es irgendwie die Rettung vor dem Weltuntergang gewesen, dass Harry nun die Chance fand, sein Glück zu finden. Harry schien eine Art Gottheit an dieser Schule zu sein, oder eher der Bruder, den alle mehr liebten als sich selbst. Wahrscheinlich war das kein Wunder, wenn man an Harrys charismatische Liebenswürdig- und Freundlichkeit dachte.
Ich genoss ein deutlich höheres Ansehen als vorher, als wollte niemand etwas zerbrechen, das Harry wichtig war. Es war manchmal fast mehr so, als hätten die anderen einfach eine Heidenangst vor Harry und taten deswegen nichts, was ihm irgendwie missfallen konnte. Doch ich und jeder hier wusste, dass es genau das Gegenteil war. Immer wenn ich daran dachte, dachte ich auch automatisch an all diese Bücher und Filme, in denen so häufig die Frage existierte, ob es nicht eh viel besser war, gefürchtet zu werden als geliebt. Aber niemand würde dieser Frage auch nur Beachtung schenken, wenn er Harry kannte. Man sah sein einnehmendes Lächeln und die Weise, wie alle, die ihm begegneten dieses Lächeln erwiderten, als hätte sich die ganze Welt in ihn verliebt. Ich hätte es keinem verübeln können.
Aber Harry hätte der gesamten Menschheit beweisen können, dass geliebt zu werden ohne jeden Zweifel besser war.
»Hey, Tomlinson!«, riss Niall mich aus meinen Gedanken, er kam auf meiner anderen Seite zum Stehen. »Jetzt wo du deine neuen Füße kontrollieren kannst«, er deutete auf meine Schlittschuhe, »Wie wäre es da mit einem kleinen Rennen?« Herausfordernd wackelte er mit den Augenbrauen. Ich schüttelte allerdings den Kopf. Ich war schließlich nicht dämlich, ich hätte keine Chance gegen Niall.
»Komm schon!«, versuchte er es weiter. »Liam würde auch mitmachen, nicht wahr? Das wird cool, Louis, zeig uns deine neu gewonnenen Fähigkeiten! Oder traust du dich nicht?« Wieder wackelte er mit den Augenbrauen und manchmal würde ich ihn am liebsten elektroschocken, in ein elf Meter tiefes Loch werfen, das komplett mit Laub vollgestopft war, damit er sich seinen Weg hinausgraben müsste und all die Käfer in seine Kleidung krabbeln würden. Manchmal würde er es wirklich verdienen.
»Doch.«, sagte ich stattdessen seufzend. »Gib mir nur noch kurze Vorbereitungszeit, ja?« Er nickte und so verschwanden Liam und Niall wieder. »Harry!«, rief ich über den See hinweg. Er drehte sich zu mir und winkte lächelnd. Ich bedeutete ihm mit meinen Händen, herzukommen und wenige Sekunden später stand er vor mir. »Ich mache mit bei Nialls und Liams Rennen.«
»Ein wenig voreilig, findest du nicht?«, fragte Harry trocken. »Du wirst verlieren.«
Ich verdrehte die Augen. »Danke für die Unterstützung, Haz. Ich dachte, du sagst mir, was ich machen muss.«
Er zuckte mit den Schultern und steckte eine Hand in die Tasche. »Schnell sein.«
»Wow, danke, Harry.«
»Sieh mich nicht so an, ist ja gut. Also, ich stelle mich da drüben hin und wenn ich ›Los‹ sage, fährst du so schnell es geht zu mir und wieder zurück. Zufrieden?«
Ich nickte, weil ich selbst nicht wusste, was ich erwartete. Kaum hatte er es gesagt, brachte Harry schon einen beachtlichen Abstand zwischen uns. Als er mich loswinkte, versuchte ich mir einzureden, dass ich so gut war wie Niall und Liam, genauso sicher wie sie. Das schien sogar zu helfen, weil ich ein beachtlich schnelles Tempo aufnahm. Ich sah schon aus der Ferne, dass selbst Harry beeindruckt war.
Jedenfalls blieben wir beide nicht für allzu lang beeindruckt. Ich kapierte als erster, dass ich aus diesem Tempo niemals bremsen, geschweige denn eine Kurve um Harry fahren könnte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste nicht, was passieren würde, wenn meine Füße ihre Bewegung stoppen oder ändern würden.
Als auch Harry verstand, war es schon zu spät. Er streckte mir noch ein wenig hilflos die Arme entgegen, um mich so vielleicht abzubremsen, aber natürlich brachte das überhaupt nichts.
Ich fuhr ihn um, unsanft landeten wir beide auf dem Eis. Obwohl, eigentlich landete nur Harry wirklich unsanft, denn ich hatte ihn mehr oder weniger als Polsterung unter mir.
»Hi.«, lächelte Harry schwach und ließ seinen Kopf nach hinten aufs Eis fallen. »Ziemlich stürmisch heute.«
Entschuldigend lächelte ich. »Tut mir leid.«
Harry seufzte leise und sah auf dem Rücken liegend in den grauen Winterhimmel. »Wenigstens habe ich dich aufgefangen.«
»Die Frage ist nur, wie viele Rippen du dir dabei gebrochen hast. Oder wohl eher ich dir.« Er lachte leicht angeschlagen. »Nein, im Ernst. Geht es dir gut, Harry? Das war nicht gerade ein weicher Fall.«
Er antwortete mir nicht sofort, was seine Antwort nicht unbedingt weniger beunruhigend machte. »Schätze schon.«, sagte er dann endlich. »Mein Kopf wummert ein wenig, mein rechter Arm ist auch nicht gerade sanft aufgekommen. Aber keine Sorge, nix gebrochen.« Wieder versuchte er sich in einem Lächeln, ließ es aber schnell wieder fallen.
»Gott, Harry, das tut mir so leid!« Hektisch versuchte ich, auf die Füße zu kommen – vergaß dabei allerdings, dass ich Schlittschuhe trug und fiel sofort wieder, diesmal aber wenigstens auf meinen eigenen Hintern.
»Hier!« Ich streckte Harry meine Hand entgegen, sobald ich endlich auf meinen Füßen stand. »Ich bringe dich rein.«
Harry hielt sich mit leicht verzerrtem Gesicht den Rücken, als auch er wieder stand. Langsam glitten wir zurück zum Ufer, wo wir unsere normalen Schuhe aufgereiht hatten. Ich war mir ziemlich sicher, dass Harry selbst jetzt noch eleganter dabei aussah als ich, auch wenn er nicht mehr besonders viel Spannung in seinem Körper aufwies. Ich rief Liam und Niall noch zu, dass wir zurückgehen würden und sah schon Nialls höhnisches Grinsen auf seinen Lippen, bis er dann Harry sah und zu verstehen schien und einfach nickte.
Ich half Harry beim Anziehen seiner Schuhe (auch wenn ich wohl eher der gewesen wäre, der die Hilfe brauchte). Es fühlte sich verdammt gut an, wieder in meinen bequemen, kufenlosen Schuhen zu stecken. Ein wahrer Segen.
Ich legte einen Arm um Harry, während ich ihn zurück zum Internat geleitete. Jetzt auf dem festen Boden schien er plötzlich ein wenig wackelig auf den Beinen.
»Soll ich dich vielleicht zu Mrs. Brown bringen?«, fragte ich noch immer besorgt, aber Harry schüttelte den Kopf, lehnte ihn danach sofort an meine Schulter, als wäre das zu anstrengend gewesen.
»Ich muss nicht ins Krankenzimmer, Lou. Es geht mir gut. Ich bin nicht zum ersten Mal beim Eislaufen hingefallen, das passiert eben.«
»Du bist nicht hingefallen, ich habe dich umgefahren! Und dann bist du mit doppeltem Gewicht gestürzt.«
»Es geht mir gut.«, sagte Harry wieder und ich wusste, dass es keinen Zweck hatte. Er konnte genauso stur sein wie ich.
»Dann lass mich dir wenigstens eine heiße Schokolade holen.«, sagte ich nach einer Weile. »Ich darf meinen Freund ja wohl noch ein bisschen verwöhnen, wenn ich ihn gerade beinahe umgebracht hätte, nicht wahr?«
Sein leises Lachen schwebte hinaus in die kalte Winterluft. »Da habe ich nichts gegen einzuwenden. Bei heißer Schokolade werde ich schwach.« Er schwieg und ich wollte etwas erwidern, aber er war stehen geblieben. »Und bitte hör niemals auf, mich deinen festen Freund zu nennen, denn das macht mich glücklicher als alle heiße Schokolade auf der ganzen Welt.«
Grübchen zierten seine Wangen und beinahe wurde ich von der simplen Wahrheit seiner Worte überwältigt. Manchmal sprach Harry diese Sachen einfach aus, als wäre es das Normalste überhaupt.
»Ich werde nicht aufhören, bevor du es mir nicht sagst.« Ich küsste ihn kurz und weniger hart, als ich es vielleicht getan hätte, wenn ich nicht befürchtet hätte, dass ihn das gleich wieder von seinen Füßen reißen könnte.
»Außerdem helfen die Küsse viel besser als ein Besuch im Krankenzimmer.«, sagte Harry mit schüchternem Unterton, während wir schon weitergingen, sein Körper wieder von meinen Armen aufrecht gehalten – sicher ist sicher.
Ich konnte das Lächeln nicht bekämpfen. »Ich wusste schon immer, dass ich ein guter Arzt wäre.«
Harry sah mich flüchtig an. »Versprich mir nur eins, Louis. Ich will deine Heilerkräfte mit niemandem teilen müssen.«
Ich sah ihn nicht an, blieb nicht stehen, lächelte nur wie ein Idiot den Schnee vor meinen Füßen an. »Versprochen, Harry. Kein Teilen. Es gibt nur dich. Nur dich, mich und so viele Küsse, wie du brauchst, um dich wieder gut zu fühlen.
Ich verspreche es dir. Nur du und ich.«
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Liams EP ist draußen und ich könnte ganze Tage damit verbringen Depend on it zu hören :'))
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